Das neue Jahr ist erst ein paar Tage alt, der Zeitpunkt an welchem ich mir traditionell ein paar Gedanken über die diesjährige Jahreslosung mache. Die Jahreslosung 2023 steht in Genesis 16, 13 und lautet: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“

Auf den ersten Blick mag dies eine einfache, fast unspektakuläre Losung sein. Und doch ist es ein Wort, welches uns für das neue Jahr Kraft und Zuversicht schenken mag. Ich möchte mich bei meinen Gedanken von der ursprünglichen Geschichte von Abram, seiner Frau Sarai und seiner Magd Hagar lösen. Nur so viel: Beide, Abram und Sarai, waren zutiefst verzweifelt. Sie fühlten sich im Stich gelassen – auch von Gott.

Das finden wir auch in unserer heutigen Zeit. Wie viele Menschen fühlen sich allein, im Stich ge­lassen und (unerhörterweise) unerhört. Ganz gleich, ob von „der Politik“, ihrer Kirche, ihrem Arbeit­ge­ber, der Gesellschaft insgesamt – oder auch von Gott. Gerade in einer Zeit, in welcher die Krise eher zur Regel denn zur Ausnahme geworden scheint, sind diese Gedanken ungleich prä­sen­ter. Erst Corona, nun die Energiekrise, die steigende Inflation. Viele fragen sich, wie sie über die Runden kommen sollen. Ob ihr Arbeitsplatz noch sicher ist. Wie sich die militärische Lage in der Ukraine ent­wi­ckeln wird. Mit welchen Folgen oder neuen Herausforderungen wir noch zu tun haben werden.

Das alles kann auf das Gemüt schlagen – selbst wenn man unter normalen Umständen eine eher robuste Natur ist. Und auch ohne diese „großen“ Krisen sind viele Menschen in ihrem Alltag mit Sorgen und Schicksalsschlägen konfrontiert. Mit schwerer Erkrankung, mit Pfle­ge­be­dürftigkeit, mit tragischen Unfällen, dem schmerzlichen Verlust von Angehörigen, mit Streit, Scheidung oder Trennung. Und auch dann fühlen sich viele allein (gelassen). Bei man­chen entsteht das Gefühl des Ausgeschlossenseins. Andere leiden an Depressionen oder Suchterkrankungen. Wieder andere ra­di­kalisieren sich und tragen ihren Frust und ihre Ver­bit­terung aggressiv nach außen. Viele – vermutlich die meisten – leiden und dulden stumm vor sich hin.

In diesen Situationen tut es gut, wenn man weiß, dass jemand da ist, der einen beachtet. Und hier greift die aktuelle Jahreslosung: Du bist ein Gott, der mich sieht.

Bei allem Elend, bei aller Unsicherheit, bei allen Sorgen, ist da jemand, der auf uns schaut. Der uns sieht, der uns wahrnimmt, auf uns Acht gibt. Auch wenn das die vorhandenen Probleme und Ängste nicht lösen kann, so kann es doch Halt geben und neuen Mut schaffen. Und selbst wenn man daraus keine Kraft zu schöpfen vermag, oder schlicht nicht daran glaubt, kann man doch einen Appell daraus ableiten: Wenn wir gerade in diesen schwierigen Zeiten mehr auf­ein­ander schauen, können wir anderen Menschen helfen, ihren Alltag besser zu bewältigen.

In Hebräer 10, 24, meinem Trauspruch, ist dieser Appell sehr schön ausformuliert: „Und lasst uns aufein­an­der achthaben und einander anspornen zur Liebe und zu guten Werken.“ Auch das ist eine sehr schöne Form des Sehens und des Achtgebens. In der Ehe, wie auch im All­tag.


So wünsche ich uns allen für dieses neue Jahr viele Momente, in denen wir auf andere Acht geben (können) und wiederum selbst gesehen werden. Ich wünsche uns als Gesellschaft den Zusammenhalt, den wir an­ge­sichts der herrschenden Herausforderungen benötigen, um auch diese Krisen zu meistern.

In diesem Sinne wünsche ich ein frohes, glückliches und vor allem auch gesundes neues Jahr und alles Gute für 2023!

(Motiv: Verlag am Birnbach – Motiv von Stefanie Bahlinger, Mössingen)

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