Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) Es wird Geld kosten – so oder so

Der Artikel beschreibt den Deutschlandfonds, ein politisches Manöver von Wirtschaftsminister Robert Habeck, das wohl kaum in der aktuellen Legislaturperiode umgesetzt wird, da es eine Verfassungsänderung erfordert, die ohne Unterstützung der Union nicht möglich ist. Der Deutschlandfonds sieht vor, dass Unternehmen eine Prämie von zehn Prozent auf neue Investitionen erhalten, was liberalen Ökonomen als unbürokratisch und effektiv gilt. Die Maßnahme soll gezielt Investitionen fördern, ohne allgemeine Steuererleichterungen zu gewähren, wodurch Einnahmeverluste geringer ausfallen. Kritiker hinterfragen die ablehnende Haltung der FDP, da diese Maßnahme keine typische grüne Lenkungspolitik darstellt und eher einem liberalen Wirtschaftsdenken entspricht. Der Vorschlag zeigt Habecks Strategie, durch einen ökoliberalen Kurs in der politischen Mitte Fuß zu fassen. Dennoch wird betont, dass der Deutschlandfonds allein nicht ausreicht, um die wirtschaftliche Krise zu bewältigen, sondern umfassendere Reformen notwendig sind, die ebenfalls Geld kosten werden. (Mark Schieritz, ZEIT)

Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wie sinnvoll Habecks Vorschlag ist. Von dem, was ich bisher gelesen habe, und von den eher verhaltenen Reaktionen gerade aus der Richtung eines Schieritz neige ich eher zu "nicht sonderlich". Aber immerhin hat der Vorstoß - den man getrost als "Wahlkampf" ablegen darf, weil er die Umsetzungschancen eines Schneeballs in der Hölle hat - eine Debatte ausgelöst, die sowohl Lindner als auch Scholz zu eigenen Positionierungen gezwungen haben (während Merz wirtschaftspolitisch weiter merkwürdig blank dasteht, was aber irgendwie keinen interessiert, weil er hat ja mal bei Blackrock gearbeitet...?). Das ist zwar für die Ampel nicht förderlich, aber die Koalition ist zu diesem Zeitpunkt ohnehin klinisch tot, wie man an dem sofort entbrannten Zweikampf zwischen Scholz und Lindner (bei dem Habeck schon wieder keine Rolle spielt) sichtbar wurde. Fakt ist, dass Deutschland dringend eine Wirtschaftspolitik braucht, die Investitionen fördert, und zwar solche, die zukunftsträchtig sind. Subventionen für die Fossilindustrie à la FDP, SPD und CDU sind da sicher der falsche Weg. Eine gute Idee haben die Grünen aber auch nicht. Aber ist ja auch nicht so, als würde die Zeit drängen...

Siehe auch: Sprengt Christian Lindner die Ampel?

2) Trump II: the military threat to Europe

Der Artikel behandelt die Sorge um Europas Verteidigungsfähigkeit, falls Donald Trump als US-Präsident zurückkehrt und die Nato-Unterstützung reduziert oder sogar aufgibt. Da Trump Isolationismus unterstützt und Sympathien für Putin gezeigt hat, befürchten Experten, dass ein Rückzug der USA Europa in eine Krise stürzen könnte. Obwohl europäische Staaten seit dem Ukrainekrieg mehr in ihre Verteidigung investieren, sind diese Maßnahmen unzureichend. Länder wie Deutschland und Frankreich kämpfen mit Haushaltsproblemen, und der öffentliche Druck, die Ukraine zu unterstützen, bleibt gering. Putin könnte dies ausnutzen und das Nato-Bündnis testen, indem er beispielsweise einen baltischen Staat angreift, was Europa vor die Wahl stellen würde, militärisch zu reagieren. Doch europäische Länder zeigen wenig Durchhaltevermögen im Kriegsfall, da die Bereitschaft, hohe Verluste zu tolerieren, gering ist. Polen hingegen rüstet sich für seine eigene Verteidigung und baut eine starke Armee auf. Letztlich hängt Europas Sicherheit vom Wahlausgang in den USA ab, da ein Rückzug der USA Russland ermutigen könnte, weiterzugehen. (Simon Kuper, Financial Times)

Ich bin ein großer Fan der klaren Worte Kupers, was die Bedeutung eines US-Rückzugs aus Europa angeht. Ohne die USA gibt es keine NATO, und ohne die NATO steht die europäische Sicherheitslage ziemlich schlecht da. Wir haben zwar genug Traumtänzer*innen, die das als Chance für eine Art von Diplomatie- und Verständigungspolitik mit Russland sehen, aber was ich davon halte, habe ich vor geraumer Zeit schon aufgeschrieben. Trump ist eine der größten Gefahren für die aktuelle Sicherheitslage, die sich denken lassen. Und die meisten europäischen Länder, Deutschland vorne dran, ignorieren das weiter genauso tapfer wie die Tatsache, dass die USA sich auch unter Präsidentin Harris weiter von Europa entfernen würden.

3) Gibt es eine Cancel-Culture an den Universitäten?

Der Artikel thematisiert die Debatte über Cancel-Culture an deutschen Universitäten und stellt eine repräsentative Studie vor, die die akademische Redefreiheit untersucht. Trotz vielfach geäußerter Befürchtungen über Einschränkungen sehen 79 Prozent der Befragten die Freiheit in der Wissenschaft als gut an. Nur ein geringer Anteil, etwa ein Prozent, berichtete von direkten Anfeindungen auf dem Campus. Trotzdem passen 14 Prozent ihr Verhalten an, um negativen Folgen zu entgehen. Die Studie zeigt, dass Wissenschaftler größtenteils kontroverse Themen offen diskutieren möchten, jedoch lehnen 29 Prozent ab, gendersensible Sprache zu verweigern. Interessanterweise ordnet sich die Mehrheit der deutschen Wissenschaftler politisch eher links ein, was Cancel-Culture als linkes Phänomen bestätigt. Dennoch bleibt die Cancel-Culture-Debatte komplex: Zwar gibt es keine systematische Zensur, doch die Sorge um mögliche Konsequenzen beeinflusst das Verhalten. Die Studie eröffnet Raum für empirisch fundierte Diskussionen, anstatt rein emotional geführte. //, ZEIT)

Es ist schön, da mal eine gewisse Empirie zu bekommen, wenngleich das Ergebnis nicht sonderlich überraschen können. Man kann sich fragen, inwieweit die Selbstangabe, dass man eine Schere im Kopf hat, für Cancel Culture spricht. Erstens ist das subjektiv - wer hat schließlich keinerlei Überlegungen, ob es sinnvoll ist, etwas öffentlich zu sagen? - und zweitens gibt es nichts über das Ausmaß an. Geht es um Nuancen oder komplette Themen? Letzteres wäre ein Problem. - Dass die Mehrheit sich links einordnet stimmt übrigens nicht; die Mehrheit ordnet sich mittig ein. Vom Rest ordnet sich die Mehrheit links ein. Aber das ist für das Bildungssystem seit den 1980er Jahren nichts überragend Neues, und für die Lehre hat es offensichtlich keine gravierenden Auswirkungen (und für die Forschung ohnehin nicht).

4) Mit der Logik der Koalition brechen

Der Artikel beschreibt die zunehmende politische Polarisierung in Europa und Deutschland, wobei rechtspopulistische Parteien wie die FPÖ in Österreich und die AfD in Deutschland Erfolge verzeichnen. In Europa verschiebt sich der Fokus von Klimakrise zu Migration, was Populisten Aufwind verschafft. In Deutschland profitieren rechte Parteien von einer Schwäche der Mitte, was die politische Landschaft weiter fragmentiert. Historisch gesehen führten politische Verschiebungen, wie die rot-grüne Agenda 2010 in Deutschland, zur Schwächung der Mitte und stärkten extreme Positionen. Aktuell sorgt das Wachstum der AfD dafür, dass rechte Koalitionen unmöglich und linke Bündnisse nötig werden, obwohl Wähler sich rechts orientieren. Die daraus resultierenden Koalitionen verstärken die politischen Spannungen und wirken polarisierend, da die strukturellen Parteienlogiken nicht mehr zum Wählerverhalten passen. Um dieser Dynamik zu begegnen, könnten deutsche Parteien die skandinavische Praxis von Minderheitsregierungen übernehmen, die flexible Mehrheiten suchen, was eine stabilere politische Landschaft schaffen könnte. In Thüringen deutet sich ein erster Schritt in diese Richtung an. (Philipp Manow, Spiegel)

Ich halte nicht übermäßig viel von der Idee, dass Minderheitenregierungen die Antwort auf die Probleme wären. Diese Verantwortungsdiffusion ist nicht eben dazu angetan, das Vertrauen in die Demokratie zu stärken. - Ich bin bei der Problemanalyse Manows völlig d'accord; die entsprechenden Verschiebungen machen tatsächlich manche Bündnisse unmöglich. Nur, wie Manow korrekt bemerkt, ist dasselbe in den 2000er Jahren mit der LINKEn auch passiert. Damals gab es die von Lafontaine ja auch gebetsmühlenartig beschworene linke Mehrheit in Deutschland; bis zur Bundestagswahl 2017 wäre ja R2G immer möglich gewesen. Aber eben nur theoretisch. Und ob diese arithmetische Mehrheit einer Koalition einer Mehrheit der Bevölkerung entsprochen hätte, wurde damals immer sehr lautstark (und nicht zu Unrecht) bezweifelt. Wenn aber eine solche gefühlte linke Mehrheit ohne Schaden für die Demokratie verhindert werden konnte, indem eine Brandmauer gezogen wurde, warum sollte dies dann nicht auch nach rechts möglich sein? Mir ist dieser Teil der Argumentation total unklar.

5) Die Krise der Grünen ist unser aller Krise

Der Artikel beschreibt die aktuelle Krise der Grünen in Deutschland als Teil einer umfassenderen Ratlosigkeit in der liberalen Demokratie und der Bundesrepublik. Die Partei steht vor dem Paradox, sowohl zu wenig für tiefgreifende Zukunftspolitik zu tun, als auch zu viel, indem sie traditionelle Vorstellungen herausfordert und kritisiert wird. Besonders Klimaschutzmaßnahmen wie das Heizungsgesetz stoßen auf Widerstand und wurden in der Öffentlichkeit diskreditiert. Dies spiegelt eine allgemeine Skepsis gegenüber umfassenden Veränderungen wider, die von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen blockiert wird. Die Grünen kämpfen zudem mit der schwierigen Rolle, als Reformer in einer von der Vergangenheit geprägten Landschaft aufzutreten, in der Versäumnisse vergangener Regierungen sichtbar werden. Der Autor sieht eine Notwendigkeit für einen neuen, liberal-demokratischen Aufbruch und fordert die Mobilisierung einer Gruppe „Aufbruchsbereiter“, die sich konstruktiv mit den Herausforderungen und Verlusten der Zukunft auseinandersetzen. Angesichts der bevorstehenden, wahrscheinlichen Regierungsübernahme der Union lautet das Ziel dieser Bewegung: „Nicht ohne uns.“ (Peter Unfried, taz)

Ich halte Unfrieds Punkt für zentral, dass die Grünen sowohl viel zu wenig als auch viel zu viel wollen und machen. Jede ihrer Maßnahmen ist geradezu lächerlich unzureichend, wenn man den Umfang des Problems angeht. Man nehme nur das Heizungsgesetz: wir müssten bereits vor Jahren aufgehört haben, neue Gasheizungen zu verbauen. Rein als Maßnahme ist es eigentlich viel zu wenig. Politisch aber ist es offensichtlich gleichzeitig viel zu viel, weil die Umsetzung so praktisch nicht möglich ist. Veränderungen sind unwillkommen, und ihre Verwerfungen bringen völlig zu Recht die Sorge mit sich, dass man selbst über die Gebühr belastet wird. Deswegen bleibe ich auch dabei, dass das Heizungsgesetz vor allem ein politisches, weniger ein sachliches Versagen war.

Resterampe

a) Guter Thread zu den Grünen.

b) Jepp.

c) Why no real antiwar movement developed in Israel.

d) Erste Details zu Merz' Regierungsprogramm. Ich sehe nicht wirklich, mit wem er das umsetzen will, mal davon abgesehen, dass es nicht wirklich Probleme löst.

e) 1933 and the Definition of Fascism. Unbedingt lesen!

f) Elon Musk Is a New Kind of Political Donor. Milliardäre...ihr wisst was kommt.

g) Trump foreign policy folks are living inside a fantasy bubble

h) 100% Zustimmung zu dieser Obama-Kritik.

i) Die Welt hat einen lesenswerten Artikel zum Umschwung in der linken Migrationspolitik.

j) Ich hab das mit Özdemir ja vorausgesagt :)

k) Diese AfD-Meldeportale werden immer mehr zum Problem. Reale Cancel Culture, by the way.

l) Im letzten Vermischten hatte ich es noch von der überzogenen Rhetorik im Antisemitismusdiskurs, und schon kommt Jens Spahn daher.

m) Thread zu russischen Propagandaplakaten.

n) Immer wieder schockierend.

o) Autsch.

p) Emotionaler Thread von David Frum zum Thema Abtreibung.


Fertiggestellt am 29.10.2024

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