Haben Sie heute schon ein Gesprächsthema? Wie wär’s mit den Aktionen von #LastGeneration? Sie wissen schon, das sind die Klima-Aktivist:innen, die Kartoffelbrei auf Monet-Bilder kippen oder sich auf Autobahn-Zufahrten am Asphalt festkleben. Ich kann Ihnen versprechen, die Diskussion mit Familie oder Freund:innen wird lebhaft.

In der öffentlichen Diskussion warnt die CSU vor einer „Klima-RAF“. Andere halten dagegen: wenn es um das Überleben der Menschheit geht, sei so ziemlich alles erlaubt. Sie ahnen schon: so übertrieben schwarz-weiß ist es wohl nicht.

Es lohnt sich, einen genaueren Blick auf die Frage zu werfen, ob und welche Zwecke die Mittel heiligen können und welche Mittel das sein könnten - und welche eben nicht. Was also hat es mit zivilem Ungehorsam auf sich?

Ziviler Ungehorsam begründet keine Straffreiheit

Die Geschichte der begrenzten Rechtsverletzungen aus politischen Gründen reicht bis zu Mahatma Ghandi und Martin Luther King zurück. Der Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas hat zivilen Ungehorsam folgendermaßen definiert:

https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/138281/ziviler-ungehorsam-annaeherung-an-einen-umkaempften-begriff/


„Ziviler Ungehorsam ist ein moralisch begründeter Protest, dem nicht nur private Glaubensüberzeugungen oder Eigeninteressen zugrunde liegen dürfen; er ist ein öffentlicher Akt, der in der Regel angekündigt ist und von der Polizei in seinem Ablauf kalkuliert werden kann; er schließt die vorsätzliche Verletzung einzelner Rechtsnormen ein, ohne den Gehorsam gegenüber der Rechtsordnung im Ganzen zu affizieren; er verlangt die Bereitschaft, für die rechtlichen Folgen der Normverletzung einzustehen; die Regelverletzung, in der sich ziviler Ungehorsam äußert, hat ausschließlich symbolischen Charakter – daraus ergibt sich schon die Begrenzung auf gewaltfreie Mittel des Protests.“

Ziviler Ungehorsam begründet also ausdrücklich keine Straffreiheit. Aber seine Grundsätze ziehen eine klare Grenze zum Abgleiten in Gewalt und Terrorismus. Ziviler Ungehorsam ist von der Rechtsordnung nicht „erlaubt“, aber er wird politisch von vielen nicht für unzulässig gehalten.

Wenn es um die strafrechtliche Bewertung von Autobahn-Blockaden oder  Anschlägen auf Kunstwerke geht, sind die Gerichte zuständig, sonst niemand. Die Gerichte entscheiden, ob eine strafbare Nötigung (§ 240 StGB), ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b StGB) bzw. eine Sachbeschädigung (§ 303 StGB) vorliegen. Wegen des besonderen öffentlichen Interesses wird die Staatsanwaltschaft auch bei Anschlägen auf Kunstwerke von sich aus tätig. Niemand muss Strafanzeige stellen oder die Justiz auffordern, tätig zu werden.

In einem Rechtsstaat sollte es eigentlich überflüssig sein, auf diese Selbstverständlichkeit hinweisen zu müssen. Aber ausgerechnet die beiden Verfassungsminister:innen Faeser (SPD) und Buschmann (FDP) haben sich nach der Autobahnblockade und dem Tod einer Fahrradfahrerin in Berlin so geäußert, als müsse die Politik der Justiz jetzt Dampf machen. (FAZ)

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/klima-und-aktivismus-wie-sollen-minister-ueber-blockaden-reden-18437863.html

„Die Straftäter müssen schnell und konsequent verfolgt werden“, sagt Innenministerin Faeser, ganz so, als ob bereits von Straftätern gesprochen werden dürfte und der Grundsatz außer Kraft gesetzt sei, wonach man als unschuldig gilt, solange man nicht verurteilt ist.

Ihr Kabinettskollege und Justizminister Buschmann gab dem Gericht vorab schon mal ein paar Hinweise zu Rechtsfindung und Strafmaß: „Wer Krankenwagen blockiert, kann sich unter Umständen der fahrlässigen Körperverletzung schuldig machen.“ Er habe „Vertrauen“ in die Gerichte, die gebotenenfalls auch Freiheitsstrafen verhängen verhängen würden.

Markige Sprüche

Es wird nicht einfach für die Gerichte sein, sich diesem öffentlichen politischen Druck zu entziehen, wenn es zu Strafverfahren kommt. Außer der Versuchung, sich durch markige Sprüche zu profilieren, gab es keinen Grund für diese Äußerungen.

Die CDU/CSU Bundestagsfraktion ging noch darüber hinaus, malte die Gefahr von „grünem Terrorismus“ an die Wand und forderte  deutliche Verschärfungen der Gesetze.

https://www.spiegel.de/politik/deutschland/cdu-csu-fraktion-union-will-nun-doch-auf-praeventivhaft-fuer-klimaaktivisten-verzichten-a-27edde9a-4d35-4802-9815-18a816f264f1?sara_ecid=soci_upd_KsBF0AFjflf0DZCxpPYDCQgO1dEMph

So soll der Tatbestand der schweren Nötigung um Täter:innen erweitert werden, die eine öffentliche Straße blockieren und billigend in Kauf nehmen, dass Polizei und Rettungsdienste behindert werden. Diese sollten künftig mit Freiheitsstrafen zwischen drei Monaten und fünf Jahren bestraft werden.

Die Schädigung von Kulturgütern von bedeutendem finanziellen oder kunsthistorischen Wert soll mit einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten geahndet werden.

Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Bundestag ist nicht damit zu rechnen, dass diese Verschärfungen Gesetzeskraft bekommen.

Wie ist die Rechtslage?

Wer sich für die geltende Rechtslage näher interessiert, sollte sich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Straßenblockaden ansehen (sog. „Zweite-Reihe“-Rechtsprechung).

https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2011/bvg11-025.html

Der erste Fahrzeugführer werde durch die Sitzblockade gezielt in ein Dilemma versetzt, dass dieser rechtlich nicht anders auflösen könne als durch Stehenbleiben und damit durch Behinderung der nachfolgenden Fahrzeugführer:innen. Diese körperliche Zwangswirkung könne den Tatbestand der Nötigung erfüllen, so das Bundesverfassungsgericht.

Nach dem Tod der Fahrradfahrerin in Berlin wird auch diskutiert, ob diese Straßenblockaden unter Umständen eine fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) oder sogar Totschlag (§ 212 StGB) sein könnten. Schließlich hätten die Blockierenden wissen müssen, dass Rettungswagen zu spät kommen könnten, wenn sie in dem mutwillig herbeigeführten Stau stecken bleiben. Wer das billigend in Kauf nehme, handle vorsätzlich.

Mit dieser Problematik hat sich der frühere Richter am Bundesgerichtshof, Thomas Fischer, auseinandergesetzt.

https://www.lto.de/recht/feuilleton/f/frage-an-fischer-toetungsvorsatz-vorsatz-betonmischer-klimaaktivisten-knast/

Der Nachweis dieses bedingten Vorsatzes sei alles andere als einfach. Fischer weist auch darauf hin, dass die Fragen und Probleme des bedingten Schädigungsvorsatzes nicht meinungs- oder zielgruppenspezifisch seien. Gleiche rechtliche Konsequenzen müßten „für Klima-Aktivisten wie für Zweite-Reihe Parker, Verursacher fehlender Rettungsgassen oder Karnevalisten“ gezogen werden.

Klima versus Kunst?

Noch größere Aufmerksamkeit als die Straßenblockaden hat die Kartoffelbrei-Attacke auf ein Bild von Monet im Museum Barberini in Berlin gefunden. Erste Schlagzeilen hatten nahegelegt, dass das Bild selbst beschädigt worden sei. Die Aktivist:innen von #LastGeneration hatten sich beeilt, darauf hinzuweisen, dass das Bild ja hinter Glas gewesen sei. Niemals hätten sie den Monet beschädigen wollen. Das Glas abwischen und fertig - kein Schaden, keine Sachbeschädigung, hieß es.

Der Verband der Restauratoren (VDR) hat in einer Stellungnahme darauf hingewiesen, dass Schäden an den Bilderrahmen „und teils auch an den Werken“ entstanden seien.

https://www.restauratoren.de/kartoffelbrei-tomatensuppe-und-sekundenkleber-ein-statement-der-restauratorinnen-zu-den-aktionen-der-klimaaktivisten-2/

Man müsse wissen, „dass Verglasungen nicht zwangsläufig komplett dicht sind, Flüssigkeiten in die Ritzen eindringen und mit dem Bildträger und den Malschichten in Berührung kommen können.“ Auch die Rahmen seien wertvoll. „Vor allem wenn sie aus der Zeit des Kunstwerks selbst stammen, sind sie wichtiger Bestandteil des Werks.“

Fest stehe: „Die Restaurierungen binden kostbare Ressourcen der Restaurator:innen sowie der Museen, die sinnvoller einzusetzen wären, beispielsweise für den Klimaschutz.“ Für die Ausstellungshäuser entstehe ein langfristiger Schaden, ganz unabhängig davon, ob ein Kunstwerk tatsächlich Schaden genommen habe. Vermehrte Sicherheitsaufwendungen würden nötig. Leihgeber:innen könnten ihre Werke zurückfordern.

„Die Attacken auf Kunstwerke sind grundsätzlich der falsche Weg“, sagen die Restaurator:innen. „Die Schönheit unserer Welt ist nicht zu bewahren, indem schöne Kunstwerke angegriffen werden. Das geht auf Kosten unseres Kulturgutes, das ebenso schützenswert ist, wie unsere Umwelt.“

#LastGeneration will darauf aufmerksam machen, dass der Staat immer noch viel zu wenig gegen den Klimawandel unternehme. „Wir sind die letzte Generation, die den Kollaps unserer Gesellschaft noch aufhalten kann.“

https://letztegeneration.de/wer-wir-sind/

Die Frage ist, ob ihre Methoden einen sinnvollen Beitrag dazu leisten, dieses Ziel zu erreichen. Meinungsumfragen zeigen eher das Gegenteil.

#Last Generation schadet der Sache

„Hat sich Ihre Einstellung gegenüber der Klimaschutzbewegung durch die jüngsten Aktionen zivilen Ungehorsams (zum Beispiel das Beschmieren von Gemälden) eher verbessert oder verschlechtert?“ Die Auswertung der Civey-Umfrage von 5.003 Befragten ergab, dass sich für 63 Prozent der Deutschen die eigene Einstellung gegenüber der Klimaschutzbewegung „eindeutig verschlechtert hat. Für 12 Prozent hat sie sich „eher verschlechtert“. Nur für insgesamt sechs Prozent hat sich die Meinung eher oder eindeutig verbessert, für 18 Prozent ist sie gleich geblieben.

https://web.de/magazine/politik/exklusive-civey-umfrage-letzte-generation-laesst-deutschen-klimaschutzbewegung-denken-37430474

Der Umbau unserer Industriegesellschaft zu Nachhaltigkeit und CO2-Neutralität „wird nicht funktionieren als Party, zu der nur Linke eingeladen sind“, sagt Sven Hillenkamp von Scientists for Future auf Twitter.

https://twitter.com/svenhillenkamp/status/1590352250274054150?s=12

Es werde nicht so funktionieren, „dass die gesellschaftliche Linke sich am Ende in allen Punkten gegen Liberale und Konservative durchgesetzt haben wird.“

Von problembezogener zu lösungsbezogener Kommunikation

Die Klimabewegung müsse sich von der „Aufklärungsillusion“ verabschieden. Es brauche nicht nur immer mehr Informationen zur Klimakatastrophe, „immer mehr Aktionen, immer mehr ‚Aufrütteln‘“.

Um mehr Menschen davon zu überzeugen, dass der Übergang möglich ist, „müssen Protestbewegung, NGOs und Medienberichterstattung jetzt - nicht ausschließlich, aber weitgehend - umschalten von problembezogener zu lösungsbezogener Kommunikation.“

Der Staat könne keine starke Rolle im Übergang spielen, „wenn viele Menschen Angst vor einer ‚politisch korrekten Verhaltens- und Ökodiktatur‘ haben und fürchten, alles sei nur ein Vorwand, um antikapitalistische, asketische oder woke Utopien zu verwirklichen.“

Klimaschutz darf nicht in Rechts-Links-Schemata abdriften, wenn er erfolgreich sein soll. Alle werden gebraucht.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat das erkannt und deshalb Straßenblockaden und die Attacken gegen Kunstwerke durch die Last Generation deutlich kritisiert. Mit solchen Aktionen breche man den benötigten Konsens für den Klimaschutz auf. „Das schadet der Sache.“

https://www.welt.de/politik/deutschland/article242018941/Letzte-Generation-Habeck-ruegt-Blockaden-als-schlecht-und-schaedlich.html

Ich finde, Habeck hat Recht.

Die Kolumne erschien zuerst in Rums - neuer Lokaljournalismus für Münster www.rums.ms  Das Foto stammt von t-online und ist ein screenshot von Twitter

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