Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) Harris hat nichts verstanden

Der Kommentar kritisiert Kamala Harris scharf für ihre Ankündigung, nach der verlorenen Wahl erneut als Präsidentschaftskandidatin antreten zu wollen. Der Autor beschreibt, Harris habe weder Selbstkritik noch Lernfähigkeit gezeigt, sondern die Schuld an ihrer Niederlage anderen zugeschoben – vor allem Joe Biden und seiner Führungsriege. Ihr neues Buch werde als selbstgerecht bezeichnet, da es ihre eigene Verantwortung verschleiere. In ihrem Wahlkampf habe Harris keine klaren Themen gesetzt, sondern sich selbst ins Zentrum gestellt und mit inhaltlicher Leere geglänzt. Ihre Botschaft, einfach „nicht Donald Trump“ zu sein, habe die Wähler nicht überzeugt. Auch ein zweiter Anlauf verspreche keine Veränderung, da es ihr weiterhin an Substanz und Strategie fehle. Für die Demokraten wäre ihre Rückkehr, so wird betont, ein Geschenk an Trump und J.D. Vance. Die Partei brauche jemanden mit politischem Instinkt und Verständnis für die Sorgen der Bevölkerung – beides fehle Harris offenkundig. (Jan Klauth, Welt)

Wenn hier jemand nichts verstanden hat, dann ist das Jan Klauth. Ich verstehe diese Leute nicht, die über US-Politik schreiben und Aussagen wie die Harris, ein erneutes Antreten zu den Primaries nicht auszuschließen, ernstnehmen. Daran nervt mich zweierlei. Erstens wird das ständig mit den Democrats vertauscht, als ob eine Kandidatur bedeuten würde, dass die Person auch gewählt würde (was ich für eine mehr als dubiose Annahme halte). Harris' Überlegungen haben also erst einmal rein gar nichts mit der Partei zu tun. Zweitens ist auch Harris selbst hier nicht ernstzunehmen. Wir hatten die exakt gleiche Debatte auch 2017, als Hillary Clinton nicht ausschloss, 2020 noch einmal zu kandidieren. Die exakt gleichen Artikel wurden damals auch geschrieben. Und was ist die Gemeinsamkeit beider Kandidatinnen dabei? Beide brachten zu der Zeit ihr Buch heraus, Clinton ihr "What happened?" (hier rezensiert) und Harris nun ihr "107 Days". Diese "ich schließe die Kandidatur nicht aus" sind nur dazu da, das Buch zu promoten. Any PR is good PR. Die politischen Karrieren Clintons und Harris' sind vorbei, und sie wissen es. Wer es offensichtlich nicht zu wissen scheint sind die Leute, deren Beruf es eigentlich ist, Einordnungen vorzunehmen. Stattdessen beißen sie auf die primitivsten Marketingtricks an und spielen ihre alten Reflexe ab. Kann man schon machen. Aber clever ist das nicht.

2) Wie Anstellungen von Lehrpersonen reformiert werden könnten – das Beispiel der mbA-Anstellung im Kanton Zürich

Der Beitrag analysiert die rechtlichen und strukturellen Besonderheiten der sogenannten mbA-Anstellung für Lehrpersonen im Kanton Zürich. Er erläutert, dass diese Anstellung unbefristet erfolgt, den höchsten Lohn garantiert und die Übernahme zusätzlicher Aufgaben in Schulführung oder Verwaltung verlangt. Dadurch entstehe eine enge Verknüpfung zwischen Entlohnung und Zusatzverantwortung, die zu Ungleichheiten und Überlastung führe. Lehrpersonen müssten oft Funktionen übernehmen, für die sie weder qualifiziert noch motiviert seien, während Schulleitungen Zusatzaufgaben unterschiedlich und teils intransparent entschädigten. Zudem verhindere das aufwendige Prüfverfahren bei jedem Schulwechsel Mobilität, wodurch sowohl Lehrkräfte als auch Schulen in ihrer Entwicklung gehemmt würden. Das System setze fragwürdige Anreize, weil Kritik an der Leistungsbewertung gravierende Folgen für die Lohnentwicklung habe. Reformen sollten laut dem Autor darauf zielen, Anstellungen stärker an Arbeitszeit zu knüpfen, Zusatzaufgaben klar zu vergüten, flexiblere Arbeitsverträge einzuführen und anspruchsvolle Tätigkeiten besser zu entlohnen. Damit ließen sich Belastungen reduzieren und Schulentwicklung fördern. (Philippe Wampfler, Schule Social Media)

Ich stimme Wampflers Ausführungen weitgehend zu. Auch wenn er vom System Zürichs schreibt, so unterscheidet es sich nicht wesentlich von unserem hier in Baden-Württemberg. In meinen Augen hat er den Kern des ganzen Problems aber nur in einem Nebensatz abgefrühstückt, wenn er schreibt: "Hinzu kommt ein weiteres Problem: Im aktuellen politischen Klima bedeutet jede Reform das Risiko einer Verschlechterung der Anstellungsbedingungen." Denn das ist genau der springende Punkt! Ich wäre sofort für eine Reform der Besoldungsstufen, der Arbeitszeiterfassung und so weiter. Nur leider weiß ich genau, dass jede Reform an dieser Stelle vom Arbeitgeber für Verschlechterungen genutzt werden würde. Kein Wunder spielen die GEW und Philologenverband nur auf Abwehr, wirft sich der Beamtenbund ein ums andere Mal für den Erhalt verkrusteter Strukturen in die Bresche. Wenn die Arbeitgeber bereit wären, die Gesamtmittel zu erhalten, würden sie einen Buy-In in Reformen von Leuten wie mir erhalten, die gerne das alte System loswerden würden. Aber lieber verteidige ich den dysfunktionalen Mist, den wir haben, als dass ich mich ausnehmen lasse. Das ist das Grundproblem der ganzen Debatte um den Status von Lehrkräften. Und wir wissen aus Erfahrung, dass es so läuft. Man denke nur an die Ostbundesländer - und die Probleme, die sie sich damit geschaffen haben, weswegen eines nach dem anderen gerade reumütig zum Beamtenstatus zurückkehrt. Wer hätte auch ahnen können, dass es ein Problem wird, Personal zu finden, wenn man vierstellig im Monat weniger Netto bezahlt als andere Bundesländer?

3) Mamdani Has a Point About Rent Control

Im Artikel wird dargestellt, dass Mietendeckel unter Ökonomen zwar als schädlich gälten, politisch jedoch „realistisch“ sein könnten, weil sie kurzfristig entlasteten und Zustimmung für Neubaupolitik schafften. Es wird berichtet, dass eine Berliner Studie nahelege, Bewohner gedeckelter Wohnungen seien um 37 Prozent eher für zusätzlichen Wohnungsbau, weil Verdrängungsangst sinke. Zugleich wird gewarnt, schlecht designte Deckel könnten Investitionen hemmen; deshalb werde empfohlen, Inflationsklauseln und Neubauausnahmen vorzusehen. Am Beispiel New Yorks wird erläutert, dass Zohran Mamdani einen „freeze the rent“ anstrebe und zugleich massiven Neubau plane, die rechtliche und wirtschaftliche Umsetzbarkeit aber unklar sei. Es werde eingeräumt, dass Mietregulierung ohne Bauoffensive die Krise verschärfen könne, politisch jedoch oft Voraussetzung für „YIMBY“-Reformen sei. Insgesamt wird gefolgert, dass kombinierter Mieterschutz und beschleunigter Wohnungsbau erfolgversprechend sei, ein reiner Deckel hingegen riskant wäre. (Rogé Karma, The Atlantic)

Wir hatten im letzten Vermischten die Debatte um die politische Wirksamkeit von Slogans wie "tax the rich". Das hier ist ein weiteres Beispiel dafür. Ich hatte darüber ja auch schon geschrieben : Politische Analysen sind sinnlos, wenn sie die Politik ausklammern. Mietdeckel mögen volkswirtschaftlich kein sonderlich sinnvolles Werkzeug sein, aber jeder versteht das Konzept, sie richten sich von unten gegen oben und adressieren rhetorisch ein real bestehendes und in der großen Breite als drängend empfundenes Problem. Sie sind quasi das linke Pedant zu rechten Abschiebefantasien, denn sie erfüllen gleich mehrere Bedürfnisse: Handlungsfähigkeit wird demonstriert, Gerechtigkeit (was auch immer man darunter versteht) gezeigt und ein Großteil der Menschen glaubt, dadurch bessergestellt zu werden. Das wird in der Realität zwar vermutlich nicht funktionieren. Aber man sollte nicht die Attraktivität des Konzepts unterschätzen.

4) Linksextremismus, die unterschätzte Gefahr

Im Beitrag wird dargelegt, dass Linksextremismus in Forschung und Debatte unterschätzt worden sei, obwohl Szenestärke und Delikte zunähmen. Es wird behauptet, Polarisierung und ein nach rechts verschobener Diskurs förderten Radikalisierung. Vier Risikolagen werden skizziert: Erstens wird aus autonomen Milieus („Antifa“) steigende Gewalt gegen politische Gegner, besonders die AfD, berichtet. Zweitens wird beschrieben, dass anti-imperialistische Netzwerke im Zuge des Gaza-Konflikts mit islamistischen Akteuren kooperierten und „Widerstand“ bis zur Gewalt legitimierten. Drittens wird auf identitätspolitische Kulturkämpfe verwiesen, in denen extremistische Akteure (etwa „Transtifa“) sogar zu „Tagen der Vergeltung“ aufriefen. Viertens wird ausgeführt, dass antikapitalistische Strömungen Technologie-Infrastruktur als Ziel sähen, was Sabotage begünstige. Zugleich wird betont, legitime Anliegen seien von extremistischen Ausprägungen zu trennen; wo Ablehnung der freiheitlichen Ordnung und Gewalt einträten, sei staatliches Vorgehen geboten. (Peter R. Neumann, Jose Pedro Zuquete, WELT)

Ich finde nichts, dem man widersprechen müsste. Ja, Linksextremismus ist eine reale Gefahr, die gerade zunimmt. Mich wundert ja weiterhin, dass wir noch keine große Klimaterror-Bewegung haben; ich vermute, das liegt vor allem daran, dass der Kulturkampf gerade andere Bereiche mobilisiert. Denn wie Neumann und Zuquete ja in ihrem Artikel schreiben, die Polarisierung befördert die Gewalt an beiden Enden. Bei der Bekämpfung des Extremismus ist immer das Problem der ideologischen Nachbarschaft auffällig: beide Seiten zeigen jeweils eine geradezu perverse Erleichterung, wenn der Extremismus der Gegenseite zunimmt. Gleichzeitig betonen sie diesen besonders und spielen den Extremismus der eigenen ideologischen Nachbarn herunter. Es ist ja kein Zufall, dass die besten Analysen und Reportagen zu Rechtsextremismus eher aus den liberalen bis progressiven Medien kommen, während der Linksextremismus besonders in Welt, FAZ und NZZ untersucht wird. Leider wird selten eine Synthese hergestellt, und meist bleiben beide in ihren Ecken und werfen jeweils dem anderen mangelnde Abgrenzung vor und versuchen, die Grenzen zwischen dem moderaten Mainstream und dem Extremismus zu verwischen.

5) Arbeitspflicht für junge Menschen? Na klar!

Im Kommentar wird betont, dass die Einführung einer Arbeitspflicht für Bürgergeldempfänger unter 25 Jahren in Thüringen kein Skandal, sondern eine notwendige Maßnahme sei. Es wird ausgeführt, dass junge Menschen bis zu 40 Stunden pro Woche gemeinnützig arbeiten müssten und bei Weigerung Kürzungen hinnehmen sollen. Die Autorin meint, es sage viel über die Gesellschaft aus, dass eine solche Pflicht überhaupt als hart gelte. Arbeit werde nicht als Strafe, sondern als Erziehung zu Eigenverantwortung verstanden. Der Landrat Matthias Jendricke, der die Regelung eingeführt habe, werde als pragmatisch beschrieben: Er wolle verhindern, dass junge Leute sich „im Bürgergeld einnisten“. Die Maßnahme solle helfen, Arbeit als Normalität zu begreifen. Kritisiert wird, dass die junge Generation zu oft Sicherheit und Bequemlichkeit suche und Verantwortung scheue. Die Entscheidung wird daher als Akt der Fürsorge gewertet, den das ganze Land übernehmen sollte – „nur strenger“. (Fatina Keilani, Welt)

Grundsätzlich spricht tatsächlich nichts gegen eine Arbeitspflicht für Empfänger*innen von Grundsicherung. Schwierig ist dabei nur das übliche Dilemma, dass Stellen für eine Arbeitspflicht ja keine reguläre Beschäftigung verdrängen sollen. Eigentlich wollen die Liberalen und Konservativen ja immer gar nicht, dass der Staat Stellen schafft. Diese müssen also de facto überflüssig sein, damit keine Konkurrenz entsteht, und jederzeit kündbar, weil man ja will, dass die Leute in Arbeit kommen. Zudem sind Leute, die 40 Stunden die Woche arbeiten, keine, die super nebenbei einen anderen Job suchen oder Weiterbildungsmaßnahmen machen können. Hier entstehen massive Zielkonflikte, die Keilani etwas arg leicht beiseite wischt. Denn natürlich will man nicht, dass sich Leute in der Grundsicherung "einnisten", aber sie quasi darin festzuhalten, was mit diesen Vorschlägen eine reale Gefahr ist, will man auch nicht. Es gibt da schlicht keine leichten Lösungen, sofern man nicht einen grundlegenden Systemwechsel will (was ja meine Präferenz wäre...).

Resterampe

a) Kritik an der Aufteilung der Steuern zwischen Bund und Ländern. (Spiegel)

b) Mamdani Is the Foil Trump Wants (The Atlantic). Die Leute täuschen sich da häufig. Ich erinnere mich an die Begeisterung in progressiven Kreisen, einen offensichtlich schlechten und unwählbaren Kandidaten wie Trump als Gegner zu haben.


Fertiggestellt am 10.11.2025

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