Es gibt auch gute Nachrichten zur Zeit: Etwa die, dass Menschen, die irgendein Zertifikat in der Tasche haben, das sie für eine Tätigkeit in der Pflege qualifiziert, sich momentan keine Sorgen wegen Arbeitslosigkeit machen müssen. Dann gibt es noch eine gute Nachricht für alle, die das System brennen sehen wollen: Glückwunsch, es brennt. Das Gesundheitssystem beginnt zu kollabieren. Die ersten Landkreise im Seuchenfreundestaat Sachsen haben bald keine Intensivbetten mehr frei. Dort droht auch pandemiebedingt der flächendeckende Polizeidienst zusammenzubrechen. Das dortige Arbeitszeitgesetz wurde dahingehend geändert, dass sächsische Krematorien jetzt regulär Überstunden machen dürfen. Noch was? Ja. Die Bundeswehr will 120.000 Soldaten mobilisieren für Krankentransporte und Logistik.

Zufrieden? Nein, natürlich nicht. Ist schließlich alles nur Hysterie und Panikmache, gell? Rabäh, keiner interessiert sich für meine irre unangepassten, nicht mainstreamigen Befindlichkeiten, schluchzbuhu!

Und wenn schon, am Pflegenotstand ist eh bloß der dreckige Schweinekapitalismus schuld! Denn es wurden aus Geldgier und Sparwahn Intensivbetten abgebaut. Ja kucke, hättste das gedacht? Die schlechte Nachricht: Die Betten wurden stillgelegt, weil kein Personal da ist. Weil zig Pflegekräfte entkräftet und entnervt hingeschmissen haben und Möbel keinen Kranken pflegen. Was hilft diese großartige Erkenntnis eigentlich den Leuten, die jetzt um ihr Leben kämpfen? Rettet das auch nur ein Leben? Aber was will man diskutieren mit welchen, die es schon als totalitären Übergriff auffassen, wenn Impfen im Fernsehen als okay angepriesen wird, während Krebsoperationen verschoben werden müssen, weil Intensivbetten von Seuchenfreunden blockiert werden?

Nein, dass mehr Geimpfte auf den Intensivstationen landen, ist KEIN Zeichen dafür, dass die Impfung nicht wirkt.

Aber was reg' ich mich auf? Bringt eh nichts. Ich wollte eh auf was anderes hinaus:

Die Erkenntnis, dass profitorientierte Krankenpflege, wie Gesundheitsversorgung generell, unter kapitalistischen Bedingungen arger Mumpitz ist, trifft zwar zu, hilft uns in der gegenwärtigen Situation aber kein Stück weiter. Was für ein Mumpitz das ist, lässt sich auch sehr schön studieren an der Reaktion der Politik auf den im Prinzip seit Jahrzehnten grassierenden Pflegenotstand, der durch die Pandemie (ja, es ist eine Pandemie!) noch einmal richtig dramatisch zutage getreten ist. Das einzige, was maßgeblichen Leutchen einfällt, wenn sie mit den Problem konfrontiert werden, dass es deutlich zu wenig Pflegekräfte gibt: Gebt ihnen halt mehr Geld.

Nur ist es so, dass zumindest die momentan so gefragten Intensivpflegekräfte im Mittel durchaus ein solides Facharbeiter/innengehalt erzielen können, von dem sich’s schon leben lässt. Davon abgesehen, ist es natürlich grundsätzlich wünschenswert, wenn hart Arbeitende mit viel Verantwortung dafür auch ordentlich bezahlt werden. Wie es überhaupt wünschenswert wäre, dass Werktätige angemessen an der Produktivitätssteigerung beteiligt würden, die sie so erwirtschaften. Wenn Menschen, die sich diesen Job tagein, tagaus antun, in Zukunft finanziell besser gestellt werden, soll’s an mir also bestimmt nicht liegen.

(Ich weiß übrigens ungefähr, wovon ich rede. Ich habe Ende der Achtziger Zivildienst im Krankenhaus  geschoben. 20 Monate Station. 12 Tage jeweils sieben Stunden  durcharbeiten, sechs Tage Früh-, sechs Tage Spätschicht. Dann zwei Tage Wochenende. Wenn man sich von der jungen, hübschen Lernschwester von Station A belabern ließ, einen Wochenenddienst zu tauschen, hatte man zwar zwei freie Wochenenden hintereinander, musste dafür dann aber 18 Tage durcharbeiten. Sogar als kräftigem, gesunden Jungspund ist mir das damals gewaltig auf die Knochen gegangen.)

Könnte es nicht sein, dass nicht so sehr bzw. nicht allein die Bezahlung das Problem ist, sondern vielmehr die Arbeitsbedingungen? Der Schichtdienst, die permanente Unterbesetzung, die monströsen Überstundenkonten? Die Wochenend- und Feiertagsdienste, die Unvereinbarkeit mit dem Familienleben (außer man arbeitet an einer großen Uniklinik mit Betriebskindergarten und entsprechenden Öffnungszeiten)? Was macht eine allein erziehende Krankenschwester, die, sofern sie ihr Handy nicht im Spind eingeschlossen hat, mitten im Frühdienst einen Anruf von der Kita ihres Kindes kriegt und gebeten wird, das plötzlich erkrankte Kind sofort abzuholen?

Was steckt eigentlich für ein armseliges Menschenbild dahinter, wenn man glaubt, man bräuchte Leuten nur Geld zuzustecken, dann machen die schon jeden Scheiß mit? Kleiner Tipp: Es ist wahrscheinlich dasselbe trostlose, zynische Menschenbild, das Leute Gassi führen, die glauben, Ärzte würfen grundsätzlich sofort all ihre Werte und Ideale über Bord, wenn die Pharmamafia bloß mit einem dicken Scheck und einem Kreuzfahrtgutschein wedelt. Wer so argumentiert, merkt gar nicht, wie knietief er selbst in der kapitalistischen Verwertungslogik steckt.

Könnte es ferner sein, dass Menschen sich nicht deshalb für einen Pflegeberuf entscheiden, weil sie glauben, dort ganz easy ein Spitzengehalt abräumen zu können, sondern weil ihnen vorrangig andere Dinge wichtig sind im Leben? Erfüllung? Sinnstiftung? Mitmenschlichkeit? Wird ein emotional und körperlich auslaugender Knochenjob auch nur einen Deut besser durch, sagen wir, 500 brutto mehr im Monat? Das wäre, wie gesagt, nett. Aber würde das verhindern, dass auch nur eine ausgelaugte Pflegekraft den Job entnervt hinwirft? Das allein wohl kaum.

Pflegekräften mehr zu bezahlen, wertet den Beruf noch nicht auf, sondern ist unter den herrschenden Bedingungen bloß eine Art Schmerzensgeld. Es kann, wenn überhaupt, exakt eines bewirken: Auf längere Sicht einen Anreiz für mehr junge Menschen bilden, sich vielleicht doch für eine Ausbildung in der Pflege zu interessieren. Das ist aber in der momentanen Situation nicht mehr als eine schmale Hoffnung, denn der Effekt wird sich allenfalls in ein paar Jahren einstellen.

Bis dahin Gnade uns Gott oder was auch immer.




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