Erleuchtet oder geblendet?

Weshalb Religion das Antidot der Vernunft ist

Ob Gott existiert oder nicht, ist keine Meinungsfrage. Entweder es gibt Gott oder Götter, oder eben nicht. Du kannst jedoch der Meinung sein, es gäbe genügend Belege für ihn, oder eben nicht. Ich nehme diesen Glauben persönlich nicht an und müsste, selbst wenn es möglich wäre, Gottes Nichtexistenz nicht beweisen, da ich die These nicht aufstelle.

Der atheistische Standpunkt ist nicht: «es gibt keinen Gott», sondern «es gibt keinen guten Grund an einen Gott zu glauben».

Dass Religion hingegen nicht gut ist, ist meine Meinung(!). Eine Meinung, die ich heute, geografisch definiert, aussprechen darf ohne dafür biologisch beiseite treten zu müssen (†). Lege den Stein wieder hin! Ja, das ‘Schlimmste’, das mir passieren kann, ist, dass ein kleiner religiöser Shitstorm über mein statisch hervorragend konstruiertes Dach hinwegfegt.

Also hier, bitte:

Religion ist eine Beleidigung der Menschenwürde, Gift für die Gemeinschaft und Zeitverschwendung. Sie ist der Treibstoff für Aberglauben, Homophobie, Misogynie, Intoleranz, Dummheit, Egoismus, und Bosheit.

Religion ist nicht gut.

Verletzt das deine religiösen Gefühle? Du bist doch selbst Schuld, dass du welche hast! Natürlich darf man anderer Meinung sein. Da die Begründung zu meiner Meinung apokalyptische Ausmaße annehmen kann, werde ich versuchen, mich so kurz wie möglich zu fassen, und gigantische Lücken zulassen müssen.

Viel Glück, liebe Lesende!

Rituale sind nichts für mich, und wenn sie mich auch immer wieder als Geisel nehmen, kann ich mit ihnen nichts anfangen. Ich feiere keine Feste, nur weil gerade ein bestimmter Tag ist. Es gibt bestimmt etliche Alltagsrituale, die mich unbemerkt befallen haben, aber so sehr ich mich auch anstrenge, es fallen mir keine Beispiele ein. Vermutlich, weil meine Reflexion deren Tod bedeutete. Natürlich bin ich kein Eremit und nehme am gesellschaftlichen Leben sehr gerne teil, aber ich kann mich nicht so euphorisch für diese Nischen unserer Kultur begeistern und mich nicht, wie andere, Wochen zuvor schon einlusten. Ich feiere Feste nicht, weil sie im Kalender der Gesellschaft stehen, sondern wenn mir danach ist, und manchmal gibt es Überschneidungsmengen. Eiersuche zu Ostern, ‘Dinner For One’, geschmückte Tannen zur Winterwende, freitags nur Vegi- oder Fisch in den Mittagsmenüs und vieles mehr sind die kleinen weltlichen und religiösen Rituale, die ich noch überbewerteter finde als Champagner, die Anzahl der Twitter-Follower, Picknicks oder die Religion selbst.

Viele unserer Rituale sind abergläubischen oder religiösen Dogmen erwachsen und finden ihre Daseinsberechtigung durch die angebliche Befriedigung irgendwelcher übernatürlichen Wesen, oder zumindest um an sie zu erinnern (als hätte der Mensch eine Chance, sie jemals zu vergessen). Aber auch Alltagsrituale die ihre Faust dem modernen Zeitgeist nicht ungefragt frontal ins Antliz donnern, lassen mich unbeeindruckt.

Es gibt eine Ausnahme. Eine einzige, die ich mich bisher erreichte, beziehungsweise ‘erweichte’. In Peru lernte ich von Menschen eines Quechua-Stammes einen besonderen Brauch: Vor den Anstoßen, träufelt man mit dem Finger einige Tropfen des Getränkes auf den Boden. Da das Leben immer der Erde entspringe, will man der Erde etwas zurück geben. Mit diesem Gedanken kann ich mich anfreunden. Habe ich tatsächlich ein Ritual gefunden, das eher spirituell als weltlich ist und dennoch an mir haften bleibt? Nein, natürlich nicht, dafür trinke ich viel zu gerne, ausserdem habe ich Parkettboden und die Natur hat keinen «Geist», kein «Wesen». Aber dieses Volk, das im Namen des Kreuzes, von Spanischen Inquisitoren, fast komplett ausgerottet wurde, hatte etwas Wesentliches verstanden.

Meine größte Überzeugung, möchte ich behaupten, die excaliburös in mir verankert ist, ist, dass alles, was ich (mit allen Sinnen) wahrnehme, Teil der Natur ist. Alles ist, so aussergewöhnlich es auch scheint, im Wesen greifbar und sichtbar, ob man es fassen und begreifen kann, oder nicht. Die Realität bietet genug Raum für Merkwürdigkeiten und Geheimnisse, mit denen wir unsere Gefühle und unseren Verstand verwöhnen können, so dass man, wenn man die Neugierde nicht ablegt und die Anstrengung auf sich nimmt, aus dem Staunen nicht mehr herauskäme. All das Wunderbare der Realität bietet so viel mehr als vermeintliche ‘Wunder’.

«Wenn Sie sich ein wenig Zeit nehmen, um die verblüffenden Fotos zu studieren, die mit dem Hubble-Teleskop aufgenommen wurden, werden Sie Dinge unter die Lupe nehmen, die viel ehrfurchtgebietender, mysteriöser, schöner, chaotischer, überwältigender und verbietender sind, als jede Schöpfung oder Endzeitgeschichte. Wenn Sie Hawkings ‘Ereignishorizont’ lesen, jene Theorie des ‘Schwarzen Lochs’, über die man theoretisch eintauchen und die Vergangenheit und die Zukunft sehen könnte - außer dass man bedauerlicherweise und definitionsgemäß nicht genug ‘Zeit’ hätte, wäre ich überrascht, wenn Sie trotzdem lieber einem brennenden Busch zuschauen»
(- Christopher Hitchens)

Wunder faszinieren mich nicht. Sie sind langweilige, menschgemachte Geschichten. Erdachte Konstrukte, die immer nur im sehr überschaubaren Garten der Fantasie von Primaten künstlich gezüchtet wurden und eingehen, sobald man sie genauer betrachtet. Aber selbst wenn sie tatsächlich stattgefunden hätten, Noah tatsächlich einige Millionen handerlesene Spezies auf ein Schiffchen packte, um sie von einem em­py­re­ischen Psychopathen zu retten, oder ein Wanderprediger vor rund zweitausend Jahren wirklich eine Mutter hatte, die zuvor noch nie rumgeorgelt hatte, wäre das kein Beleg für die Existenz eines Gottes. Wunder mögen der Treibstoff der Religionen sein, sie sind in jedem Fall aber eine Beleidigung unserer Würde. Wunderglaube ist ein ‘Sich-zufrieden-geben’ mit einer simplen Pseudo-Lösung, eine Kapitulation vor der nobelsten vorstellbaren Aufgabe, nach tatsächlich möglichen und logischen Theorien zu suchen.

Wenn man keine Erklärung dafür hat, wie das Universum entstanden ist (Astrophysiker mögen mich eines Besseren belehren), so ist es doch wesentlich spannender zu forschen und die Theorien zu erkunden, die die einstige Leere zwischen dem Urknall und heute zu füllen vermögen. Wie kann da die Schöpferthese Befriedigung verschaffen, die, wie Laplace schon sagte, für dieses Modell noch nicht einmal notwendig ist?

Religionshausierer versuchen einen stets von der Gottesthese zu überzeugen, doch wie schlüssig ist die These eines Schöpfergottes, der sich sechs Tage Zeit nahm, um das Universum zu schaffen, nur um irgendwo, in einer unwesentlichen Galaxie, in einem kleinen Sonnensystem, einen Primaten auf einen kleinen Planeten zu setzen? Und dieser Schöpfer soll sich danach noch darum scheren, was dieser Primat über ihn denkt, was er isst, wie er sich kleidet, mit wem er schläft, wovon er träumt… nur um dann zuzusehen, wie Eltern zusammen mit ihren Kindern auf einer Reise der Hoffnung im Mittelmeer den qualvollsten Tod sterben, den man sich vorstellen kann? Ist dieser ‘omnipotente, gütige Gott’ also nicht allmächtig, nicht gut oder beides? Oder vielleicht einfach nicht existent? Ich will hier nicht mit langweiliger Theodizee argumentieren, aber es ist doch absurd, dass dieser Erdbewohner diese Haltung, die arroganter nicht sein könnte, Demut nennt! Wie oft begegnen mir solche egozentrische, eingebildete Religioten, die mit einem überheblichem Gesichtsausdruck an mich ran psalmen, dass das alles so gedacht war und ich Teil eines großen Plans bin, ob ich nun will, oder auch nicht - ja, ob ich den Plan überhaupt kenne, oder nicht. Und wenn ich es nicht verstünde (nie sagen sie ‘akzeptiere’), sei ich (sic.) halt einfach noch nicht soweit. Der Fehler muss immer beim Menschen liegen, aber die Idee darf nie fehlerhaft sein. Klar, das Kartenhaus würde in sich zusammenfallen. Kein Wunder [*pun intended*] also, sehen sich diese egozentrische Meinungsanbieter in permanenten moralischen Überwasser, den Wind im Rücken, statt in den Haaren. Den eigenen Glauben sehen sie vielfach als die Gebärmutter und Urheber der Moral, und - im Umkehrschluss - sehen sich diese religiösen Charakter-Baracken, die meist gemeiner, egoistischer und oft auch dümmer als andere sind, selbst als die ultimativen Moral-Pächter in der Monopolposition der Welt.

Harry fucking Potter ist moralisch wertvoller als der Talmud, die Bibel, der Koran oder jeder andere Text, der über die schrecklichen Scharmützel zwischen irgendwelchen eisenzeitlichen Sippen berichtet!

Als hätte Moral nicht immer gegen Religionen erkämpft werden müssen, stehen die Religionen hier und heute artig an, um dir mit einem sanften Lächeln ihre Waren anzudrehen. Sie haben stets die Hoffnung, dass sich niemand daran erinnert, auf welche Weise sie ihre Waren an die Leute brachten, als die Alternative zu diesem ultimativen Angebot, eine unverzichtbare Einladung zum Autobarbecue war: Dem Grillfest des eigenen Leibes.

Ist es moralisch gut, Frauen als minderwertige Kreaturen zu sehen, den Opfertod eines Menschen zu feiern oder Kindern mit der Hölle zu drohen? Da wäre es nicht abwegiger zu glauben, dass die Saw-Filme früh-pädagogisch wertvoll und filmische Meisterwerke sind.

Wie weit kann es mit der Moral von Menschen her sein, die nur deshalb nichts Böses tun, weil sie Eiersausen vor einem imaginären strafenden Übervater haben, der sie dabei erwischen könnte? Und die nicht deshalb nichts Böses tun, weil sie es einfach für falsch halten, Böses zu tun? Ich gottloser Mensch kann also raus in die Welt und so viele Menschen misshandeln und ermorden wie ich will, und genau das tu’ ich auch. Ich misshandle und ermorde täglich so viele Menschen wie ich will: nämlich keinen einzigen!

Nein! Ich lehne Religion ab. Sie gaukelt Unschuldigen und Leichtgläubigen ein falsches Bild der Welt vor. Ich weigere mich, all das zu tun, was die großen monotheistischen Religionen stets verlangen:

  • Ich unterwerfe mich niemandem, schon gar nicht irgendeinem übernatürlichen Wesen.
  • Ich bin kein elender und schuldiger Sünder und knie vor keinem ineffizienten, rach- und eifersüchtigen Gott.
  • Ich bin weder aus Rippen, noch aus Staub und Lehm oder aus Blutklumpen geschaffen und nehme keine Gebetshaltung ein, die aussieht, als wäre ich ein Sklave, der sich vor seinem mies-gelaunten König niederwirft.
  • Mein Leben ist nicht erbärmlich, ich suche keine Erlösung und ganz bestimmt kein ewiges Weiterleben in einer himmlischen Diktatur. Das Hier und Jetzt ist meine einzige Chance, und es gibt kein Leben nach dem Tod, aber wenigstens eins davor (wie unvorstellbar gering war die Chance, dieses zu erhaschen?). Ich habe nichts, wofür es sich zu sterben lohnt,was das Leben umso kostbarer macht.
  • Meinen Sinn des Lebens suche ich mir selber und ich denke auch gerne für mich selbst. Kein ‘heiliges Buch’ ist mir eine Gebrauchsanweisung und außerhalb des philosophischen und historischen Kontextes sind alle diese sogenannten «heiligen» Bücher völlig irrelevant.
  • Ich klicke bei keinem Aberglauben «Subscribe» und gehöre keinem Todeskult an, wie gesellschaftsfähig er auch ist, oder sich gewandet hat.
  • Ich tanze, netflix&chille, esse, und denke was, wann und wo ich es will. Und ich mag Blasphemie.
  • Ich misstraue jenen, die behaupten, einen Gott an ihrer Seite zu haben, die angeben zu wissen, dass sie damit recht haben, die sagen, dass ihnen ein einziges Buch reicht. Diejenigen, die behaupten, dass sie eine persönliche, aber allgemein-gültige Offenbarung haben und daraus Regeln, die für alle Menschen Gültigkeit haben sollen, auferlegen.

Nein! Fuck that!

Wenn sich religiöse Lesende bis hierhin, dem Ende dieses Artikels, durchgequält haben und sich jetzt denken, dass sie ja gar nicht so extrem sind und gewisse Dogmen ja auch bewusst ablehnen, freut mich das. Aber das heißt eben nichts anderes als:

«Ich bin so lieb, weil ich nicht besonders religiös bin».

Schön, dass wir das geklärt haben.


Weiterlesen:

Die zehn Gebote
Eine polemische, aber kritische Reflexion der zehn Gebote nach Luther; dem Paradebeispiel der Katholiken für das Argument «Religion ist immerhin ein moralischer Leitfaden».

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