Am 5. Oktober 2022 veröffentliche T-Online um 12:43 einen Artikel mit dem Titel:
Ukrainer entdecken Kiste mit Goldzähnen in Folterkammer
Weiter heißt es im Artikel:
"Auf die Freude über die Befreiung folgt stets das Grauen über die russische Besatzung. Nun löst eine Entdeckung in der Region Charkiw Entsetzen aus.
Im Nordosten der Ukraine haben Ermittler neue Hinweise auf russische Kriegsverbrechen entdeckt. Im kürzlich befreiten Ort Pisky-Radkiwski fand die Polizei eine von russischen Truppen betriebene Folterkammer und verschiedene Zeugnisse des Grauens, darunter eine mit herausgebrochenen Goldzähnen und -brücken gefüllte Plastikkiste, eine Gasmaske und einen Dildo.
"Die Nachbarn hörten ständig Schreie von dort. In dem Dorf Pisky-Radkiwski fanden die Ermittler eine grausame Folterkammer", schrieb Chefermittler Serhij Bolwinow auf Twitter. "Die Polizei weiß mit Sicherheit von Folter durch lebendiges Begraben und der Verwendung einer Gasmaske mit einem Lappen", so Bolwinow weiter. Dorfbewohner hätten die Polizei auf die Folterkammer im Keller eines Wohnhauses hingewiesen. Unter den gefundenen Gegenständen sei auch der Brief eines ukrainischen Soldaten, der in dem Keller festgehalten wurde."
Diese Information wurde vom Ukrainischen Kriegsministerium verbreitet:
Der Name ist gerechtfertigt. Man fordert derzeit einen Atomschlag und verbietet Verhandlungen mit Russland. Selensky scheint den Weltkrieg zu wollen. Abgesehen davon scheint es mir in keinem der Länder der Konfliktparteien ein Verteidigungsministerium zu geben - auch nicht in Deutschland.
Wir halten fest. Immer wenn die Russen sich irgendwo zurückziehen („stets), gibt es Bilder des Grauens, die es bei genauerer Betrachtung so nicht gibt, wie sie kolportiert wurden. Dafür gibt es aber auch nicht gezeigte Bilder und Videos sowie Berichte über brutale ukrainische Kriegsverbrechen, Folter und Morde an Zivilisten, vermeintlichen Kollaborateuren, Minen in und Beschuss von Wohngebieten (auch an den Tagen des Referendums über den jew. Anschluss, was auch die Zustimmung erhöht haben dürfte). Aber das sind andere Themen. Diese Seite unserer westlichen Lückenpresse, die auf diesem Auge blind ist, würde den Rahmen sprengen. Es geht hier nicht darum, sich auf eine Seite zu schlagen, sondern darum, dass die Bevölkerung - wie bei Corona - von weiten Teilen der Medien mit lückenhaften und sogar falschen Informationen versorgt wird. T-Online tut sich hier wie dort hervor. Denn wie ging es denn nun weiter?
Die Welt (immerhin, denn auch dort herrscht große transatlantische Einseitigkeit) berichtet tags darauf, am 6. Oktober 2022 um 10:51 Uhr, dass die Zähne nicht aus einer Folterkammer stammen, sondern einem Zahnarzt gestohlen wurden. Potzblitz. Man brauchte wohl schockierende Bilder, die Erinnerungen wachrufen? Dabei handelte es sich wohl nicht einmal um echtes Gold, sondern um ausgediente Prothesen.
Was macht nun aber T-Online daraus, wollte ich wissen und schaute mir den Artikel noch einmal an und siehe da: geändert - ohne einen Hinweis auf die vorherige Version. Nun lautet die Überschrift in der Version vom 6. Oktober 2022 um 6:36 Uhr:
Ukrainer präsentieren mutmaßliche Folterutensilien
Jetzt wird gemutmaßt und es gibt über die Herkunft Spekulationen. Immerhin wird die wahrscheinliche Herkunft vom Zahnarzt erwähnt (Link zum Originalartikel).
Schlussfolgerung: Wer den Angaben eines Kriegsministeriums einer Kriegspartei ungeprüft Glauben schenkt, ist verloren. Wenn es Journalisten machen, ist es jedenfalls kein Journalismus. Es ist Propaganda. Die Richtigstellung bekommt dann kaum einer mehr mit. Man kann jedoch selbst hervorragend darauf verweisen.
Wer sich mit diesen Dingen über einen längeren (wichtig) Zeitraum beschäftigt, stellt fest, dass das kein Einzelfall ist: Ob vermeintliche Folter-Massengräber, Giftgasangriffe, Bilder eines brutalen Vernichtungskriegs etc. - Fake News halten sich zäh wie Bilder von Bergamo.
Eine Richtigstellung erfolgt in der Änderung des ursprüngliche Artikels/kurzer Meldung, die in unserer schnelllebigen Zeit mit geringen Aufmerksamkeitsressourcen kaum ein Mensch mehr mitbekommt. Das Narrativ verfestigt sich so von Artikel zu Artikel durch das Trommelfeuer der Propaganda. Denn eines ist ja klar: gefoltert wird auf russischer Seite mit den übelsten Kriegsverbrechen, die man sich nur vorstellen kann. Die anderen sind die Guten und unsere Freunde.
So funktioniert der Feindbildaufbau bereits seit Jahren. Ausgeblendet wird das im Vergleich zu den Weltmeistern im Völkerrechtsbruch, den USA, schon fast zögerliche Vorgehen der Russen. Während die USA in ihren völkerrechtswidrigen Kriegen, derer es sehr viele gibt, ausgesprochen grausam gegen die Zivilbevölkerung vorgegangen sind, die lebensnotwendige öffentliche Infrastruktur großflächig bombardiert und zerstört haben, sieht man eben dies auf russischer Seite nicht (nochmal: das ist die bloße Beschreibung des Sachverhalts).
Die Propagandisten wissen sich die Macht der Bilder und die Wirkung der ersten Meldung zu Nutze zu machen. Die setzt und verfestigt das Narrativ. Wer es korrigieren will, muss dagegen anarbeiten, was zum Scheitern verurteilt ist. Man macht sich mit so einer Darstellung höchstens angreifbar, weil man einen Krieg rechtfertige, was man nicht tut, wenn man Kritik an der Berichterstattung und einseitiger Doppelmoral übt.
Solche Bilder lösen sich nur auf, wenn man über Monate dran bleibt, immer wieder die neuesten Erkenntnisse mit einbezieht, verschiedene Perspektiven zulässt, Quellen aus dem In- und Ausland heranzieht und wichtig: Beider Kriegsparteien. Wer tut sich das an? Ich bin so verrückt. Im Syrienkrieg habe ich einzelne Sachverhalte teils über Jahre verfolgt, die mir seltsam vorkamen, weil sie mit so einer Wucht in die Köpfe der Menschen gedrückt wurden, dass alle sie glaubten, obwohl sie jeder Logik widersprachen (wie auch hier, wenn die Russen von ihnen selbst besetzte Städte bombardieren sollen). Nur mit eigener Recherche und dem Willen dran zu bleiben, erkennt man, dass die ursprüngliche Meldung falsch war. Es bekommt nur niemand mehr mit. Das Narrativ ist einbetoniert.
Die vorliegende Berichterstattung ist nur ein kleines Beispiel, das sich zum Glück innerhalb eines Tages relativierte. Das ist noch nahe genug dran, damit die Leute es mitbekommen könnten. Das ist eine Ausnahme. Bei komplexen Sachverhalten ist dies auch deshalb nicht so einfach weil oft genug auch versucht wird, den Beschuldigten von den Ermittlungen auszuschließen. So kann eine weitere Erzählung der Vorgänge in die Medien gespielt und verbreitet werden.
Besonders dramatisch ist es dann, wenn Mitglieder des Deutschen Bundestags diese Propaganda einseitig weiterverbreiten und dadurch zur Eskalation beitragen. So geht deutsche Politik nicht, die stets um Ausgleich bemüht war. Im alten Normal.
Sara Nanni ist Mitglied des Deutschen Bundestags für die ehemalige Friedenspartei „Die Grünen“. Sie beschreibt sich in ihrer Twitter-Biographie wie folgt:
Na, sauber. Nach allem was, wir wissen, hat sie mit dem folgenden Tweet ukrainische Propaganda und eine Lügengeschichte verbreitet und so mit ihrer Stellung und ihrer Reichweite dazu beigetragen, den Hass auf Russland zu schüren und eine nüchterne Betrachtung des Konflikts und eine Verhandlungslösung weiter zu verunmöglichen. Als sicherheitspolitische Sprecherin ihrer Partei, Friedens- & Konfliktforschung M.A. und einem Täubchen im Profil. Das ist die kognitive Dissonanz der Grünen, wie wir sie schon aus der Coronakrise kennen.
Es kommt aber noch schlimmer:
In den Kommentaren zu den Tweets werden unwidersprochen Holocaust-Vergleiche gezogen und Bilder von Zähnen aus Konzentrationslagern in eine Collage mit den aktuellen Bildern gestellt. Die Bilder und die Kommentare sind unwidersprochen Stand heute noch immer unter dem noch immer unkommentiert dort stehenden Tweet des Ukrainischen Kriegsministeriums. Gleiches bei Sara Nanni. Diese Holocaust-Relativierung ist unerträglich, aber wohl in Ordnung, wenn sie auf der „richtigen“ Seite von den „Guten“ gemacht wird.
Auf ihren Fehler hingewiesen, antwortet sie nicht - wie üblich. Grüne nehmen ja schon die leiseste Kritik an ihnen als rechte Hetze wahr. Wo man bei den Grünen derzeit hinschaut: Es ist grauenvoll. Immerhin hat sie eine Richtigstellung druntergepostet, wenn auch nicht retweetet, was im Vergleich zum Ursprungspost für weniger Reichweite sorgt. Die Holocaustvergleiche wenigstens auszublenden, darauf kommt aber weder sie noch das ukrainische Kriegsministerium.
Ich könnte enden mit der Reaktion auf meinen Hinweis über die fehlerhafte Berichterstattung. Es lief wie üblich. Derailing auf den russischen Angriffskrieg, irgendwelche Verträge bis 2003 (kein Wort zu den Zuständen ab 2014, die zum Verständnis elementar sind. Wer für diese Art der Propaganda Verständnis entwickelt hat oder Interesse hat, kann dies hier beispielhaft nachlesen. Alle anderen werden es ein weiteres Mal nicht verstehen (wollen) und auf Quellen vertrauen, die sie mit Überheblichkeit verteidigen, obwohl auch diese bei genauerem Hinsehen (und das sollte man stets) keineswegs als neutral und sonderlich zuverlässig gelten können. Hier ein Beispiel zu oben erwähntem Sachverhalt (Giftgasangriff im syrischen Douma) für einen „zuverlässigen“ OSINT-Bericht.
Ich bin nicht für oder gegen eine Seite. Ich bin vor allem für Frieden und gegen Einseitigkeit, Propaganda und Doppelmoral. Deshalb stelle ich bewusst oft die andere Perspektive dar, weil es wichtig ist, möglichst viele Perspektiven einzunehmen, um ausgewogene Entscheidungen treffen zu können und sich der Wahrheit bestmöglich anzunähern. Es ist Krieg. Krieg ist grausam. Er tötet Wahrheit und Menschen. Genau aus dem Grund sollte Frieden gesucht und nicht Krieg geschürt werden. Immer.
Ich mache mir wenig Hoffnung. Deutschland hatte früher die Vermittlerrolle in der Welt und war für seine Gesprächsformate und Diplomatie geschätzt. Heute haben wir eine Außenministerin der ehemaligen Friedenspartei, die das Gespräch (!) mit einem anderen Außenminister verweigert und sich für mehr Krieg einsetzt. Ihre Partei verbreitet - gefangen in ihrer Ideologie - einseitig Propaganda, statt alles daran zu setzen, eine Lösung für den Konflikt zu finden, weil immer schon klar war, dass dauerhaft Frieden auf diesem Kontinent nur mit Russland möglich ist und dies auch im deutschen Interesse läge. Aber was zählt dies schon bei dieser Regierung?
Und so wird weitergehasst und die Welt taumelt immer mehr in Richtung eines großen Kriegs.
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