Besprechung des Romandebuts im Jahre 2017 von Helmut Erwert

Wer zum Geburtstag oder dem nächsten Weihnachtsfest ausnahmsweise keinen Krimi, kein Kochbuch und keinen Reiseführer verschenken will, sondern ein Buch sucht, das gleichermaßen Geist und Herz anregt und Geschichte mit Gegenwart verbindet, der ist beim spät berufenen Literaten Helmut Erwert und seinem Romandebut Elli oder Die versprengte Zeit gut aufgehoben. Geschickt und filigran webt Erwert ein erzählerisches Netz aus Handlungssträngen, die aus heutiger Perspektive betrachtet, Rückblenden sein könnten. Dieses einfachen Kniffs bedient sich der Historiker, ehemalige Gymnasiallehrer – unter anderem in Barcelona in der Endphase des faschistischen Diktators Franco – allerdings nicht. Er mutet Lesenden zu, mit ihm in Zeiten und Orten zu springen, die eng mit Ellis Schicksal verbunden sind. Ellis mehrfach gebrochener Lebensweg beginnt im heute zu Serbien gehörenden Teil des  Banats.

Das Banat

Erwert widerlegt mit seinem ersten belletristischen Werk sicher unbeabsichtigt und gerade deshalb mit beispielgebender Leichtigkeit ein Klischee, das sich aus Stereotypen speist, die hierzulande von Unkundigen allzu leichtfertig verbreitet werden. So berichtete Spiegel TV anlässlich der Verhaftung des bosnischen Serbengenerals Ratko Mladic über die „nationalistische Vojvodina“ und meint damit das Dorf Lazarevo (dt. Lazarfeld) im Banat.

Erwert beschreibt die Realität seiner Kindheit und beginnenden Jugend im Banat als lebendige und quirlige multi-ethnische Kultur am Vorabend der Verwerfungen des Zweiten Weltkrieges. Selbst wenn zunächst Juden und drei Jahre nach ihnen Deutsche aus dem Banat „verschwanden“, so blieben zwar vereinzelte Vertreter ihrer Ethnie und Kultur in der Umgebung ihrer Heimat neben Serben, Rumänen, Ungarn und manch anderen. So ist das Banat, Teil der Vojvodina in Serbien, noch immer ein Modell für das moderne Europa in dem multikulturelles Zusammenleben Realität ist und nicht romantisch verklärt postuliert wird.

Elli oder Die versprengte Zeit reiht sich ein in die hohe Literatur aus dem oder über das Banat, die etwa Ivan Ivanji, ehemaliger Dolmetscher des Diktators Josip Broz Tito und Vorsitzender des damaligen jugoslawischen Schriftstellerverbandes PEN

Wie Erwert ist auch Ivanji im Banat geboren und beschreibt als Überlebender der Shoah aus seiner Sicht in einer Reihe von Romanen übereinstimmend das friedliche Zusammenleben der teils höchst unterschiedlichen Kulturen im Banat vor 1941.

Sicher beschränkt sich Erwert nicht nur aufs Erzählen im Sinne von Wiedergabe, wie man es auch von einigen Vertriebenen aus ihren Erinnerungen kennt. Elli erlebt ein Wechselbad der Gefühle zwischen zwei Männern, dem Krieg, der Vertreibung, der Flucht und einer tiefen Sehnsucht nach der heilen Welt mit ihrem geliebten aber zunächst verschollenen Ehemann. Ein Schicksal das sie mit vielen teilt und wie nur manche einigermaßen klaglos hinnimmt.

Brisante Aktualität

Da ist die Frage im Roman nach dem Kriegsverbrecher Tihomir Zivkovic, der vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gesucht wird, die über der Handlung steht und sie voran treibt. Schön und doch tragisch, nun eben belle et triste, wie Elli ihrem Jugendfreund lange nach dem Krieg begegnet und ihr ersehntes Glück erneut zu Staub zerfällt. Sie liebte den unsteten Kampfpiloten, kam mit dessen Leichtfüßigkeit nicht zurecht, verliebte sich in den bodenständigeren Johann, ihren späteren Ehemann.

Helmut Erwert darf sich als Historiker über den Zufall freuen, dass der echte Kriegsverbrecher Ratko Mladic nun in Den Haag sein Urteil entgegennahm. Nicht nur dieses Zufalls wegen bewegt sich der geschichtskundige Erwert vollkommen auf der Höhe der Zeit. Nein, er zeigt Konfliktlinien heute und in der Vergangenheit seiner ehemaligen Heimat im Banat auf, ohne zu pädagogisieren. Damit wird er zu einem Welterklärer, dessen zurückhaltend formulierten Erkenntnisse umso bedeutsamer sind, weil sie so selbstverständlich beschrieben sind, wie das mulit-ethnische Banat mit den kulturellen Unterschieden heute wie früher vollkommen natürlich und selbstverständlich lebt.

Biserica Alba

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Die Rumänen nennen Helmut Erwerts Geburtsort Biserica Alba, der Autor selbst spricht von Weißkirchen und auf den gültigen serbischen Landkarten ist die Kleinstadt Bela Crkva zu finden. Wer dieses Kleinod zwischen Karpaten und Donau, zwischen den Flüssen Nera und Karasch heute kennt mit seinen alten Kasernen und dem Korso im Zentrum und sich von Erwert an die Hand nehmen lässt, dem erscheint vor geistigem Auge und Ohr die anregende Zwischenkriegszeit mit der Atmosphäre des untergegangenen Kaiserreichs Österreich-Ungarn. Geige und Klavier in den Cafés vor denen die schönste Jugend des Banats damals flanierte und heute beim alljährlichen Blumenkarneval tanzt. Wer die Chance hat, eine Lesung mit dem Verfasser dieser faszinierenden Erzählung zu erleben, der wird erleben, mit welcher Lust, die Lebenslust ist, dieser Roman geschrieben wurde. Saftige Pfirsiche. Reif und direkt vom Baum geerntet im Banat, lassen Erwert vom Paradies auf Erden schwärmen wie einst Anton Rochel, der 1835 das Banat bereisend schrieb, dass er seine Freunde beneide, die das Glück haben, das Alldorados der Österreichischen Monarchie zu bewohnen. Es treffen wirklich – trotz der auch tragischen Handlung – Gegenwart und mehrere Vergangenheiten aufeinander, die ganz real zusammengehören.

Interview mit dem Autoren: https://www.youtube.com/watch?v=9LtTn_k2EgA

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