Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Warum ich meine eigenen Coronaregeln mache

Guten Tag, mir ist klar, dass es nicht unproblematisch ist – aber ich habe inzwischen meine eigenen Coronaregeln gemacht. Und zwar aus Notwehr. Die gerade amtlich gültigen Coronaregeln sind in den Hintergrund getreten, weil es fast unmöglich geworden ist, der Komplexität und dem aberwitzigen Umfang samt der ständigen Änderungen zu folgen. Und wirklich unmöglich, Konsistenz, Logik und Vernunft darin zu erkennen. Stattdessen habe ich aus den medial vermittelten Erkenntnissen von Fachleuten, aus situativer Abwägung und auch nach Erträglichkeit eigene Coronaregeln entwickelt. Sie funktionieren für mich viel besser als die Regeln des Staates und des Landes Berlin, in dem ich lebe. Schon deshalb, weil ich sie nach einem Jahr Pandemie immer noch anwenden kann, ohne durchzudrehen. Das ist vielleicht ähnlich wie bei Diäten: Die beste ist oft die, die man durchhält, und nur selten die, die auf dem Papier am besten wirkt. Meine Regeln haben damit zu tun, dass meiner Ansicht nach geimpfte Personen anders behandelt werden können als ungeimpfte. Und dass die Gefahr in Innenräumen lauert und kaum draußen. Oder dass es keinen besonders großen Unterschied macht, ob eine Person zu Besuch kommt oder ein Paar, das ohnehin zusammenlebt. Sie sind übrigens in vielen (aber nicht allen) Fällen härter als die offiziellen, aber darum geht es eigentlich nicht. Denn obwohl ich meine Position vor mir und der Öffentlichkeit rechtfertigen kann, halte ich diese Entwicklung für nicht besonders gut. Sie erscheint mir nur weniger schlecht als das, was an offizieller, pandemischer Maßgabe gerade im Angebot ist. Ab und an tue ich im Alltag etwas, was entlang der aktuellen Forschungslage unproblematisch oder erzvernünftig, faktisch aber verboten ist. Meine These ist, dass die meisten Menschen sich selbst ein Coronaregelwerk geschaffen haben, und zwar wie ich aus Notwehr gegen die Unverständlichkeit, Unnachvollziehbarkeit und auch Unsinnigkeit des staatlichen Regelwerks. (Sascha Lobo, SpiegelOnline)

Ich kann Lobo völlig nachvollziehen und möchte mich anschließen. Es ist einfach sinnlos geworden, noch irgendwie mit den aktuellen Regeln hinterherkommen zu wollen. Ich habe sogar die EVA-App installiert und bekomme immer die neuesten Verordnungen meines Landkreises direkt aufs Handy, aber trotzdem ist in dem Wirrwarr der wöchentlichen Regeländerungen praktisch nicht mehr ersichtlich, was gerade eigentlich zählt. Ich habe das an meinem Geburtstag vergangenes Wochenende gemerkt: am Tag danach sagte ich im Gespräch zu einem Bekannten, dass ich nicht groß gefeiert habe, weil ja eh nur eine Person außerhalb des Haushalts erlaubt sei. Der korrigierte mich; das gelte erst ab heute, am Wochendene waren noch zwei Personen erlaubt. Auch die Ausgangssperre ab 21 Uhr gelte erst ab heute, nicht schon am Wochenende, wie ich angenommen hatte.

Ich operiere seit Monaten nach dem gleichen Prinzip: Ich trage überall Maske. Ich treffe mich mit so wenig Menschen wie möglich. Ich halte Abstand. Das sind simple Regeln, die man sich merken und die man einhalten kann. Sie sind, wie Lobo auch beschreibt, meist wesentlich strenger als der Wust, der gerade gilt. Das laufende Kommunikationsdesaster dieser Regierung ist nicht mehr auszuhalten. Mein eigener emotionaler Haushalt ist durch die permanenten Regeländerungen und die Belastung durch die Einschränkungen inzwischen nur noch in einem Dauerzustand des mütend seins; einer Mischung aus müde und wütend. Ich denke, vielen geht es genauso. Jede Verlautbarungen aus Berlin oder Stuttgart ruft bei mir dieselbe Kombination aus Erschöpfung und kalter Wut hervor. Das ist kein gesunder Zustand, nicht für mich und nicht für die Politik und Gesellschaft. #DankeMerkel

2) Von Afrika nach Russland

Die Frage, um die es dabei geht, ist nur scheinbar einfach: Ist die deutsche koloniale Erfahrung auf die Zeit beschränkt, in der Deutschland formal eine Kolonialmacht war, auf die Jahre von 1884 bis 1919 also? Oder spielte der koloniale Gedanke auch darüber hinaus eine Rolle, bildet eine wichtige Kontinuität der deutschen Geschichte, mit grundsätzlicherem Erklärungspotenzial auch und gerade für die Zeit des Nationalsozialismus? Noch immer wird die deutsche Kolonialvergangenheit in der Öffentlichkeit verdrängt oder verniedlicht. Stattdessen verklärt man das deutsche Kolonialreich nostalgisch oder siedelt es irgendwo zwischen Pfadfinderabenteuer oder früher Entwicklungshilfe an. Es sei auch nur von sehr kurzer Dauer – und damit Auswirkung – gewesen, heißt es, als sage Dauer etwas über Intensität und Folgen. Immerhin währte die deutsche Kolonialherrschaft 35 Jahre und damit mehr als doppelt so lange wie das »Dritte Reich«. Und die deutsche Herrschaft über Namibia hatte zehn Mal so lange Bestand wie die über Teile der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg. Die katastrophalen Auswirkungen auf die Kolonisierten werden in der öffentlichen Wahrnehmung fast vollständig ausgeblendet. Das allein ist schon schlimm genug. Doch darüber hinaus führt die koloniale Amnesie auch zu einer bedenklichen Leerstelle im Verständnis der Verbrechen des »Dritten Reiches« – und damit auch in deren Aufarbeitung. Denn zumindest der Eroberungs- und Vernichtungskrieg gegen Polen und die Sowjetunion steht unverkennbar in einer kolonialen Tradition. Deutschlands koloniale Ambitionen endeten nicht 1919 mit dem Verlust der Kolonien in Afrika, sondern erst 1945. Nun war auch der zweite Versuch, ein Kolonialreich zu gründen, diesmal im Osten, endgültig gescheitert. (Jürgen Zimmerer, SpiegelOnline)

Zimmerer fasst noch einmal schön seine zentralen Thesen zusammen, die zum absurden Vorwurf geführt haben, er versuche den Holocaust zu relativieren. Dass die Nationalsozialisten ein Kolonialprogramm in Osteuropa hatten, und dass dieses Kolonialprogramm personelle und organisatorische Kontinuitäten hatte, ist seit Jahrzehnten Stand der Forschung. Zimmerer erwähnt dies nicht explizit, aber eine solche koloniale Agenda wurde von den Rechten bereits im Ersten Weltkrieg verfolgt (wen das interessiert, dem empfehle ich das Buch "Kriegsland im Osten", das das schön aufarbeitet). Die Fieberträume späterer Nazi-Operateure begannen mit dem Versprechen der Hindenburg/Ludendorff-OHL, den Veteranen Bauernhöfe im eroberten Polen und Litauen zu geben und sie als Inseln für die Germanisierung und Neuordnung Osteuropas zu nutzen. Der Vertrag von Brest-Litowsk diente diesem Ziel, das unter den Nazis um eine genizidale Komponente ergänzt wurde. Aber die Struktur und Leitlinien dieser Politik finden sich im Imperialismus, wo das alles bereits in Afrika erprobt wurde - mit desaströsen Konsequenzen für die Bevölkerung, auch wenn das besonders in Deutschland seither verdrängt wurde.

3) Die unwürdige Larmoyanz der deutschen Wirtschaftslobbyisten

Die Bestimmung verdient an dieser Stelle noch einmal eine so detaillierte Beschreibung, damit klar wird, was die Bundesregierung an diesem Dienstag beschlossen hat. Bei Lichte besehen ist es nämlich nicht viel mehr als eine schlichte Selbstverständlichkeit, die da noch einmal niedergeschrieben wurde – vergleichbar vielleicht mit der Vorschrift, ein Geländer an einem Baugerüst zu installieren, um die Arbeiter vor dem Herabstürzen zu sichern. Umso bemerkenswerter ist der Aufschrei vieler Verbandsvertreter. [...] Handelsverbandschef Börner verwies darauf, dass neun von zehn Unternehmen ihre Mitarbeiter bereits auf das Coronavirus testeten oder es in Kürze tun würden. Tatsächlich belegt die jüngste Umfrage des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, dass das zumindest bei den Großbetrieben nicht so weit weg ist von der Realität. Wieso, um alles in der Welt, machen die Wirtschaftsvertreter dann so einen Wind? Schließlich lautet ihr Credo doch sonst regelmäßig, wenn es um unvermeidbare Notwendigkeiten geht, solle man lieber zu einer staatlichen Regelung greifen, die gleiche Rahmenbedingungen im Wettbewerb schafft. Damit nicht am Ende die Vernünftigen die Dummen sind. Der wahre Grund für die Empörung dürfte vor allem einen Grund haben: Es geht darum, wer am Ende die Rechnung bezahlt. Nach Schätzungen des Wirtschaftsrats der CDU geht es um mehr als sieben Milliarden Euro pro Monat. Das könnten manche kleine und mittelständische Unternehmen nicht stemmen, heißt es dort. Auch der Präsident des Verbands der Familienunternehmer, Reinhold von Eben-Worlée, fordert Hilfestellungen. Noch weiter geht Nordmetall-Chef Nico Fickinger: Der Staat solle die Testkits bezahlen und darüber hinaus klarstellen, dass die Zeit, die für den Test benötigt wird, nicht als Arbeitszeit gerechnet wird. [...] Dabei setzt sich der Chor der Kritiker vor allem aus Vertretern jener Branchen zusammen, die bislang von den Folgen der Pandemie einigermaßen verschont geblieben sind. Viele Unternehmen haben normal weiter produziert, andere konnten ihre Belegschaft halten, weil die Regelungen für das Kurzarbeitergeld großzügig ausgeweitet wurden. Insgesamt hat die Regierung ja immerhin 1,7 Milliarden Euro bereitgestellt. [...] Angst und bange werden kann einem bei der Frage, wo diese Anspruchshaltung der Wirtschaftsvertreter hinführt, wenn es um die Lösung von Problemen mit ganz anderer Tragweite geht. Etwa beim Klimawandel. Die Verteilungskämpfe, die unserer Gesellschaft bevorstehen, werden jedenfalls eine völlig neue Dimension erreichen, wenn Dürren, Überschwemmungen oder Extremwetter unsere Lebensgrundlage völlig verändern. Mit den Kampeters, Wollseifers und Fickingers dieser Welt werden diese Fragen kaum noch einigermaßen gerecht zu lösen sein. (Michael Kröger, SpiegelOnline)

Ich stimme den Wirtschaftslobbyisten, die wie immer ihre Liebe für die Macht des Staates dann entdecken, wenn der ihre Verluste sozialisieren soll, völlig zu. Sie sind absolute Heuchler und völlig inkohärent in ihrer Argumentation, aber hier haben sie Recht. Wenn der Staat im Rahmen der Pandemie so etwas wie die Testungen verlangt, hat er auch die Infrastruktur zu stellen beziehungsweise die Kosten zu übernehmen. Ich habe da null Geduld für den Vorwurf von "Larmyanz" oder "gerechte Verteilung". Die gerechte Verteilung wird am ehesten erreicht, wenn der Staat das übernimmt und fertig; jede andere Lösung, wo zahlreiche Einzelmaßnahmen und Micromanagment betrieben wird, kann nur ineffizienter und ungerechter sein.

Aber: Das gilt halt immer, und nicht nur dann, wenn die Unternehmen versuchen wollen, die Kosten ihres Geschäfts auf die Allgemeinheit umzulegen. In dem Fall ist das berechtigt. Die Pandemie betrifft uns alle, und sie trifft mit völlig unterschiedlicher Härte. Wo kleine Selbstständige oftmals an den Rand des Ruins oder darüber hinaus getrieben werden, können manche Großunternehmen mit Kurzarbeit und Corona-Hilfen sogar Plus machen und die Krise als Chance nutzen, um Merkels Lieblingsphrase einmal passgenau zu verwenden. Die einzige Möglichkeit, die Wirtschaft nicht noch zusätzlich durch arbiträre Testkostenübernahme zu verzerren ist, es über den Staat zu machen.

Das führt in meine Grundsatzkritik zur wirtschaftlichen Bewältigung der Pandemie, und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich an der Stelle die Unterstützung der Unternehmenslobbyisten wieder verliere; die haben ja jetzt, was sie wollten. Aber in meinen Augen hätten die Pandemiekosten GENERELL übernommen werden müssen. Das überbürokratische System, das leider die instinktive Reaktion des deutschen Staates ist, hat hier denselben Effekt, den es in jeder Krise hat: viel zu kompliziert sein, viel zu lang brauchen, unzureichend sein.

4) «Fast jeder Polizist hat eine Leiche im Keller, weil jeder mal was falsch gemacht hat, was vertuscht wurde» (Interview mit Thomas Feltes)

Woher kommt dieser tief verwurzelte Glaube?
Man sagt: Wenn wir unsere Autorität verlieren, dann haben wir nicht mehr die Möglichkeit, Recht durchzusetzen, was Blödsinn ist. Die Bürgerinnen und Bürger würden es sehr wohl verstehen, wenn man sagte: Wir haben als Polizei hier einen Fehler gemacht und arbeiten das jetzt transparent auf. Das aber macht man nicht, weil man Angst hat, das Image der unantastbaren Institution zu verlieren. Um zu sagen, wir wollen kein Fehlverhalten, weder durch rassistisches Verhalten noch durch übermässige Gewalt noch durch rechts­extreme Entwicklungen, dazu bräuchte es eine Fehler­kultur. Ein Polizei­führer jedoch versteht sich als Führer und nicht als jemand, der sich um seine Unter­gebenen auch psychisch zu kümmern hat, der einem schwierigen Beamten sagt: «Okay, pass auf. Du bist jetzt fünf-, sechsmal aufgefallen, durch Gewalt beispiels­weise. Wir müssen das angehen.»

Wie könnte man das angehen?
Die typisch deutsche Reaktion ist: ein Disziplinar­verfahren, das möglichst nicht publik gemacht wird. In den USA wird inzwischen eine andere Strategie verfolgt. Man hat erkannt, dass Verhalten nur durch positive Angebote geändert werden kann. Fortbildung, Coaching, Supervision, Anti-Aggressions-Training oder eine Familien­therapie. Das können Sie in Deutschland vergessen. Es ist ein No-Go. Dann würde man eingestehen, ein Problem zu haben.

Es geht also einfach immer so weiter?
Drei Punkte müsste man angehen, und dann könnte man schnell viel bewirken. Erstens: eine Fehler­kultur entwickeln. Fehler transparent aufarbeiten und externe Unter­suchungs­einrichtungen aufbauen. Zweitens: Führungs­kräfte sensibilisieren, so wie das in der Schweiz durchaus der Fall ist, wo man Leute von aussen holt, die eine andere Sicht­weise und Sensibilität haben. In Deutschland hat ein Polizei­führer nie etwas anderes gelernt als Polizist. Er hat nie gelernt, anders zu denken als im System Polizei. Die meisten, aber zum Glück nicht alle, sind nicht sensibilisiert für Probleme, die es im eigenen Haus geben kann. (Daniel Ryser, Republic.ch)

Das ist ein super langes Interview mit sehr vielen wichtigen Punkten, ihr solltet es unbedingt ganz lesen! Ich könnte praktisch jede Antwort herausziehen und einen längeren Kommentar dazu schreiben, aber ich nehme jetzt einfach mal diesen hier. Ich tue das vor allem deshalb, weil das Grundproble - wenngleich nicht so scharf - in jeder Institution vorhanden ist. Kritik zuzulassen und Fehler einzugestehen erfordert eine entsprechende Kultur, und die wird bedauerlicherweise von den wenigsten Institutionen gepflegt.

Ich habe darüber in meinem Artikel "Vom Wert der Entschuldigung" geschrieben, und das Thema liegt mir sehr am Herzen, weil ich dasselbe Problem in meinem eigenen Beruf immer und immer wieder erlebe. Viele Lehrkräfte (und Schulleitungen) haben ein Riesenproblem mit dem Eingestehen von Fehlern. In Unternehmen oder Institutionen sind die Führungskräfte sowieso in weiten Teilen völlig unfähig dazu, eine vernünftige Fehlerkultur zu etablieren. Da muss noch so viel passieren, aber in der Polizei ist es wegen den oben beschrieben Dynamiken ganz besonders problematisch.

Ein weiterer Beleg übrigens zu der im Interview auch geäußerten These, dass die Zurückhaltung der Polizei bei Querdenker-Demos im Gegensatz zu linken Protesten vor allem politisch beziehungsweise in der Mentalität der Polizei zu suchen ist: Die direkte Aussage eines Polizeisprechers, die Querdenker seien halt aus der "Mitte der Gesellschaft", weswegen man nicht hart zulangen wolle, ist eine Bankrotterklärung für all jene, die immer noch versucht haben, die Fiktion einer neutralen Polizei aufrechtzuerhalten. Offensichtlich agiert die Polizei politisch (gegen links), das war bisher nur mit zwei zugekniffenen Augen zu leugnen. Interessant ist hier vielleicht auch die Vergangenheit: das einzige Mal, als die Polizei Demonstrant*innen aus der "Mitte der Gesellschaft" so behandelte wie sie normalerweise Demonstrant*innen von links behandelt, war bei den S21-Protesten. Das Resultat war ein Regierungswechsel und eine Delegitimation der Polizei bei ihren bisherigen Unterstützerschichten. Kein Wunder fassen die die Querdenker*innen nicht an. Nur: Mit Rechtsstaat hat das alles nichts zu tun.

5) Post-Merkel Germany May Be Shaded Green

But these are not the Greens of the Cold War, a radical party appalled by the nuclear standoff between the Soviet Union and the United States over a divided Europe. The Greens are now centrist, eager for power, with a surprisingly gimlet-eyed view of international affairs and of how Germany needs to change without alienating big business. [...] Jana Puglierin, the director of the European Council on Foreign Relations in Berlin, said: “The Greens are the only party that can rock the boat a bit, especially on China and Russia. They will strike a better balance between the economy and human rights.’’ [...] Led by two pragmatists, or “realos,” the German Greens honor their “fundis,” the more idealistic among them, without allowing them to marginalize the party, as in the past. [...] Even Mr. Röttgen, the Christian Democrat who is chairman of the Bundestag foreign policy committee, said that “however embarrassing for me, the Greens have the clearest stance of all the parties on China and Russia.” They would make “a much more realistic and preferable partner for us on foreign policy,” he said. Wolfgang Streeck, a leftist German economist, once famously called the Greens “the vegetarian section of the Christian Democrats,” noted Hans Kundnani of Chatham House, a research organization based in London. In the way the party criticizes Russia and China on the grounds of democracy and human rights, Mr. Kundnani said, it is similar to American neoconservatives. “The German Greens are now a pragmatist centrist party,” said Ulrich Speck of the German Marshall Fund in Berlin. “They want to be part of the government and play a big role, with a focus on greening the economy. They think there are enough in business who understand that this is the future.” (Steven Erlanger, New York Times)

Ich verlinke diesen Artikel hier hauptsächlich, um zu zeigen, wie sehr die Wahrnehmung einiger Kommentatoren (bewusst ungegendert) hier im Blog eine Außenseitermeinung darstellt. Die Grünen sind eine Mitte-Links-Partei, die ungefähr so radikal ist wie die CDU, FDP oder sie SPD auch. Die maßlosen Vorwürfe von Radikalismus, die hier immer wieder aufgebracht werden, sind schon fast neurotisch.

Besonders hingewiesen sei noch einmal auf den Aspekt der Außenpolitik. Es ist total verrückt, dass die Partei, bei der 1999 noch Farbbeutel wegen des Kosovokriegs flogen, nur 20 Jahre später die Partei in Deutschland ist, die am geschlossensten hinter dem 2%-Ziel und der NATO steht. Selbst auf die CDU ist da ja seit der Wahl Laschets nur noch bedingt Verlass. Die SPD und FDP sind ja völlig abgerutscht. Das ist komplett absurd.

6) When should the U.S. have left Afghanistan?

Unlike the wars in Vietnam or Iraq, the war in Afghanistan was not a war of choice. America had been attacked, in a spectacular fashion, and the organization loudly claiming responsibility was sanctioned, protected, and supported by the Taliban government. We had to fight — and we had to fight to win. But achieving anything that could be plausibly described as victory posed the same challenges as those other wars: defeating a ruthless and determined insurgency in a country with which we share little cultural affinity on behalf of a corrupt and incompetent government of questionable legitimacy in the eyes of its people. We simply don't have a very good track record of winning such wars — and neither does anyone else. In other words, in retrospect we could have left Afghanistan at any time, and in retrospect there was no good time to leave. The original mission — which was an obvious, reasonable, and popular response to al Qaeda's attacks — was never realistically likely to be achieved. We can investigate all the mistakes that were made — and there were many — but if we did everything right, we still probably would have failed. And yet, in this case, it's inconceivable that we wouldn't have tried. That should be a very sobering lesson for the stewards of American power. If history is any guide, we probably won't learn it. (Noah Millmann, The Week)

Der Afghanistan-Krieg ist aussichtlos, seit über 15 Jahren, und irgendwann müssen wir das Land verlassen. Das ist auch seit 15 Jahren klar. Dass es dafür keinen geeigneten Zeitpunkt gab genauso, und dass es nie einen geben wird ebenso. Man muss es Biden hoch anrechnen, dass er bereit ist, den gewaltigen politischen Preis zu bezahlen, den der Abzug kosten wird. Denn dass nach dem NATO-Abzug die Taliban das Land zurückerobern werden ist kein Szenario, sondern Gewissheit. Afghanistan stehen Massaker und blutige Unterdrückung ins Haus. Es ist ein Desaster mit Ansage.

Akzeptabel finde ich den NATO-Abzug unter zwei Bedingungen:

Erstens muss die NATO alles afghanische Personal inklusive Familien evakuieren, das mit ihnen zusammengearbeitet hat. Allzu oft haben westliche Armeen das bei ihren Abzügen nicht getan (man denke an die USA in Südvietnam), und es kann kein Zweifel daran bestehen, dass diese Leute von den Taliban alle ermordet werden würden. Ohne dieses Personal wäre der Einsatz nicht möglich gewesen. Sie haben ihr Leben riskiert, um die westliche Vision Wirklichkeit werden zu lassen; wir schulden ihnen Asyl. In dem Zusammenhang bin ich einmal mehr positiv von Annegret Krampp-Karrenbauer überrascht, die sich mehr und mehr zum Star des Kabinetts Merkel IV entwickelt und die bereits entsprechende Maßnahmen ergreift und klar als Bedingung formuliert. Ist ihre Qualität als Verteidigungsministerin eine Folge des verlorenen Machtkampfs, weil sie nichts zu verlieren hat, oder ging mit ihrem Scheitern als CDU-Vorsitzende wirklich etwas verloren? Wir werden es nie erfahren. Wobei, angesichts der akutellen Alternative wissen wir es eigentlich.

Zweitens müssen alle Abschiebungen nach Afghanistan, die bereits vorher angesichts der Sicherheitslage eine absolute Travestie waren, sofor gestoppt werden. Angesichts des zu erwartenden Sieg der Taliban und den ebenfalls zu erwartenden Massakern wäre es nahe am Mord, jetzt noch Flüchtlinge zurück nach Afghanistan zu schicken.

7) „Etwas reißt“ (Interview mit Julia Friedrichs)

Den größten Druck in dieser Situation muss die arbeitende Bevölkerung aushalten, die „Working Class“, für die es Ihrer Ansicht nach gar keinen richtigen deutschsprachigen Namen – und somit auch keine gemeinsame Identität – mehr gibt. Zeigt sich in dieser Sprach- und Identitätslosigkeit genau das Problem?

Absolut. Die Menschen, die ich für das Buch getroffen habe, begreifen ihr Ringen um bessere Arbeits- und Lebensbedingungen als Einzelkampf. Es gibt kein geteiltes Bewusstsein dafür, dass man als nicht vermögende, arbeitende Bevölkerung in einer gemeinsamen Lage ist, aus der man sich auch gemeinsam herausbewegen müsste. Und ich glaube, das fängt tatsächlich bei der Sprachlosigkeit an. Der Begriff der „Arbeiterklasse“ ist in Deutschland bereits stark besetzt und verbraucht. Man spricht stattdessen von den „einfachen Leuten“ oder der „hart arbeitenden Mitte“. Mit der auch in den angelsächsischen Ländern unverbrauchteren Bezeichnung der „Working Class“ folge ich den US-Ökonomen Emmanuel Saez und Gabriel Zucman, die damit Menschen meinen, die allein von ihrer Arbeit leben müssen. Das betrifft in Deutschland immerhin 50 Prozent der Bevölkerung. Die Definition hat den Vorteil, dass sie auch Menschen ohne Vermögen umfasst, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht arbeiten, arbeiten können oder dürfen.

Die Working Class, die Sie porträtieren, das sind Reinigungskräfte, Büroangestellte, Freiberufler. Wie kann eine so diverse Gruppe eine gemeinsame Klassenidentität entwickeln?

Am Ende teilen diese Menschen eben doch dasselbe Schicksal. Für sie alle ist es in den vergangenen Jahrzehnten deutlich schwieriger geworden, von ihrer Arbeit zu leben, geschweige denn dabei noch etwas anzusparen. Die prekarisierenden Veränderungen am Arbeitsmarkt – Lohnstagnation, Wegfall von Festanstellungen, Outsourcing, fehlende Anerkennung – sind etwas, das von Ungelernten bis hin zu exzellent Ausgebildeten im Grunde alle verbindet. Daher wäre es auch möglich, ein gemeinsames Bewusstsein aufzubauen, je mehr man über diese Dinge spricht und die verbindenden Mechanismen aufzeigt. (Tom Wolfahrt, Freitag)

Ich lasse jetzt mal stehen, ob der Begriff "working class" in Deutschland besser als der der Arbeiterklasse funktionieren kann, aber die Analyse ist solide. Ein ziemlich großer, wenngleich sicherlich nicht mehrheitlicher Sockel der Menschen in Deutschland lebt außerhalb jeder realistischen Reichweite eines Mittelschichtenstils, und diese ökonomische Deprivation ist so ziemlich das einzige verbindende Element. Das aber ist genau das Problem, denn dass diese disparate, heterogene Gruppe irgendwie ein gemeinsames Bewusstsein und Willen zum Handeln entwickelt scheint mir ein linkes Hirngespinst zu sein, das zudem noch von schlechten Analysen behindert (siehe Fundstück 10).

8) The One Argument Conservatives Have Made Against Every New Social Program

The reason this critique is likely to pop up again and again is that conservatives have made it against every new social benefit. Whatever next step in the welfare state was never just a single step but an unstoppable slide down an icy slope toward socialism. [...] What’s notable about these critiques is, first, they assume a political dynamic that is little in evidence. There are instances where the establishment of a new benefit creates political demand for still more benefits. (The paradigmatic example is Franklin Roosevelt’s New Deal, which seemingly established a constituency for bigger government but is also historically sui generis.) But it is just as common for welfare-state expansions to sate voters’ appetites. The establishment of Medicare sawed off a potential constituency for universal health care. The most potent argument Republicans mounted against Obamacare was that it threatened Medicare; angry voters in 2009 were appearing at rallies demanding the government keep its hands off their Medicare. Every other industrialized democracy in the world has implemented universal health insurance, yet none of them has created a permanent left-wing majority. Indeed, parties on the left have been in broad retreat across the western world. If anything, the Republican party has performed unusually badly in comparison with other parties of the right; if America’s meager welfare state is not the cause, it certainly isn’t helping much. [...] This insistence on turning every specific programmatic design question into an abstract conflict over socialism is one of the defining pathologies of the American right. (Strain is one of the more thoughtful conservatives, which makes his endorsement all the more revealing.) A mature governing party can make practical distinctions between market failures that require correction and government overreach. The conservative movement has never developed any interest in doing so. The Republican party won’t be able to govern until it lets go of its fear that any new social benefit would send us hurtling down the road to serfdom. (Jonathan Chait, New York Magazine)

Das ist natürlich nichts Neues bei den Republicans. Es macht mich aber neugierig: diese Argumentation ist schon spezifisch amerikanisch, oder? Konservative und Liberale lehnen natürlich auch in Europa grundsätzlich erstmal neue Sozialprogramme ab, aber diese Argumentation von wegen "sonst kommt Sozialismus" sieht man hierzulande eher weniger, da wird stärker auf die Finanzierbarkeit und solche policy-Argumente Wert gelegt. Ich mag mich aber irren, bitte gerne kommentieren!

Das gleiche Argument kann man übrigens in Deutschland auch für Linke (und LINKE) beim Thema Auslandseinsätze bzw. Eindämmung gegen Russland anbringen. Denn jede Schraube, die für die Bundeswehr bestellt wird, ist für die LINKE ja gleich der Beweis für die Militarisierung Deutschlands. Das ist genauso schwachsinnig. Und etwas, das die amerikanische Linke nicht macht. Merkwürdige Spiegel-Symmetrie, die da läuft.

9) Annalena Baerbock: the woman who could become Germany’s first Green chancellor

Whether Baerbock or Habeck emerges as candidate, the two are expected to front the party’s campaign jointly. It could get rough. The better the Greens do in the polls, the more the CDU/CSU and FDP will accuse them of being in league with radical leftists and the more the SPD will accuse them of being bourgeois do-gooders who do not get social justice. Still, that all three mainstream rivals will be led into the election by rather underwhelming white men may weaken their attacks against a Green party capable of radiating freshness and change. The aftermath of the vote on 26 September will, as ever, come down to the numbers. It may be that the only arithmetically and politically viable coalition will be one led by the CDU/CSU, with the Greens as partners. The price of their support would likely be the incorporation of large parts of their landmark environmental and investment agenda into the coalition agreement, and several major ministries; probably the powerful finance ministry, plus perhaps a new climate mega-ministry and the foreign ministry. Baerbock would almost certainly get the biggest or second-biggest of these portfolios. That is the most likely outcome. But increasingly conceivable, at least, is an election result in which the CDU/CSU, wracked as it is by corruption scandals, disputes over Germany’s pandemic response and weariness after the long Merkel years, falls far enough that the other parties can oust it. This could mean a government of both the Greens and the SPD plus one of the FDP or (less likely) the socialist Left party. Neither the FDP nor the Left would make an easy negotiating or governing partner, but informal soundings via back channels have begun. The result, assuming the Greens are the largest of these other parties, would be a chancellor Baerbock or a chancellor Habeck; a first in the history of the federal republic. A party colleague predicts a Baerbock chancellorship would be “European and transatlantic” in essence and that: “The expectations and ambition level would be massive. There would be a lot of attention to how she handled ethical and moral questions.” (Jeremy Cliffe, The New Statesman)

Angesichts der heutigen Nachrichten von der offiziellen Kandidat*innenkür ist dieses lange, ausführliche und gelungene Porträt Baerbocks im New Statesman noch aktueller als zu dem Zeitpunkt, als ich begann den Artikel zu schreiben; es sei daher empfohlen. Ich möchte nur noch mal den Punkt herausgreifen, dass die Grünen die Partei sind, die der CDU gerade am nächsten steht - was, wie in Fundstück 5 angesprochen, der Wahrnehmung mancher doch deutlich widerspricht. Die Koalitionsdynamiken haben wir ja bereits an anderer Stelle diskutiert.

10) Aus der Zeit gefallen

Sahra Wagenknecht scheint mir vielmehr aus der Zeit gefallen zu sein. Es wirkt, als wäre sie irgendwo zwischen den Achtzigern und frühen Neunzigern stecken geblieben. Sie versteht sich als traditionelle Linke; als konservative Linke, wenn man so will. Geboren und sozialisiert im "Arbeiter- und Bauernstaat", dreht sich bis heute alles bei ihr um die Arbeiterklasse. Arbeiterinnen und Arbeiter machen gegenwärtig noch ein Viertel aller Erwerbstätigen im produzierenden Gewerbe aus. Ihre Zahl ist über die Jahrzehnte massiv geschrumpft. 75 Prozent ernährt der Dienstleistungssektor, rund ein Prozent die Landwirtschaft. [...] In ihrer Fixierung auf Arbeiter richtet die 51-Jährige ihre Ansprache primär an Bundesbürger ohne Zuwanderungsgeschichte. Arbeiter, die seit Mitte der 50er eingewandert sind, so wie meine Eltern, die als "Gastarbeiter" den Rücken krumm gemacht haben, hat sie nicht im Blick. Sie adressiert sie jedenfalls mit ihrer Wortwahl nicht, obwohl bereits mehr als 26 Prozent aller Arbeiter einen sogenannten Migrationshintergrund haben. Der gesellschaftliche Wandel ist augenscheinlich an ihr vorbeigegangen. [...] Die klassischen Arbeiter sind über die Jahrzehnte des Strukturwandels selbst zur Minderheit geworden und haben sich von SPD und Linken abgekoppelt. Die meisten fühlen sich bei anderen Parteien besser aufgehoben – und das gilt nicht nur für die AfD; vor allem CDU/CSU und die Grünen formulieren selbstverständlich ebenfalls Angebote an Arbeiter. Bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg wurde die AfD unter ihnen zwar die stärkste Kraft, die Linke jedoch rangierte auf dem letzten Platz. Mit mageren drei Prozent. Sogar noch deutlich hinter der FDP. Ein ähnliches Bild für die Linke ergibt sich in Rheinland-Pfalz. Es ist wichtig, sich für Arbeiter, Beschäftigte im Niedriglohnsektor und Arbeitslose in Deutschland politisch zu engagieren. Darüber hinaus fühlen sich benachteiligte Deutsche ohne sogenannten Migrationshintergrund nach meinen Beobachtungen zu Recht häufig übergangen und in ihren Nöten, Ängsten und Sorgen alleingelassen. Das müssen sich alle Parteien selbstkritisch vorhalten. Diese Gruppen brauchen eine politische Vertretung. Dass sich Sahra Wagenknecht für sie einsetzt, ist also gut und richtig. (Lamya Kaddor, T-Online)

Wie bereits in den vorherigen Fundstücken angesprochen scheint Wagenknecht tatsächlich vor allem nicht in der Lage, ihre alten Denkmuster zu überwinden und arbeitet schlicht in veralteten Strukturen. Der Gegensatz zwischen den Anliegen von Minderheiten und der "Arbeiterklasse" ist künstlich und basiert auf der fixen Idee, die Arbeiterklasse sei a) ein homogener Block und b) ticke links. Aber das ist offensichtlich beides nicht mehr der Fall, und dass Wagenknecht das nicht sieht, bedingt ihre elektorale Irrelevanz. Wie ich bereits im letzten Vermischten schrieb, sie ist eine miese Politikerin. Eigentlich gehört sie in einen Think-Tank.

11) Müssen wir uns bei Merkel entschuldigen?

Müssen wir uns bei Frau Merkel entschuldigen? Ein paar Gedanken über die Verantwortung der Medien in dieser Krise. [...] Ich würde die These aufstellen, dass das zögerliche Vorgehen in der zweiten/dritten Welle auch auf den Gegenwind aus den Medien – Teilen der Medien – zurückzuführen ist. Wir haben dazu beigetragen, dass nicht früher schärfer eingegriffen wurde und wir jetzt im Dauerlockdown sind. Wir schaffen das kommunikative Umfeld, in dem Politiker handeln.Insofern tragen wir eine Verantwortung. Das bedeutet nicht, dass es einen Meinungskorridor gäbe, aber dass wir uns bei dem was wir schreiben den Stand der Forschung berücksichtigen.Insofern tragen wir eine Verantwortung. Das bedeutet nicht, dass es einen Meinungskorridor gäbe, aber dass wir uns bei dem was wir schreiben den Stand der Forschung berücksichtigen. Und in dieser Phase der Krise haben sich die Modelle der Epidemiologen einfach als zuverlässig erwiesen. Da kann man 1000 x Streeck et al featuren - es stimmt einfach nicht was sie sagen und das kann man wissen. Insofern wir das mit Verweis auf Binnenpluralismus doch tun tragen wir dazu bei, dass sich die Krise länger hinzieht. Binnenpluralismus ist hier nicht die relevante journalistische Kategorie, das wäre Wahrheit. Und Wahrheit wird approximiert durch Wissenschaft. Man würde ja auch nicht im Krieg eine Zeitung haben wollen die schreibt die Panzer stehen erst in Moskau wenn sie schon in Dresden stehen. Deshalb ja, vielleicht müssen wir uns doch entschuldigen. (Mark Schieritz, Twitter)

Sorry, Herr Schieritz, aber nein, müssen wir nicht. Die (Selbst-)Kritik, dass die unterirdische Berichterstattung in den Medien zu dem Druck beigetragen hat, unter dem die Politik ihre abartig schlechten Entscheidungen getroffen hat, unterstreiche ich voll und ganz. Aber genauso, wie ich nicht bereit bin, die Wählenden von ihrer Verantwortung zu entbinden, genauso wenig finde ich es akzeptabel, jemand, der einen Amtseid geleistet hat, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden und der Regierungsverantwortung übernehmen will, verantwortungsfrei zu stellen, als ob es nicht eine (wenngleich machtpolitisch und menschlich nachvollziehbare) Entscheidung wäre, diesem Druck nachzugeben. Nein, wer Kanzler*in sein will, muss nötigenfalls den Druck aushalten und gegen den Strom schwimmen. Das ist inakzeptabel.

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