Vor zwei Tagen als Wort zum Sonntag verfasst, sollte sich dieser Artikel mit dem hohen Moralingehalt in Medien, Politik und nun missbräuchlich auch im Fußball anlässlich des Spiels DEU-UNG abarbeiten. Mein Wort zum Sonntag sollte so beginnen:

Jetzt, da es vorbei ist und die moralisch hochhaushoch überlegenere Mannschaft weiter ist, ein paar Gedanken zu dem besten Deutschland aller Deutschländer: dem neuen, moralisch überlegenen Deutschland.

Doch die Bluttat von Würzburg stellt alles in den Schatten. Oder in ein neues Licht: Würzburg lässt mich an Dresden denken. Und dann sind wir schnell bei Pride und Flaggezeigen und Farbebekennen. Und bei der neuen deutschen Tugend: Gratismut.

Vielleicht erinnerst du dich noch an die Hinrichtung von Thomas L.?

Nein?

Aber an den bundesweit grassierenden Judenhass kürzlich, in jenem Mai 2021, daran erinnerst du dich noch?

Zu Thomas L.: Im Jahr 2020, Anfang Oktober griff ein Fanatiker ein schwules Pärchen mit einem Messer an und verletzte dabei einen von beiden tödlich.

Der Bundesstaatsanwalt schilderte die Ereignisse so:

Kurz nach der Entlassung Ende September 2020 habe er deshalb mehrere Küchenmesser gekauft, sei am Tatabend auf der Suche nach „Ungläubigen“ in die Dresdner Altstadt gefahren.
Dort habe er dann Thomas L. und Oliver L. als homosexuelles Paar erkannt und sie unvermittelt mit zwei Messern angegriffen.

Ein klarer Fall von religiös induzierter Homophobie. Oder offen ausgelebter Schwulenhass. Ich nenne die Dinge gerne beim drastischeren Namen.

Wurden damals im Oktober 2020 Kirchen in Regenbogenfarben beleuchtet und wie neulich beflaggt ("Love Is No Sin" ...)?

Nein. Denn es war ja kein homosexuelles Paar, dem irgendein Segen "vorenthalten" worden war, wogegen zahlreiche katholische Gemeinden, allen voran die Hochschulgemeinden und -gruppen, viele Tage über "Flagge zeigten" ....

Wurde die Hinrichtung eines Homosexuellen in Dresden von der Politik aufgegriffen und derart thematisiert, wie diese Tage ein Gesetz zur Bildungspolitik in Ungarn bis in den Fußball hinein politisiert wurde?

Nein. Es ging ja nicht gegen einen traditionellen Politiker, sondern in Dresden hätte man ja gegen extrem "traditionelle" Muslime aufstehen und Flagge zeigen müssen ....

Thomas Sattelberger hat es damals auf den Punkt gebracht, wie sehr gewisse Politikkreise sich hier bloßgestellt haben:

Die tonangebenden Deutschen zeigen Flagge, wenn es nichts kostet. Am liebsten sind wir moralisch unterwegs. (Verständlich, ne funktionierende Luftwaffe haben wir ja nicht mehr ...)

Wir erobern jetzt also moralisch die Welt.

Doch zurück zum Spiel DEU-UNG, Farbebekennen und dem übrigen gratis-mutigen Geschrei.

Flagge wollte man zeigen, sich solidarisieren mit der Pride Bewegung.
D’accord. Gebongt. Und geschenkt.

Könnt Ihr machen. Warum denn auch nicht? Ein Stadion in Regenbogenfarben erstrahlen lassen oder mit einer Pride-Fahne über den Rasen rennen. German Gratismut eben. Inwiefern? Bedenkt, dass es German Gratismut ist, wenn das Geld trotzdem aus Qatar kommt, wo Homosexuelle im Gefängnis landen. Es ist auch dann bigott, verlogen und heuchlerisch, German Gratismut eben, wenn Ihr, die Ihr jetzt gegen Orban meint Stellung beziehen zu müssen, wenn Ihr bei Thomas L. geschwiegen habt. Und zu jenem schwarzen Mai 2021, als jüdisches Leben attackiert wurde. 🤷 Geschwiegen und verharmlost.

Dieser German Gratismut benötigt jemanden, an dem man sich abarbeiten kann. Das ist wichtig. Seine Vertreterinnen und Vertreter benötigen das, um sich selbst als die moralisch Überlegeneren präsentieren zu können. So deutsch.

Woher kommt dieser Drang, diese moralische Inkontinenz, sich über Vertreter anderer Länder moralisierend zu erheben? Und was, ja was, haben eigentlich die ungarischen Spieler (und ihr italienischer Trainer btw.) mit diesem Gesetz gegen Pädophilie zu tun?

Und: Ob Deutschland das auch machen würde wenn wir gegen Qatar oder Saudi-Arabien spielen würden? Im November werden wir die Gelegenheit dazu haben:

Sollen sich doch die Spieler von Die Mannschaft in Regenbogenfarben tätowieren lassen, ihre Unterkunft in Qatar in Pride Farben erstrahlen lassen.

Farbe bekennen.

Flagge zeigen.

Macht. Es. Einfach.

In Qatar. Denn hierzulande ist es gratis und langweilig.

Und es nervt ...

Me trying to live my life and let others live theirs.

Rennt in Qatar mit Regenbogentrikots auf dem Rasen rum. Ihr wollt Homophobie verurteilen? Wunderbar! Fangt in Dresden an.

Noch einmal: Würzburg wurde uns bei der ARD als "Vorfall" verkauft, von "einem verwirrten Mann". Hieße der Täter Hans, Klaus oder Hermann, bei ARD und ZDF und der ganzen Faktenfinder-Schar stünden die Herkunft bis zu den Urgroßeltern (inklusive Arier-Nachweis), sowie die politische Einstellung und das Wahlverhalten schon längst fest. Erbärmlich. Bigott. Und so durchschaubar! Dasselbe Spiel beim tödlichen Stoß ins Gleisbett im Frankfurter Hauptbahnhof.

Und der Umstand, dass nach George Floyds Tods mehr Menschen in Deutschland auf die Straße gegangen sind als nach den Anschlägen in Würzburg, zeigt, dass viele Gehirne grundlegend falsch gepolt sind.

In Deutschland galoppierte diesen Mai der Judenhass unverblümt auf unseren Straßen. In Mannheim, in Bonn, in Düsseldorf, in Hannover, in Berlin und noch an viel zu vielen anderen Orten das gleiche Bild: Synagogen werden attackiert, man skandiert judenfeindliche Parolen.

Doch jüdische Fahnen von sich solidarisierenden Bürgerinnen und Bürgern werden von der Polizei kassiert. Wo wart Ihr vor vier Wochen mit eurem Flagge zeigen und Farbe bekennen?

Als Thomas L. in Dresden von einem islamischen Gotteskrieger auf offener Straße ermordet wurde, wo waren die, die jetzt über Ungarn schimpfen, zetern, hetzen, geifern, richten?


Deutschland war schon immer ein Land der Parolen und Phrasen.
Zum Glück! Man stelle sich vor, es gäbe die Verpflichtung zu liefern, was man angekündigt hat!

Nicht auszudenken, man müsste aktiv jüdisches Leben schützen in diesem Land.

Nicht auszudenken, man müsste aktiv und nachweislich homosexuellen Paaren ein unbehelligtes Leben garantieren.

Nicht auszudenken, man müsste die Rechte behinderter Menschen umsetzen, wirklich umsetzen und zwar in allen Belangen, von der Arbeitsplatzgestaltung über Krankenkassenleistungen bis hin zum Rundfunkbeitrag.

Wie wäre es da um manch eine gemeinnützige Organisation oder eine auf Diversität und Inklusion machende (zumindest in Plänen und auf Plakaten!) Kommune bestellt!
Nehmen wir meinen derzeitigen Wohnort Tübingen:
Da heißt es seit Jahren in diversen Broschüren und auf Plakaten - das heißt natürlich auf dem stets geduldigen Papier - sinngemäß „Wir beseitigen Barrieren und gewähren allen Menschen Teilhabe und so weiter und so fort.“

Und andere will die Stadt auch gleich belehren und verpflichten, wenn nämlich die Tübinger Nomenklatura anderen wiefolgt ins Stammbuch schreibt:

Die Stadt macht andere auf die Probleme aufmerksam: Die Universitätsstadt Tübingen sagt anderen Arbeitgebern und Betrieben, dass eine barrierefreie Umgebung notwendig ist. Sie sagt, dass es wichtig ist, dass diese Betriebe Menschen mit Behinderungen einstellen.

Und wissen Sie was? Das ist echt lustig:

Die Stadt Tübingen hat seit mehr als 2,5 Jahren keine Schwerbehinderten-Vertretung. Weder für behinderte Bewerberinnen und Bewerber, noch für die eigenen schwerbehinderten Mitarbeiter oder für die eigenen von Schwerbehinderung bedrohten Mitarbeiter.

Erkennen Sie das Schema? German Gratismut und große Klappe?

Gepaart mit moralischer Inkontinenz?

Das ist soooooo deutsch. Etwas auf's Papier schreiben, aber nicht zur Praxis werden lassen. Ob das nun Farbe bekennen via gratis-mutige Regenbogenfarben ist und oder Phrasen wie "Wir sind froh und dankbar, dass es wieder jüdisches Leben in Deutschland gibt. Jüdisches Leben bereichert unsere Gesellschaft. Es verdient unser aller Interesse, Hochachtung und damit auch Schutz. Jüdinnen und Juden sollen sich in Deutschland sicher, respektiert und zuhause fühlen können." oder "Behinderte Menschen haben bei uns alle Rechte und haben am Leben teil ohne Barrieren." Das ist - man muss es so benennen - leeres Blabla, wenn Ihr nicht konsequent seid und den blumigen Reden Taten folgen lasst.


Mein Wort zum Sonntag kommt zu einem Abschluss.
Für mich ist dieses Kasperletheater aus Phrasen und Parolen, dieser Gratismut, der keinem wirklich hilft, das ist so deutsch. So typisch deutsch.

Maulhelden der Moral, Wanderprediger der Werte (stets der richtigen, versteht sich!) und Spitzenreiter im Sozialen — sorry, der letzte Punkt war geflunkert: Wir sind Spitzenreiter bei Steuern und Abgaben. Doch selbst mit dem erarbeiteten Steuergeld tun wir ja so viel Gutes in der Welt ... wir verbrennen Steuergeld der Kassiererin, indem wir die E-Autos derer finanzieren, die sie sich leisten können, wir finanzieren Wirtschafts- und Armutsmigration anstatt denen, die hier leben zu angemessener Arbeit zu verhelfen, wir werfen das Geld aus dem Fenster für überteuerte Maskendeals, bei Cum-Ex und Mautdesaster, wir pumpen Steuergeld in die Kranken Kassen usw. usf. Wir versenken Geld in Schurkenstaaten Afrikas. Und verkauft wird uns das als "Seht her, wir tun Gutes. Wir zeigen der Welt, wie Gutsein geht."

Am deutschen Wesen mag die Welt genesen, heißt es. Ich hoffe nicht.

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