Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
1) Die katastrophalen Folgen der „elterlichen Bildschirmzeit“
Empirische Studien zeigen laut einer neuen Meta-Analyse deutlich, dass elterliche Handynutzung in Anwesenheit von Kleinkindern gravierende und dauerhafte negative Folgen hat. Besonders betroffen sind die sprachliche Entwicklung, das soziale Verhalten und die Eltern-Kind-Bindung. Die Studien belegen, dass „der elterliche Blick aufs Handy“ die Interaktion mit dem Kind massiv stört, was langfristig Verhaltensauffälligkeiten und Bildungseinbußen zur Folge haben könne. Die Kinder erleben mangelnde Zuwendung, fehlende Vorbilder und kaum mentale Stimulation. Bildungsministerin Karin Prien fordert deshalb, auch Eltern stärker in die Pflicht zu nehmen. Sie kritisiert, dass die Debatte zu oft allein auf die Kinder ziele, obwohl diese lediglich „Kinder ihrer Zeit“ seien. Vielmehr liege die Verantwortung bei Eltern, deren Vorbildverhalten oft selbst problematisch sei. Die Forderung: erzieherische Aufklärung in Kitas und Schulen, Konzepte elterlicher Mitwirkung und ein generelles privates Handyverbot an Bildungseinrichtungen. Ziel sei eine gesellschaftliche Umkehr, um die „Bildungsmisere“ zu stoppen – mit mehr gemeinsamer Verantwortung statt digitaler Ablenkung. (Klaus Zierer, Welt)
Ich bin bei solchen Themen immer sehr vorsichtig, ob wir es nicht mit einer moralischen Panik zu tun haben. Diese "neue Sache ruiniert die Kinder"-Idee hatten wir schließlich weiß Gott schon oft genug, und an Studien und Wissenschaftler*innen, die das unterstützt haben, hat es auch nie gefehlt. Für Belege möchte ich Comics, Rock'n Roll, D&D, Fernsehen, Videospiele und soziale Netzwerke anführen. Nun ist es aber natürlich auch so, dass jedes dieser Medien die Gewohnheiten der Kinder (und de facto der daraus resultierenden Erwachsenen) geändert hat. Nur haben wir bisher noch jede dieser Änderungen überstanden. Klar kann das dieses Mal anders sein und das Handy sich als totale Bombe erweisen, die alles in den Schatten stellt. Aber vielleicht auch nicht. Davon abgesehen sehe ich nicht, welche Konsequenz aus der Erkenntnis folgen soll. Es ist schon praktisch unmöglich, den Mediengebrauch der Kinder und Jugendlichen zu regulieren. Wie genau soll die Erkenntnis, dass der Medienkonsum der Eltern die Kinder beeinträchtigt, in konkreten Taten resultieren? Vor allem in einem Land, das die Freiheit so hoch hält wie Deutschland und auf staatliche Eingriffe in Erziehung und Alltag derart allergisch reagiert? In einem Land, in dem jeder noch so vorsichtige Appell, ein schädliches Verhalten vielleicht ein wenig zu reduzieren, gleich mit hysterischen Vorwürfen sozialistisch-totalitärer Staatsverliebtheit beantwortet wird?
2) Kinder haben ein Recht auf Unterhalt, Mütter ein Recht auf Würde
Der Gastbeitrag von Nathalie Klüver thematisiert die strukturellen Probleme im deutschen Unterhaltsrecht, insbesondere aus der Perspektive alleinerziehender Mütter. Obwohl Kindern ein gesetzlicher Anspruch auf Unterhalt zusteht, werde dieser in der Praxis oft erschwert oder verzögert durch bürokratische Hürden, emotionale Konflikte und fehlende staatliche Unterstützung. Viele Mütter müssten Unterhalt aktiv einklagen – ein kräftezehrender und konfliktträchtiger Prozess. Laut Klüver werde der Unterhalt häufig als „Druckmittel“ missbraucht, während Mütter zur Zielscheibe von Groll und Erpressung würden. Die Autorin fordert eine grundlegende Reform: Unterhalt müsse „automatisch und unbürokratisch“ berechnet und ausgezahlt werden, etwa mithilfe vorhandener Steuer- und Sozialdaten. Auch eine verpflichtende Beratung für zahlungspflichtige Elternteile solle eingeführt werden, um das Bewusstsein zu schärfen, dass Unterhalt dem Kind zugutekomme. Die bisherige Praxis befeuere Konflikte statt sie zu lösen. Klüver plädiert für ein System, das „Konflikte entschärft“ und nicht von finanziellen Mitteln, Durchsetzungsvermögen oder Erschöpfung eines Elternteils abhängt. (Natalie Klüver, Spiegel)
Ich verstehe die Argumentation Klüvers vollständig, aber ich halte sie trotz allem für verkürzt. Buschmanns Reformidee hatte schließlich durchaus auch eine reale Grundlage: das aktuelle Unterhaltsrecht ist schrecklich unflexibel und befördert Wochenendväter und alleinerziehende Mütter. Was Klüver fordert ist, das aktuelle System für Mütter funktionaler zu machen, was angesichts der gigantischen Probleme und Armutsgefahr für Frauen durchaus sinnvoll ist. Nur löst es das Problem, das Buschmann angehen wollte, nicht. Seine Idee hatte immerhin den Charme, die Männer gleichzeitig auch auf dem Feld der Betreuung mehr in die Pflicht zu nehmen. Es mag sein, dass sein Reformvorschlag für die Frauen noch mehr Probleme gebracht hätte, aber ihn so komplett zu verwerfen, wie Klüver das hier tut, ist auch nicht das Gelbe vom Ei. Da muss eine Synthese hier, die sämtliche Probleme angeht und nicht nur einen Teil. Die Reaktion Karin Priens ("wer Unterhalt nicht zahlt, soll nicht Auto fahren") ist dagegen einfach nur heiße Luft; ich wäre sehr überrascht, wenn da in den nächsten vier Jahren etwas passiert.
3) Schluss mit dem Gerede von der letzten Chance
Der Leitartikel kritisiert die zunehmende politische Rhetorik, wonach die Demokratie in Deutschland kurz vor dem Zusammenbruch stehe. Diese Angstrhetorik werde nicht nur von der AfD genutzt, sondern zunehmend auch von demokratischen Politikern, die ihre eigene Bedeutung überhöhen. Aussagen wie jene, die Regierung Merz sei „die letzte Patrone“ gegen den Untergang der Demokratie, suggerierten eine Alternativlosigkeit, die dem demokratischen Prinzip widerspreche. Die Autorin argumentiert, dass nicht das System selbst, sondern die „Glaubwürdigkeit der Regierenden“ gefährdet sei. Die schwarz-rote Koalition unter Friedrich Merz werde als schwach wahrgenommen, da sie auf programmatische Leere und Krisenrhetorik setze, ohne überzeugende Lösungen zu präsentieren. Anstatt realistische Politik zu machen, werde die AfD durch Alarmismus und fehlgeleitete Kommunikation gestärkt. Die größte Gefahr für die Demokratie gehe daher nicht von außen oder der Opposition aus, sondern von einer politischen Klasse, die Verantwortung und Ernsthaftigkeit durch Panikmache ersetze. Es sei nötig, Vertrauen zurückzugewinnen – nicht durch Angstmache, sondern durch pragmatische, nachvollziehbare Politik. Denn: „Angst muss uns unsere eigene Angst machen.“ (Melanie Amann, Spiegel)
Ich bin auf jeden Fall soweit bei Amann, dass ich langsam wirklich aggressive Reaktionen bekomme, wenn jemand die Phrase "das nützt der AfD" benützt. Diese ständige Überhöhung nützt, man verzeihe den lahmen Witz, der AfD. Die Regierenden sollen sich darauf konzentrieren, gute Arbeit zu machen. Tatsächlich kann Merz nicht erwarten, das Land in Geiselhaft nehmen zu können und quasi Loyalität über alle Lager zu bekommen, damit am Ende seine Partei nicht Mehrheitsbeschaffer für die Faschisten wird. Diese Verantwortung gebührt denen, die Regierungsmacht wollen und tragen. Ich sehe das Bild der Regierung nicht so negativ wie Amann; klar, die große Vision hat die Regierung nicht, aber welche hat das schon? Die sollen dafür sorgen, dass die verrottende Infrastruktur wieder auf Vordermann gebracht wird und andere strukturelle Probleme angehen. Dann kann die Demokratie als Ganzes davon profitieren - wenngleich vielleicht nicht Merz und seine Regierung. Aber das ist das Schicksal aller Reformer; fragt mal Willy Brandt und Gerhard Schröder.
4) Wie mächtig ist die Klimalobby?
Der Artikel setzt sich mit dem Vorwurf auseinander, die EU-Kommission habe intransparent mit Umwelt-NGOs zusammengearbeitet, um gezielt politischen Einfluss auszuüben. Auslöser der Debatte war ein Bericht der Welt am Sonntag, der angebliche „Geheimverträge“ zwischen Brüsseler Beamten und Klimaaktivisten anprangert. Kritiker wie Christoph de Vries (CDU) sprechen von einem „ungeheuerlichen Vorgang“. Tatsächlich zeigt die Analyse, dass es sich bei den Fördervereinbarungen um öffentlich beschlossene Programme wie das „Life“-Projekt handelt, das Umwelt-NGOs ausgleichend zur starken Unternehmenslobby unterstützt. Zwar seien einige Inhalte der Finanzierungsvereinbarungen nicht öffentlich, doch weise die Kommission die Vorwürfe zurück, konkrete Anweisungen gegeben zu haben. Auch unabhängige Recherchen, etwa von Politico, fanden keine Hinweise auf direkte Einflussnahme. Die Diskussion beleuchtet ein grundsätzliches Spannungsfeld: Während Wirtschaftsverbände über enorme Ressourcen verfügen, sollen NGO-Förderungen für mehr Ausgewogenheit im politischen Diskurs sorgen. Der Skandal entpuppt sich bei näherem Hinsehen eher als mediale Dramatisierung denn als Beleg für einen „deep state“. (Mark Schieritz, ZEIT)
Der Feldzug der Springer-Presse gegen NGOs wird langsam wirklich albern. Nicht, dass da nicht Sachen im Argen liegen würden, die man angehen könnte, aber er zeugt schon von einer aggressiven Ignoranz gegenüber dem, um das es da geht und wie es funktioniert. Die Verseuchung Brüssels mit Lobbyorganisationen ist seit mindestens zwei Jahrzehnten ein Dauerbrenner unter linken Kritiker*innen, da war man im Haus Springer bisher immer der Überzeugung, dass das total dufte ist, weil es Expertise ins System bringt. Und da ist ja auch was dran! Deswegen haben wir Lobbys ja. Da gibt es diese aggressive Ignoranz durchaus von linker Seite. Aber umgekehrt haben wir eben auch eine Förderung von NGOs, weil man die Erkenntnis hatte, dass es vielleicht sinnvoll ist, den wohl finanzierten Partikularinteressen wenigstens ein bisschen etwas entgegenzusetzen. Und das Ganze auch noch transparent, was man nicht eben vom sonstigen Lobby-Gewimmel sagen kann. Dass Springer überhaupt die Munition für diesen publizistischen Kreuzzug hat, liegt ja gerade daran, DASS alles so transparent ist. Mach solche Artikel mal über die Autolobby! Auch die Vorstellung, dass die "Klimalobby" irgendwie total übermächtig wäre, ist geradezu absurd. Das nervt wirklich nur noch.
Der Gastbeitrag diskutiert die Frage, ob eine allgemeine Wehrpflicht auch für Frauen eingeführt werden sollte. Angesichts geopolitischer Bedrohungen wie dem russischen Angriff auf die Ukraine wird betont, dass liberale Demokratien verteidigt werden müssten – und dass Verantwortung in diesem Kontext geschlechterübergreifend verteilt werden sollte. Die Autorin argumentiert, dass auch Feministinnen ihre Haltung überdenken müssten, obwohl viele feministische Strömungen historisch pazifistisch geprägt seien. Der klassische Antimilitarismus sei zwar verständlich, beruhe jedoch oft auf überholten Geschlechterbildern. Eine geschlechtergerechte Wehrpflicht könne helfen, stereotype Rollenbilder zu überwinden und gesellschaftliche Teilhabe neu zu definieren. In Norwegen habe man mit gemischten Ausbildungseinheiten positive Erfahrungen gemacht. Der Dienst an der Waffe könne für Frauen und queere Menschen eine Form von Emanzipation darstellen – vorausgesetzt, das Militär bekämpfe interne Diskriminierung konsequent. Als Alternative oder Ergänzung wird ein aufgewerteter Zivildienst vorgeschlagen, der für alle verpflichtend sein und fair vergütet werden sollte. So könne man Verantwortung für das Gemeinwesen übernehmen, ohne den friedenspolitischen Anspruch zu verlieren. Gleichstellung bedeute auch, Pflichten zu tragen – nicht nur Rechte zu genießen. (Stefanie Lohaus, Spiegel)
Ich muss ehrlich sagen, ich verstehe gar nicht, wie das eine Debatte sein kann. Für mich war schon immer klar, dass wenn die Wehrpflicht wieder kommt, diese für Männer und Frauen gleichermaßen gelten muss. Es kann im Jahr 2025 nicht sein, dass hier mit Argumenten aus dem 19. Jahrhunderten eine Ungleichheit gegenüber Geschlechtern aufgemacht wird, die, das muss man ganz deutlich sagen, massiv Männer benachteiligt. Ich kann auch die häufigsten zwei Gegenargumente nicht akzeptieren: dass nur Frauen Kinder bekommen können ist korrekt, aber es gibt ja keinen Gebährzwang. Dieser Ausgleich muss in der Gesellschaftspolitik erfolgen. Und dass Frauen ja anderweitig an vielen Stellen benachteiligt sind ist auch korrekt - und muss ebenfalls dort ausgeglichen und nicht durch die Schaffung "ausgleichender" Ungerechtigkeiten angegangen werden. Simple as that.
Resterampe
a) Porträt Hendrick Streecks als neuem Drogenbeauftragtem. (Spiegel) Ich glaube nicht, dass sich da viel tun wird. Bin auf jeden Fall froh, dass er nicht Gesundheitsminister ist.
b) Weimer ist echt die erwartete Fehlbesetzung im Amt; eine Simulation von Intellektualismus und vor allem Rechtswoker Kulturkampf. (Spiegel) Auch auffällig ist diese bereits vor Jahren von Adrian Daub analysierte Abschreiberei amerikanischer Diskurse. So gesehen hat Weimer eine glänzende Karriere als Spiegel-Auslandskorrespondent vor sich.
c) Chartbook 390 Beyond LA: Logics of escalation from Black Lives Matter (2020) to "No Kings" (June 14 2025) (Chartbook). Das treibt echt auf die nächste Gewaltwelle zu. Und angesichts der Kräfteverhältnisse wird das, wie üblich, sehr einseitig sein.
d) Gaza-Flottille aufgebracht: Gretas Bärendienst (Spiegel). Es wäre echt am besten, wenn man Thunberg weitgehend ignorieren würde. Aber irgendwie verstrahlt Gaza echt alle Hirne. Siehe auch Anna Schneider in der Welt: Greta, Luisa und das Scheitern ganz ohne Stil. Idiotenbande.
e) „Die Universitäten sind so links – ich denke, dass Trump recht hat“ (Welt) Das ist so unendlich dumm.
f) Chartbook 389: Europe's zombie armies. Or how to spend $3.1 trillion and have precious little to show for it. (Chartbook)
g) Chartbook 388: Trump v. Musk - Alien v. Predator or "death march" into a political vacuum? (Chartbook)
h) Arbeitszeiterfassung im Schuldienst: Warum die Klage eines einzelnen Lehrers den Stillstand jetzt beenden kann (News4Teachers).
i) Informativer Thread, warum Bahninvestitionen so teuer sind. (Twitter)
j) Ulf Poschart ist ein Idiot. (Twitter)
k) Die Washington Post hat was zum amerikanischen Krieg gegen die Unis. (Washington Post)
l) Wie abgefuckt sind die Demoracts in New York? (The Bulwark)
Fertiggestellt am 11.06.2025
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