Es gibt Gedanken die einen ereilen, die nur dadurch nicht öffentlich werden, da sie nicht zu dem Passen, was man gerade schreibt. Das ist sehr traurig, denn sie sind oft von solch einer sprachlichen und inhaltlichen Wucht, dass ihr Nichterscheinen geradezu ein Skandal ist. Neulich hatte ich einen Gedanken, der so wunderbar war, dass er nicht in Vergessenheit geraten darf. Leider lag ich gerade in der Badewanne, als er mich ereilte und ich war gänzlich ohne Schreibutensilien. Aus nicht ganz unbegründeter Angst, ich könnte ihn unwiederbringlich vergessen, schrieb ich ihn, aus purer Not, mit meinem Duschgel auf den Wannenrand. In dieser extremen Ausnahmesituation muss man sich eben zu helfen wissen. Doch dann, eine unbedachte Bewegung meinerseits und eine Welle traf auf die einmaligen Worte und sie wurden zu Schaum. Fassungslos saß ich noch eine ganze Stunde in der Wanne und starrte auf die Schaumbläschen, die sanft in die Wanne zurückglitten, wo sie sich mit dem bereits vorhandenen Wannenschaum verbanden.
Meine Wut darüber brachte mich in eine Situation, die man als kopflos bezeichnen konnte. In einem völlig begründeten Wutanfall, riss ich, blind vor Hass auf alle Schaumbläschen dieser Welt, den Stöpsel der Badewanne heraus und unter tiefem Seufzen wurde das gesamte Wasser von einem unsichtbaren Sog hinfort gesogen. Triefend nass und depressiv verließ ich meine Wanne, die zu meinem persönlichen Waterloo wurde und legte mich in mein Bett. Es war neun Uhr morgens und für mich war der Tag gelaufen.
So lange hatte ich auf einen klugen Gedanken gewartet und nur wegen meiner unzureichenden Vorbereitung, auf ein entspannendes Wannenbad, stand meine ganze Karriere, als ein weltweit gefeierter Philosoph, auf dem Spiel. Ich schwor mir, diese Wanne nie wieder zu betreten!
Wer einem aufstrebenden und vielseitigen Dichter und Geistesmenschen die Gefolgschaft so eklatant verweigert, der verdient Missachtung und Ächtung. Nach dieser weisen Entscheidung stand ich vom Bett auf, ging zum Bad und schloss es ab.
Den Schlüssel versteckte ich in den Untiefen einer prallgefüllten Zuckerdose. Dort war er sicher wie in Abrahams Schoß, wie der Volksmund bereits so klar formulierte. Als bekennender und praktizierender Diabetiker, ist mir der Besuch der Zuckerdose ärztlich untersagt. Nur so und nicht anders konnte ich mich vor mir selbst schützen.
Nach drei Tagen bereute ich bereits meinen Entschluss. Beziehungsweise meine Umwelt beschwerte sich über den Geruchspegel, den ich verströmte. Aber ich war noch nie jemand, der sein Mäntelchen in den Wind hängt und ließ die Kritik an mir abperlen. Wenn ich einmal eine Entscheidung getroffen habe, dann kann mich nichts mehr davon abbringen. Der Einzige, der mir nach einer Woche noch geblieben war, war mein bester Freund. Zwar meldete er sich nur noch telefonisch bei mir, stand aber sonst vollumfänglich zu meiner Entscheidung. Er ging sogar noch weiter. Seine Entscheidung, mich nicht mehr persönlich aufzusuchen, teilte er mich postalisch mit.
Es war ein Brief voller Wärme und Liebe, Verständnis und Zuversicht. Rührende, wohl gewählte Worte, die mir ermöglichten, Gesichtswahrend meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Die letzten Zeilen konnte ich kaum noch entziffern, so sehr berührte mich seine Botschaft.
Auch wenn ich ihn nie wieder persönlich getroffen habe, so werde ich ihn stets in meinem Herzen tragen. Noch heute, fünf Jahre nach dieser denkwürdigen Entscheidung, lese ich immer wieder seinen Brief, der mittlerweile leicht vergilbt, zerknittert und an den Seiten eingerissen ist. Nur wenige Worte sind noch lesbar, doch hat sich längst der Inhalt in mein Bewusstsein hineingebrannt. Ich kann ihn auswendig aufsagen, aber es ist einfach bedeutungsvoller, wenn ich ihn leibhaftig in Händen halte und so tue, als ob ich ihn zum ersten Mal lese.
Er gibt mir die nötige Kraft, die ich brauche, um mein Leben so zu leben, wie ich es eben lebe. Es ist ein einsames Leben, voller Entbehrungen. Abgeschottet von der Welt dort draußen, in voller Konzentration auf das, wofür ich auserkoren bin.
Den Menschen meine Gedanken, und Weisheiten mitzugeben, damit sie ein Leben führen können, was mir nicht vergönnt ist. Dichter und Denker leben nun einmal in Einsamkeit, Armut und selbstgewählter Isolation.
Lebenslang in der Denkerpose gefangen!
Wohl wissend, der verdiente Ruhm wird erst Jahre nach dem körperlichen Verglühen meiner äußeren Hülle, seinen Höhepunkt erleben. Dafür lebe und sterbe ich! Das ist die schwere Bürde eines Genies, dessen Werk die Jahrhunderte überdauern wird. Zwar bin ich davon fest überzeugt, doch wird erst mein Tod mir endgültige Gewissheit geben. Schon heute freue ich mich auf den Tag, wo ich es allen Skeptikern zeigen werde. Das Gesamtwerk all meiner, noch nie zuvor da gewesenen Gedanken, wird die Zeiten überdauern und in die Analen, als geflügelte Worte, eingehen.
Übersetzt in alle Sprachen dieser Welt!
Selbst sogar als Rauchzeichen, Höhlenmalerei und in Klingonisch, falls eine außerirdische Menschheit einmal die Erde übernehmen wird, wovon stark auszugehen ist, weil sonst die Weltbevölkerung sie zerstört, womit sie ja bereits auf dem besten Wege ist.
Dann wird eine neue Spezies den Planeten bevölkern, die sich vielleicht nicht ganz so dumm anstellen wird wie wir.
Zuvor jedoch werde ich noch eine Pantomime entwickeln, für all die Nichtleser, die lieber Gucken.
Niemand soll von meinem Werk ausgeschlossen werden, denn gerade in Zeiten von besitzergreifenden Invasoren, ist geistige Erbauung, zur Unterhaltung der Unterdrückten, unerlässlich.
Was nun den Urgedanken, der mich dereinst in der Wanne ereilte, angeht, befürchte ich, er ist für alle Zeiten verloren. Trotz mehrwöchigen intensiven Nachdenkens, Rückbesinnung und Rekapitulation des Gewesenen, kam er mir nicht mehr in den Sinn. Und nun bleibt mir nur der Trost, in wenigstens einmal gedacht zu haben. Nun bereite ich mich akribisch, mit Intervallfasten und Exerzitien in einem Nonnenkloster, darauf vor, bereitwillig einen neuen Gedanken zu empfangen. Und den eklatanten Fehler, keine Schreibutensilien zur Hand zu haben, den werde ich kein zweites Mal begehen. Wie einen glänzenden Verdienstorden, der mir der Bundespräsident verleiht, trage ich nun stets einen Notizblock und einen wasserdichten Kugelschreiber um den Hals. Wenn die Eingebung über mich kommt, werde ich bestens ausgerüstet sein und ihn für alle Zeiten festhalten. Damit spätere Generationen noch davon zehren können.
Nun sitze ich da und warte ....!
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