Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) How China's powerslide is driving the global green electricity transition.

Die Rede von einer weltweiten Energiewende ist irreführend – es handelt sich vielmehr um eine chinesische Elektrifizierungsrevolution. Wie aktuelle Daten der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA) zeigen, entfallen 90 Prozent aller neuen Kraftwerkskapazitäten weltweit auf erneuerbare Energien – doch fast zwei Drittel davon stammen allein aus China. Während Europa in den 2000er-Jahren Vorreiter war, stagnierte der Ausbau unter dem Einfluss der Finanzkrise und Austeritätspolitik. Auch in den USA ist das Tempo gering: Trotz politischer Rhetorik und Gesetzesinitiativen wie dem Inflation Reduction Act blieb der Anteil der USA an neuen Kapazitäten 2023 und 2024 unter acht Prozent – weit hinter China und auch Europa. Die Ursache liegt nicht in der Bevorzugung fossiler Energien, sondern in stagnierender Stromnachfrage, die Investitionen bremst. China hingegen baut gleichzeitig massiv erneuerbare und fossile Kapazitäten aus – Letzteres aus sicherheitspolitischen Gründen. Doch der entscheidende Trendwechsel scheint erfolgt: Laut Analysen könnte Chinas CO₂-Ausstoß bereits 2024 seinen Höhepunkt überschritten haben. Der Ausbau der Erneuerbaren deckt inzwischen den zusätzlichen Energiebedarf – erstmals sinkt der fossile Anteil absolut. Die globale Energiewende, so die zentrale Botschaft, wird weniger durch politische Absichtserklärungen als durch chinesisches Investitionstempo entschieden. (Adam Tooze, Chartbook)

Ich bleibe in dieser argumentativen Tretmühle: Es war ein Riesenfehler, den Ausbau der Erneuerbaren nicht massiv voranzutreiben. Deutschland war mal Marktführer. Wir haben das weggeworfen und echt die dümmstmögliche Energiepolitik betrieben: wir kaufen Solarpanele aus China, aber nur ganz wenige; schalten Atomkraftwerke ab; setzen auf Kohle und Gas. Das ist quasi das schlimmste aus allen Welten. Ich bin der Überzeugung, dass dringend notwendig wäre, genauso wie China massiv auf die Erneuerbaren zu bauen und den Ausbau in Größenordnungen mehr voranzutreiben als bisher und auf die Rentabilität zu scheißen. Das haben wir bei der Atomkraft seinerzeit auch gemacht, sonst wäre nie auch nur eines dieser Dinger gebaut worden (und deswegen werden ja auch aktuell keine gebaut). Die einzige gute Nachricht: Unter Habeck stieg auch in Deutschland der Ausbau der Erneuerbaren, aber um Größenordnungen weniger als es nötig wäre.

2) Europa wird jetzt von selbstbewussten, antiliberalen Nationalisten geprägt

Der Kommentar stellt die vielbeschworene Idee eines „starken und einigen Europas“ als Illusion dar. Angesichts der militärischen Schwäche, institutionellen Uneinigkeit und des Erstarkens nationalistischer Bewegungen innerhalb der EU wird bezweifelt, dass Europa sich gegen globale Herausforderungen wie Russland oder Trump behaupten könne. Die EU sei strukturell nicht als Verteidigungsbündnis geschaffen worden, und eine Umwandlung in einen echten Bundesstaat mit gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik sei „nicht einmal in Sicht“. Insbesondere osteuropäische Staaten wie Ungarn, die Slowakei und Rumänien würden sich zunehmend nationalistisch positionieren und außenpolitisch ausscheren. Der Beitrag nennt dies eine „breite Front gegen Brüssel“. Selbst in vermeintlich proeuropäischen Regierungen, etwa unter Donald Tusk in Polen, sei ein pragmatischer Nationalismus zu beobachten. Die Rechtsnationalisten seien inzwischen in vielen Ländern politisch dominant – in Frankreich, Italien, Belgien und den Niederlanden ebenso wie in Deutschland mit der AfD. Vor diesem Hintergrund wird bezweifelt, dass Europa der „militärischen und ökonomischen Großmacht“ entspricht, als die es sich gerne sieht. Vielmehr erscheine es wie ein „Papiertiger“, der ernsthaften geopolitischen Erschütterungen nicht standhalten könne. Die Entwicklung sei ein Weckruf für die politische Führung – sofern sie bereit sei, die Realität zur Kenntnis zu nehmen. (Dirk Schümer, Welt)

Ich schließe mich der Analyse bezüglich des Erfolgs der Nationalisten an, aber ich denke, Schümer übersieht zwei relevante Faktoren. Der Sieg der Rechten ist eine schlechte Nachricht für das europäische Projekt, für Demokratie, Meinungsfreiheit und Freiheit generell in Europa. Nur: auch für Nationalisten ändern sich nationale Interessen nur sehr bedingt. Die mögen ja schon rhetorisch Trump toll finden und seinen Hass auf Migrant*innen teilen, aber das ändert nichts daran, dass sie von Russland bedroht werden. Das ist ein Punkt, den Alexander Clarkson schon öfter im Podcast betont hat: gerade bei der Welt sind die Leute ein bisschen zu tief in der MAGA-Bubble. Die Interessen der osteuropäischen Staaten sind am Ende stärker mit der EU verbunden als mit den USA; die wollten nicht ohne Grund in den 1990er und 2000er Jahren unbedingt alle Mitglied werden.

3) The House Republicans’ Budget Bill Guts Basic Needs Programs for the Most Vulnerable Americans to Give Tax Breaks to the Rich

Der Artikel kritisiert scharf den Haushaltsentwurf der Republikaner im US-Repräsentantenhaus, der laut Einschätzung des Center for American Progress „die größte Umverteilung von Arm zu Reich in der US-Geschichte“ bedeuten würde. Geplant seien massive Kürzungen bei Sozialprogrammen wie Medicaid und SNAP (Essenshilfe), die Millionen Menschen die Gesundheitsversorgung und Ernährung entziehen würden. Gleichzeitig würden Steuererleichterungen im Wert von bis zu 5,3 Billionen US-Dollar für die reichsten Haushalte verlängert oder ausgeweitet. Die geplanten Kürzungen bei Medicaid – über 600 Milliarden Dollar – beträfen laut Congressional Budget Office mehr als acht Millionen Menschen. Die Einführung von Arbeitsnachweispflichten würde laut Analysen vor allem dazu führen, dass Anspruchsberechtigte durch bürokratische Hürden den Versicherungsschutz verlieren. Ähnliches gelte für SNAP, bei dem über 290 Milliarden Dollar eingespart werden sollen. Besonders betroffen wären Familien mit Kindern und ältere Menschen. Zusätzlich würden durch Subventionskürzungen für saubere Energien sowie Streichungen von Steuervergünstigungen für Elektrofahrzeuge und energieeffiziente Geräte die Strom- und Transportkosten für Haushalte steigen. Auch Studierende seien stark betroffen, etwa durch den Wegfall subventionierter Studienkredite und Kürzungen beim Pell Grant-System. Insgesamt, so die Kritik, priorisiere das Budget Steuererleichterungen für Superreiche gegenüber den Grundbedürfnissen von Millionen Menschen und würde zu mehr Armut, schlechterer Gesundheitsversorgung, geringerer Chancengleichheit und höheren Staatsdefiziten führen. (Bobby Kogan, CAP)

Diese Haushaltsvorschläge sind von geradezu absurder Natur. Einerseits ist die unglaubliche Grausamkeit, die gegenüber den Schwächsten der Gesellschaft zur Schau gestellt wird, geradezu eine parodistische Überhöhung der Karikaturen, die von Links über Republicans gezeichnet werden. Mit Gusto werden bürokratische Hürden noch und nöcher errichtet, die alle das Ziel haben, den Zugang zu Leistungen zu erschweren. Das von der selbsterklärten Partei, die Bürokratie abschaffen will. Wenn es darum geht, diesen Menschen zu schaden, kann es gar nicht genug red tape sein. Was für Arschlöcher. Und dann ist da die atemberaubende Umverteilung von Unten nach Oben. Das ist kein FDP-Haushalt, in dem wenigstens so getan wird, als würde Unten auch irgendeine Entlastung stattfinden. Das ist schlichtweg eine Verlagerung von einem Großteil der Bevölkerung zu der superreichen Elite, wie es sie seit der Gilded Age nicht mehr gegeben hat. Und die Democrats bekommen es nicht hin, daraus vernünftig Kapital zu schlagen. What a sorry lot.

4) Gießener Gymnasium wählt Naziparole als Abimotto

An der Liebigschule in Gießen ist es zu einem Eklat gekommen, nachdem der Abiturjahrgang das Motto „NSDABI – Verbrennt den Duden“ gewählt hatte. Der Slogan spielt in mehrfacher Hinsicht auf nationalsozialistische Begriffe an. Die Polizei ermittelt nun wegen des Anfangsverdachts auf Volksverhetzung. Auch die Staatsanwaltschaft prüft eine strafrechtliche Relevanz. Die Schulleitung erklärte, dass die Mottowahl über ein anonymes Online-Portal organisiert worden sei, auf dem zahlreiche diskriminierende Vorschläge eingereicht und mehrfach positiv bewertet wurden. Das Abikomitee habe nach Bekanntwerden sofort reagiert, das Portal gelöscht und die Schulleitung informiert. Der gesamte Jahrgang sei anschließend zu einer Stellungnahme gegen rechtsextreme Inhalte aufgefordert worden. Externe Beratungsstellen wurden einbezogen. Der Abiturjahrgang selbst veröffentlichte ein Statement auf Instagram, in dem er sich von den Parolen distanzierte und eine Manipulation der Abstimmung für möglich hält. „Wir schämen uns für die aus unserem Jahrgang, die diese Abimottos verfasst haben“, heißt es darin. Die Schule betonte, Rassismus und Antisemitismus hätten dort keinen Platz. Auch der Verfassungsschutz ist in die Aufarbeitung eingebunden. Die Behörden prüfen zusätzliche Präventionsmaßnahmen. (Spiegel)

Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte. Meine Steuergelder bei der Arbeit! Das ist mal produktive Verwendung von Polizeiressourcen. Was für ein wichtiger Diskurs, der mit Sicherheit für ein besseres Bewusstsein für den Umgang mit der NS-Vergangenheit beiträgt! Personally, I blame the internet. In der alten Print-Zeit hätte es eine solche Lokalmeldung niemals in die Bundespresse geschafft. Vermutlich nicht mal ins Regionalblatt, weil der Rektor einfach den Chefredakteur gebeten hätte, das nicht zu hoch zu hängen oder so was. Wir haben hier ein ausschließlich pädagogisches Problem, wenn überhaupt. Ein dummes Motto hat eine Abstimmung gewonnen, die - weil Schüler*innen, in einem überraschenden Twist, keine Expert*innen im Aufsetzen sicherer Umfrageinstrumente sind und die Schulen das durch die dumme Vorgabe, kein MS Office verwenden zu dürfen, ja auch nicht bereitstellen -, wurde aber nicht mal als solches gewählt sondern von der Schüler*innenschaft weitgehend abgelehnt. Fiel heute in China kein Sack Reis um, oder was soll der Blödsinn?

5) Merz will Acht-Stunden-Tag abschaffen: Die Mehrheit der Deutschen ist dafür

Die Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz plant die Abschaffung der gesetzlichen täglichen Höchstarbeitszeit zugunsten einer wöchentlichen Begrenzung – etwa vier Tage mit je zehn Stunden statt fünf Tage à acht Stunden. Laut einer Yougov-Umfrage befürworten 38 Prozent der Deutschen diesen Vorschlag, nur 20 Prozent lehnen ihn ab. Die Mehrheit der Befürworter sieht Vorteile in einer erhöhten Flexibilität, vor allem durch ein längeres Wochenende. Auch Arbeitgeber sollen profitieren, da sie nicht mehr an den Acht-Stunden-Tag gebunden wären. Gegner warnen vor gesundheitlichen und produktivitätsbezogenen Nachteilen längerer Arbeitstage. Zwei Drittel von ihnen glauben, dass längere Schichten die Produktivität senken, 61 Prozent befürchten eine zu hohe Belastung der Beschäftigten. Der Vorschlag der Regierung orientiert sich an der europäischen Arbeitszeitrichtlinie, wonach eine Wochenarbeitszeit von maximal 48 Stunden gilt. In der Wirtschaft stößt das Vorhaben auf Skepsis. Nur 20 Prozent der Unternehmen glauben laut IW-Studie, dass verdichtete Arbeitszeiten praktikabel seien. Sie befürchten steigende Personalkosten. Dennoch sprechen sich 37 Prozent der Befragten für die Vier-Tage-Woche bei gleichem Lohn aus. Die Debatte zeigt: Flexibilisierung ist gewünscht, aber die Umsetzbarkeit bleibt umstritten. (Amy Walker, Merkur)

Erst einmal eine formale Meckerei: 38% sind keine Mehrheit, sondern angesichts 37% und 20% für die anderen beiden Optionen eine Pluralität. Das ist ein nicht unwesentlicher Unterschied. Umfragen dieser Art sind schon aussagelos genug, die muss man nicht auch noch falsch wiedergeben. Walker kann sich nicht mal darauf berufen, dass da jemand in der Überschrift Mist gebaut hat; die Behauptung steht auch im Artikel. Aber anyway, kommen wir zum Thema. Ich halte das für eine verdrehte Debatte. Merz und die Leute, die die 40-Stunden-Woche abschaffen wollen, wollen die Arbeitszeit letztlich erhöhen. Die 38%, die sich für die Maßnahme aussprechen, wollen einen freien Tag. Das ist schon mal ein zentraler Unterschied. Nur 20% der 38% glauben, dass die Produktivität höher werden würde; man darf auch skeptisch sein, dass zehn Stunden Arbeitszeit (also rund elf oder elfeinhalb Stunden Anwesenheit im Betrieb) das leisten würden. Kein Wunder sind die Arbeitgeber da skeptisch. Die wollen die Arbeitszeit - ohne Lohnausgleich, versteht sich - pro Woche erhöhen, nicht die von den Arbeitnehmenden gewünschte Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern. Aber da die SPD und die Gewerkschaften, von den Grünen ganz zu schweigen, offensichtlich mal wieder alseep at the wheel sind, was politische Kommunikation angeht, wird das diversen Leuten vermutlich erst viel zu spät aufgehen.

Resterampe

a) Nichts sagt "wir planen Menschenrechtsverletzungen" wie der Bau eines Hochsicherheitsgefängnisses im Dschungel auf einem anderen Kontinent. (BBC)

b) Russland setzt Kinder als Selbstmordattentäter ein. IS-Niveau mittlerweile. (Twitter)

c) Die FAZ hat was zur Realität der Zurückweisungen an den Grenzen. (FAZ)

d) In Sonneberg haben sich seit Amtsantritt des AfD-Amtsinhabers Fälle rechter Gewalt verfünffacht. (ZDF) Zahlen mit Vorsicht zu genießen, aber der Trend ist eindeutig.

e) Starmer wiederholt alle Fehler Sunaks und Johnsons. (Twitter)

f) Netanyahu ist offensichtlich hart entschlossen, Gaza platt zu machen, und scheiß auf den Rest der Welt. (Economist) Könnte am Ende auch funktionieren.

g) "Schluss mit dem Zwang zur Wärmepumpe" (Handelsblatt). Als CDU regieren ist schon geil. Du kannst einfach erfolgreich sein, ohne irgendwas zu tun, weil du versprochen hast, nicht existierende Sachen abzuschaffen. Genderzwang, Wärmepumpenzwang, Fleischverbot - kommst an die Regierung, zack, gewonnen. Sollten die Progressiven auch mal machen. Schluss mit dem Kohlezwang, Schluss mit dem Gemüseverbot, ein Ende für den Bratwurstzwang! Dorothee Bär indessen verlängert Programme, die längst verstetigt sind. Auch eine Maßnahme. Jemand sollte endlich mal dafür sorgen, dass das Elterngeld auch nach 2029 ausbezahlt wird.

h) Dass die Trump-Regierung auch legale Migrant*innen in Konzentrationslager steckt, kann niemanden überraschen. (Twitter)


Fertiggestellt am 21.05.2025

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