Im Kaukasus ist der jahrzehntealte Konflikt um Bergkarabach wieder eskaliert. Die Schlacht zwischen Armenien und Aserbaidschan hat jetzt schon einen immensen Blutzoll gefordert. Ein Ende des Konfliktes ist nicht Sicht, auch weil sich beide Seiten im Recht sehen.
Der Hintergrund
Die Kaukasusrepubliken Armenien und Aserbaidschan streiten um Bergkarabach bereits seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion.
Als die Staaten damals unabhängig wurden, wurde "Nagorno Karabach" dem Aserbaidschan zugesprochen, obwohl es mehrheitlich von Armeniern bewohnt wurde. Als sich die Region für unabhängig erklärte, kam es zum Krieg, der mit dem Waffenstillstand von 1994 zunächst eingedämmt wurde.
Eingedämmt, aber längst nicht gelöst.
Die Region blieb völkerrechtlich bei Aserbaidschan, praktisch aber unter armenischer Kontrolle und die international nicht anerkannte „Republik Arzach“ wurde gegründet.
Seitdem kam es immer wieder zu Scharmützeln an der Grenze. Noch nie, seit 1994, wurde aber so heftig gekämpft, wie seit nun einer Woche.
Die Kämpfe werden mit schwerer Artillerie, Drohnen und Panzern geführt. Oftmals erinnern Aufnahmen vom Schlachtfeld an Stellungskämpfe der Westfront im Ersten Weltkrieg.
Wer hat begonnen?
Die Frage nach den Verantwortlichen der Eskalation ist schwierig, weil beide Seiten sich gegenseitig den Erstangriff vorwerfen. Nach derzeitigem Stand scheint es aber, dass Aserbaidschan die aktuelle Eskalation begonnen hat.
Schon seit Jahren wuchsen in dem Land Stimmungen, die eine militärische Lösung des Konfliktes forderten. Als zusätzliche Argumente wurde hierbei aufgeführt, dass Aserbaidschan ein deutlich größeres Militärbudget besitzt sowie die volle Unterstützung der Türkei genießt.
Baku (Hauptstadt von Aserbaidschan) war also an einer Änderung des Status Quo interessiert und hielt auch die eigenen Ressourcen für ausreichend, um den Konflikt militärisch und schnell für sich zu entscheiden.
Jerewan (Hauptstadt von Armenien) dürfte eher an einem Erhalt des aktuellen Status Quo interessiert gewesen sein. Die Region ist bereits voll unter armenischer Kontrolle und in ihrem Verständnis auch ursprünglich „armenisches Land“. Dass diese Eskalation von Jerewan ausgeht, erscheint daher als extrem unwahrscheinlich.
Zugleich finden alle Kampfhandlungen völkerrechtlich gesehen auf dem aserbaidschanischen Territorium statt. Formal gesehen führt Baku also keinen Krieg gegen den Nachbarstaat, sondern „nur“ eine Art „Anti-Terror-Operation“ auf eigenem Boden. So unterschiedlich also die Darstellungen der beiden Kontrahenten sind, so erbittert kämpfen sie auch um die eigenen Interessen.
Der aktuelle Kriegsverlauf
Nun tobt die Schlacht um „Nagorno Karabach“ erbittert seit mehr als einer Woche. Beide Seiten schenken sich nichts. Reale Verluste dürften sowohl bei Armenien als auch bei Aserbaidschan mittlerweile deutlich über 1000 liegen.
Zugleich erinnert der Kriegsverlauf eher an die Stellungskämpfe im Ersten Weltkrieg. Für die offensiv agierende aserbaidschanische Armee gibt es nur minimale Fortschritte. Positionen werden verloren und erobert.
Ein Stellungskrieg.
Baku nutzt dabei massiv Drohnen, vor allem aus israelischer und türkischer Produktion. Und obwohl bereits zahlreiche dieser unbemannten Luftvehikel abgeschossen wurden, haben sie im Schwarm das Kampfgeschehen erheblich beeinflusst. Nach den Angaben, die derzeit von beiden Seiten veröffentlicht wurden, dürften die armenischen Verluste deutlich höher sein als die von Aserbaidschan.
Auf lange Sicht scheint Baku daher die besseren Karten zu haben. Es hat das deutlich größere Militärbudget, die deutlich größeren Finanzmittel und eine nahezu uneingeschränkte Unterstützung seitens der Türkei.
Ankara hat nicht nur die aserbaidschanische Armee massiv mit Militärtechnik versorgt, sondern auch hunderte Söldner aus Libyen und Syrien in den Kaukasus gebracht.
Mit solcher Unterstützung im Rücken hat der Präsident von Aserbaidschan Ilham Aliyev noch mal klar gemacht, dass Diplomatie für ihn der Vergangenheit angehört. Er erklärte, dass Gespräche mit Armenien "sinnlos" seien und dass Baku kämpfen werde, bis Karabach unter aserbaidschanischer Kontrolle steht.
Zugleich hat auch Armenien seine Asse im Ärmel.
In den vielen Jahren der Kontrolle über Bergkarabach errichtete Jerewan signifikante Verteidigungslinien in der Region. Die gebirgige Landschaft spielt den sich verteidigenden Armeniern in die Hände.
Zudem besitzt Armenien verschiedene Arten von ballistischen Raketen, die zum Teil nahezu das gesamte Territorium von Aserbaidschan treffen können.
Die schwächeren davon, die taktischen ballistischen Raketen vom Typ "Totschka-U", hat Jerewan bereits begonnen einzusetzen.
Die stärkste Waffe wäre allerdings die ballistische Rakete „Iskander“, die nahezu jeden Ort in Aserbaidschan treffen und erhebliche Schäden anrichten könnte. Noch hat Jerewan dieses System nicht eingesetzt.
Je weiter der Konflikt andauert, desto wahrscheinlicher wird es aber, dass diese Waffe eingesetzt werden wird.
Mit unvorhersehbaren Folgen.
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