Derzeit wird viel ausgesprochen Dummes geschrieben über Impfnebenwirkungen, nicht zuletzt auf Twitter. Dort fand ich neulich folgenden Kommentar eines ärztlichen Kollegen:

Ich bin jetzt 25 Jahre Arzt. Eine solche Menge an Impfnebenwirkungen habe ich noch nie erlebt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es anderen Kolleginnen und Kollegen anders geht.

Derartiges gibt einem natürlich zu denken. Also denken wir mal ein wenig über diese zwei Sätze nach. Insbesondere möchte ich folgende Fragen stellen und kurz beantworten:

  1. Wie zuverlässig ist der Eindruck dieses Arztes?
  2. Was besagt die verlässliche Evidenz?
  3. Ist es denkbar, dass sich dieser Arzt täuscht?
  4. Welche Ursachen mag sein Irrtum haben?
  5. Wer ist der Autor?
  6. Warum ist der Tweet bedenklich?

Wie zuverlässig ist der Eindruck dieses Arztes?

Ganze 25 Jahre Berufserfahrung! Es handelt sich also um einen durchaus erfahrenen Kollegen. Seine Aussage über die derzeitig ungewöhnlich große Menge an Impfnebenwirkungen sollte also richtig sein. Dennoch sollte man vielleicht bedenken, dass sich die Inzidenz von Nebenwirkungen nicht mit ‚Daumen mal Pi' feststellen lässt, sondern exakt quantifiziert werden muss. Außerdem fehlen natürlich Angaben zur Schwere und Dauer der Symptome. Handelt es sich beispielsweise nur um leichte Schmerzen an der Injektionsstelle oder um eine Venen Thrombose? Sind die Beschwerden nur vorübergehend, lange anhaltend, oder gar permanent? Generell muss man sagen, dass hier die Erfahrung eines Arztes zwar nicht völlig unbedeutend ist, jedoch keine Evidenz darstellt. Oscar Wilde hat einmal gesagt: „experience is the name we give our mistakes."

Was besagt die verlässliche Evidenz?

Selbst wenn der Kollege 100 Jahre Berufserfahrung hätte und die Nebenwirkungen akkurat charakterisieren könnte, wäre seine Erfahrung belanglos im Vergleich zu den harten Daten, die uns hierzu zur Verfügung stehen. Weltweit wurden inzwischen fast 2 Milliarden Impfungen durchgeführt, und wir sind daher in der glücklichen Lage, auf verlässliche Statistiken zurückgreifen zu können. Und diese Daten belegen, dass Nebenwirkungen wie Schmerzen an der Einstichstelle, Abgeschlagenheit und Kopfschmerzen sehr häufig sind, während ernste Probleme sehr selten auftreten.[1] Eine aktuelle Zusammenfassung kommt zu folgender Schlussfolgerung (meine Übersetzung)[2]:

Die aktuellen Daten legen nahe, dass die derzeit zugelassenen mRNA-basierten COVID-19-Impfstoffe für die große Mehrheit der Bevölkerung sicher und wirksam sind. Darüber hinaus ist eine breite Akzeptanz des Impfstoffs entscheidend für das Erreichen einer Herdenimmunität; ein entscheidender Faktor zur Verringerung zukünftiger COVID-19-Infektionswellen. Um eine ausreichende COVID-19-Impfung in der Bevölkerung zu gewährleisten, muss der zunehmenden Impfzurückhaltung in der Pandemie-gefährdeten Bevölkerung entgegengewirkt werden. Evidenzbasierte Ansätze auf Bundes-, Landes-, Stadt- und Organisationsebene sind notwendig, um die Impfbemühungen zu verbessern und die Zögerlichkeit zu verringern. Die Aufklärung der Öffentlichkeit über die Sicherheit der aktuellen und zukünftigen Impfstoffe ist von entscheidender Bedeutung für die öffentliche Gesundheit und die laufenden und zukünftigen breit angelegten Impfinitiativen.

Ist es denkbar, dass sich dieser Arzt täuscht?

Bei der Beantwortung dieser Frage stimme ich Oscar Wilde zu. Die Evidenz widerspricht sehr deutlich dem Eindruck des Arztes. Der Kollege scheint sich also zu täuschen -- zumindest was die Inzidenz von Nebenwirkungen angeht, die nicht völlig normal und somit zu erwarten sind. Auch wenn es tatsächlich ‚anderen Kolleginnen und Kollegen nicht anders geht', so würde uns selbst solch eine kumulative Erfahrung in die Irre führen. Die Mehrzahl von ,Anekdote' heißt bekanntlich ‚Anekdoten' und nicht ,Evidenz'.

Welche Ursachen mag sein Irrtum haben?

Ich frage mich, ob der Kollege vielleicht folgenden Umstand nicht sah oder sehen wollte: Es ist unausweichlich, dass ein Arzt zu einer Zeit, in der bald 50% aller Deutschen geimpft wurden, auch jede Menge Patienten sieht, die über Nebenwirkungen klagen. Dergleichen hat er in seiner 25-jährigen Laufbahn noch nie gesehen! Na klar, das liegt daran, dass wir in den letzten 25 Jahren nicht von einer Pandemie heimgesucht wurden. Der Kollege wird aus einem ähnlichen Grund im Hochsommer deutlich weniger Frostbeulen zu behandeln haben, als in einem strengen Winter. Das einzig Verwunderliche wäre, während der größten Impfkampagne aller Zeiten nicht mehr Patienten zu sehen, die über Impfnebenwirkungen berichten.

Wer ist der Autor?

An diesem Punkt müssen wir uns fragen, wer ist eigentlich der Autor des o.g. Tweets? Vielleicht gibt die Antwort auf diese Frage Aufschlüsse auf seine Motivation, einen solchen Unsinn zu verbreiten? Dr. Thomas Quak (nein, ich habe den Namen nicht erfunden [Quack bedeutet Scharlatan auf Englisch!]) ist niedergelassener Homöopath in Fürstenfeldbruck. Wie viele Homöopathen hat dieser Quak ein wohl etwas gestörtes Verhältnis zum Impfen. In seinem Fall geht das soweit, dass er auf seiner Internet Seite mehrere impfkritsche Machwerke empfiehlt und sogar ‚kritische Impfberatung' als spezielle Praxisleistung anbietet.[3]

Jetzt können wir den Quak Tweet sofort viel besser einordnen. Dr. Quak ist Impfgegner oder Kritiker und will die Öffentlichkeit warnen: Leute, lasst euch um Himmels Willen nicht impfen; Nebenwirkungen sind häufiger denn je!!! Deshalb verschweigt er auch, dass es sich um ganz normale, kurzzeitige Impfreaktionen handelt, die letztlich ohne Bedeutung sind.

Warum ist der Tweet bedenklich?

Sie meinen vielleicht, dass der Quak mit seinem Quack-Tweet ohne jede Bedeutung sind? Was richtet schon ein einziger Tweet aus, und wer schert sich um einen Homöopathen aus Fürstenfeldbruck? So gut wie nichts und niemand! Die Bedeutung liegt jedoch nicht darin, dass hier ein einzelner Homöopath die Bevölkerung verunsichert; sie besteht darin, dass dergleichen zur Zeit jeden Tag tausendfach passiert.

In ihrer Borniertheit wollen Impfgegner aller Schattierungen uns glauben machen, dass sie um unser Wohl besorgt sind, weil sie mehr wissen als wir und all die Experten (die natürlich von der Pharmaindustrie gekauft sind). Wenn man aber nur ein wenig an ihrer fadenscheinigen Oberflächlichkeit kratzt, so stellt sich heraus, dass genau das Gegenteil zutrifft. Sie sind schlecht informiert und nur daran interessiert, ihre hirnrissige, menschenverachtende Ideologie zu verbreiten.

Und wieso tun Homöopathen so etwas? Da gibt es sicher mehrere Gründe. Obschon Hahnemann selbst von dem Erfolg des Impfens, das zu seiner Zeit erfunden und als Durchbruch gefeiert wurde, beeindruckt war, haben sich seine Nachfolger alsbald mehrheitlich auf die Seite der Impfkritiker geschlagen. Viele tun das, indem sie (wie unser Quak) vor Nebenwirkungen warnen und meinen, dass sie so ihre Patienten schützen. Dabei werden jedoch zwei ganz wichtige Punkte vergessen:

  1. Selbst wenn die Gefahren des Impfens um vieles größer wären, als sie es tatsächlich sind (niemand behauptet, dass sie völlig gefahrlos seien), so würde der Nutzen den potenziellen Schaden dennoch bei weitem wett machen.
  2. Falls es den Quaks (und allen Quacks) dieser Welt gelänge, einen stattlichen Prozentsatz der Bevölkerung vom Impfen abzubringen und so vor den ‚ach so gefährlichen Nebenwirkungen' zu bewahren, so würden sie trotzdem der Volksgesundheit einen echten Bärendienst erweisen. In Bezug auf COVID-19 würde das nämlich bedeuten, dass uns die Pandemie auch längerfristig erhalten bleibt und noch viele Menschenleben kostet.

Was immer die Beweggründe der homöopathischen Anti-Impfbrigade auch sein mögen, sicher ist dass ihre Einstellung eine Gefährdung unserer Gesundheit darstellt. Das hat mich wiederholt dazu bewegt, festzustellen:

Die homöopathischen Globuli sind vielleicht ungefährlich, die Homöopathen sind es aber leider nicht!


  1. COVID-19 vaccine availability: what are the side effects? | British Journal of General Practice (bjgp.org) ↩︎

  2. Review the safety of Covid-19 mRNA vaccines: a review - PubMed (nih.gov) ↩︎

  3. Impfen Informationen (doktor-quak.de) ↩︎

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