Dem Virus ist es egal, wie wir den R-Wert unter 1 zwingen. Uns nicht. Denn die Maßnahmen haben sehr unterschiedliche, teils einschneidende Nebenwirkungen und Nachteile.
Wichtig ist daher, zu verstehen, welche Maßnahmen warum gut wirken und welche Maßnahmen wenig Nachteile haben.
Dem Virus ist egal, wie wir Ansteckungen unterbinden, uns aber nicht.
Das Virus breitet sich aus, wenn der R-Wert über 1 ist und wird eingedämmt, wenn er unter 1 ist. Je weiter der R-Wert in die eine oder andere Richtung von 1 weg ist, desto schneller geht es. Schwieriger ist es nicht.
Der R-Wert beschreibt, wie viele Menschen ein Infektiöser im Mittel ansteckt. Steckt er mehr als eine weiter Person an (R=1) dann wachsen die Fallzahlen, ist es weniger, sinken sie.
Der Wildtyp hatte einen R0-Wert (R-Wert ohne eindämmende Maßnahmen) von ungefähr 3, Delta liegt bei 6-8. Es ist also schwieriger geworden Delta einzudämmen, wir müssen mehr machen um von 6 auf 1 zu kommen.
Masken reduzieren den R-Wert. Reichen aber nicht aus.
Gruppengrößen kleiner machen (keine Großveranstaltungen, Feste usw) reduziert den R-Wert. Reicht aber nicht aus.
Kontakte vermeiden reduziert den R-Wert. Reicht aber nicht aus.
Impfen reduziert den R-Wert. Reicht aber nicht aus.
Testen, Nachverfolgen und Isolieren reduziert den R-Wert, reicht aber nicht aus.
Die Summe dieser Maßnahmen kann ausreichen und hat in der Vergangheit ja auch schon dazu geführt, dass wir den Wildtyp und Alpha zurückgedrängt haben.
Aber nicht alle Maßnahmen haben gleiche Nebenwirkungen und Nachteile. Deswegen macht es Sinn, sich Gedanken darüber zu machen, welche Maßnahmen wir in welcher Reihenfolge anziehen.
Impfen als Supertrumpf
Zwei Piks, etwas warten, jeweils Hin- und Rückweg und fertig ist der Impfschutz. Impfen schützt vor schweren Verläufen und dem Tod. Ok, aber Impfen hilft auch gegen die Ausbreitung. Geimpfte haben eine Inzidenz, die einen Faktor zehn unter der von nicht-Geimpften liegt.
Mit weniger Aufwand kann man aktuell die Pandemie nicht eindämmen. Impfen ist der Supertrumpf und es macht Sinn, jeden Aufwand in die Erhöhung der Impfquote zu stecken.
Testen, Nachverfolgen und Isolieren
Ohne die Arbeit der Gesundheitsämter sähe der Verlauf der Pandemie anders aus. Wenn weitere Ansteckungen im Umfeld von Infizierten vermieden werden, dann ist das zwar für diese Personen ein harter Eingriff, aber für die Gesellschaft als Ganzes eine enorme Entlastung. Denn jede Infektion, die wir durch Quarantäne verhindern, müssen wir nicht mehr durch z.B. Kontaktvermeidung verhindern.
Allgemeine Maßnahmen
Und dann gibt es noch die allgemeinen Maßnahmen, die alle mitmachen, egal wie wahrscheinlich sie angesteckt sind oder zur Pandemie beitragen würden.
Gruppengrößen verkleinern, Kontakte vermeiden, Kontakte nur mit Schutz wahrnehmen, Masken tragen, all das sind Maßnahmen, die es dem Virus schwerer machen, sich zu verbreiten (den R-Wert reduzieren). Wir machen sie obwohl wir gesund sind, weil wir ja Überträger des Virus sein könnten.
Wo wirken Maßnahmen am Besten?
Es ist banal und es ist sehr wichtig: Es kann sich nur jemand anstecken, wo auch das Virus ist. Ansteckungen finden im Umfeld von Infizierten und Infektiösen statt. An Gesunden kann ich mich nicht anstecken.
Warum machen dann die Gesunden die Maßnahmen alle mit? Weil wir nicht wissen, wer infektiös ist. Infizierte sind 1-2 Tage vor Symptombeginn infektiös. Wir wissen nicht, wer das ist, es steht ihnen nicht auf die Stirn geschrieben. Also machen es alle mit.
Bei einer 100 Inzidenz von 100.000 und 7 Tagen, ist das nicht fürchterlich effektiv. 1000 Leute machen die Maßnahmen, nur einer ist infektiöse. Die anderen 999 hätten eh keinen angesteckt.
Maßnahmen im Umfeld von Infizierten
Deswegen sind Maßnahmen im Umfeld von Infizierten so wichtig. Hier spielt die Musik, hier ist das Virus, hier kann man wirklich Ansteckungen verhindern. Hier greifen die Maßnahmen am allereffizientesten.
Wenn ich alle Kontakte eines Infizierten ermittele und wegsperre und das auch noch schnell genug tue, dann habe ich einen sehr großen Einfluss auf die Pandemie. Gleichzeitig sind vergleichsweise wenig Menschen betroffen. Pro Fall 10 Leute in Quarantäne bei einer 100 Inzidenz bedeutet: 1 Infektiös und isoliert. 10 Kontakte auf Verdacht zu Hause und 989 laufen draußen rum.
Das ist sehr effizient und rechtfertigt daher auch die vergleichsweise harte Maßnahme Quarantäne. Die Quarantäne als Maßnahme ließe sich natürlich noch weiterdenken. Es geht ja darum, das Virus einzufangen, nicht die Menschen. Ich habe das hier mal diskutiert.
Maßnahmen für Menschen, die sich angesteckt haben könnten
Ähnliches gilt für alle Menschen, die ein erhöhtes Risiko haben, sich angesteckt zu haben. Vielleicht nicht so hoch wie als Kontakt eines Infizierten, aber immer noch höher als allgemein. Jede dieser Unterscheidungen sollten wir nutzen, um Maßnahmen so spezifisch und effizient wie möglich zu machen.
Das gilt für Reiserückkehrer, Risikoberufe, die Liste der Kriterien ist lang. Nutzen wir sie.
Maßnahmen für Ungeimpfte
Ungeimpfte haben eine ca. 10 mal höhere Inzidenz als Geimpfte. Das Virus verbreitet sich bei ihnen einfach besser. Deswegen macht es auch Sinn, bei den Maßnahmen zwischen Geimpft und Ungeimpft zu unterscheiden. Das ist eine Ungleichbehandlung, richtig, aber mit einem klaren Grund. Daher auch keine Diskriminierung.
Testpflicht, Zutrittsverbot, all das sind Maßnahmen, die Ungeimpfte betreffen und spezifischer wirken als ein allgemeines Verbot.
Maßnahmen für Populationen mit hoher Inzidenz
Es gibt außer dem Impfstatus noch andere Merkmale von Gruppen, mit überdurchschnittlicher Inzidenz. Beengte Wohnverhältnisse (z.B. Wander- und Saisonarbeiter), Armut, Bildung, Wohngegend. Anhand dieser Kriterien sollte man gezielt die Gruppen mit höherer Inzidenz aufsuchen und ihre Nachteile kompensieren. An dieser Stelle denke ich weniger an Einschränkungen als an Impfangebote und Aufklärung.
Spezifische Maßnahmen wirken besser und haben weniger Nebenwirkungen
Je spezifischer ich eine Maßnahmen gestalte, näher an den Infektionen dran oder näher an höheren Inzidenzen, desto wirksamer ist meine Maßnahme im Verhältnis zu den Nebenwirkungen und Nachteilen.
Unsere aktuelle Politik ist einfallslos und defätistisch. Es geht so viel mehr
Unsere akutelle Politik kennt im wesentlichen zwei Optionen: Impfen und Lockdown. Also Königsklasse und uneffizienteste Option. Dabei gäbe es, wie hier gezeigt, viele Zwischentöne und Möglichkeiten, die ich im folgenden diskutieren will.
Und ja, mir ist klar, dass im Rahmen der niederschwelligen Impfangebote mit mobilen Teams durchaus solche Maßnahmen getroffen werden.
Gleichzeitig gibt es Bundesländer, die die Quarantäne einschränken und dadurch nur erreichen, dass danach Maßnahmen für alle notwendig werden. Und das ist ja nicht so schlau.
In Summe muss der R-Wert unter 1. Mehr ist nicht gefordert
Keine einzelne Maßnahme bringt den Erfolg. Auch der Impfstand, wie wir ihn jetzt haben, tut das nicht. Es braucht das Zusammenspiel mehrere Maßnahmen.
Wir haben übrigens für viele Erkrankungen das Zusammenspiel aus Impfung und Nachverfolgung durch die Gesundheitsämter. Das ist bewährtes Verfahren und fühlt sich für alle wie Alltag an. Wenn wir an dem Punkt angekommen sind, dann könnten wir mit Fug und Recht die Pandemie im Inland für beendet erklären. Auch ohne strenge Herdenimmunität.
In Summe müssen wir nur mit dem R-Wert unter eins. Welche Maßnahmen wir dazu brauchen lässt sich schwer vorhersagen. Wir wissen aber anhand der Infektionszahlen, ob wir über oder unter 1 sind. Wir wissen also, ob wir genug tun, oder mehr machen müssten.
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