In jedem Wahlkampf ist es die Fantasie der jeweiligen Oppositionspartei, alles rückgängig zu machen, was die Vorgängerregierung ihrer Ansicht nach falsch gemacht hat. Üblicherweise ist die Antwort darauf, was das ist, "alles". Es geht also um nicht weniger, als die vergangenen vier oder acht Jahre zurückzudrehen. Je nachdem, wie man ideologisch gelagert ist, geht die Uhr dann noch weiter zurück - man will Amerika "great again" machen oder letztlich zurückspulen bis zu irgendwelchen Richtungsentscheidungen, und diese dann im progressiven Sinne neu treffen. Ein Beispiel unter vielen wäre "Medicare for All". Die Wirklichkeit ist dann stets ernüchternd, und die Amtszeiten von Präsidenten erwiesen sich bisher noch stets als wirkungsvoller, als ihre Gegner*innen im Wahlkampf wünschten oder zu erkennen bereit waren.

Das hat seine Gründe, und es ist für eine Analyse dessen, wie sich die USA weiter entwickeln werden, unersetzlich, das zu verstehen. Das Präsidentschaftsamt in den USA hat letztlich zwei Möglichkeiten, Veränderungen herbeizuführen. Entweder die Partei hat eine Mehrheit im Kongress, wodurch die so genannte trifecta dann die Verabschiedung von Gesetzen ermöglicht (vorausgesetzt, filibuster oder Supreme Court machen nicht doch noch einen Strich durch die Rechnung). Ohne diesen unwahrscheinlichen Glücksfall ist die Partei auf Zusammenarbeit mit der Opposition angewiesen, was republikanischen Präsident*innen zwar möglich ist (diese aber nicht wollen, weil sie kein Interesse am Regieren haben), für Präsident*innen der Democrats wegen der undemokratischen Zerstörungshaltung der Republicans aber unmöglich ist. Oder einE Präsident*in nutzt die Macht von Verordnungen, der so genannten executive orders, mit denen die Ministerien und Institutionen gesteuert werden.

So kann zum Beispiel mit einer executive order eine neue Regulierung von fossilen Energieträgern umgesetzt werden, indem das Gesundheitsministerium die Verordnungen ändert. Oder die Behörden werden angewiesen, eine bestimmte Gruppe undokumentierter Einwander*innen nicht mehr abzuschieben (die berühmten DREAMERs). Das ist aber kein Gesetz, sondern nur eine Verordnung, und die lässt sich durch eine Verordnung anderer Amtsinhaber*innen wieder rückgängig machen. Theoretisch. Das jedenfalls ist, was sich die Anhänger*innen immer gerne einreden.

Das ist allerdings nicht korrekt. Je länger eine solche Verordnung durch executive order in Kraft ist, desto schwieriger ist sie wieder rückgängig zu machen. Denn die Betroffenen haben ja ein Anrecht darauf, dass sie sich auf Richtlinien verlassen können. Mit der Zeit bekommen die executive orders damit de facto Gesetzeskraft.

Nachdem wir diesen theoretischen Kram aus dem Weg geräumt haben, schauen wir uns an, was das in der Praxis bedeutet. Jonathan Chait schreibt im New York Magazine in seinem Artikel "Trump Wanted to Erase Obama’s Legacy. He Failed.":

That is not, in fact, what happened. Indeed, while Trump has weakened some Obama accomplishments, his goal of eviscerating Obama’s policies mostly failed. I have not seen anybody revisit the predictions that were so confidently issued four years ago, so it is worth reconsidering what Obama did, and what is left standing as Trump departs the White House for the last time. [...] The debate that existed during Obama’s first term was not how much to increase spending in order to bring down unemployment; it was whether spending should be increased at all, or instead cut. The latter view had the support of the public along with much of the mainstream news media, which framed deficits as the country’s most pressing social problem. It had an articulate spokesperson in Paul Ryan, whose purportedly heartfelt interest in fiscal probity drew admiration across the spectrum. If you could go back ten years in time, and show Obama and Ryan recent news clips about Congress’s response to the current economic crisis — bipartisan passage of a series of bills totaling trillions in relief — neither man would have any doubt whose ideas ultimately won the day. [...] Trump did try to roll back Obama’s greenhouse-gas regulations. This is part of the now-ordinary push-and-pull of regulations that occurs whenever party control of the White House changes hands. On the whole, though, Obama’s push has gone a lot farther than Trump’s pull. [...] Trump did not make any serious headway rolling back Dodd-Frank, repeal of which would have required 60 Senate votes. He did devote his first year to a doomed crusade to repeal Obamacare. His attempt left increased public understanding of, and appreciation for, Obama’s health-care reform, and may have done more than anything else to power the midterm election wave. Obamacare not only survived but became the decisive force in depriving Trump of a governing majority. (Jonathan Chait, New York Magazine)

Chaits Argumentation ist definitiv eine, die die Auseinandersetzung lohnt. In seiner Lesart sind die wichtigsten Erfolge Obamas vor allem die Verhinderung der Katastrophe 2009, und das ist sicherlich richtig. Wenn nicht der wirtschaftspolitische Verstand der Democrats - ohnehin schwer unter Druck durch Obamas schlechte Instinkte und Personalauswahl sowie die deutlich konservativere Ausrichtung des caucus seinerzeit -, sondern die Ideologie der Republicans regiert hätte, die Wirtschaftskrise wäre wahrscheinlich eine Wiederholung von 1929-1933 geworden, mit krassen Auswirkungen auf Europa und den Rest der Welt. Allein dafür muss man drei Kreuze machen.

Gleiches gilt für Obamacare; allen Unkenrufen zum Trotz haben sich die Verteidiger*innen des Projekts als die hellsichtigere Partei erwiesen. Und vieles von dem, was Obama nach 2010 vor allem auf exekutivem Weg über Verordnungen und Ähnliches auf den Weg gebracht hat, hat ebenfalls eine hohe Beharrungskraft. Das hat zwei Gründe: Einerseits die hohe Kompetenz, mit der diese Verordnungen gestaltet wurden - was auch immer man über Obama denken mag, er hat kompetente Leute an der Regierung gehabt -, die sie verhältnismäßig sicher machen und die zudem hohen Wirkungsgrad entfaltet haben. Auf der anderen Seite steht hier die Inkompetenz der Trump-Leute, die oftmals schlicht nicht genug Sachverstand hatten, um das Zerstörungswerk umzusetzen, das sie vorhatten, oder an realpolitischen Grenzen scheiterten.

Obama hat einmal zu Beginn seiner Präsidentschaft gesagt, dass er nicht in der Lage sein würde, Bushs Regierungszeit ungeschehen zu machen und dass 60-80% von Bushs Entscheidungen bestehen bleiben würden - und dass das seinem Nachfolger genauso gehen würde. Die Richtigkeit dieser Annahme zeigt sich nun. Und das im Übrigen auch Trumps Erfolgen so gehen.

Viele Trump-Erfolge können nämlich ebenfalls nicht rückgängig gemacht werden. Dazu gehören viele außenpolitische Weichenstellungen. So ist etwa die bereits unter Obama begonnene und unter Trump deutlich forcierte Abwendung von Europa und dem Mittleren Osten mittlerweile überparteilicher Konsens und nur noch in den Details umstritten. Gleiches gilt für das 2%-Ziel der NATO, bei dessen Durchsetzung in Europa Trump auch erfolgreicher war als Obama. Die hier getroffenen Richtungsentscheidungen sind so langfristig, dass sie durch Biden sicherlich nicht berührt werden.

Innenpolitisch dürften die Trump'schen Steuersenkungen genau dieselben Beharrungskräfte aufweisen wie die von Bush - oder Obamacare. Zwar hasst die jeweilige Gegenpartei sie mit der Glut von tausend Sonnen. Aber abgesehen vom logistischen und administrativen Albtraum, den eine Rückabwicklung bedeuten würde, ist es politisch toxisch, der Bevölkerung etwas wegzunehmen, das sie vorher einmal besessen hat.

Die vielen jungen, auf Lebenszeit ernannten extremistischen Richter*innen, die die Bundesgerichte und den Supreme Court weit nach rechts gedrückt haben, sind ebenfalls ein kaum mehr zu ändernder Faktor, insbesondere, wenn man die prekäre Kontrolle über den Senat begutachtet.

Der größte Erfolg Trumps überhaupt - die weitere Radikalisierung der GOP, das Zerstörungswerk an den demokratischen Institutionen, die Legitimierung von Rassismus und Gewalt als akzeptable Alternative im politischen Meinungsstreit - werden sich ebenfalls nicht durch einige salbungsvolle Worte bei der Inauguration Bidens wieder ins Lot bringen lassen.

Insgesamt aber dürfte von Trumps Regierungszeit weniger übrig bleiben - anteilig an den umgesetzten Maßnahmen gesehen - als von Obama. Die Gründe dafür sind vielfältig.

Einerseits spielt die bereits angesprochene Inkompetenz in der Umsetzung eine große Rolle. Viele von Trumps Maßnahmen scheiterten schon, während der Mann noch im Amt war. Der einzige seiner Unterlinge, der tatsächlich kompetent in seinem zerstörerischen Wirken war, war Stephen Miller, der Mastermind hinter den Konzentrationslagern für undokumentierte Einwander*innen und die Förderung von Neo-Nazis, Neo-Konföderierten und anderen White Supremacists. Glücklicherweise ist das auch gleichzeitig der Bereich, der am anfälligsten für kompetente Gegenmaßnahmen ist.

Andererseits spielt aber auch eine entscheidende Rolle, dass die Republicans durch ihre ideologische Disposition nicht regieren WOLLEN. Ihr Ziel ist das Verhindern und Sabotieren, nicht das Schaffen. Entsprechend ist Trumps Rolle hauptsächlich die eines Hindernisses gewesen, um positiven Wandel zu blockieren. Das ist ein Erfolg, der sich naturgemäß nicht rückgängig lassen machen lässt. Genauso wie Obamas Rettung der US-Wirtschaft sind Trumps vier verlorene Jahre bei der Klimapolitik zwangsläufig unumkehrbar. Die Vergiftung der Umwelt, die durch sein Zerstörungswerk bei Umweltschutzmaßnahmen durch die Unternehmen verbrochen wurde, ist passiert.

Nicht zuletzt hatte Trump auch nur vier Jahre Zeit für sein Zerstörungswerk. Obama hat immer wieder betont, dass er das long game im Auge hat und dass für seine Pläne eine zweite Amtszeit essenziell ist. Nicht, weil in der zweiten Amtszeit viele neue Grundsatzentscheidungen gefallen wären, sondern weil sie für die institutionelle Absicherung des Erreichten so wichtig ist. Die Zeitdauer, in der Regelungen in Kraft sind, ist entscheidend. Und diese Zeitdauer haben viele von Trumps Maßnahmen nun zum Glück nicht.

Wir sind noch einmal mit einem blauen Auge davon gekommen. Es ist ein Klischee jedes Wahlkampfs, die Wahl zur "wichtigsten Wahl unseres Lebens" zu erklären. Aber letztlich ist noch fast jede Wahl wichtig gewesen. Denn genauso wenig wie Trump Obamas Erfolge zunichtemachen konnte, genauso wenig wird Biden die von Trump zurückdrehen können. Und dasselbe wird für die nachfolgenden Präsident*innen gelten. Je nachdem, aus welcher Perspektive man auf den aktuellen Inhaber des Oval Office blickt, ist das ein Lichtblick - oder Grund zum Zittern.

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