Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) Gericht erklärt pauschale Barbeträge auf Bezahlkarte für rechtswidrig

Das Sozialgericht Hamburg hat die pauschale Bargeldbeschränkung von Sozialleistungen für Geflüchtete als rechtswidrig erklärt. Die Entscheidung wurde nach einem Antrag einer geflüchteten Familie getroffen. Das Gericht kritisierte die pauschale Festsetzung des Bargeldbetrags auf 50 Euro monatlich, da dabei persönliche oder örtliche Umstände der Geflüchteten nicht berücksichtigt würden. Es wurde betont, dass das Hamburger Amt für Migration den Einzelfall prüfen müsse, um besondere Bedürfnisse, wie die von Schwangeren oder Familien mit Kleinkindern, zu erkennen und zu decken. Gleichzeitig wurde die Bezahlkarte an sich als unproblematisch eingestuft, da sie dem gesellschaftlichen Trend entspreche, mit Karte zu zahlen. Hamburg führte die Bezahlkarte im Februar ein, wobei Asylbewerber monatlich 185 Euro auf eine Visa-Guthaben-Karte erhalten, von denen 50 Euro bar abgehoben werden können. Pro Asyl und die Gesellschaft für Freiheitsrechte versuchen, die Einführung der Bezahlkarte in weiteren Bundesländern zu stoppen, da sie den Alltag der Betroffenen erheblich erschwere. Das Gericht sprach einer Familie aufgrund besonderer Umstände knapp 270 Euro Bargeld zu. Die Sozialbehörde Hamburgs prüft nun, ob gegen die Entscheidung Beschwerde eingelegt wird. (ZEIT)

Nun ist es nicht mehr "nur ein Lobbyverband", sondern auch ein Gericht. Das kann nicht wirklich überraschen. Natürlich kann in unserem System eine solche Pauschalisierung nicht gehen. Die ganze Sozialrechtsprechung spätestens seit Einführung von Hartz-IV lief immer in die Richtung, und die geltende Rechtslage erlaubt die Diskriminierung gegenüber Menschen ohne deutschen Pass, die in der Gesetzgebung inhärent angelegt ist, so einfach nicht. Wenn man ein Gesetz mit der Motivation macht, aus wahlkampftaktischen Gründen eine Minderheit zu diskriminieren statt ein Problem zu lösen, verwundert das auch nicht. Und dass die Tendenz der deutschen Gerichte, den politischen Handlungsspielraum so weit wie möglich zu beschneiden und solche Entscheidungen in den juristischen Raum zu verlegen ausgerechnet hier stoppen sollte, war auch nicht wirklich eingängig. Das Scheitern dieses Projekts ist so absehbar wie das der Pkw-Maut für ausländische Pkw, aber warum sollte das jemanden stoppen...?

2) Der geheime Milliardärsplan, Marine Le Pen großzumachen

Der französische Milliardär Pierre-Édouard Stérin plant, mit 150 Millionen Euro die radikale Rechte und Rechtsextreme politisch zu stärken. Dies enthüllte die Zeitung L’Humanité kürzlich. Der Plan namens "Périclès" soll den Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen fördern, indem Kandidatenschulungen finanziert, Denkfabriken gegründet und ein "juristischer Guerillakrieg" begonnen werden. Stérin möchte die Themen Einwanderung und Gendertheorie in den Medien und sozialen Netzwerken propagieren. Stérin behauptet, es handele sich um ein Projekt zur Unterstützung "patriotischer, konservativer und liberaler Ideen" und nicht nur des RN. Bekannt wurde er durch seine politischen und finanziellen Aktivitäten, wie den Umzug nach Belgien wegen einer Vermögenssteuer und die Finanzierung konservativer katholischer Initiativen. Stérins Freund Vincent Bolloré, ein weiterer einflussreicher Milliardär, kontrolliert zahlreiche Medien und unterstützt ebenfalls rechte Agenden. Politologe Jean-Yves Camus warnt vor dem zunehmenden Einfluss dieser Milliardäre und sieht Stérins Plan als "anmaßend". Trotz Kritik bleibt Stérin entschlossen, seine politischen Ziele zu verfolgen und die französische Gesellschaft nach rechts zu verschieben. (Annika Joeres, ZEIT)

Was mir an der Stelle immer wieder auffällt und in meinen Augen auch ein großer Unterschied zwischen der radikalen Rechten und radikalen Linken ist ist der Grad an Professionalisierung. Geld alleine ist ja kein ausschlaggebender Faktor; wenn die Kohle in weitgehend effektfreie Unternehmungen fließt, sorgt sie zwar für Sichtbarkeit, aber das war es dann auch schon. Gerade der Erfolg etwa der Rechtsradikalen bei der Übernahme der Republicans - als Tableau - beruht auf wenig sichtbarer oder glorreicher Hinterzimmerarbeit über Jahrzehnte. Die Heritage Foundation etwa arbeitete seit den 1980er Jahren daran, einen Kader linientreuer Kandidat*innen herauszuarbeiten und systematisch zu unterstützen, vom Studium bis hin zu den höchsten Ämtern. Es ist kein Selbstläufer, dass die GOP Listen von hunderten potenzieller radikaler Kandidat*innen hat, mit denen sie jederzeit juristische Ämter besetzen kann, während der Linken so etwas vollkommen fehlt. Das gilt für fast alle Institutionen. Welchen Einfluss auf Ernennungen hat etwa die "Free Palestine"-Crowd bei den Democrats? Dankenswerterweise sind die weitgehend zu blöd dazu.

3) Ich, für Deutschland kämpfen? Never!

Der Artikel kritisiert den zunehmenden Militarismus und den Ruf nach mehr staatlicher Kontrolle in Deutschland. Die Autorin verweist auf Bertolt Brechts "Mutter Courage", um den Zynismus der Kriegsgewinnler zu verdeutlichen. Die FDP verglich im Europawahlkampf ihre Spitzenkandidatin mit Mutter Courage, was schnell zurückgezogen wurde. Es wird auf aktuelle Entwicklungen hingewiesen, bei denen Politiker und Medien ein stärkeres nationales Bewusstsein und militärische Bereitschaft fordern. Verteidigungsminister und andere öffentliche Figuren unterstützen diese Rhetorik, während gleichzeitig soziale Pflichtdienste propagiert werden. Der Autor, Ole Nymoen, kritisiert insbesondere die Forderungen von Politikern wie Frank-Walter Steinmeier, die trotz ihrer Vergangenheit in der Agenda 2010 jetzt gesellschaftliche Solidarität beschwören. Er argumentiert, dass die wachsende Kluft zwischen Bürgern und Staat ignoriert wird und dass junge Menschen nicht bereit sind, für den Staat zu kämpfen. Nymoen sieht in der Verklärung der nationalen Einheit und der Sicherheit des Staates eine gefährliche Tendenz, die die Interessen der Herrschenden über die der Bürger stellt. Diese Kritik sei besonders relevant angesichts des Ukraine-Kriegs und der zunehmenden Rufe nach europäischer Souveränität. (Ole Nymoen, ZEIT)

Ich halte überhaupt nichts von diesem "Militarisierung"-Narrativ, das in linken Kreisen gerade so gepusht wird. Das zeigt wie so oft einen deutlichen Mangel an Kenntnissen der Geschichte einerseits und einem Blick auf andere Länder andererseits. Die Sichtbarkeit des Militärs im öffentlichen Raum ist in Deutschland immer noch gleich null, das Ansehen der Streitkräfte schlecht. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass eine moderate Steigerung hier irgendeine "Militarisierung" bedeuten würde, denn sonst wären die USA, Polen oder Frankreich ebenfalls "militarisiert", und diese Annahme ist völlig hanebüchen. Was Nyomens eigentlichen Artikel angeht, scheint dieser ebenfalls einen Kategorienfehler darzustellen. Er stammt gedanklich noch aus der Zeit, als man als Linker gegen die Auslandseinsätze in aller Herren Länder war; für das Szenario einer Landesverteidigung macht er kaum Sinn. Die Vorstellung, es sei nicht in meinem Interesse, nicht von Russland besetzt zu sein, ist völlig hanebüchen. Der Artikel ist leider stellvertretend für den allgemeinen Stand dieser Debatte, die nicht einmal grundlegende Bedingungen zur Kenntnis zu nehmen bereit ist. Kein Wunder wird sie so einseitig geführt.

4) Nazis rein! Islamisten raus!

Der Artikel befasst sich mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, Islamisten, die terroristische Anschläge billigen, auszuweisen. Bundesbürger ohne doppelte Staatsangehörigkeit können jedoch nicht abgeschoben werden, was eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung darstellt. Der Autor Stephan Anpalagan verweist auf Jan Fleischhauers provokative Kolumne "Nazis rein", die besagt, dass jeder Mensch Anspruch auf einen Platz in der Gesellschaft hat und dass eine Forderung wie "Nazis raus" ins Leere läuft, wenn nicht klar ist, wohin sie sollen. Anpalagan argumentiert, dass Rechtsextreme nicht nur durch strafrechtliche Verfolgung und den zivilgesellschaftlichen Antifaschismus bekämpft werden sollten, sondern auch durch Prävention, Aussteigerprogramme und Resozialisierung. Er kritisiert, dass die Diskussion über Islamisten und Clan-Kriminalität oft auf einfache Maßnahmen wie Ausbürgern und Abschieben reduziert wird, während tiefere gesellschaftliche Probleme ignoriert werden. Der Autor betont, dass Abschiebungen in Länder wie Syrien oder Afghanistan juristisch und ethisch problematisch sind. Er weist darauf hin, dass die Maßnahmen, die auf Islamisten abzielen, oft von einem Mangel an Vertrauen in die Sicherheitsbehörden und den Rechtsstaat zeugen. Anpalagan fordert, dass Islamisten ähnlich wie Nazis behandelt werden sollten, indem man Resozialisierung und Wiedereingliederung in die Gesellschaft anstrebt. (Stephan Anpalagan, Stern)

Anpalagan hat völlig Recht, wenn er den Doppelstandard bezüglich der Nazis anspricht: gegenüber denen hat die Bundesrepublik und das bürgerliche Spektrum immer reichlich viel Nachsicht und Geduld. Man könnte das Beispiel auch mit den Klimakleber*innen aufmachen, die wesentlich härter angegangen werden als die meisten Nazi-Schläger. Aber er übersieht in meinen Augen einen relevanten Punkt: die Nazis können wir nicht abschieben, weil sie deutsche Staatsbürger*innen sind; sie sind unser genuines Problem. Die Islamist*innen sind zwar nicht ausschließlich, aber zu guten Teilen eingewandert (wenngleich natürlich die Abschiebungs-Fanatiker*innen kein Rezept für deutsche Islamist*innen haben, wo spätestens Anpalagans Punkt der Integration wieder greifen muss). Deswegen ist eine Ungleichbehandlung beider Gruppen grundsätzlich vertretbar. Wo für mich der Geduldsfaden langsam reißt ist der Unrealismus dieser Debatte. Wir werden dieses Problem nicht abschieben können. Klar, macht das, wo es geht, aber wenn die letzten Jahre etwas hinreichend gezeigt haben sollten dann, dass es unmöglich ist, "kriminelle Ausländer" in signifikanter Zahl des Landes zu verweisen. KEIN Land schafft das, und wir werden das mit unserer Bürokratie und unserem Rechtsstaat (siehe Fundstück 1) erst Recht nicht. Es ist einfach blanke Fantasie. Will man das Problem des Islamismus tatsächlich angehen, wird man die Frage stellen müssen, die Anpalagan hier aufwirft: wie kriegen wir diese Leute wieder integriert? Was für Nazis gilt, gilt eben auch für anderes Gesindel dieser Art.

5) Ukraine-Krieg und NS-Nostalgie: Auftritte von Asow-Sturmbrigade in Hamburg und Berlin gecancelt

Die geplanten Auftritte der 3. Sturmbrigade des ukrainischen Asow-Regiments in mehreren europäischen Städten wurden kurzfristig abgesagt. Diese Veranstaltungen, die von antifaschistischen und antimilitaristischen Gruppen scharf kritisiert wurden, sollten Gelder für die Brigade sammeln und Freiwillige für den Krieg in der Ukraine rekrutieren. Die Asow-Brigade, die offen faschistische Symbolik verwendet und sich mit europäischen Neonazis vernetzt, hat ihre Wurzeln in der extremen Rechten und genießt dennoch in Teilen der Ukraine einen Heldenstatus. Trotz des bekannten rechtsextremen Hintergrunds der Brigade gab es kaum kritische Stimmen von ukrainischen Gruppen zu den geplanten Veranstaltungen. Die SPD und die Grünen, die sich sonst vehement gegen rechte Gefahren aussprechen, schwiegen zu den Auftritten der Brigade in Deutschland. Die Absagen der Veranstaltungen sind vor allem dem Protest von antifaschistischen Gruppen zu verdanken. Die Geschichte der deutsch-ukrainischen Kooperation, die bis in die NS-Zeit zurückreicht, ist wichtig, um die Aktivitäten des Asow-Regiments im heutigen Kontext zu verstehen. Es wäre angebracht, die Haltung der SPD und der Grünen zu den Auftritten der 3. Sturmbrigade zu hinterfragen und Strategien zu entwickeln, um zukünftige Versuche der Asow-Nationalisten, Anhänger unter ukrainischen Migranten in Deutschland zu werben, zu verhindern. (Peter Nowak, Telepolis)

Ich bringe diesen Artikel vor allem deswegen, weil er ein gutes Beispiel dafür ist, dass auch ein blindes Huhn manchmal ein Korn findet. Ich habe die Einseitigkeit der Debatte um die Ukraine und die Aufrüstung bereits in Fundstück 3 beklagt, aber das geht auch in die andere Richtung: so bekloppt der von Russland vorgebrachte und von links wie rechts begierig aufgegriffene Vorwurf einer "faschistischen" Ukraine ist, so wahr ist es, dass es rechtsradikale Verbände dort gibt, und die Asow-Brigade als solchen zu erkennen ist nun wahrlich nicht sonderlich schwer. Es gibt keinen Grund, das einfach zu ignorieren, nur weil man eine Runde "der Feind meines Feindes ist mein Freund" spielen will. Damit macht man sich in jedem Falle ohne Not propagandistisch angreifbar, und im schlimmsten Falle legt man der Ukraine ein faules Ei für später in den Korb. Uns mangelt es vor Ort wahrlich nicht an demokratischen Partnern, denen wir unter die Arme greifen können, das ist kein Fall wie im Kalten Krieg, wo es heißt "Kontras oder Sandinisten" oder ähnlicher Unfug.

Resterampe

a) Noch mehr Infos zu Spahns Maskendeals.

b) Stimme diesem Artikel voll zu, finde nur die Bezeichnung "postkoloniale Blase" unglücklich. Da wird ständig die wissenschaftliche Theorie reingemischt, und die gehört da nicht hin. Das ist dasselbe von Rechts was "Neoliberalismus" von Links war.

c) Warum ist Volker Wissing noch Minister? Dazu passend.

d) Billig, aber lustig.

e) Der Streit um die Neufauflage von Hillbilly Elegy ist mal wieder eine völlig bekloppte Cancel-Culture-Debatte ohne jede Substanz; dieser Kommentar sagt alles Notwendige.

f) Empirische Untersuchung zu Rechtsradikalen in Europas Regierungen.

g) Ich bin überhaupt kein Fan von dieser Idee, weil die Supermajorität einfach Quatsch ist.

h) Genau das zum Thema Corona habe ich bereits vor vier Jahren gesagt und fühle mich sehr bestätigt.

i) Völlig zutreffende Medienkritik.

j) Nicht alles, was dumm ist, ist auch eine Meinung.

k) Koreanische Erfahrungen mit Autobahnrückbau. Immer dasselbe. Aber die Empirie wird von der Autoblase einfach komplett ignoriert.

l) Super auffällig an dieser Twitter-Diskussion: beide Seiten sind immer voll überzeugt, moralisch viel besser als die anderen zu sein.

m) Man darf die ÖRR auch mal loben.

n) Thread zum Bürgergeld.

o) lol

p) Thread zur Wahl von der Leyens.

q) Aktuelle deutsche Zinskosten.

r) Gute Gedanken zur Führungskultur.

s) Und täglich grüßt die moral panic.

t) Die Grünen wie üblich staatstragend.

u) Do you remember the Iraq War?

v) Ich wusste das auch nicht.

w) Zur Schuldenbremse.

x) Man kann über Sunak sagen was man will, aber grace in defeat.

y) Cancel Culture, aber die echte.

z) "Demokratie" in Ruanda.


Fertiggestellt amv 29.07.2024

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