Interviewer der TUM (Technische Uni München):
Könnten Sie mir etwas über Ihre Rolle und Ihre Position sagen, vielleicht auch ganz kurz über den Weg, den sie genommen haben, um dahin zu kommen?
Bertelsen:
Ja, ich bin niedergelassener Zahnarzt in Bremen und habe nach Ausbildung an der Uni Aachen in der Kieferchirurgie in Aachen gearbeitet. Und habe danach eine Stelle angenommen in einer sogenannten ganzheitlichen Zahnarztpraxis. Ich bin da wirklich schockiert gewesen, was mir da an Therapien und an Diagnosen und an Dingen begegnet ist, die ich weder von der Uni noch von der von der Klinik noch in irgendeinem Lehrbuch jemals gelesen hatte. Und ich habe dabei auch mitgekriegt, dass diese alternative Schiene dazu dient, Leuten, die schwer krank sind - Tumorpatienten war die Hauptklientel - denen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Man hat sich dann hinterher noch darüber lustig gemacht und einen Satz werde ich auch nie vergessen: „Die Krebspatienten glauben auch jeden Mist“. Und da habe ich Sachen miterlebt, die würden ein Buch füllen. Das Schlimmste, was ich da miterleben musste, war, als einer vierzigjährigen, alleinerziehenden Mutter von 2 Kindern Frischzellen injiziert worden sind. Sie litt an einem Asthma, und hat eben auf Homöopathie nicht mehr reagiert und dann hat man, hat der Praxisinhaber ihr Frischzellen injiziert und die ist dann im Zahnarztstuhl verstorben. Da war ich vollkommen geplättet von den Erlebnissen und habe dann versucht, das publik zu machen, aber das war immer so eine Mischung aus „Ach, erzähl doch nichts.“ und „Kann doch nicht sein.“ und „Das kann doch nicht angehen, dass es so etwas gibt.“ und so weiter. Es hatte immer so den Anschein, als ob ich da in irgendwas hinein geraten wäre, was eigentlich gar nicht Usus ist. Bis ich dann auf Prof. Edzard Ernst stieß, der auch mit mir Kontakt aufgenommen hatte und ich habe dann eben bei ihm auch was publiziert und hab dann gemerkt, aufgrund der Resonanz, das ist gar nicht nur ein singuläres Ereignis, sondern das hat System, dieser Wahnsinn. Und seitdem kämpfe ich, seit vielen Jahren, ich bin engagiert im Münsteraner Kreis mit Professor Schöne-Seifert, sie hatte sich da sehr gut positioniert und hat auch klipp und klar ihre Stellung bezogen. Grundsätzlich muss man sagen, es ist ein Trauerspiel, dass in Deutschland eine sprechende Medizin, das ist eigentlich so mein Hauptaspekt, das habe ich im Münsteraner Kreis auch immer wieder betont, dass sprechende Medizin nicht honoriert wird, also bei den Niedergelassenen. Dass man da natürlich irgendwelche invasiven Behandlungen macht, damit Geld reinkommt, und es kommt ja auch viel Geld rein, die Niedergelassenen haben alle ihre sechsstelligen Nettoeinkünfte, aber da wird halt wenn gesprochen wird eben gerne… [Beispiel:] Man macht eine Praxis auf und hat dann einen starken Zulauf, hat 100 Patienten am Tag, wenn es Grippephasen sind oder so und dann muss man natürlich sehr viele Patienten bedienen. Da ist jetzt auch im ärztlichen Nachrichtendienst gerade ein schöner Aspekt gekommen. Die Leute haben im Schnitt 7 Minuten beim Arzt und das generiert natürlich Frust. Das heißt, die können gar nicht ihre Beschwerden oder ihre Sachen besprechen, werden gleich sofort mit dem Rezept wieder heraus geschickt. Meine Forderung ist immer gewesen seit vielen Jahren, dass man eine Position der Intensivberatung schafft. Das heißt für 3 Gruppen: Nämlich Tumorpatienten, Polymorbide, also wenn die dann schon viele Rezepte haben, und bei Verdacht auf Depression. Dass man bei diesen 3 Gruppen sagt, es muss auch mal ein langes Gespräch möglich sein, von mir aus 45 Minuten für 100€ jetzt einfach mal so in den Raum geworfen. Weil in der Praxis haben Sie ja Betriebskosten, die betragen200€ die Stunde und auch mehr. Und für eine Beratung bekommen Sie nominell 8 €, aber dann wird das noch abgewertet und dann bleiben da 4,36 € für eine Beratung über.
TUM:
Das ist dann nicht so viel.
Bertelsen:
Jetzt überlegen Sie sich mal wie viele Leute sie beraten, um bankrott zu gehen. Also Sprechen ist toll, aber es wird aus Honorarsicht bestraft. Und das, da ist auch Professor Schöne-Seifert meiner Meinung, das setzt Fehlanreize und lässt Fehlentwicklungen zu. Diese Fehlentwicklung will man jetzt ja überall angehen, von wegen nicht mehr so viel Hüften operieren, nicht mehr so viel Bandscheiben operieren, nicht mehr so viel Herzkatheter schieben und so weiter. Aber das sind alles Dinge, diese Mechanismen, diese Sachzwänge entstehen, weil eben das Gespräch primär nicht honoriert wird. Und meine Forderung ist, man darf das ärztliche Gespräch nicht mit Esoterik verknüpfen, was die Homöopathie ja darstellt in meinen Augen, und nicht nur in meinen Augen, um eine sprechende Medizin überhaupt abrechnen zu können. Das geht nicht.
TUM:
Ja, vielen Dank, das ist sehr interessant. Ich würde da bei einer Frage später auch noch mal drauf zurückkommen. Vielleicht nochmal ein bisschen allgemeiner, sie haben es ja an sich schon relativ klar durchklingen lassen, aber was sind denn ihre allgemeinen Ansichten zur Homöopathie?
Bertelsen:
Wenn ein archaischer Reflex, also das Kausalitätsbedürfnis, dazu missbraucht wird, Selbstheilungskraft in eine vermeintliche pharmakologische Wirkung umzudichten, dann handelt es sich um Betrug, ein Betrug am Patienten, eine esoterische Betrugsmasche, die von den Firmen wie Delton, DHU und Wala gefördert wird. Man produziert da Sachen, da ist nichts Wirksames mehr nachweisbar enthalten. Man hat Verdienstmargen, davon träumt selbst der Drogenhandel, weil sie ja keinerlei Forschung benötigen. Sie brauchen halt nur Milchzucker und Verpackung. Und so ein Betrug wird vom Bundesgesundheitsminister Lauterbach legitimiert.
TUM:
Und halten Sie es denn für vertretbar, dass das von Ärztinnen und Ärzten angewandt, verschrieben oder empfohlen wird?
Bertelsen:
Auf keinen Fall. Kennen Sie den Begriff „Kausalitätsbedürfnis“?
TUM:
Ich bin glaube ich schon mal drüber gestolpert, aber wenn sie es fürs Protokoll noch mal…
Bertelsen:
Googlen Sie Skinners Tauben. Skinner, das ist ein Psychologe, der hat einen Versuch gemacht, da sitzen Tauben im Spiegelkäfig. Da wird in randomisierten Zeitabständen ein Futterkorn hinein geworfen. Und dann machen die Tiere Folgendes, die machen irgendwann Verrenkungen, das heißt, die eine macht den Flügel nach rechts oben, die andere streckt den Hals nach oben, also die machen dann immer irgendwelche komischen Sachen, die sie wiederholen, weil sie meinen, wenn ich meinen Flügel rechts hochhebe, kommt das Futter heraus gefallen. Das kommt in Wahrheit aber rein zufällig. Aber wir haben fast alle, das ist eben auch eine anthropologische Konstante, wir haben alle ein Kausalitätsbedürfnis. Das heißt wir wollen, wenn sich irgendwas ändert, wollen wir sagen „Das ist das ist so, weil…“. Und das ist sinnvoll, in der Evolution enorm sinnvoll gewesen, wenn wir gedacht haben „OK, der Zweig bewegt sich, dahinter könnte ein Säbelzahntiger sitzen“, das war also ein evolutionärer Vorteil. Und das ist ja nicht nur bei den Menschen so, sondern auch bei fast allen Tieren. Es gibt Tiere da ist das nicht entwickelt, zum Beispiel bei Robben oder bei diesen, irgendeine Vogelart auch am Nordpol. Die haben Seefahrer dann einfach eingefangen können, weil diese Tiere so zutraulich waren, und haben die dann einfach in die Petroleumlampen geworfen, weil die eben diese Verhaltensmuster nicht besitzen. Das heißt, es ist ein evolutionärer Vorteil, wenn ich mir denke „Oh da könnte was sein, das könnte miteinander zusammenhängen.“. Dieses Kausalitätsbedürfnis das nutzt die Homöopathie auf ganz widerliche, schändliche Art und Weise aus, indem sie sagt: Die Leute glauben, wenn sie Schnupfen haben und der geht dann weg, wenn sie Zuckerpillen eingenommen haben, dann geht sicherlich auch der Krebs weg. Ich hab gerade eben Zuschriften gekriegt, zwei Zuschriften von Patienten mit Tonsillarabszessen, da sind die betroffenen Kinder beinahe verstorben, weil ihnen der Hals zugeschwollen war, nachdem sie "homöopathisch" behandelt worden sind. Ja, das war kurz vor der Tracheotomie und die Kinder, die sind beide auf der Intensivstation behandelt worden, also weil da mit Zuckerpillen… Also wenn Sie heute eine Untersuchung machen, bekommen sie ja ihre 35 € Pauschale. Wenn Sie aber eine "homöopathische Anamnese" abrechnen und dann Zuckerkugeln verschreiben, dann bekommen Sie 180 €.
TUM:
Das ist natürlich ein riesiger Unterschied.
Bertelsen:
Das ist schon eher Korruption.
TUM:
Ich habe von einigen Teilnehmenden an meiner Interviewstudie gehört, oder manche haben die Meinung vertreten, dass Homöopathie, wenn sie denn von ärztlicher Seite angewandt wird, dass es okay ist, wenn sichergestellt ist, dass schlimmere Sachen entsprechend adäquat medizinisch behandelt werden. Und alles, was darüber hinausgeht, jegliche Kleinigkeiten, da haben manche Leute gesagt, da finden Sie vertretbar, dass Homöopathie in diesem Rahmen angewendet wird, wenn vielleicht eigentlich gar nichts nötig wäre, wie würden Sie dazu stehen?
Bertelsen:
Das ist absoluter Unfug. Was machen Sie, wenn ein Arzt Ihnen am Freitagmorgen Pillen verschreibt und sich bei sommerlicher Wärme ein Abszess innerhalb von 24 Stunden entwickelt? Das ist absoluter Unsinn, das ist lebensgefährlicher Bullshit! Weil gerade, wenn es wärmer ist, sich Abszesse innerhalb von kürzester Zeit entwickeln können. Und wenn sie dann sagen „Och ja, du hast ja die Mittelchen genommen, dann nimm die mal weiter“, dann haben Sie Montag, wenn Sie Glück haben nur eine Einlieferung auf die Intensivstation. Ich kenne das Argument „wenn es in den Händen von Ärzten ist“. Eben nicht, sondern man muss davor eindringlich warnen, dass es eine Scheinmedizin ist, deren Wirkung eben nur auf dem Kausalitätsbedürfnis beruht, das ist ganz wichtig dieser Begriff, meiner Meinung nach in der ganzen Diskussion der allerwichtigste Begriff. Und zu sagen, wenn es ein Arzt verschreibt, dann wird schon nichts passieren, das ist Unfug, absoluter Unfug. Im Gegenteil, die Ärzteschaft hat davor eindringlich zu warnen, dass Scheintherapien enorme Gefahren in sich birgen. Weil gucken Sie, gerade jetzt bin ich mit der Deutschen Herzstiftung im ernsten Diskurs: Die Deutsche Herzstiftung hat auf ihrer Homepage was zu homöopathischen Medikamenten geschrieben „wenn ihr Arzt das meint…“ und so weiter. Und dann hab ich denen geschrieben, „Seid Ihr noch ganz frisch?“, dann wurde das geändert. Die haben das jetzt vorgestern geändert und dann steht immer noch ein Satz: „Ja, aber wenn sie homöopathische Mittel nehmen, dann reden Sie mit Ihrem Arzt darüber, dass Sie das nehmen.“. Das ist noch immer Bullshit, lebensgefährlicher Bullshit, weil: Sie können als Patient auch an jemanden geraten, der sogenannte“ klassische Homöopathie” betreibt. Wissen Sie, wo da der Unterschied ist? Ich sag ihnen den Unterschied. Homöopathie und klassische Homöopathie: Homöopathie heißt, sie geben ein homöopathisches Mittel. Globuli oder was weiß ich was oder Tinkturen oder sonst was. Klassische, wenn jemand auf seine Schilder “klassische Homöopathie” drauf schreibt, bedeutet das, er therapiert ausschließlich mit homöopathischen Mitteln. Das heißt, die Leute geraten eventuell an klassische Homöopathen, die dann sagen, „Pass auf. Erstmal lässt du deine ganzen anderen Herz-Medikamente, die lässt du erst einmal weg. So, und wenn du dann stirbst und wir dich dann übermorgen auf dem Friedhof besuchen, dann werde ich schon nicht verklagt werden, weil du ja schließlich herzkrank warst.“
TUM:
Wenden die klassische Homöopathie auch Ärztinnen und Ärzte an oder sind es dann immer Heilpraktiker:innen?
Bertelsen:
Natürlich wenden das auch einige Ärzte an. Also es muss unmissverständlich von dem überwiegend seriösen Teil der Ärzteschaft ausgehen: eine Warnung vor Homöopathie. Weil es eben nur auf dem Kausalitätsbedürfnis beruht, was jeder von uns hat und aber hierals Geschäftsmodell missbraucht wird. Nur eine ganz klare Ansage kann hier Leben retten. Alles andere ist und bleibt hochgradig gefährlich.
TUM:
Okay, vielen Dank. Zu meiner nächsten Frage: Homöopathie kann ja auch in Apotheken erworben werden. Es gibt auch Leute, die das dann von sich aus einfach machen, weil sie denken, wenn sie jetzt einen Schnupfen haben, gehen Sie in die Apotheke und kaufen sich etwas Homöopathisches. Wie stehen Sie dazu, dass es in Apotheken vertrieben wird?
Bertelsen:
Absoluter, lebensgefährliche Blödsinn. Dieser Irrsinn ist nur möglich, weil es Noch immer Medikamentenstatus hat und der muss daher sofort entzogen werden.
TUM:
Das heißt, da würden sie dann eher sagen, wenn es überhaupt irgendwo sein soll, dann in Drogerien oder ähnlichem?
Bertelsen:
Kaugummiautomaten oder umgerüstete Zigarettenautomaten wären die einzig akzeptable Form des Vertriebs.
TUM:
Und wie sehen Sie das in Abgrenzung zu anderen… Also in Apotheken, ist Homöopathie nicht das Einzige, was da steht, wo der Evidenznutzen nicht belegt ist. Sehen Sie das auf einer ähnlichen Stufe oder würden Sie die Homöopathie da noch von zum Beispiel Kosmetika noch mal abgrenzen?
Bertelsen:
Ja, ganz klare Ansage. Sie haben durch Homöopathie enorme positive Effekte, die beruhen auf einem zwischenmenschlichen Kontakt. Professor Windeler sprach von Kontext-Effekten. Das ist eigentlich sehr gut beschrieben. Das heißt, als Patient, wenn Sie zum Homöopathen gehen, dann nimmt er sich Zeit und geht auf ihre Probleme ein, oder vermeintlich auf ihre Probleme ein, und gibt Ihnen Aufmerksamkeit und vermittelt ihnen dadurch auch schon Hoffnung, was eine sehr gute Sache ist. Dazu brauche ich aber keine Esoterik. Wenn ich das bezahlt bekomme, dann kann ich das auch machen, ohne die Patienten zu betrügen, um es mal drastisch auszudrücken. Und ohne dass ich die in die Gefahr bringe, dass sie später eventuell glauben, wenn sie Krebs oder irgendeinen Tumor haben - das ist ja die Gefahr - dass die dann sagen, ja, da gehe ich aber jetzt zum Heiler oder zum Schamanen. Also ganz klare Ansage. Die positiven Effekte sind auf jeden Fall vorhanden. Und die beruhen aber darauf, dass ich einen zwischenmenschlichen Kontakt habe, der enorm heilsam ist, weil ich als Heiler Hoffnung vermitteln kann. Ich kann keine Empathie und keine Hoffnung vermitteln, wenn ich dazu nur drei Minuten Zeit habe. Wie wollen Sie das machen?
TUM:
Genau, ich glaub auch in der englischsprachigen Literatur wird oft so von unspezifischen Behandlungseffekten gesprochen, also würden Sie...
Bertelsen:
Ja, narrative based medicine, also halt die sprechende Medizin ist ganz wichtig. Die unspezifischen Effekte, das sind immer diese Kontexteffekte, die dann in Verbindung mit Homöopathie gebracht werden. Das ist immer erstunken und erlogen, es gibt immer nur diese Kontexteffekte und dann gibt es da diese Veränderung zur Mitte und da wird ja statistisch betrogen und gelogen, bis die Schwarte kracht.
TUM:
Meine nächste Frage wäre, wie stehen Sie dazu, dass gesetzliche Krankenkassen homöopathische Mittel und/oder Behandlungen übernehmen?
Bertelsen:
Da kann ich Ihnen auch ganz kurz mal eben die drei Wege der Finanzierungerklären, es gibt drei Wege: Der erste Weg ist der über die Kassenärztliche Vereinigung. Dabei wird, also der Arzt rechnet seine Position ab, das geht über die KV, die machen Plausibilitätsprüfungen, die erstellen Zeitprofile, die sagen, also der Doktor XY hatte 100 Patienten am Tag, 10 davon wurden homöopathisch behandelt und 90 wurden normal behandelt, das ist der eine Weg. Dazu müssen aber die Krankenkassen sogenannte Selektivverträge abgeschlossen haben mit den Kven. Weil das ja keine Regelleistung ist, sondern eine Wahlleistung. Sagt Ihnen das was?
TUM:
Ja.
Bertelsen:
Okay, jetzt aufgepasst, jetzt kommt der zweite Weg, der perverse Weg: Das läuft Verborgenen, im Schatten, über Direktabrechnung ab über den deutschen Zentralverein homöopathischer Ärzte. Die KV wird dabei umgangen. Das heißt, der Arzt rechnet direkt über eine Spezialsoftware mit dem deutschen Zentralverein die homöopathischen Positionen ab. Und der Zentralverein stellt die Beträge über ein Inkassounternehmen bei den Krankenkassen in Rechnung, zum Beispiel bei der Barmer und bei der Techniker. Die haben allein 20 Millionen Versicherte in ihrer Patientenkartei. Jetzt haben wir vom Münsteraner Kreis Barmer und Techniker angeschrieben und haben gesagt, „Ihr rechnet unter Umgehung der KV Strukturen, die ja so wichtig sind, um Abrechnungsbetrug zu vermeiden - sprich Kausalitätsprüfungen zu machen und Zeitprofile erstellen, Gelder für die Homöopathie ab. Ihr rechnet unter Umgehung der KV-Abrechnung direkt mit denen ab, mit diesem Verein.“. Dazu geben die beteiligten Krankenkassen, das habe ich schriftlich, geben die keinerlei Auskünfte. Es wird also hinter dem Rücken der KVen das Geld verschoben, was alleine schon ein Skandal ist.
TUM:
OK. Also von der Barmer und TK haben Sie gesagt?
Bertelsen:
Und es gibt noch mehr. Also wenn sie recherchieren, Sie brauchen einfach nur auf DZVhÄ zu gehen und die brüsten sich damit, dass sie mit ganz vielen Krankenkassen direktabrechnen, da können Sie es nachlesen. Ja, das ist der Hammer, das ist unfassbar. Und das Dritte ist, es gibt ja nicht nur Wahlleistungen. Es gibt auch die Homöopathie als Regelleistung in Deutschland. Wussten Sie das?
TUM:
Meinen Sie, dass man bei unter Zwölfjährigen auf grüne Rezepte alles schreiben kann?
Bertelsen:
Genau da sind Sie gut informiert. Das ist noch mal ein Skandal für sich.
TUM:
Genau, da wird ja auf grünen Rezepten wirklich alles übernommen, solange die Patient:innen unter 12 sind, oder?
Bertelsen:
Ja, und das bringen Sie jetzt mal mit einem informed consent überein. Dass Sie also einem Kind das aufdrücken, dass es jetzt Zuckerpillen zu lutschen hat, weil es einen Mittelohr Abszess kriegt und eventuell noch eine Mastoiditis. Ob das Kind damit einverstanden ist?
TUM:
Ja, das ist natürlich so die Sache. Da haften dann die Eltern für und das ist ja auch ein ethisch schwieriges Thema, ja.
Bertelsen:
Genau, genau. Ob das die Eltern wissen, ob denen das vorher mitgeteilt wurde? Eher nicht. Also ethisch… Ich finde das ja toll, dass ihr von der Ethik euch kümmert. Ich habe zum Beispiel mit, sie rufen ja jetzt aus München an?
TUM:
Ja, genau.
Bertelsen:
Und ich habe mit dem Professor Klein an der LMU München Kontakt gehabt. Den Mailkontakt kann ich Ihnen irgendwann mal zur Verfügung stellen, wenn sie wollen. Da habe ich dem geschrieben „Seid ihr noch ganz frisch, Homöopathie da auf der Station…“. „Ja das würden wir ja nur als Add-on machen, also als zusätzliche.“. Ja dann haben wir vom Münsteraner Kreis da gesagt, das geht nicht, das könntihr nicht machen, das ist ethisch absoluter Wahnsinn und daraufhin hat Prof. Klein das eingestellt.
TUM:
Okay. Welche Fachrichtung war das?
Bertelsen:
Pädiatrie. Professor Klein. Und ja, da gibt es jetzt dort keine Homöopathie mehr und andere müssen dem Beispiel folgen. Also auch in Bayern ist ja jetzt in der Landesärztekammer, ist es ja auch aus der Weiterbildungsordnung heraus genommen worden.
TUM:
Ja genau. Ich glaube, es sind nur noch 3 Bundesländer, die es noch drin haben.
Bertelsen:
Aber ihr habt ja diesen gesundheitspolitischen Geisterfahrer Holetschek, den habt ihr ja jetzt da an der Spitze.
TUM:
Bayern, auch so die Region München, ist von dem, was ich so gehört habe, auch so ein bisschen eine Wohlfühlregion für Alternativmedizin im weitesten Sinne.
Bertelsen:
Das ist ein schöner Euphemismus. Ich würde eher sagen, der Süden Deutschlands ist esoterisch hochgradig verseucht. Und wissen Sie, warum das so ist?
TUM:
Ich könnte nur mutmaßen.
Bertelsen:
Ja, nur zu, was sagen Sie? Und dann sage ich Ihnen meine Mutmaßung.
TUM:
Eine Sache, die es ja auch in Untersuchung von Homöopathie gibt, dass viele Leute mit höherem Bildungsgrad und Einkommen Alternativmedizin bevorzugen. Und was natürlich hier im Raum München auch in den ländlichen Regionen Bruttoinlandsprodukt-technisch sehr hoch ist. Da würde ich einen ganz starken Zusammenhang vermuten.
Bertelsen:
Also ich sehe da die Korrelation zwischen Grundstückspreis und Portfolio einer Praxis. Wenn sie in München eine Praxis aufmachen wollen, da wird ihnen von den Banken gesagt, sie brauchen aber ein ganzheitliches Profil, weil Sie von den Kasseneinnahmen nicht leben können.
TUM:
Mhm stimmt auch die Kassensitze hier sind - mit den niedergelassenen Ärzten, mit denen ich gesprochen habe - das sind schwindelerregende Summen, die die Zahlen mussten. Sie haben vorhin schon angesprochen, dass Gespräche, dass Sprechen mit Patienten honoriert werden muss. Da würde ich noch ein bisschen drauf zurückkommen: Und zwar, was sind denn Ihrer Meinung nach noch wichtige Hindernisse und Herausforderungen, die einer guten Regulation von Homöopathie in Deutschland im Weg stehen?
Bertelsen:
Es geht ja immer um Angebot und Nachfrage. Und wenn das Angebot von sprechender Medizin so grottenschlecht ist wie in Deutschland, muss man sich über esoterische Auswüchse nicht wundern. Also ich habe darüber auch ein paar Artikel geschrieben, ich kann Ihnen den Artikel über sprechende Medizin auch mal eben schicken, wenn sie wollen.
TUM:
Sehr gerne.
Bertelsen:
Warten Sie mal, dann mach ich das mal eben klar. Der Link ist gespeichert und dann schick ich Ihnen das. Ja, also da, muss was geändert werden, das kann auch geändert werden. Man muss an der Gebührenordnung etwas ändern, dass man also diese… Meine Forderung ist ja die zunächst erstmal die Intensivberatung, dass man eben 3 Patientengruppen, dass man die künftig besser versorgen kann. Und dann muss man natürlich auf jeden Fall diese "besonderen Therapierichtungen", die muss Herr Lauterbach sofort kündigen und sofort stoppen. Das bedeutet ja nicht, dass man damit die Homöopathie verbietet. Das braucht man auch nicht, weil ich kann auch keine Horoskope verbieten oder keine Sportwetten oder was weiß ich was.
TUM:
Dass es den Weg aus dem Gesundheitswesen heraus nimmt und eher dann in eine spirituellere Richtung geht?
Bertelsen:
Die Kassenfinanzierung suggeriert Wirksamkeit, sag ich mal. Und das ist das Perfide.
TUM:
Ja, das das habe ich schon einige Male gehört. Würden sie dann auch sagen, das ist auch was, was ich schon ein paar mal gehört habe, dass die Homöopathie ungewollt Schwachstellen in unserem Gesundheitssystem aufdeckt, dass das Bedürfnis mancher Leute nach Homöopathie vielleicht auch zeigt, wo die Schwachstellen in unserem Gesundheitssystem sind? Anders gesagt, wenn wir eben Gespräche honorieren würden, würde es vielleicht auch diese Nachfrage nicht geben?
Bertelsen:
Ja, das Problem… Also ich sehe ja auch, die Nachfrage ist ja da, weil die Leute eine zwischenmenschliche Begegnung brauchen, insbesondere dann, wenn sie krank sind. Das wird aber pervertiert durch dieses Geschäftsmodell. Das können Sie von Seiten der Ethik aufdecken. Da haben Sie genug, da haben Sie wahnsinnig viel Substanz und viele gute Leute, die hierüber aufgeklärt hatten und noch aufklären können.
TUM:
Ja, genau, die Namen habe ich alle auf dem Schirm.
Bertelsen:
Und der Impetus muss ja sein, wir können eben diese Schwachstelle, dass eben die sprechende Medizin nicht honoriert wird, können und dürfen wir nicht mit Esoterik auffüllen, das ist menschenverachtend und ethisch eigentlich absolut verboten. Und ich habe jetzt auch mal was von Allensbach gelesen, dass Homöopathie ja so beliebt wäre.
TUM:
Beliebt in welchem Sinne?
Bertelsen:
In der Bevölkerung sei Homöopathie beliebt, aus meiner Sicht kein Wunder, weil natürlich diese Firmen, die verkleben diese Produkte mit so Narrativen wie sanft und natürlich. Und deshalb ist es ja so beliebt. Das ist auch eine Pervertierung der ganzen Geschichte. Zumal, ich habe als Student in der Uni gelernt, du kannst alles machen, du darfst nur keine Gefälligkeitstherapien machen. Ich kann den Leuten als Therapie nicht etwas verkaufen, was sie gerne hätten, sondern ich bin verpflichtet, das zu tun, was wirkt. Sonst soll doch Allensbach mal eine Umfrage drüber machen, ob Wurzelbehandlungen beliebt sind oder nicht. Soll man dann die unbeliebten Wurzelbehandlungen vermeiden, weil die Demoskopie es schick findet und Zahn-Abszesse einfach ignorieren, sich entwickeln lassen und die Leute anschließend begraben?
TUM:
Das ist, glaube ich, in der Praxis ein sehr schwieriger Spagat für manche Ärztinnen und Ärzten, das durchzusetzen, das, was für sie richtig ist.
Bertelsen:
Ja, aber sie merken, das wird gesteuert von den Herstellerfirmen. Diese Narrative, die werden ja nicht umsonst gestreut. Und da wird den Leuten was von Verdünnung und von Forschung und was weiß ich nicht palavert, nur um das Thema Geld auch zu vertuschen und zu verdecken. Der Knackpunkt ist nur der, dass der homöopathische Komplex diese Neigung nach Zuwendung, nach zwischenmenschlicher Zuwendung verkauft, dabei aber einer massiven Selbsttäuschung unterliegt und auch skrupellos betrügt.
TUM:
Ja. Und denken Sie, wenn unser Gesundheitssystem Gespräche und diese Zuwendung mehr honorieren würde, dass sich da dann auch zwangsläufig in den Bedürfnissen nach Homöopathie was ändern würde.
Bertelsen:
Auf jeden Fall, weil damit würde ich die Nachfrage senken. Wenn ich ein Gespräch will, das habe ich auch ganz oft von Patienten gehört, dann gehe ich doch da hin, zum Heilpraktiker oder zum Homöopathen, weil der lässt mich wenigstens erzählen. Das ist ein immanent wichtiger Faktor. Und den müssen Sieherausstellen.Und das sind meiner Meinung nach die Hauptknackpunkte. Das Problem sehe ich auch in der Diskussion immer: Es werden Fronten gebildet und diese Fronten werden bewusst auch provoziert von den Herstellern, die wollen ihren Mist verkaufen. Die können Sie aber ganz, ganz schnell rausnehmen die Aggression und diese Frontenbildung, indem Sie sagen, Kausalitätsbedürfnis haben wir alle und das zwischenmenschliche Gespräch, also die zwischenmenschliche Begegnung, ist immanent wichtig für alle Patienten, um Hoffnung zu vermitteln und so weiter. Auch für uns Ärzte ist das Gespräch enorm wichtig, um das schädliche Hamsterradgefühl zu vermeiden. Es ist eben schändlicher Betrug, das mit diesen Mittelchen zu verknüpfen.
TUM:
Ja, okay, vielen Dank. Sie haben ja gerade schon vieles angesprochen, viele Verbesserungsvorschläge. Gibt es da noch irgendwas, was Sie sich wünschen würden, was geändert werden muss in Deutschland in Bezug auf die Regulierung von Homöopathie, was jetzt noch nicht erwähnt haben?
Bertelsen:
Nö. Der werte Herr Lauterbach tönt ja immer von wegen "Homöopathie habe keinen Platz in der modernen Medizin", wissenschaftliche Medizin muss gefördert werden, er tut aber nichts, er ändert nichts. Der muss die besonderen Therapierichtungen - die muss er streichen. Gucken Sie mal in den Link, den ich Ihnen geschickt habe.
TUM:
Mache ich, vielen Dank, das schaue ich an.
Bertelsen:
Ja, danke und melden Sie sich, wenn Sie noch Fragen haben.