Dass Karl Lauterbach (SPD) nun Bundesgesundheitsminister wird, feiern ja gerade viele ab – so von wegen, dass sei die einzig vernünftige Besetzung eines Postens in Scholz‘ Kabinett. Ich mag diese Begeisterung nicht so richtig teilen …

Man sollte dabei nämlich bedenken, dass Lauterbach in der Pandemie als Dauergast in Talkshows zwar bei vielen Sympathien gesammelt hat, aber eben auch schon vorher politisch tätig war. Und da reicht mir zumindest ein Blick auf sein Wikipedia-Profil, um zu sehen, dass das nicht gerade eine besonders gute Entscheidung gewesen sein dürfte, ihn nun zum Bundesgesundheitsminister zu machen. Hier mal drei Zitate daraus:

Lauterbach war an der Einführung des Fallpauschalensystems beteiligt, welches in der Kritik steht, Fehlanreize zu setzen und in manchen Bereichen zu einer Mangelversorgung zu führen. Später forderte er Modifikationen des Systems und eine teilweise Abkehr davon in einzelnen Bereichen.

Dieses System ist generell totaler Murks und eine der Ursachen dafür, dass das deutsche Gesundheitswesen so heruntergewirtschaftet wurde. Wenn Krankenhäuser zeitgleich auf Rendite getrimmt werden durch zunehmende Privatisierungen, ergibt das einen fiesen Synergieeffekt, da nämlich nicht mehr das Patientenwohl die Dauer und Art einer Behandlung bestimmt, sondern die Frage, wie man das als am besten abzurechnenden Fall darstellen kann. Resultat: nicht notwendige OPs und vorzeitige „blutige“ Entlassungen. Christoph Sieber hat das vor einigen Monaten sehr treffend und kurzweilig in einem Beitrag in Mitternachsspitzen dargestellt, den man als Video auf Facebook (und natürlich auch in der Sendung in der ARD-Mediathek, dort allerdings mit ein bisschen Suchen, so ab Minute 14.30 etwa) sehen kann.

Die Zahl der Krankenhäuser sollte reduziert werden, um die Qualität zu verbessern und „überflüssige Eingriffe“ zu vermeiden. Dabei sieht er insbesondere in Metropolen, in denen Einkommens- und Bildungsstärkere leben, eine Überversorgung. Die Forderung der Bertelsmann Stiftung, die 2019 ein Abbau von zwei Dritteln der Krankenhäuser forderte, hält er aber für „überzogen“.

Na, immerhin hält er den radikalen Kahlschlag, den Bertelsmann vorgeschlagen hat, für überzogen, aber generell hat sich ja gerade in der Pandemie gezeigt, dass eine wohnortnahe Versorgung der Menschen schon sehr sinnvoll ist. Katrin Kusche hat zudem in einem Artikel für Gemeingut in BürgerInnenhandmal die Argumente der Befürworter von Klinikschließungen nachvollziehbar und kompetent widerlegt. Ein Bundesgesundheitsminister, der kleine Krankenhäuser schließen und die Versorgung auf wenige große Häuser zentrieren will, dürfte somit weniger das Patientenwohl als vielmehr Investoreninteressen im Sinn haben.

Ausrichtung der medizinischen Versorgung an Evidenz und Kosten-Effektivität

Was natürlich genau zu dem vorher Gesagten passt: Ich finde ja, dass sich die medizinische Versorgung am größtmöglichen Patientenwohl orientieren sollte und nicht vor allem daran, dass die Kasse stimmt. Na ja, bei jemandem, der schwerpunktmäßig eben nicht nur Mediziner, sondern auch Gesundheitsökonom ist, ist das irgendwie auch nicht weiter verwunderlich …

Karl Lauterbach ist zwar auch für eine Bürgerversicherung, was ich ja durchaus begrüßenswert finde. Nur dürfte eben auch klar sein, dass das mit der FDP ohnehin nicht umzusetzen ist. Insofern kann er sich diese Haltung jetzt auch recht kommod und folgenlos leisten.

Doch auch während der Corona-Pandemie gab es auch immer wieder Kritik an Lauterbach, und das nicht nur in Form von unqualifiziertem Verbalgerumpel aus der Querdenkerecke oder von AfDlern. So sind beispielsweise Norbert Häring in seinem Blog (s. hier) und Jens Berger auf den NachDenkSeiten (s. hier) recht hart, aber eben auch durchaus qualifiziert mit Lauterbach ins Gericht gegangen und haben ihm Widersprüche sowie haltlose Behauptungen nachgewiesen.

Auch das Bemühen von Lauterbach, die Corona-Impfungen von Hausärzten im Frühjahr weiter zu verzögern, war alles andere als schlüssig, wie ich finde. Ein Artikel im Tagesspiegel zitierte ihn damals folgendermaßen:

„Hätten wir jetzt schon die niedergelassenen Ärzte eingebunden, hätte das zu Enttäuschungen geführt. Wenn ein Arzt am Tag gerade mal ein paar Leute impfen kann, aber 1000 bei ihm darauf warten, sorgt das nur für Ärger.“

Wenn man bedenkt, dass damals viele Menschen auf eine Impfung gewartet haben, die Impfzentren reichlich ausgelastet waren und natürlich auch noch hinzukommt, dass der Hausarzt für viele nicht nur besser erreichbar, sondern eben auch vertrauter ist als ein doch recht anonymes Impfzentrum, dann kann man so eine Aussage nur als reichlich unsachgemäß bezeichnen. Zumal dann ja auch die Realität danach gezeigt hat, dass die Impfungen bei den Hausärzten in der Regel problemlos über die Bühne gingen und von dem Zeitpunkt an, in dem diese Praxen mit in die Impfung einbezogen wurden, das Ganze deutlich schneller voranging.

Und selbst der Faktenfinder auf tagesschau.de hat sich bereits zweimal kritisch zu Lauterbachs Aussagen (s. hier und hier) geäußert. Zwei Zitate daraus, zunächst aus dem ersten Artikel:

Obwohl Lauterbach auch von prominenten Twitter-Nutzern, wie dem Virologen Hendrik Streeck, darauf hingewiesen wurde, dass er mit seinen Behauptungen daneben oder nicht ganz richtig liegt, korrigiert er sich eher selten.
Ebenso wenig postet er in der Regel Korrekturen zu von ihm verbreiteten Studien, wenn sich diese im Laufe des wissenschaftlichen Peer-Review-Prozesses als mangelhaft erweisen. Insgesamt tendiert Lauterbach dazu, die Gefahren von Covid-19 äußerst schwer einzuschätzen. Und manchmal schießen seine Interpretationen dabei über wissenschaftlich belastbare Aussagen hinaus.

Und weiter aus dem zweiten Artikel:

Allerdings lag Lauterbach in den vergangenen Monaten nicht immer richtig mit seinen Aussagen – beziehungsweise konnte nicht immer Belege liefern. Im Frühjahr hatte er beispielsweise behauptet, die auf Mallorca verzeichneten Fallzahlen seien wohl nicht korrekt. Zudem legte er den Verdacht nahe, das Auftreten einer neuen Corona-Variante werde verharmlost, um dem Tourismus zu nicht zu schaden. Aussagen, die in Spanien für Empörung und Widerspruch sorgten – und sich auch nicht belegen ließen.

Schön vor allem der Abschluss des ersten Artikels vom September 2020:

Nach der Veröffentlichung bedankte sich Karl Lauterbach bei der Redaktion für die konstruktive Kritik. Es sei schwer, auf Twitter immer den richtigen Ton zu treffen, so dass die Menschen einerseits die Botschaft verstünden, andererseits aber die Wissenschaftlichkeit gewahrt bleibe. Er wolle sich in Zukunft noch mehr darum bemühen.

Na ja, genau das steht dann auch in dem zweiten Artikel so noch mal, der immerhin gerade aktuell und damit schlappe 15 Monate später erschienen ist. Da scheint das Bemühen, wenn dann erneut ein Faktenfinder auf seine populistischen Falschaussagen aufmerksam machen muss, nicht ganz so oberste Priorität für Lauterbach zu haben …

Auch bei medizinischen Fachleuten hat Lauterbachs Twitter-Verhalten nicht immer für Begeisterung gesorgt. So haben im April dieses Jahres gut 30 Ärzte aus Berlin einen offenen Brief an den SPD-Gesundheitsexperten, über den beispielsweise ein Artikel in der Berliner Zeitung berichtet, verfasst, in dem sie Lauterbach vorwerfen, sein politisches Handeln mit seiner ärztlichen Kompetenz zu begründen, dabei aber oft genug auf irrationale Weise Ängste zu schüren, was eben mit der Medizinerethik nicht zu vereinbaren ist:

Die Mediziner betonen sinngemäß, dass sie einer Diskussion stets offen gegenüberstehen, schreiben in diesem Kontext aber: „Unbeschadet aller zulässigen Differenzen bei der Kommunikation des Kenntnisstandes gilt für Ärzte: primum non nocere. Es ist unsere grundlegende Berufspflicht, bei jeglichem Handeln gegenüber Patienten zusätzlichen Schaden für diese zu vermeiden.“
Gegen diese Pflicht verstößt Lauterbach, sagen die Unterzeichner des auch bei Facebook und Twitter weiter verbreiteten Briefes. So heißt es hier weiter: „Bei Ihren oben dargelegten Äußerungen überwiegt jedoch vor jedem Informationsgehalt das Schüren irrationaler und extremer Angst. Damit sind diese Äußerungen geeignet, einer Vielzahl von Menschen psychisch wie mittelbar somatisch schweren gesundheitlichen Schaden zuzufügen.“

Auf dem medizinischen Fachportal DocCheck hat man sich natürlich auch zur Ernennung von Karl Lauterbach zum Gesundheitsminister geäußert, und auch dort findet sich ein deutlicher Verweis auf dessen immer wieder zu beobachtendes populistisches Agieren:

Die Skepsis im Gesundheitswesen hat zum einen mit Lauterbachs Populismus zu tun. Der neue Gesundheitsminister hat in der Vergangenheit über seinen Twitter-Account immer wieder unqualifizierte Tweets zu Medikamenten abgesetzt, wenn er davon ausgehen konnte, ein applaudierendes Publikum zu haben […]

Wenn man sich dann die Kommentare unter dem Artikel anschaut, dann stellt man fest, dass auch hier aktuell die kritischen Stimmen der sich äußernden medizinischen Fachleute überwiegen. So merkt beispielsweise ein User an:

Wenn man sich das nun so in der Gesamtschau betrachtet, dann sehe ich vor allem einen strikt neoliberalen Gesundheitsökonomen, der die Demontage des Gesundheitswesens offensichtlich weiter vorantreiben wird, sich dann gern populistisch in der Öffentlichkeit präsentiert und dabei durchaus nicht immer mit wissenschaftlicher Genauigkeit und Faktentreue glänzt.

Ob das nun die geeignete Person ist, um das Vertrauen vieler Bürger in die Politik, das in den letzten beiden Pandemiejahren reichlich gelitten hat, wiederherzustellen? Oder dürfte die polarisierende Personalie Lauterbach, der ja aufgrund seiner massiven medialen Präsenz der letzten Zeit nicht nur Anhänger, sondern eben auch viele Kritiker hat, nicht eher noch zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft beitragen?

Daher erscheint mir diese Entscheidung vor allem eine populistische zu sein, da eben viele genau das gefordert haben – eine Besetzung dieses Ministerpostens, die vor allem bei denjenigen Applaus heischen soll, die sich erst seit der Corona-Pandemie für Gesundheitspolitik interessieren.

Eine Aussage aus dem oben bereits verlinkten DocCheck-Artikel bestätigt diese Vermutung:

Zur Entscheidung für Lauterbach hat neben einem gewissen Druck aus der Bevölkerung wohl auch beigetragen, dass Scholz aus der SPD nur wenige ähnlich populäre Politiker ins Ministerrennen schicken konnte. Kompetentere Alternativen hätte er gehabt: Es war nicht Lauterbach, der für die SPD in den Koalitionsverhandlungen das Kapitel Gesundheit federführend verhandelt hat, sondern seine SPD-Kollegin Katja Pähle aus Halle/Saale.

Die Fachkompetenz von Karl Lauterbach dürfte demnach nicht das letzten Endes entscheidende Kriterium gewesen sein, obwohl genau dies von denjenigen, die seine Ernennung zum Bundesgesundheitsminister begrüßen, ja als Hauptargument pro Lauterbach immer wieder betont wird. Und natürlich ist Fachkompetenz auch wünschenswert bei einem Bundesminister, allerdings sollten meines Erachtens eben auch die Haltung, die gesamten politischen Anschauungen und die Wahrhaftigkeit stimmen, und da sehe ich bei Lauterbach doch arge Defizite.

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