Mit einiger Sorge blicken ja viele zurzeit (sehr zu Recht) in die USA, denn sollte dort im November Donald Trump zum Präsidenten gewählt werden, könnte es mit der Demokratie schnell vorbei sein im Land der „unbegrenzten Möglichkeiten“. Dabei sollte man allerdings nicht aus den Augen verlieren, dass uns hierzulande durchaus Ähnliches droht, wenngleich dabei deutlich subtiler und diskreter vorgegangen wird.

Vor bald acht Jahren beschrieb ich ja in einem Artikel in meinem Blog schon mal die Ursachen des sich damals bereits deutlich abzeichnenden Rechtsrucks, der seitdem noch stark an Fahrt aufgenommen hat, sodass ich mittlerweile schon eher den Begriff Rechtsrutsch passender finde. Diese Entwicklung habe ich ja auch in den letzten Jahren mit zahlreichen Artikeln begleitet (einfach mal unter den „Schlagworten“ Rechtsruck und Rechtsrutsch hier auf unterströmt nachschauen), aber nun steht in diesem Jahr ja auf Länderebene und im kommenden Jahr auf Bundesebene zu befürchten, dass die AfD tatsächlich mit in Regierungsverantwortung kommen könnte, sodass ich eine Fortsetzung zu „Der Rechtsruck und seine Ursachen“ für angebracht halte.

Seitdem ich den Artikel Ende 2016 geschrieben habe, ist ja nicht nur die AfD immer stärker geworden, sodass die Blaubraunen mittlerweile im Bundestag und in allen Landtagen sitzen, sondern auch der generelle Zeitgeist sowie das Agieren der anderen Parteien ist zunehmend weiter nach rechts gewandert. Zudem haben CDU und FDP, aber vereinzelt auch SPD und Grüne, wenn es ihnen taktisch in den Kram passte, auf Länderebene (und darunter) mit der AfD zusammengearbeitet. Und auch wenn viele immer noch meinen, dass es keine CDU-AfD-Koalition nach der nächsten Bundestagswahl geben würde, so zeichnet sich für mich doch leider ab, dass das sehr wohl der Fall sein könnte – und das ist auch ziemlich klar vorbereitet worden.

Wie schon 2016 dargestellt, ist das Scheitern des Neoliberalismus, wenn nicht sogar des Kapitalismus generell, nicht mehr zu übersehen: Obszön große Vermögen stehen immer mehr Armut gegenüber, die Zahl der Flüchtlinge ist global gesehen auf einem Rekordhoch, was nicht nur an zahlreichen Kriegen (die der Kapitalismus nicht nur verursacht, sondern auch benötigt, um sein Wachstumsdogma irgendwie noch aufrechterhalten zu können) liegt, sondern eben auch an einer ungerechten Welthandelspolitik sowie den immer gravierenderen Auswirkungen der Klimakrise, und unsere Biosphäre wird immer mehr überstrapaziert, sodass sie zu kollabieren droht. Um also ein derart destruktives System noch aufrechterhalten zu können, müssen totalitäre Maßnahmen installiert werden, was in den letzten Jahren schon zunehmend geschah (nicht nur in den zahlreicher werdenden von Rechtsextremen regierten Ländern), um Proteste klein halten zu können. Außerdem ist es wichtig, eine linke Opposition zu marginalisieren, damit diese nicht doch irgendwie noch dazwischenfunken kann.

Wenn man sich vor diesem Hintergrund die bundespolitische Entwicklung der letzten Jahre anschaut, dann wird klar, wie konkret das bereits umgesetzt wurde. Das sieht man zum einen an neuen Polizeigesetzen und neuen Möglichkeiten der Überwachung, gern gepaart mit Angstmacherei, damit die Menschen das auch schlucken. Und auf der anderen Seite wurden linke oder ehemals als links geltende Parteien ordentlich zusammengestaucht. Letzterem Aspekt möchte ich mich nun etwas genauer widmen.

Beginnen wir dafür bei der Bundestagswahl 2013, als eine rot-rot-grüne Koalition mögliche gewesen wäre, da SPD, Grüne und Linkspartei eine Mehrheit im Bundestag hatten. Die heute offen zutage getretenen Krisen waren damals schon mehr als deutlich sichtbar, sodass hier ein Umlenken noch hätte stattfinden können, zumal die noch neue AfD der FDP genug Stimmen abgeluchst hatte, sodass beide Parteien sehr knapp an der Fünfprozenthürde scheiterten. Dies dürfte für die neoliberalen Eliten (zu deren Definition s. den oben verlinkten Artikel von 2016) ein ziemlich deutlicher Warnschuss gewesen sein. Doch anstatt die Gunst der Stunde zu nutzen, hat der neoliberale SPD-Spitzenkandidat Peer Steinbrück lieber den Schwanz eingezogen und den Juniorpartner für die CDU gegeben – mit einer Linkspartei, die nach CDU und SPD drittstärkste Partei geworden ist, hätte man ja sonst eventuell sozialverträgliche (und damit dem Neoliberalismus entgegenstehende) Politik machen müssen.

Was folgte, war absehbar: Die sogenannte Große Koalition wurde von der CDU/CSU dominiert, sodass die SPD weiter an sozialpolitischer Glaubwürdigkeit verspielte. Und die Parteien am rechten Rand (AfD und FDP) wurden wieder gestärkt, auch unter gnädiger Mithilfe vieler Medien, die Vertreter beider Parteien ständig in Talkshows einluden, obwohl sie gar nicht mehr im Bundestag vertreten waren, und zudem vor allem 2015 ständig Themen brachten, bei denen sich die AfD mit ihrer Hetze profilieren konnte.

So schaffte es dann trotz erheblicher Verluste der Union der rechte Block aus CDU/CSU, AfD und FDP bei der Bundestagswahl 2017, mehr als die Hälfte der Bundestagsmandate zu erringen. Doch für eine Bahamas-Regierung war es für die CDU noch zu früh, aus dem absehbaren politischen Gestümper, was die Folge gewesen wäre, hätten die Oppositionsparteien wohl noch zu viel Kapital schlagen können. Also wurde erst mal Jamaika ins Auge gefasst, doch aus den Verhandlungen stieg dann ja FDP-Chef Christian Lindner mit dem berühmt gewordenen Satz „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“ aus. Die Folge war dann wieder eine Große Koalition, die nur diesmal schon gar nicht mehr so richtig groß war, aber zumindest auf eine sich generell uneinige Opposition verlassen konnte.

In dieser Amtszeit wurde dann auch die Klimakrise zum immer wichtigeren Thema, zum einen durch Fridays For Future und ihre viel Aufmerksamkeit erregende Schulstreiks und Demonstrationen, zum anderen auch durch die Auswirkungen, die hierzulande immer deutlicher sichtbar wurden, beispielsweise im Dürresommer 2018. So war es nicht verwunderlich, dass die Grünen bei der Europawahl 2019 extrem gut abschnitten in Deutschland , und obwohl die Partei im Kern mittlerweile auch klar neoliberale ausgerichtet ist, wurde es vermutlich doch als Bedrohung angesehen, wenn die zumindest in Teilen noch linksliberalen Grünen zu einer Volkspartei aufsteigen würden. Auf diese Weise könnte nämlich eine rechte parlamentarische Dominanz gefährdet werden – selbst bei einer schwächelnden SPD.

Was war also zu tun im Hinblick auf die kommende Bundestagswahl im Jahr 2021? Eine erneute Mehrheit des Rechtsblocks schien unwahrscheinlich, zumal das CDU-Zugpferd Angela Merkel seinen Rückzug aus der Politik angekündigt hatte. Und da etliche Stimmen für die Union in den letzten Jahren vor allem Merkel zu verdanken waren, was man auch an den gnadenlos inhaltsleeren, dafür aber kanzlerinnenpersonalsierten Wahlkämpfen gesehen hat, musste man auch von einem schlechteren Abschneiden der CDU/CSU ausgehen.

Warum also nicht gleich aus der Not eine Tugend machen und einen extrem schwachbrüstigen Kanzlerkandidaten aufstellen, der zudem noch im Vorfeld der Wahl durch täppisches Verhalten Sympathiepunkte einbüßt? So könnten dann die SPD oder die Grünen in Zugzwang kommen, die Regierung zu bilden, und da beide Parteien im Vorfeld offensiv eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei ausgeschlossen hatten, würden die schon zu erheblichen Zugeständnissen bereit sein müssen.

Und genauso kam es dann ja auch: Das Zugeständnis war in der Tat erheblich und hört auf den Namen FDP. Spätestens jetzt war klar, dass Lindners Aussage mit dem Falschregieren rein taktisch war, denn in einer Koalition mit der CDU und den Grünen hätte die FDP sicher mehr politische Überschneidungen mit den anderen beiden Parteien gehabt, als wenn da nun statt der CDU die SPD mitmischt. Die rechte Opposition sitzt also seit 2021 mit in der Regierung und sorgt dafür, dass weder soziale noch ökologische Politik gemacht werden kann – mit Ansage übrigens, denn die international renommierten Ökonomen Joseph Stiglitz und Adam Tooze warnten schon kurz nach der Wahl im Oktober 2021 vor einem Bundesfinanzminister Christian Lindner (s. hier). Und das für einen ökologischen Umbau der Gesellschaft so wichtige Bundesverkehrsministerium an die FDP zu geben, hat sich ja auch als Garant für Stillstand erwiesen.

Resultat: Trotz einiger ganz netter Ansätze konnte die sich vollmundig als „Fortschrittskoalition“ bezeichnende Ampelregierung so gut wie nichts Progressives umsetzen – was ihr Ansehen bei Menschen, denen beispielsweise Klimaschutz wichtig ist, reichlich ramponiert hat. Dazu kommt dann natürlich noch die ewige Stimmungsmache von BILD und anderen rechten Hetzmedien, die genüsslich alles ausschlachten, was bei der Regierung nicht funktioniert, dabei aber immer schön die FDP außen vor lassen (s. hier). So erleben wir einen Hass vor allem auf die Grünen (s. hier), der jenseits von jeglicher Rationalität ist und sich auch in einem zunehmend schlechten Abschneiden bei Wahlen bemerkbar macht.

Und da sich die Linkspartei auch ziemlich zerlegt hat durch die Abspaltung von Sahra Wagenknechts BSW, das zudem auch reichlich rechtslastige Positionen vertritt (s. hier), steht nun für die nächste Bundestagswahl im kommenden Jahr zu befürchten, dass die CDU unter ihrem rechten Parteivorsitzenden Friedrich Merz eine Koalition mit der AfD eingehen wird, vielleicht noch unter Zuhilfenahme der FDP. Dass die drei Parteien keine Berührungsängste haben, konnte man ja nicht nur in Thüringen beobachten, wo schon mehrfach mit dem Faschisten Björn Höcke gekungelt wurde vonseiten der CDU und FDP, sondern zeigt sich auch zuletzt immer deutlich in Aussagen von CDUlern.

So tönt beispielsweise deren Generalsekretär Carsten Linnemann bei jeder sich ihm bietenden Gelegenheit, dass die Migration eingeschränkt, wenn nicht gar unterbunden werden müsse, und zudem sollten arbeitsfähige Bügergeldempfänger (wer immer auch definiert, wer in welchem Maße arbeitsfähig ist) keine Leistungen mehr erhalten (s. hier). Das deckt sich nicht nur mit der Programmatik der AfD, sondern wird ja in Italien von der dortigen faschistischen Regierung schon genauso praktiziert – tolles Vorbild für eine Partei, die sich selbst immer noch das Etikett der Bürgerlichkeit anheftet. Und zusammen mit der AfD und ehemaligen NPDlern wurde in Anklam (Mecklenburg-Vorpommern) kürzlich ein großer Solarpark verhindert (s. hier). Auch in der Identitätspolitik wanzt man sich an die Blaubraunen ran, indem gerade auf Bundesebene die Verankerung eines Diskriminierungsverbots aufgrund von sexueller Identität im Grundgesetz durch die CDU blockiert wird.

Da wächst also zusammen, was zusammengehört – oder besser: was 2013 ausgelagert wurde von CDU und FDP, um so mit laut herausgebölktem Rassismus, unter dem noch mehr Marktradikalismus und Sozialdarwinismus verborgen sind, unzufriedene Menschen mithilfe plumper Sündenbocktheorien einzufangen. Praktischerweise hat sich das, was öffentlich gesagt werden kann, ohne sanktioniert zu werden, in den letzten Jahren auch reichlich nach rechts verschoben, und da haben dann leider auch die nicht rechten Parteien (Olaf Scholz: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“) ihren Beitrag geleistet. Und auch die Überwachungsmethoden sind reichlich ausgebaut worden, sodass mittlerweile deutsche Geheimdienste offiziell das dürfen, was Edward Snowden vor einigen Jahren noch enthüllt hatte und was damals für einen großen Aufschrei sorgte (s. hier).

So könnte es passieren, dass wir in diesem Jahr auf Landesebene eine Regierung erleben werden, in der auch die AfD vertreten ist – denn die paar CDU-Wähler, die dadurch verprellt werden könnten, sollten kaum noch ins Gewicht fallen bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr. Zudem könnte man dann schon mal den Effekt der Gewöhnung für sich verbuchen. Was dazukommt: Eine Entzauberung, die ja viele immer voraussagen, wenn Rechte regieren, dürfte vermutlich nicht stattfinden, da es zu viele Medien (BILD zuvorderst) gibt, die einer solchen radikal neoliberalen Regierung mit autoritären Tendenzen wohlgesinnt wären – das ist ja leider in der letzten Zeit auch zunehmend zu beobachten gewesen (s. hier). Und gerade reichweitenstarke Medien bräuchte man, um die Fehlleistungen einer Regierung auch in die Öffentlichkeit zu bringen, was ja die Grundlage einer Entzauberung wäre.

Der Boden ist also auch hierzulande bereitet, um Demokratie und Rechtsstaat endgültig zu demontieren, und dazu braucht es keinen Lautsprecher wie Trump, auf den viele Deutsche bestimmt auch recht empfindlich reagiert hätten aufgrund der historischen Erfahrung mit einem „Führer“.

Wobei es dann doch eine kleine, aber nicht unerhebliche (und sehr bezeichnende) Parallele zu den USA gibt. Christian Stöcker erwähnt nämlich Folgendes, als er sich in seiner Kolumne auf Spiegel Online mit dem „Project 2025“ auseinandersetzt, eines Pamphlets der Heritage Foundation für einen Umbau der USA zum einen fossilen Gottesstaat nach einem Wahlsieg von Donald Trump:

Die Heritage Foundation ist seit vielen Jahren ein Propaganda- und Lobbyinginstrument der Fossilbranchen. Sie bekam viel Geld von Koch Industries und auch von Exxon  und war bis 2020 Mitglied im ultralibertären Atlas-Netzwerk, das jahrzehntelang Klimawandelleugnung global förderte, mitfinanziert wiederum von Charles Koch und Exxon. Es ist, das nebenbei, ein Skandal, dass deutsche Organisationen  wie das Prometheus-Institut des FDP-Politikers Frank Schäffler oder die Organisation NOUS  (geleitet von Christian Lindners Wirtschaftsberater Lars Feld), weiterhin Mitglieder dieses Netzwerks sind.

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