Ein Bett ist kein Schreibtisch, auch wenn es vielleicht bequem ist. Ein Esstisch ist kein Schreibtisch und Designerstühle sind alles andere als ergonomisch. Genauso wie das Mobiliar gehört eine helle und angenehme Beleuchtung zum Arbeitsplatz. Mit Beginn des ersten „Lockdowns” verlagerte sich die Welt der Arbeitnehmer:innen von jetzt auf gleich aus den Büroräumen in die eigenen vier Wände. Für vier Monate – als Übergangslösung – war es kein Problem, dass die gewohnten Rahmenbedingungen nicht eingehalten werden konnten. In den vergangenen Wochen haben nun einige Unternehmen erklärt, dass sie das Konzept „Büro” grundsätzlich in Frage stellen wollen. Nicht nur jetzt im zweiten „Lockdown Light”, sondern auch weit danach sollen die Arbeitnehmer:innen im Home Office bleiben. Das halte ich so pauschalisiert für falsch.
Die beste ist nicht unbedingt die perfekte Lösung
Zu Beginn des ersten Lockdowns im Frühling standen alle Unternehmen vor einem Berg an Herausforderungen: Sie mussten das ganze Team durch eine ungewisse Zukunft steuern, möglicherweise Kurzarbeit anmelden und vor allem die Sicherheit der Mitarbeiter:innen gewährleisten. Die Lösung dafür war der Umzug in den Home Office, weshalb innerhalb sehr kurzer Zeit alle Strukturen für die dezentrale Arbeit – remote – umgebaut wurden. Gleich an dieser Stelle möchte ich unterstreichen: Ich finde es gut und richtig, dass Unternehmen ihrer Verantwortung gerecht geworden sind und praktikable Ansätze gesucht haben! Die Tatsache, dass die Mitarbeiter:innen von zu Hause aus arbeiten sollten, um die Kontakte im Büro zu minimieren, war und ist wahrscheinlich die beste Maßnahme gegen die Ausbreitung des Corona-Virus. Trotzdem ist sie nicht die perfekte Lösung, die ebensowenig zum neuen Standard werden darf. Denn wer denkt, dass jede Wohnung auch als (dauerhafter) Arbeitsplatz geeignet ist, läuft in meinen Augen weit an der Realität vorbei.
Wir alle wissen, dass Wohnraum teuer ist. Besonders in den Ballungsgebieten und Metropolregionen. Die durchschnittlich ca. 47 Quadratmeter Wohnfläche, die 2019 pro Kopf auf die deutsche Bevölkerung kamen, kann man sich dort nicht immer leisten. Unweigerlich führt das dazu, dass die Wohnungen verhältnismäßig klein sind. Standard-Wohnungen haben neben einem Bad und einer Küche (-nzeile) noch einen Schlaf- und einen Wohnbereich. Mehr nicht. Platz für einen Schreibtisch ist selten, ganz zu schweigen von einem separaten Zimmer, in dem man ungestört Video-Konferenzen abhalten könnte. Die Folge davon haben wir im vergangenen Halbjahr alle selbst erlebt: Wir kennen die Inneneinrichtung unserer Kolleg:innen und Kund:innen, denn sie sitzen oft zwischen Gewürzregal und Kühlschrank in der Küche oder neben den Urlaubsbildern im Wohnzimmer, um zu arbeiten. Diese Erkenntnis bringt mich zurück zu meinem Eingangsgedanken: Eine Wohnung ist kein Büro! Übergangsweise, weil jede:r einen Teil dazu beiträgt, dass wir gemeinschaftlich die Corona-Pandemie überstehen, ist es in Ordnung. Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Wenn aber nun einige davon sprechen, dass Home Office der neue Normalzustand werden soll, dann habe ich den Eindruck, dass diese Entscheidungen in lichtdurchfluteten Arbeitszimmern von großen Wohnungen getroffen wurden, in denen es sich ganz wunderbar und in Ruhe arbeiten lässt. Die Realität sieht aber anders aus und ich möchte dazu anregen, sich etwas näher an der Wirklichkeit zu orientieren.
Sparmaßnahmen unter dem Deckmantel von Corona
Wenn ein Unternehmen nun angesichts einer globalen Pandemie zu dem Ergebnis kommt, dass Büroflächen verkleinert oder tatsächlich aufgegeben werden sollen, dann erwarte ich gleichzeitig auch einen Plan, wie a) diese Flächen alternativ genutzt werden können und b) wie die individuellen Umstände der Mitarbeiter:innen zu den neuen Gegebenheiten passen. Denkbar wären zum Beispiel Coworking-Modelle oder flexible Arbeitsplätze für diejenigen, die nicht in den eigenen vier Wänden arbeiten können bzw. wollen. Außerdem wünsche ich mir, dass Arbeitgeber:innen auch beim Punkt Ausstattung ihren Teil dazu beitragen, dass die die Arbeitsplätze den geltenden Anforderungen entsprechen – Stichwort Arbeitsstättenverordnung. Einfach die Verantwortung für den Arbeitsplatz auf die Angestellten abzuwälzen und unter dem Deckmantel der Pandemie, die uns alle hart trifft, einen Teil der Unternehmens-Pflichten wegzudefinieren, ist schlechter Stil.
Falls am Ende dann doch noch Flächen von ehemaligen Büros übrig sein sollten, hätte ich noch eine verrückte Idee: Wie wäre es mit bezahlbarem Wohnraum in den Großstädten?
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