Es ergab sich, dass ich während der letzten gut eineinhalb Jahre öfter mit Handwerkern zu tun hatte als sonst. So mit fünfen oder sechsen. Und das bringt mich dazu, ein ganz heißes Eisen anzufassen. In ein Wespennest zu stechen. Mich auf sehr dünnes Eis zu begeben. Nicht nur nett über Handwerker zu reden nämlich. Denn der Handwerker, oder schlimmer, der 'kleine' Handwerker, oder, dritte Stufe, der 'ehrbare kleine' Handwerker ist so was wie der Heilige Gral der deutschen Volkswirtschaft. Bosslevel. Sakrosankt. Gott schütze das ehrbare Handwerk mit dem Goldenen Boden, Hosianna! Du kannst ein drogendealender Mädchenhändler sein, auf Deppendemos Galgen Gassi führen und tonnenweise Unflat in asoziale Netzwerke kübeln und wirst irgendwo immer noch auf Verständnis stoßen. Aber Handwerker kritisieren geht gar nicht. Sie haben es doch so schwer!
Jedoch, die Sache will's! Gelernt habe ich so einiges. Zum Beispiel, dass viele Handwerker mindestens drei Dinge deutlich besser beherrschen als ihr Handwerk: Jammern, große Versprechungen machen und immer wissen, wer schuld ist (außer ihnen).
Handwerker sind gefragt zur Zeit, das ist bekannt. Viele können sich vor Aufträgen kaum retten. Dann möge man das bitte einem Kunden auch so sagen. In etwa so: "Tut mir leid, im Moment sind wir ausgebucht, ich kann Ihnen frühestens in x Wochen was anbieten." Tut doch nicht weh, oder? Statt dessen: "Kein Thema, Herr Rose, das kriegen wir nächste Woche alles geregelt." Vier Wochen später dann Anruf: "Ähm, Tschuldigung, Herr Soundso, wollten Sie nicht vor drei Wochen mein..." -- "Ja natürlich, ich habe Sie nicht vergessen, Herr Rose! Es ist nur so, dass uns da eine ganz spezielle kreuzgetüdelte Achtkantmuffe fehlt, wissen Sie, die ist bestellt und wir haben ja Corona und Lieferketten und so. Ganz schwierig im Moment, ganz, ganz schwierig. Schlimmschlimmschlimm alles, wird immer schlimmer alles."
(Warum ausgerechnet Handwerker nie vorher wissen, welche Teile genau sie für eine bestimmte, nicht übermäßig exotische Arbeit brauchen, sodass ihnen immer im Nachhinein auffällt, dass ein ganz bestimmtes Teil fehlt, das offenbar so speziell ist, dass es nur an drei Orten auf der Welt in kaum zugänglichen, entlegenen Gegenden hergestellt wird und entsprechend schwer lieferbar ist -- das ist wohl eines dieser wohlgehüteten Berufsgeheimnisse, die seit Jahrhunderten nur von Handwerkermund zu Handwerkerohr weitergegeben werden.)
Jaja, ganz schwierig. Ist immer schwierig. Stundenlang können sie erzählen, was alles nicht geht. Das interessiert mich aber nicht. Ich will auch nicht wissen, dass alles nur die Schuld ist von "den Politikern", "der Merkel", "der blöden EU", "denen da oben (in Berlin), die eh alle nix können und nur faul rumhängen" oder "den Flüchtlingen, aber das darf man ja nicht sagen, sonst ist man sofort der Nazi". Das mag meinethalben alles sein oder nicht, ist aber (a) nicht sonderlich originell und (b) wird davon die verdammte Arbeit nicht erledigt. Mich interessieren exakt drei Dinge: 1. Übernehmen Sie den Auftrag? 2. Wenn ja, wann? 3. Was kostet das in etwa? Mehr will ich nicht wissen.
(Genauso wenig will ich übrigens wissen, wie viele "Weiber" der Geselle mit der Plauze und dem Mundgeruch am Wochenende "klargemacht" hat bzw. was er mit irgendeiner aufgedonnerten Promischnatze, deren Vater er sein könnte, sexuell anzustellen beabsichtigt.)
Aber die Leute wollen ja immer nur billig, billig, billig. Geiz ist geil, so wird dann weiter gebarmt. Keiner will mehr für ordentliche Arbeit bezahlen. Wenn die Leute wüssten, was für Kosten man hat inzwischen! Und die Vorschriften! Ganz schwierig im Moment, ganz, ganz schwierig. Schlimmschlimmschlimm alles, wird immer schlimmer alles. Herzelein, dass ich gerade dabei bin, dich zu beauftragen, also einen Handwerker, beziehungsweise es versuche, und nicht Wladislaw aus Wladiwostok bitte, das gegen Bares und ohne Rechnung zu erledigen, ist dir aber schon aufgefallen, oder?
Einer, der mich drei mal hat hängen lassen ohne abzusagen, hatte - nur auf Nachfrage natürlich - folgende Alibis auf Lager: Musste heute morgen die Frau in die Notaufnahme bringen. Montagewagen nachts aufgebrochen und ausgeräumt worden. Lehrling ist überraschend krank geworden. Wieder schlimmschlimmschlimm alles, wird immer schlimmer alles. Zu einem vierten Termin ist es nicht mehr gekommen, weil ich den Auftrag storniert habe. Keine Lust, mir noch was anzuhören von wegen Schatz, nicht heute, ich habe Migräne. Oder davon, wie er die Kindergartenkinder vor dem wilden Tiger gerettet hat, der plötzlich aus dem Gebüsch gesprungen kam.
Selbstverständlich weiß ich auch, dass man unter gewissem Druck steht als Kleinunternehmer. Man muss seine Kosten reinholen, die Angestellten wollen ihren Lohn und man selbst will auch was auf dem Konto haben. Ich habe für vieles Verständnis. Wenn einer sagte: "Herr Rose, tut mir leid, ich muss Ihren Auftrag verschieben, denn ich habe überraschend was für 20.000 reinbekommen, das konnte ich unmöglich ablehnen.", dann geht das in Ordnung. Ich verstehe das. Man kann mir das genau so sagen. Ich halte das aus. Ich kann die Wahrheit vertragen, ohne in Tränen auszubrechend zu kollabieren. Ist mir jedenfalls tausendmal lieber als andauernd mit großartigen Versprechungen abgespeist und verarscht zu werden.
Selbstverständlich weiß ich auch, dass gerade das Bauhandwerk schwere Zeiten durchgemacht hat. Kenne ich auswendig, die Geschichten. Die ganzen Polen, die die Preise kaputt gemacht haben, die Schwarzarbeiter. Ganz schwierig im Moment, ganz, ganz schwierig. Schlimmschlimmschlimm alles, wird immer schlimmer alles. Macht alles keinen Spaß mehr! (Was kann ich dafür?) Diese Zeiten sind aber inzwischen vorbei und Handwerker sind, wie gesagt, gefragt wie selten. Das ist dann aber auch wieder nicht recht. Man wisse vor lauter Arbeit nicht mehr ein noch aus, so wird gejammert. Die Kinder bekämen einen nicht mehr zu Gesicht und der Rücken zwicke auch schon. Ganz schwierig im Moment, ganz, ganz schwierig. Schlimmschlimmschlimm alles, wird immer schlimmer alles.
Dies hier soll aber nicht enden ohne zwei rühmliche Ausnahmen lobend zu erwähnen und gebührend zu würdigen. Vorletzten Herbst begann mein Gefrierschrank herumzuspinnen. Der Temperatursensor war defekt, war aber fest eingeschäumt und nicht auszutauschen. Also musste ein neues Kühl-Gefrierteil her. Weil die bauliche Situation meiner Küche recht speziell ist, musste auch der Einbau von Profis vorgenommen werden. Nachdem ich mir nicht weniger als drei Monate lang von zwei lokalen Traditionsbetrieben angehört hatte, wie ganz, ganz schwierig und schlimmschlimmschlimm alles sei im Moment (Lieferschwierigkeiten, Corona, keine Standardmaße, neue EU-Normen und all that jazz) geriet ich durch Zufall an ein Küchenstudio aus der Nachbarstadt. Die lieferten binnen einer Woche, die Monteure gaben alles und obwohl die beiden eine halbe Stunde länger gewerkelt hatten als auf der Rechnung als inklusive angegeben, wurde kein Cent extra kassiert.
Und dann war da dieser stille, freundliche Schreiner. Hat meinen Auftrag einmal vergessen, was er offen einräumte und sich auch entschuldigte (Wie, kein anderer schuld? Was ist mit dem denn falsch?, dachte ich). Angesichts seines momentan hohen Auftragsvolumen bat er um einen Aufschub, lieferte dann aber ohne großes Federlesens eine hervorragende Arbeit ab und blieb innerhalb des veranschlagten Kostenrahmens. Eine weitere Zierde seiner Zunft. Geht doch!
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