Wolfgang Glass ist promovierter Politologe und hauptamtlich Sanitäter in Wien
Das neue Jahr kommt mit riesen Schritten auf uns zu und die Einhausung der Zeit mit ihren Ritualen, Traditionen und Fixpunkten verlangt es von uns im Dezember Rückschau zu halten. Doch woher wissen wir, was wir wollen?
Die Werbung, also die Bedürfnisindustrie, lebt davon, dass wir uns schlechter vorkommen, womöglich schon frustriert sind und deshalb irgendetwas konsumieren müssen, damit es uns besser gehen kann, somit gefangen in der hedonistischen Tretmühle sein sollen. Im Industriekapitalismus wurde noch angeboten was gebraucht wurde. Im folgenden Kulturkapitalismus wird angeboten was man scheinbar haben will. Das ist ansich nichts schlechtes. Seien wir froh, dass es uns ansich gut geht (durch Wachstum - andere Konzepte taugten bis dato noch nicht, bei gleichbleibendem Komfort). Das Problem in der heutigen Zeit ist aber die Intensität. Werbung ist überall. Auch Individuen werben permanent für sich selbst, durch "gescheite" Reden oder online. Werbung ist heute die größte Kampagne, um Menschen unzufrieden zu machen. Man entkommt ihr nicht mehr. Drum muss man sich Strategien überlegen, wie man damit am Besten umgeht.
Durch die permanente Werbung steigen auch die ständigen Vergleiche.
Jeder möchte glücklich sein, zumindest für den Nachbarn. Aber die Glücksmomente im Leben sind so selten, dass “glücklich sein” ein unnötiges, ja dummes Ziel ist weil man es nicht ständig erreichen kann. Glücklich sein zu wollen ist der sicherste Weg ins Unglück. Viel eher sollte man Zufriedenheit anstreben, damit man mit Brüchen, die einem im Leben passieren, für sich gesehen gut umgehen kann. Damit meine ich nicht, dass man sich nicht auch verbessern kann und soll. Aber eben nicht auf allen Ebenen, wie uns oftmals suggeriert wird. Jeder kennt die “gutgemeinten” Ratschläge: “Mach etwas aus deinem Leben”, “Mach das Beste aus deinen Talenten und zwar auf allen Ebenen”. Man kann sich ab und zu verbessern und genauso oft bleibt man so wie man ist, mitsamt seinen Ticks und Neurosen. Die Selbstoptimierung von mittlerweile fast allen Lebensbereichen führt zwangsläufig zu Frustration. Laune macht das ständige Verbessern sicher nicht. Ansprüche an sich neu zu definieren sind wichtig. Sie müssen aber auch für einen selbst Sinn ergeben. Wenn man nur mehr gestresst jedem Foto hinterherläuft und auch ständig “haben will” was der andere hat, ohne die Sinnhaftigkeit für sich selbst zu hinterfragen, dann wird man wohl oder übel frustriert sein. Die Akzeptanz von unglücklichen Tagen und dann wieder glücklichen und solchen die weder noch sind machen das Leben erträglich. Ständige Hochgefühle und Überreiztheit hält niemand ernsthaft lange aus. Abgesehen davon, dass die Werbung ohnehin am realen Leben vorbei geht. Nicht nur Ferien sind meistens Verzweiflung am Alltag, die als Belohnung werbetechnisch gut verpackt sind. Es sind auch die vermeintlich tollen Produkte, die uns nur deshalb schmackhaft sind, weil im eigenen Leben oftmals eher etwas fehlt - die Gelassenheit und die Akzeptanz für alle Hochs und Tiefs im Leben. Sollte man aber seine eigenen Ticks und Neurosen ständig bekämpfen wollen, dann geht man der Werbeindustrie mit Sicherheit auf den Leim. Man kann sich Ziele regelmäßig setzen, aber wenn man sie mal nicht erreicht, dann ist das auch kein Problem. Man hat sich schließlich noch selbst und das ist auch gut genug. Wenn sie also ab und zu am Leben verzweifeln macht das nichts. Es wird wieder aufwärts gehen, wenn sie an sich selbst glauben und weniger an das, was die anderen machen. Schliesslich verharren wir alle zuvorderst am Bewusstseinswandel, der nicht zwangsläufig auch zu einem Verhaltenswandel führen muss. So ist das nunmal. Und es gibt eben nicht immer für alles eine Lösung, ebenso wie auch nicht immer alles, das nicht passt, passend gemacht werden muss! Ich bin sogar manchmal froh, wenn ich den Tag - der zwar immer gleich lang aber eben unterschiedlich breit ist - überstehe, da dies ab und zu schon kompliziert genug ist. Ob die Alternative zum Leben besser oder schlechter ist, wissen wir nicht, drum machen wir das Beste mal hier auf Erden. Denn die Zeit hier hat definitiv ein Ende, also auch eine Qualität. Sie zu nützen liegt an uns und nicht an anderen. In der Opferrolle kam man noch nie weit.
Mag. Dr. Wolfgang Glass, Wien.
