Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
1) Sie stellen mir nach und verfolgen mich
Der Text beschreibt die Erfahrungen einer Migrantin in Deutschland, die sich mit sexueller Belästigung und Bedrohung, insbesondere durch Männer mit Migrationshintergrund, konfrontiert sieht. Die Autorin schildert, dass sie in anderen Ländern, wie Griechenland und Polen, solche Probleme nicht erlebt habe. Zurück in Deutschland fühlt sie sich jedoch in öffentlichen Räumen, besonders abends, nicht sicher und berichtet von Vorfällen, in denen Männer sie verbal und physisch bedrängen. Besonders problematisch sei, dass diese Erfahrungen oft ignoriert oder verharmlost werden, insbesondere von progressiven Kreisen, die befürchten, rechte Narrative zu bedienen. Es wird kritisiert, dass Frauen wie sie, Migrantinnen, die nach Emanzipation streben, kaum Solidarität erfahren, da ihre Erfahrungen nicht in das politische Narrativ passen. Die Autorin fordert, dass das Problem klar benannt wird, um Lösungen zu finden und die Opfer zu unterstützen. (Ninve Ermagan, FAZ)
Ich möchte folgenden Satz aus dem Artikel besonders zitieren: "Die progressiven Linken glauben, dass sie Migranten einen Gefallen tun, wenn sie diese Themen unter den Teppich kehren." Genau das ist das Problem. Ich habe darüber in meinem Artikel zur Sackgasse der Migrationspolitik ja bereits gesprochen. Das Versagen der Linken ist es, in den Worten Sascha Lobos, es verpasst zu haben, eine nicht-rassistische Islamkritik zu entwickeln. Aus Angst davor, den Rechten in die Karten zu spielen, hat man das Problem ignoriert. Bedauerlicherweise muss man sogar den Präsens benutzen, denn wenn man auf die aktuelle Israel-Palästina-Diskussion schaut, hat sich das nicht wesentlich geändert. Leider auch nicht geändert hat sich die Festgefahrenheit der anderen Seite; die Sackgasse betrifft ja beides. Die Folge ist etwas, das wir in Deutschland mittlerweile zur Kunstform erhoben haben: wir finden einen Kompromiss, der das schlechteste beider Seiten kombiniert. Wir schieben Leute ab und machen anderen das Leben schwer, die eigentlich total gut für die Gesellschaft sind und haben andererseits keinerlei Regeln dafür, wen wir reinlassen wollen und wie. Slow clap.
2) The cultural power of the anti-woke tech bro
Der Artikel beschreibt, wie sich das Bild des typischen Libertären in den USA seit 2010 verändert hat. Während früher Figuren wie Ron Paul oder der fiktive Ron Swanson als libertäre Symbole galten, wird die Bewegung heute zunehmend von "Tech Bros" dominiert, die sich gegen "woke" Kultur und politische Korrektheit stellen. Diese neuen Libertären sind meist junge Männer, die von Silicon-Valley-Größen wie Elon Musk und Peter Thiel beeinflusst sind. Sie sehen sich als unabhängige Denker, ihre Ideologie ist jedoch oft von kulturellen Beschwerden geprägt, insbesondere gegen die zunehmende Rolle von Frauen und Minderheiten in der Gesellschaft. Die Pandemie verstärkte ihre Skepsis gegenüber staatlichen Eingriffen und Gesundheitsmaßnahmen. Der Artikel stellt dar, wie diese Männer durch ihre selbstgeschaffenen Erzählungen von Männlichkeit und Individualismus geprägt sind, obwohl ihre Philosophie oft von Angst und Isolation getrieben ist. Der Tesla Cybertruck dient als Symbol für ihre paranoide Weltanschauung. (Rebecca Jennings, Vox)
Besonders bemerkenswert an dieser Gattung Leute finde ich die Eigenschaft, die aus irgendeinem Grund im rechten Spektrum wesentlich weiter verbreitet ist als auf der linken Seite: das krasse Grifting, das diese Leute betreiben. Ob die im Artikel genannten Tech-Bros, Alex Jones, Tucker Carlson oder Donald Trump höchstpersönlich, dieses ständige Betrügen und Abziehen der eigenen Leute ist eine echt auffällige Gemeinsamkeit. Ständig verkaufen sie irgendwelchen qualitativ minderwertigen, überteuerten Mist. Man kann das sicher als kapitalistische Geschäftstätigkeit bewundern, aber es ist echt eine merkwürdige Eigenheit dieses Spektrums. Und etwas, das US-spezifisch zu sein scheint. Ich habe jedenfalls nicht mitbekommen, dass die AfD Kaffeefahrten organisiert oder so was.
3) Die Grünen als neue Stimme der Vernunft
Der Artikel beschreibt die aktuelle politische Landschaft in Deutschland, in der die AfD einen großen indirekten Einfluss auf die Politik ausübt. Obwohl sie in keiner Regierung vertreten ist, prägt sie das politische Klima durch die Themen, die sie setzt, und die Ängste, die sie schürt. Besonders die Grünen haben unter diesem Rechtsruck zu leiden, da sie in Umfragen und Wahlen Verluste hinnehmen müssen. Dennoch wird betont, dass die Grünen eine Chance haben, sich als glaubwürdigste Anti-AfD-Partei zu positionieren. Der kommende Wahlkampf wird stark von der Frage geprägt sein, wie Deutschland aus der wirtschaftlichen Krise herauskommt. Während die AfD einfache Antworten bietet, haben auch die Grünen klare, zukunftsorientierte Lösungen, die auf eine ökologische Marktwirtschaft abzielen. Robert Habeck könnte dabei eine wichtige Rolle spielen, auch wenn er wahrscheinlich nicht Kanzler wird. (Tobias Rapp, Spiegel)
Ich halte das für ziemlichen Unfug. Die Grünen werden ohnehin als das "andere Extrem" zur AfD wahrgenommen, da gibt es wenig, was man mit politischer Kommunikation noch drehen kann. Nur ist das nicht eben etwas, das der Partei hilft. Vielmehr wirken sie wie eine Seite des ideologischen Spektrums, quasi die Spinner von Linksgrün, während die Spinner von Rechtsblau auf der anderen Seite stehen. Diese False Balance, die gerade die CDU und die Springerpresse leider auch massiv mitbetreiben, ist für die Demokratie als Ganzes nicht sonderlich förderlich. Wie es helfen soll, wenn die Grünen da noch mehr mitmachen, ist mir schleierhaft. Das ist nicht die USA. Selbst dort ist die Idee, ständig als Anti-Trump aufzutreten, keine sonderlich gute gewesen, wie der Biden-Wahlkampf gezeigt hat. In Deutschland gibt es vier, mit dem BSW sogar fünf Optionen, um nicht AfD zu wählen, nicht nur eine. Warum jemand, der normalerweise der FDP zuneigt, bei egal wie viel Abneigung gegen die Blauen die Grünen wählen sollte, um...was genau zu erreichen?...bleibt mir schleierhaft. - Was die klaren, zukunftsorientierten Lösungen angeht, bin ich voll bei Rapp, aber das ist kein Problem der Grünen, sondern aller demokratischer Parteien.
4) Elon Musk ist kein „Genie“, sondern ein charakterloser Wirrkopf mit viel Geld
Der Text analysiert die weit verbreitete journalistische Praxis, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens mithilfe der Formel „Genie und Wahnsinn“ darzustellen. Dieses Klischee, das besonders häufig auf Figuren wie Elon Musk angewendet wird, suggeriert, dass diese Personen sowohl außergewöhnlich talentiert als auch problematisch sind. Der Autor kritisiert, dass diese Darstellung die Komplexität der Personen simplifiziert und teilweise toxisches Verhalten rechtfertigt oder verharmlost. Am Beispiel von Musk zeigt der Text, dass Medien zwar seine problematischen Aussagen und Taten kritisieren, ihn jedoch weiterhin als „Genie“ stilisieren und so sein Image aufrechterhalten. Diese Erzählweise wird als schädlich bezeichnet, da sie das Narrativ eines „toxischen Talents“ fördert und die Macht der porträtierten Personen stärkt. Der Autor fordert, das gängige Bild von Musk als genialen Visionär kritisch zu hinterfragen und die Fehler in seiner medialen Inszenierung aufzudecken. (Johannes Franzen, Übermedien)
Bei aller Liebe zu Kritik an Musk, mir geht das insgesamt zu weit. Denn klar, Musk ist bei weitem kein solches Genie, wie das in den 2010er Jahren immer wieder behauptet wurde, aber er ist auch kein kompletter Idiot, der einfach nur Glück hatte. Er hat offensichtlich sehr solide unternehmerische Entscheidungen getroffen, in der Anfangszeit auch mit gehörigem persönlichen Risiko (wenngleich nie mit so viel wie es die Legende behauptet) und er hatte ein Händchen für den Verkauf. Er ist mehr Thomas Edison oder Steve Jobs als Nikola Tesla, so viel ist sicher, aber der Mann ist ein Workaholic und weiß eben, wie er seinen Mist verkauft. Oder wusste es, je nachdem. Edison erfand genauso wenig die Glühbirne wie Steve Jobs das iPhone, aber wie Musk erkannten sie eine Idee und ihr Potenzial, booteten ihre weniger skrupellosen Geschäftspartner aus und bauten ein Imperium. Das muss man nicht cool finden, aber es ist durchaus eine Leistung.
5) Fünf bittere Wahrheiten über Israel
Der Artikel analysiert, wie Israel nach dem Überfall der Hamas zunehmend internationalen Rückhalt verloren hat und antisemitischen Tendenzen begegnen muss. Er beschreibt fünf wesentliche Erkenntnisse ein Jahr nach dem 7. Oktober: Erstens ist Israel im Ernstfall politisch oft auf sich allein gestellt, da internationale Unterstützung, einschließlich aus Deutschland und den USA, oft nur begrenzt ist. Zweitens zeigt sich, dass viele linke Gruppierungen und Bewegungen in Europa und den USA in erschreckender Weise antisemitische Positionen vertreten. Drittens wird betont, dass westliche Gesellschaften besonders anfällig für islamistische Ideologien sind, was auf den Straßen und in sozialen Medien sichtbar wird. Viertens haben internationale Institutionen und Medien teils strukturellen Antisemitismus in sich, der in der Berichterstattung über Israel und den Nahen Osten zum Ausdruck kommt. Zuletzt wird betont, dass ein dauerhafter Frieden im Nahen Osten nur durch das Ende des iranischen Regimes möglich sei, das als Hauptakteur hinter dem Terrorismus in der Region agiert. (Sascha Lobo, Spiegel)
Und wir sind wieder bei Sascha Lobo und Kritik am linken Antisemitismus. Mir ist die Radikalität in der Betrachtung des Nahostkonflikts einfach nur unklar. Auf der einen Seite gibt es die Gruppe, die quasi nur darauf wartet, dass irgendjemand nicht ein 120%-iges Loyalitätsbekenntnis mit Blankoscheck an Tel Aviv abgibt, um mit der größtmöglichen Antisemitismuskeule jede noch so grobe Nuance plattzuhauen, und auf der anderen Seite die Gruppe derjenigen, die es schafft, Hamas und Hisbollah entweder einfach zu ignorieren oder gar zu Opfern israelischer Aggression zu machen und die jede Nuance mit dem riesigen Knüppel des Imperialismusvorwurfs (oder welche Worte da auch immer verwendet werden) platt macht. Ich hab so keine Lust, zu dem Thema zu diskutieren, aber es ist inzwischen so allgegenwärtig (und ich nicht konsequent genug), als dass man es ignorieren könnte. Super ätzend.
Resterampe
a) Bevor jemand glaubt, dass ein handfester Spionageskandal der AfD schaden würde: nein.
b) Übersichtsanalyse zu den österreichischen Wahlen.
c) Spannender Artikel zum US-Anteil an der Kolonisierung des Kongo.
d) Im Freitag gibt's auch nen Take zu den Grünen. Ich würde sagen, das schließt sich nicht aus.
e) Interview zu Ulbricht. Ich möchte übrigens nur mal den Gedanken dalassen, dass Kowalczuk ein mindestens so aktivistischer und ideologischer Historiker ist wie etwa Jürgen Zimmerer - nur in einer wesentlich genehmeren Richtung. Und das ist auch nichts Schlechtes!
f) Kann nicht wirklich wen überraschen. Außer natürlich die Heiße-Luft-Maschinen, Die Vizekandidaten helfen bei der Wahlentscheidung mehr als Trump und Harris.
i) Spannender Thread zu Isabel Schnabels Rede zur Lage der deutschen Wirtschaft.
j) Hollywood gibt die kreative Kontrolle an die am lautesten schreienden Kinder ab.
k) Sehr gute Einordnung der Politik von Wohnraum.
l) The Israeli public wants war.
Fertiggestellt am 04.10.2024
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