Das Lastenausgleichsgesetz ist eine interessante Entwicklung als Folge der Pandemie. Wie in Teil 1 beschrieben, vermengten sich etliche Verschwörungstheorien.

Es ist nicht mehr nachvollziehbar, wer genau das Lastenausgleichsgesetz ins Spiel brachte – vermutlich geht es auf QAnon zurück. Tatsächlich hat die Pandemie weltweit zu wirtschaftlichen Schäden geführt. Es ist weiterhin richtig, dass sämtliche Staaten überlegen (müssen), wie finanzielle Abhilfe geschaffen werden kann. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages schrieb hierzu einen Text zur „Verfassungsmäßigkeit einer Vermögensabgabe zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie“.
Darin wird das Lastenausgleichsgesetz tatsächlich als Vorbild erwähnt, um die wirtschaftlichen Schäden durch die Corona-Pandemie abzufangen.

So heißt es beispielsweise in Kapitel 3.1:

Die Vermögensabgabe muss laut Verfassung eine einmalige Abgabe bleiben. Allerdings ist es zulässig, diese einmalige Abgabe über mehrere Jahre zu verteilen, wie es etwa bei den Lastenausgleichsabgaben im Rahmen des Lastenausgleichsgesetzes (LAG) von 1952 praktiziert wurde.

Die Formel auf Telegram ist einfach: Pandemieschäden = Impfschäden = teuer = “Wir werden enteignet“ = „unsere Häuser werden uns weggenommen“.

Da in sämtlichen Verschwörungstheorien der Staat als Feind betrachtet wird und bestenfalls die Abgeordneten Marionetten der Eliten sind, besteht aus Sicht der Verschwörungstheoretiker eine akute Gefahr, dass die mühsam abbezahlten Eigenheime „weggenommen“ werden.

In einem Sprachchat (den ich schon in Teil 2.1 erwähnt habe) wurde ernsthaft überlegt, eine Art Treuhand im Ausland zu gründen, der die Häuser überschrieben werden, um sie dem Zugriff des Staates zu entziehen (in die engere Wahl kamen sogenannte Bananenrepubliken – wer die Häuser dann wirklich besitzt und was der Eigentümer aus der Sicherheit der Bananenrepubliken dann damit macht, darf sich jeder selber fragen)
In anderen Telegram-Gruppen gab es Überlegungen, ob es strafbar sei, den eigenen Besitz anzuzünden (Wenn man bei dieser Gelegenheit die Versicherung in Anspruch nimmt, ist es Versicherungsbetrug und damit strafbar).

Abbildung 8: Häuserabriss wegen des Lastenausgleichsgesetzes

Dies ist ein geniales Konzept: Aus Angst vor staatlicher Enteignung enteignet man sich selber. Und psychologisch durchaus interessant…

Bemerkenswert ist auch der Gedanke, das Haus in „gehorsame“ Hände zu übergeben (vgl. den exemplarischen letzten Screenshot in Abb. 8).

Auf Telegram wird regelmäßig unterschlagen, dass dieser Ausgleich der Pandemieschäden ja alle treffen würde – also auch die „gehorsamen Hände“ - sprich: (Mindestens) die geimpften Hausbesitzer. Wahrscheinlicher ist jedoch eine Art „Solidaritätszuschlag“ – auch dieser Vorschlag wird in dem Text des wissenschaftlichen Dienstes gemacht: Dieser ist nämlich eher eine Art „Rechtsgutachten“ oder Einschätzung der Rechtslage, welche Möglichkeiten es gibt, um die Pandemieschäden finanziell abzufangen. Dazu sollte man den Text aber eben ganz lesen und nicht nur den Absatz mit dem Lastenausgleich. Und dies ist etwas, was Telegram-Jünger permanent überfordert.

Wieder andere gehen etwas intelligenter vor, und verkaufen ihr Haus, um auszuwandern. Ob dies hilft? Auch in anderen Ländern gibt es wirtschaftliche Schäden durch die Pandemie und auch diese Länder werden Maßnahmen ergreifen müssen. Ob es sinnvoll ist, in ein Land zu ziehen, dessen Sprache man nicht beherrscht? Hinzu kommen ja die „global agierenden Eliten“ – wieso sollten diese ausgerechnet das Zielland „verschonen“ (wenn man kurz annimmt, die Verschwörungsmysthiker haben recht)?  Wie diese Auswanderer Gesetzesänderungen ohne Sprachkenntnisse verstehen wollen, wird ignoriert. Es dürfte auch weitgehendst egal sein: Die meisten Telegram-User sind ja schon mit deutschen Texten hoffnungslos überfordert...

Tatsache ist allenfalls, dass es in nicht allzu ferner Zukunft irgendeine Maßnahme geben wird, mit denen die Pandemieschäden finanziell aufgefangen werden. Dazu muss man jedoch kein Hellseher sein - wurde es doch schon oft in den sogenannten „Mainstream-Medien“ diskutiert.
Diese lesen die Telegram-User aber nicht (mehr), da man dort nur „belogen“ wird. Zum anderen ist es nicht das erste Mal, das nach oder während wirtschaftlich schwierige Zeiten der Bürger zur Kasse gebeten wird: Als Beispiel sei nur die Wiedervereinigung erwähnt mit dem Solidaritätszuschlag. Ob dies nun gefällt oder nicht, sei dahingestellt. Es ist jedenfalls nicht neu und mit Sicherheit keine Verschwörung der Eliten, die uns enteignen wollen!

Allerdings wird spätestens jetzt jeder Verschwörungstheoretiker behaupten, dass dies ein „Beweis“ dafür sei, dass es sich hierbei um einen „lange vorbereiteten Plan“ wahlweise der Freimaurer/ Illuminaten/ Juden/ Reptiloiden/ Bill Gates/ Klaus Schwab/ WEF handle. Ereignisse wie die Wiedervereinigung seien ein „lokaler Testlauf“, um zu testen, wie weit man gehen könne, ohne dass es zu Aufständen des Volkes komme. Wer das nicht erkenne, sei eben noch nicht aufgewacht.
Und damit dürfte sich die Diskussion auch wieder im Kreis drehen bzw. sinnlos sein.

Übrigens ist es in diesem Zusammenhang ein interessanter und unterhaltsamer Spaß, auf Telegram Primärquellen einzufordern – mein erster Versuch war auf Telegram eben das Lastenausgleichsgesetz. Dies funktioniert in jeder Gruppe und jeder Verschwörungserzählung (z.B. Bevölkerungsreduktion). Die Antworten auf diese Frage wären lustig, wenn es nicht so traurig wäre:
Meist sind es dubiose Telegram-Kanäle, die zu QAnon gehören.
Gerne gelten als Primärquelle aber auch User, die eine Videobearbeitungssoftware haben (immerhin kann man oft ableiten, aus welcher Primärquelle dieses zusammengeschnittene Video stand und wenn man das gefunden hat, stellt man anfangs überrascht, als erfahrener Telegram-User nur noch müde lächelnd fest, dass dies so nie gesagt wurde.)
Aber auch die Georgia-Guidestones gelten durchaus als Primärquelle. Oder Kornkreise, anhand derer uns Aliens geheime Botschaften senden.


Abstrus? Ja, dann bist Du, lieber Leser, eben noch nicht aufgewacht!

(Am 01-Jan-2022 meldete ich mich auf Telegram an. Ich wusste nicht, was mich erwartet - aber ich ahnte, dass es schlimm wird. Was ich nicht ahnte, war meine zeitweise richtig schlechte Laune und ich ahnte auch nicht, dass ich zutiefst misanthrope Tendenzen entwickeln werde. Und irgendwie musste ich den ganzen Mist auch verarbeiten. Daraus entstand ein längeres Word-Dokument, welches ich nun in mehreren Teilen hier veröffentliche. Dieses #TelegramExperiment wurde zu einer abartigen Reise zu den Abgründen der menschlichen Gesellschaft.)

Teil 1: Die Neun Schleier

Teil 2.1: Das Spiel mit der Angst - Staat und Behörden