Überall begegnen mir zurzeit in diversen Medien Tipps, wie man denn Energie sparen könnte, da ja nun vor allem beim Erdgas zum Winter hin ein Engpass in Deutschland droht aufgrund der Sanktionen gegen Russland. Das zeigt nach meinem Dafürhalten vor allem mal wieder eins: Der neoliberale Kapitalismus kann Krisen nicht lösen und wälzt die von ihm verursachten Probleme dann lieber auf den Einzelnen ab.

Wie unklug es ist, Rohstoffe, von denen die eigene Wirtschaft extrem abhängig ist, als Sanktionsmaßnahme nicht mehr zu importieren von demjenigen, der bisher mit am meisten davon geliefert hat, wird gerade mehr als deutlich. Was noch hinzukommt: Es ist ja nun nicht so, dass Erdöl und Erdgas auf dem Weltmarkt sonst überhaupt nicht abgesetzt werden können. Und schließlich beteiligen sich afrikanische, süd- und mittelamerikanische sowie die meisten asiatischen Staaten überhaupt nicht an den Sanktionen gegen Russland und freuen sich nun über günstige Einkaufspreise.

So auch Saudi-Arabien, das mal eben im letzten Quartal seine russischen Erdölimporte verdoppelt hat (s. hier). Auch wenn Saudi-Arabien nach wie vor in erster Linie als Ölexporteur bekannt ist, wird das gerade preiswerte russische Öl nun zur eigenen Stromerzeugung verwendet, während dann umso mehr saudisches Öl für mehr Geld exportiert werden kann – unter anderem auch nach Deutschland.

Das ist echt schon so blöd, dass man sich nur noch fragen kann, was für Dilettanten sich denn so was ausdenken oder eben solch eine Weltmarktlage nicht einkalkuliert haben bei ihren Sanktionsplänen.

Was noch hinzukommt: Einerseits will man nun kein Erdöl und Erdgas von Russland beziehen, da es sich dabei um ein Krieg führendes despotisches Regime handelt. Also importiert man das Zeug dann beispielsweise aus Saudi-Arabien und Aserbaidschan – beides Krieg führende (Jemen und Armenien) despotische Regimes (s. hier). Ist jetzt irgendwie unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten auch nicht so richtig konsequent, oder?

Na gut, nun ist das Dilemma da, und vor allem Erdgas wird knapp zum Winter hin. Da könnte man ja vielleicht mal die eigene Sanktionsstrategie überdenken (was mittlerweile beispielsweise auch Eric Bonse in einem Kommentar in der taz fordert). Oder aber man überlegt sich stattdessen lieber auf EU-Ebene, was Bonse ebenfalls kritisch anspricht, die Heiztemperatur in öffentlichen Gebäuden und Büros auf 19 Grad abzusenken.

Parallel dazu werden dann die Bürger über diverse mediale Kanäle schon mal darauf eingestimmt, dass sie gefälligst Energie sparen sollen. n-tv appelliert an „kleine Verhaltensänderungen“, der WDR gibt „Energiespartipps“, beispielsweise wann man Wasser besser im Wasserkocher und wann im Topf erhitzen sollte (ernsthaft!), SWR3 verbreitet auf seiner Facebook-Seite die Info der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz, dass man den Warmwasserboiler nur bei Bedarf anstellen sollte, und ebenfalls auf Facebook präsentiert der Radiosender R.SH „Energiespartipps für Zuhause“:

Mal abgesehen davon, dass der Begriff Binsenweisheit hier wohl sehr zutreffend ist, stellt sich mir beim dritten Punkt dieser Aufzählung nun die Frage, wie denn ausgerechnet Menschen mit weniger Geld, die von den steigenden Energiepreisen besonders hart getroffen werden, mal eben ihre elektronischen Geräte gegen neue austauschen sollen. Das ist ja gerade das Dilemma, wenn man wenig Geld hat: Man zahlt beispielsweise mehr für Energie, weil man eben nur einen alten Kühlschrank hat, der nicht sonderlich energieeffizient ist – für einen neuen fehlt halt das Geld.

Ist das also noch Weltfremdheit oder schon Zynismus?

Vor allem wenn man sich dann noch überlegt, wie denn mit solchen Maßnahmen auch nur ansatzweise die Energiemehrkosten, die gerade im Gespräch sind, ausgeglichen werden sollen. Laut einem NDR-Artikel könnten das nämlich bei einem Vierpersonenhaushalt bis zu 400 Euro sein – im Monat! Da zieht es bestimmt so richtig die Wurst vom Teller, wenn man denn auch immer schön den Deckel auf den Topf legt. Oder vielleicht doch besser nur noch kalte Küche?

Einen Schritt weiter geht man dann deswegen noch bei der Verbraucherzentrale Brandenburg, wie rbb24 auf seiner Facebook-Seite mitteilt:

Klar, Warmwasser ist ja auch überbewertet, und Warmduscher sind eh Weicheier. Gelobt sei, was hart macht!

Was nun bei solchen die existenziellen Grundbedürfnisse von Menschen betreffenden Aussagen vor allem sauer aufstößt, ist, wenn dann unsere Politelite offensichtlich so gar nicht mit gutem Beispiel voranzugehen gedenkt und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) gerade jetzt eine mehrtägige pompöse Hochzeitssause auf Sylt feiert, die wirklich kein protziges Klischee auslässt, wie Kester Schlenz in einer Glosse im Stern sehr treffend darstellt.

Nicht nur mir dürfte dabei der Ausspruch „Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen“, der fälschlicherweise Marie-Antoinette zugeschrieben wird, aber dennoch bildhaft feudalistische Dekadenz und Weltsicht veranschaulicht, ins Gedächtnis gekommen sein.

Natürlich kann jeder so heiraten, wie er es für angebracht hält, auch Christian Lindner. Allerdings haben Politiker nun mal auch eine etwas exponierte Position in der Öffentlichkeit, um nicht zu sagen: Vorbildfunktion. Und selbst wenn Lindner vielleicht zu solchen Überlegungen nicht imstande ist, so sollte doch aus seinem Beraterumfeld vielleicht mal der Gedanke geäußert worden sein, dass diese rauschende Festivität dann mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit doch ein Stück weit mehr die Politik(er)verdrossenheit befeuern könnte – und das können wir zurzeit nun wahrlich nicht auch noch gebrauchen.

Na ja, ich tippe mal, dass so was einem Egomanen wie Lindner komplett egal sein dürfte …

Und so wird eben schön, wie es ja stets neoliberale Manier ist, auf den Einzelnen abgestellt, der dann die Auswirkungen der Politik von Lindner und Co. auszubaden hat. Aber bitte nur mit kaltem Wasser.

Das ist vor allem deswegen so absurd, weil die nun herbeigeführte Energieverknappung zu einem Kollaps unseres Wirtschaftssystems führen könnte, wie Christoph Jehle in einem Artikel auf Telepolis nachvollziehbar beschriebt. Als Ausweg bliebe da wohl nur noch, massive Bürgschaften aus öffentlichen Geldern bereitzustellen. Und da soll es nun tatsächlich der einzelne Bürger richten, indem er einen Deckel auf den Kochtopf packt und mit kaltem Wasser duscht? Ja, nee, is‘ klar …

Der Neoliberalismus hat nun mal keine Lösungsrezepte für die Krisen, die er selbst (und das in immer größerem Ausmaß) verursacht, sondern sorgt vielmehr für fragile und anfällige Strukturen, indem die Mittel, die zur Krisenbewältigung herangezogen werden könnten, auf immer weniger sehr reiche Menschen konzentriert werden. Vor diesem Hintergrund wirken die zurzeit sehr präsenten Energiesparaufrufe dann noch peinlicher und hilfloser, als sie es ohnehin schon sind.

Aber die Systemfrage wird in unserer Regierung leider niemand stellen, sodass wir uns zum einen auf sehr ungemütliche Zeiten infolge der „Energiekrise“ und zum anderen auf weitere darauf folgende schwerwiegende Krisen einstellen können.

Die Ausgangslage, um irgendwie nicht komplett chaotisch in die bereits angefangene Klimakatastrophe reinzustolpern, wird zunehmend ungünstiger.

Dir gefällt, was Karl Haas schreibt?

Dann unterstütze Karl Haas jetzt direkt: