Der Verfassungsschutz hatte ein Einsehen mit den Journalist*innen Deutschlands. Wenn über die AfD gesprochen wird, muss das Wortungetüm der "in Teilen gesichert rechtsextremen" Partei nicht mehr bemüht werden. Endlich sind sie alle gleich, Jugend- und Bundesverband (und manche Landesverbände, da sind sich ja nicht alle einig), geeint im Status des gesicherten Rechtsextremismus. Die Begründung des Verfassungsschutzes enthält keine Überraschungen. Es ist ja nun eben nicht so, als hätte die AfD sich unter Alice Weidel und Björn Höcke irgendwelche Mühe gegeben, den Eindruck zu zerstreuen. Schlecht bekommen ist es ihnen elektoral auch nicht. Die Einstufung hat einige Wellen geschlagen, wenngleich nicht so viele, wie man vielleicht hätte erwarten können. Das Schulterzucken darüber, dass der Verfassungsschutz bestätigt hat, was ohnehin alle wussten, ist geradezu in den Berichten sichtbar. Hat die Einstufung also irgendeine Konsequenz? Oder andersherum gefragt: ist das eine gute Nachricht?
Diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Die Einstufung findet zu einem politisch heiklen Zeitpunkt statt. Das ist quasi das Dekorum des Ganzen. Der Verfassungsschutz ist, wie gerade nicht zu betonen müde geworden wird, eine politische Behörde und ist damit grundsätzlich weisungsgebunden. Diese Tatsache hat einen raunenden Unterton. Außerhalb des AfD-Orbits behauptet schließlich niemand, dass Nancy Faeser der Behörde den Auftrag erteilt hätte, die AfD so einzustufen. Gleichwohl ist die Veröffentlichung in den letzten Tagen ihrer Amtszeit nicht besonders schön, wenngleich verständlich. Letztlich macht sie Merz' Regierung damit ein Geschenk: das politische Odium hängt an der alten Regierung, und Alexander Dobrindt muss sich nicht in Knoten binden. Für Dobrindt im Besonderen, der heute der Überzeugung ist, dass Brandmauern gegenüber gesichert Rechtsextremen unnötig sind, ist das wichtig, war er doch noch 2019 der Überzeugung, dass der Verfassungsschutz die Überwachung der nicht gesichert linksextremen LINKEn dringend "möglicherweise bis zum Parteiverbot" hin steigern müsse. Aber so ändern sich die Zeiten. Viele Linke haben ja auch eine innige Liebe zu der Behörde entdeckt, die sie bislang mit Verve ablehnten.
Aber das sind letztlich politische Spielchen und Positionierungen. Der Zeitpunkt ist vor allem eine ästhetische Frage. Es gibt wesentlich relevantere Kritik. Matthias Brodkorb etwa legt in der Welt einen Finger in die Wunde. Er bemängelt, dass eine weisungsgebundene Behörde eine objektiv nicht überprüfbare Einschätzung abgebe, da das zugrundeliegende Gutachten geheim gehalten werde. Die geäußerten Vorwürfe stützten sich fast ausschließlich auf öffentlich zugängliche Quellen und einzelne Aussagen von Parteivertretern, nicht aber auf Beschlüsse der Bundespartei. Brodkorb argumentiert, dass harmlose Aussagen mithilfe eines hermeneutischen Verfahrens in ein extremistisches Weltbild eingeordnet würden, wodurch der Verfassungsschutz das voraussetze, was er eigentlich beweisen müsse. Dieses Vorgehen erinnere „mitunter selbst an Verschwörungstheorien“. Zudem sei der Zeitpunkt der Entscheidung – kurz vor dem Ausscheiden der Innenministerin – politisch unklug gewählt und untergrabe das Vertrauen in demokratische Verfahren.
Andreas Rosenfelder kritisiert (ebenfalls in der Welt) die Entscheidung eher auf formaler Ebene. Er zitiert anekdotisch einige Äußerungen, die er als "polemisch übersteigert" empfindet (etwa die Verknüpfung von Multikulti und einer Akzeptanz von Gruppenvergewaltigungen) und erklärt, dass damit der Verfassungsschutz seine Kompetenzen überschreite und seinerseits Meinungsfreiheit und Demokratie gefährde. Der gelebte Binnenpluralismus des Blattes zeigt sich übrigens gut darin, dass am selben Tag Ulrich Kraetzer mit exakt denselben Beispielen seine Zustimmung zu der Entscheidung zum Ausdruck brachte (wenngleich er beklagt, dass die Begründung der Geheimhaltung mit nachrichtendienstlichen Quellen zwar "nachvollziehbar, aber unzureichend" sei, was auch immer das bedeuten soll).
Grundlegender wird Denis Yücel. Unter der Überschrift "Die Auseinandersetzung mit der größten Oppositionspartei kann nicht der Verfassungsschutz führen" spricht er das offenkundige aus: der Verfassungsschutz ist eine politische Behörde, die sich in den letzten Jahren (Stichwort: Aktenvernichtung, NSU-Komplex) nicht eben mit Ruhm bekleckert hat, um es milde auszudrücken. Zudem kann, wie die Überschrift des Artikels propagiert, eine politische Auseinandersetzung nicht ausbleiben.
Letztlich ist die Frage, inwieweit politische Auseinandersetzungen über Gerichte und Behörden geführt werden können und sollten, besonders in Deutschland eine virulente. Nicht ohne Grund haben wir ja auch die Dauerdebatte über den "Ersatzgesetzgeber" des BVerfG, das ja auch hier eine ultimative Arbiter-Rolle einnehmen würde, wenn der Prozess zum ultimativen Ende läuft (nicht nur CDU-Politiker Tilman Kuban fordert ein Verbotsverfahren). Kann eine Behörde, kann ein Gericht, die politische Auseinandersetzung ersetzen? Sicherlich nicht. Auf der anderen Seite ist die Kritik, dass das Verfahren und die Einstufung politisch wären, idiotisch. Wie Jonas Schaible zutreffend schreibt:
"Es gibt keinen unpolitischen Moment und keine unpolitische Art, eine so genuin politische Tatsache zu verkünden wie die: Eine der größten Parteien dieses Landes hat von jetzt an als rechtsextrem zu gelten (natürlich wird sie gegen die Einstufung klagen). Es gibt keine unkontroverse Möglichkeit für eine wehrhafte Demokratie, sich mit einer Partei auseinanderzusetzen, die die Grundlagen der Republik infrage stellt."
Der Umgang mit der AfD ist inhärent politisch. Es kann im politischen Raum keinen unpolitischen Weg geben. Diese Kritik führt daher ins Leere. Es ist dasselbe wie die Frage, ob das Urteil gegen Marine Le Pen, die nun von der Kandidatur ausgeschlossen ist, politisch ist. Natürlich ist es politisch, weil es den politischen Raum berührt. Dieses Dilemma prägt ja auch den Umgang mit einem Kriminellen wie Donald Trump im Präsidentenamt. Und es prägt den Umgang mit Extremisten. Letztlich dreht sich alles stets um die Frage, wie man mit denjenigen umgeht, die sich anschicken, die Grundfesten der demokratisch-freiheitlichen Ordnung zu beseitigen.
Hier gibt es bisher keine Lösung, die einen Konsens bilden würde. Wir haben ja nicht einmal einen im rein politisch-gesellschaftlichen Rahmen, wie man an der Dauerdebatte um die Ausgrenzung der AfD, ihrer Wählenden und der Brandmauer sehen kann. Man darf an dieser Stelle betonen, dass wissenschaftlich durchaus ein weitgehender Konsens besteht: Ausgrenzung funktioniert. Entsprechend ist die Einstufung des Verfassungsschutzes auch nur eine Erweiterung dieser Debatte. Das Label dient schließlich, so zumindest die Hoffnung, der Ausgrenzung: kann man mit einer "gesichert rechtsextremen" Partei eine Koalition eingehen oder zusammenarbeiten? In dieser Fragestellung kann die Einschätzung des Verfassungsschutzes Munition für den moralischen Druck auf mögliche Partner der AfD (also: die CDU) aufbauen. Exemplarisch sieht man dies an Michael Friedman; er erklärt all jene, die jetzt noch mit der Partei zusammenarbeiten wollen, zu "Mittätern".
Insofern ist die Einschätzung erst einmal nur ein politisches Instrument: sie erlaubt es, im Meinungsstreit ein Autoritätsargument zu verwenden: der Verfassungsschutz hat die AfD als gesichert rechtsextrem eingestuft, also verbietet sich eine Zusammenarbeit. Das Ziel davon ist hauptsächlich die CDU: die Einschätzung erhöht den Druck auf sie, die Brandmauer weiter aufrechtzuerhalten. Auf die Wählenden der Partei dürfte die Einschätzung nur peripheren Effekt haben. Denn rund 54% wählten die AfD bei der Bundestagswahl 2025 aus Überzeugung, wegen ihres Programms. Nicht trotz. Insofern werden diese Leute kaum abgeschreckt werden. Bleiben die 39%, die sie (laut eigenen Angaben) hauptsächlich aus Enttäuschung über die anderen Parteien gewählt haben. Auch hier dürfte die Einschätzung wenig verfangen.
Wird umgekehrt der Verfassungsschutz an Glaubwürdigkeit und Ansehen verlieren? Unzweifelhaft. Bei der AfD ohnehin; sie hat gegenüber dem Amt dieselbe Meinung, die früher die LINKE ihm gegenüber hatte. Umgekehrt gewinnt die Behörde gerade unter Linken gerade als Bastion des Antifaschismus an Ansehen. Aber die Behörde ist, wie hinreichend gezeigt wurde, inhärent politisch. Diese Polarisierungseffekte sind unvermeidbar. Relevant ist, wie so oft, die Reaktion des ideologischen Nachbarn CDU. Wenn sie den Verfassungsschutz delegitimiert oder durch Weisungen und Personalentscheidungen zu einer Zurückhaltung gegenüber der AfD zwingt, wäre das ein deutliches Signal hin zu einer Normalisierung einer gesichert rechtsextremen Partei - und zur Möglichkeit, einer gesichert rechtsextremen Partei Zugang zu den Schalthebeln der Macht zu geben.
Auch in der anderen Richtung aber stehen dornige Entscheidungen vor uns. Wenn die AfD gesichert rechtsextrem ist - eine Einschätzung, die, das sei noch einmal betont, keine andere große Partei jemals in eine ideologische Richtung hatte -, welche Konsequenzen folgen daraus? Kuban und eine nennenswerte Minderheit an Abgeordneten trommelt weiterhin für ein AfD-Parteiverbot. Ein solches Verfahren birgt seine ganz eigenen Risiken und Gefahren - und auch demokratietechnisch legitimatorischen Probleme, wie ich mit Horst Meier im Podcast diskutiert hatte. Allerdings sind viele Gegenargumente wenig tragfähig. Am zentralsten steht hier die Menge der Wählenden: es spielt keine Rolle, wie viele Leute die AfD wählen. Wenn sie verfassungsfeindlich ist, kann und muss sie verboten werden. Wie viele Leute sie wählen, spielt dafür keine Rolle. Das bedeutet übrigens nicht, dass ich überzeugt bin, dass ein Verbotsverfahren aussichtsreich oder erstrebenswert ist. Ich habe dazu aktuell keine Meinung. Es gibt gute Argumente dafür wie dagegen. Mein Gefühl ist, dass keines kommen wird. Aber wir werden sehen.
Ein weiteres nicht taugliches Gegenargument ist, dass es keinen Effekt hätte, weil die Wählenden ja nicht weggehen. Natürlich, das ist richtig. Aber es übersieht in geradezu naiv-ignoranter Weise, welche Bedeutung die Parteistrukturen haben. Von der Stiftung über die parlamentarischen Rechte bis hin zu den Organisationsstrukturen. Ein Teil davon würde im Untergrund überleben oder auf eine Neugründung übertragen werden können, sicher, aber ein Großteil würde unrettbar verlorengehen und die Anhänger*innenschaft der radikalen Rechten zersplittern, statt sie aktuell an einem Ort konzentriert zu halten. Dieser Effekt kann nicht kleingeredet werden.
Unmittelbar relevanter ist eine andere Frage. Wenn die Partei gesichert rechtsextrem ist, dann ist eine Parteimitgliedschaft unvereinbar mit öffentlichen Ämtern. Wir sprechen hier letztlich von einer Neuauflage des Radikalenerlasses. Das würde bedeuten, dass Richter*innen, Lehrkräfte, Polizeibeamt*innen und und und nicht mehr in der AfD sein könnten. Das hat wesentlich weitreichendere und unmittelbarere Konsequenzen als die eher abstrakt-akademische Frage nach einem Parteiverbot. Es macht es auch wesentlich problematischer, weil der Lebensunterhalt, das ganze Leben, von zehntausenden von Leuten betroffen sind. Da in einem Rechtsstaat jenseits eines Parteiverbots solcherlei Ausschlüsse nur im Einzelfallverfahren mit Revisionsrecht und allem drum und dran stattfinden könnten, bedeutete das im Extremfall eine jahrelange Überlastung der Gerichte, massive Unsicherheit bei den potenziell Betroffenen und einen letztlich juristisch geführten Bürgerkrieg.
Das sind keine sonderlich erklecklichen Aussichten. Was damit bleibt ist, dass die politische Auseinandersetzung nicht umgangen werden kann. Diese kann sich weder in moralischen Abgrenzungen alleine erschöpfen, noch kann ein nicht weniger moralistischer Vorwurf, man dürfe die Leute nicht ignorieren oder ausschließen, genügen. In beiden Fällen passiert nichts, außer dass man sich der eigenen moralischen Überlegenheit versichert. Schließlich wird alle Beschäftigung ihre Grenzen finden, sobald eine demokratische Mehrheit nicht mehr möglich ist und es die AfD zur Mehrheitsbildung braucht. Die pluralistische Demokratie scheitert schon, wenn es keine demokratische Opposition mehr geben sollte, weil ein demokratisches Allparteienbündnis notwendig wird. All diese Fragen kann der Verfassungsschutz nicht beantworten. Ein Parteiverbot würde die Frage der politischen Macht lösen, weil die Partei fehlen würde. Aber die zugrundeliegende Unzufriedenheit bliebe erhalten.
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