Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann.
Fundstücke
Scriptwriting is increasingly about hitting a formula, perhaps because writers and studio/network execs attend the same courses that say X must happen on page Y, and so forth. And today's scriptwriters only have a very limited toolbox of tropes, it seems. Since Alien, every SF/horror movie must have a maladjusted group of squabbling malcontents. That made sense in Alien, where the ship had a commercial crew on a boring long-haul mission, a crew whose dysfunctional dynamic was exposed by the loss of the senior officers who held them together. It makes less sense if the crew is supposed to be a squad of elite marines, or a hand-picked team of top scientists. Likewise in war movies. Everything today's scriptwriters know of war, they picked up from watching Vietnam movies. That was an unpopular, hopeless conflict fought by draftees who often didn’t want to be there, so naturally the movies written by veterans often feature disenchanted, unruly, squabbling soldiers. But it makes no sense to apply the same dynamic to the troops at Dunkirk or advancing after D-Day – except that's the only way the writers have learned to imagine war. Star Trek's famous "lack of conflict" is often mocked as naïve, not least by its current writers, but in fact it's the same dynamic as professional astronauts describe. They don't muck about the way George Clooney's character is shown doing in Gravity, nor snit at each other like rivals in a high school movie. (Dave Morris, Fabled Lands)
Ich kann das auch auf den Tod nicht ausstehen, wenn in Geschichten Leute, die eigentlich Profis sein sollten, völlig bescheuerte Konflikte haben. Ein besonders krasses Beispiel dafür ist die Serie "Away", über die ich hier geschrieben habe, oder "For All Mankind", über die ich hier schrieb. In beiden Fällen haben wir ein Raumfahrtnarrativ, und in beiden Fällen wird die Raumfahrt nur als Metapher für irgendwelche Familien- und Freundeskonflikte hergenommen. Ich liebe es, wenn wie in "The Martian" lauter professionelle Leute arbeiten, und gerade dieser Film zeigt, dass das nicht heißt, dass es nicht spannend ist. Tatsächlich ist "The Martian" wesentlich spannender als alle Folgen von "Away" zusammengenommen, und ich habe gehört, dass ja auch genug Leute Star Trek mögen. Ich hätte gerne viel mehr Serien, in denen Profis arbeiten und in denen der Plot nicht davon ausgeht, dass Leute einfach willkürlich dumme Dinge tun.
WELT AM SONNTAG: Ist ein baldiger Waffenstillstand eine ernst zu nehmende Option?
Münkler: Jedenfalls sollte es nicht zu einer Situation kommen, in der die Ukraine sich auf einen Waffenstillstand einlässt, den Moskau nutzt, um in einer Zeit der Ruhe seine Kräfte neu zu ordnen. Um das zu vermeiden, müsste die Ukraine Sicherheitsgarantien erhalten, die quasi einem Nato-Beitrittsniveau entsprechen.
Die Europäer müssten bereit sein, diese Sicherheitsgarantien zu übernehmen. Das hieße aber, dass sie bei einer erneuten russischen Aggression Kriegspartei würden. Diese Konsequenz haben diejenigen noch nicht begriffen, die seit Längerem schon mehr Diplomatie fordern und jetzt nach einem Waffenstillstand rufen. [...]
WELT AM SONNTAG: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und auch SPD-Chef Lars Klingbeil haben Fehler in der Ost- und Russlandpolitik eingeräumt. Was sind diese Fehler gewesen?
Münkler: Ich würde eher von Fehleinschätzungen sprechen. Dahinter stand ein großes Konzept, nämlich die Idee, eine Friedensordnung mit zunehmend weniger Waffen zu errichten, also militärische durch wirtschaftliche Macht zu ersetzen. Das Ziel war, durch wechselseitige Abhängigkeiten militärische Auseinandersetzung unmöglich zu machen und gemeinsam die großen Menschheitsaufgaben, wie den Klimawandel, die Migration, den Hunger im Süden, zu bekämpfen. Das war eine durchaus rationale Strategie.
Allerdings müssen die Voraussetzungen stimmen. Eine davon ist, dass auf der anderen Seite ebenfalls ein Homo oeconomicus sitzt, einer, der rational agiert. Dagegen haben wir es in Moskau mit einem ressentimentgeladenen Machtpolitiker zu tun. [...]
WELT AM SONNTAG: Ein ewiger Streitpunkt zwischen Berlin und Paris ist die Rüstungszusammenarbeit. Wie lässt sich das Problem lösen?
Münkler: Der tief sitzende Gaullismus der Franzosen läuft darauf hinaus, die eigene Rüstungsproduktion grundsätzlich für erstrangig zu halten. Die Deutschen sind pragmatischer und schauen, wo schnell gutes Material zu günstigeren Preisen zu beschaffen ist.
Ein Problem in der Zusammenarbeit bei Rüstungsprojekten sind die Stückpreise. Meist sind die amerikanischen Waffensysteme preiswerter, weil die USA ihre Waffen weltweit verkaufen. Wer also will, dass künftig auf europäische Produkte gesetzt wird, der muss sein Zeug überall dort verkaufen, wo es nachgefragt wird. Ich fürchte, davor wird jede Bundesregierung zurückschrecken. Und das wird das Verhältnis zu Frankreich nicht einfacher machen. (Jacques Schuster/Jennifer Wilton, WELT)
Generell finde ich das ganze Interview lesenswert, ich habe aber einige Anmerkungen.
Die angesprochenen Sicherheitsgarantien sind das zentrale Problem jeder Nachkriegsregelung. Ich empfehle dazu dieses Interview mit dem ukrainischen Kanzleichef unter anderem zu der Frage, wie Sicherheitsgarantien des Westens für die Ukraine nach dem Krieg aussehen könnten. Denn mittlerweile sollte wirklich klargeworden sein, dass auf Putins Vertragsunterschriften ungefähr so viel zu geben ist wie auf Ribbentrops. Russland ist als Verhandlungspartner schlicht nicht vertrauenswürdig. Das ist das Problem mit jedem möglichen Waffenstillstand, das vor allem von der Verhandlungsfraktion konsequent ignoriert wird. Ich kann nur mit einem Partner verhandeln, der in good faith verhandelt. Das tut Russland aber nicht.
Ich bin nicht sicher, ob ich Münklers These vom homo oeconomicus am anderen Ende des Verhandlungstischs teile. Ich halte Rationalität hier nicht für den entscheidenden Faktor; Putin handelt ja nicht irrational. Aus seiner Sicht waren seine Handlungen bisher sehr rational, und ich würde diese Einschätzung teilen. Er hat sich nur verschätzt; die Wette ging nicht auf. Aber irrational war ihre Grundannahme nicht. Nein, vielmehr denke ich, es ist Frage von Werten. Wir brauchen beziehungsweise die Ukraine braucht einen Verhandlungspartner, der eine regelbasierte Ordnung anerkennt. Das ist keine Frage von Rationalität. Jeder Person, die einmal Diplomacy gespielt hat, weiß, wie rational Vertragsbrüche sein können. Es handelt sich hier um eine Norm. Und das, wieder einmal, zeigt die Richtigkeit der wertebasierten Außenpolitik.
Das Verhältnis zu Frankreich habe ich bereits im letzten Vermischten angesprochen, aber Münkler betont hier noch einmal die Waffenfrage. Die Rüstungsindustrie kommt als Thema im deutsch-französischen Verhältnis immer wieder auf, weil Rüstungskonzerne nur von den Aufträgen eines Landes nicht leben können und auf Export angewiesen sind. Aber die Franzosen exportieren (wie praktisch alle Länder) wesentlich freizügiger als Deutschland auch in problematische Weltregionen. Projekte wie das FCAS laufen deswegen immer wieder in diesen fundamentalen Konflikt. Ich wüsste auch nicht, wie sich der so schnell beheben lassen sollte, aber die EU lässt da immer viel potenzielle Synergien auf dem Tisch liegen.
The meeting minutes from the McMinn County school board are especially telling. At one point, a board member seemingly singles out a striking scene in Maus I, where Vladek sees four Jews, executed for trading on the black market, hanging on a central street in the Polish city of Sosnowiec in 1942. “Being in the schools, educators and stuff, we don’t need to enable or somewhat promote this stuff,” the member said. “It shows people hanging; it shows them killing kids; why does the educational system promote this kind of stuff? It is not wise or healthy.” As with other enacted and proposed bans—on works about slavery, for instance—this rationale whitewashes racist and anti-Semitic violence. The visceral reaction to these books’ imagery ignores the message behind the pictures. Graphic histories and testimonies like Maus intentionally ask readers to encounter, in small part, what their subjects also encountered, including the malevolent power of Nazi symbols. Maus is not “promoting” murder by bearing witness to it. As some in the meeting pointed out, hangings and other forms of fatal violence happened. Spiegelman observed in a post-ban event at the University of Tennessee at Knoxville that the censors “want a kinder, gentler Holocaust they can stand.” That version, needless to say, doesn’t exist. What Maus does offer are pages, like the one depicting hanging Jews in Sosnowiec, that engage spectacle—that ask readers to confront a shred of the horror that Vladek Spiegelman experienced. It invites us to witness—in the anthropologist Michael Taussig’s sense of witnessing as pausing that moment when shocking things pass “from horror to banality.” Even as it resists the politics that drive them, Maus asks readers to encounter violent realities and their role in our present. In 2022, facing those realities—and in some cases, teaching them—is a condition for recognizing their ever-present possibility. (Hillary Chute, The Atlantic)
Wenn mich etwas noch mehr ärgert als reaktionär motivierte Buchverbote, dann sind das reaktionär motivierte Buchverbote, bei denen die Leute nicht einmal das Buch verstanden haben. Das ist wie bei der Indizierung von Starship Troopers in Deutschland, bei deren Begründung die Tatsache, dass es eine Satire ist, nicht zur Anwendung kam (der Film ist inzwischen ab 16 ungekürzt auf Disney+, the times, they are a-changing).
Es ist auch völlig korrekt, dass es eine "freundliche" Variante des Holocaust nicht geben kann. Nicht umsonst sind Werke wie "Der Junge im gestreiften Pyjama" oder "JoJo Rabbit" ziemlich umstritten. Maus ist schwer zu ertragen (ich verweise auf meine Besprechungen), aber es präsentiert mit Sicherheit die bessere und stimulierendere Beschäftigung mit dem Holocaust.
Davon abgesehen: ist es nicht merkwürdig, dass die gleichen Leute, die immer safe spaces und trigger warnings verurteilen und sich als Free-Speech-Advokaten gerieren, wenn es um die Ablehnung progressiver Inhalte geht, hier plötzlich genau solche fordern und erteilen? - Natürlich nicht, es ist nur normale menschliche Heuchelei, das war eine rhetorische Frage.
4) Don’t Let Zeitenwende Get Derailed
The United States should also encourage Germany to take on a leadership role in the debate on security guarantees for Ukraine. [...] These efforts should go hand in hand with a German leadership role in planning the eventual reconstruction of Ukraine. The Ukraine reconstruction conference hosted in Berlin was an important step, but ultimately, the E.U. will have to clarify where the financial means for reconstruction will come from. This is likely to reopen the debate about joint debt in response to Ukraine’s reconstruction needs and the energy crisis, something which Berlin and other frugal European countries such as the Netherlands staunchly refuse. Olaf Scholz — back when still finance minister — called it a “Hamiltonian moment” when Berlin agreed to the first ever joint borrowing in response to the COVID-19 pandemic. The war against Ukraine is a historic crisis of similar proportion, and it requires similarly resolute efforts. [...] The multiple crises that Europe is currently faced with provide plenty of opportunities for Germany to lead the way on crucial policy issues rather than wait to be pushed. The Biden administration can help ensure European unity does not hinge on U.S. leadership. (Sophia Besch/Liana Fix, War on the Rocks)
Ich bin da ja mehr als skeptisch. Das würde erfordern, dass man das alles als strategische Notwendigkeit wahrnimmt. Deutschland neigt dazu, das mehr als Gefallen oder Entwicklungshilfe zu betrachten. Überhaupt ist meine allergrößte Sorge bezüglich der Ukraine die Zeit danach. In der aktuell drückend aktuellen Kriegssituation ist die westliche Einigkeit über die Notwendigkeit von massiven Hilfen ja gegeben. Aber wenn der Krieg erst einmal vorbei oder eingeschlafen ist, wird der Impuls, die Ukraine wieder an die unbeachtete Peripherie zu verbannen, in der sie vorher war, übermächtig. Aber gerade dann wäre Engagement nötig, denn die Ukraine wird als zerstörtes Land aus diesem Krieg hervorgehen, so oder so. Helfen wir ihr nicht, schaffen wir einen riesigen failed state an unserer Ostflanke. Aber ich bin sehr pessimistisch, dass es den politischen Willen geben wird, ihr dann zu helfen. Wir haben das schon bei viel zu vielen solchen Konflikten gesehen.
5) A New Theory of American Power
This restraint is not a hard-won prudence in the face of tragic facts. It’s a doctrinaire refusal, by people living in the safety and comfort of the West, to believe in liberal values that depend on American support. The restrainers can’t accept that politics leaves no one clean, and that the most probable alternative to U.S. hegemony is not international peace and justice but worse hegemons. They can’t face the reality that force never disappears from the world; it simply changes hands. [...] The institutions and rules of the postwar era, which enabled a historic expansion of freedom and prosperity around the world, depended on not just U.S. power but the American example. It doesn’t seem possible for liberal democracy to remain healthy abroad but not at home, and vice versa. Its decay in the U.S. has coincided with the rise of authoritarianism globally. The likely successor is not, as the left wishes, world government and international law under the aegis of the United Nations, but rival nationalisms, including Trump’s “America First,” with “might makes right” in every neighborhood. [...] American policy in the original Cold War was to contain Soviet communism until it finally altered its character or collapsed. This time around there’s no universal ideology to combat, only brutal, cynical dictatorships. Illiberalism today is entirely negative. In place of utopia, it offers resentment—of American power, Western elites, decadent globalists. [...] We’re left to resolve two hard and conflicting truths: Autocratic regimes will exploit American restraint to enlarge their power at the expense of their own people, their neighbors, and the international order. But American action will stoke illiberal reactions when it brings domination, not freedom. [...] This recognition of limits would make a foreign policy founded on liberal values more persuasive abroad and more sustainable with the American electorate, holding off the next oscillation toward grandiosity or gloom. Where democracy exists, strengthen it and defend it against foreign subversion, if necessary with arms. Where it doesn’t, take care to understand particular movements for change, and offer only support that preserves their legitimacy. Align U.S. policy with the universal desire for freedom, but maintain a keen sense of unintended consequences and no illusions of easy success. (George Packer, The Atlantic)
Dieser Essay von George Packer ist sehr lang, aber unbedingt in Gänze lesenswert. Packers Betonung, dass die USA eine stabile Demokratie sein müssen, um erfolgreiche Außenpolitik führen zu können, ist in meinen Augen in den aktuellen Debatten noch unterbelichtet und verdient das Schlaglicht vollständig. Gleiches gilt für die Feststellung, dass die Bekämpfung des Illiberalismus schon aus Marketing-Sicht nicht leicht ist, aber wenn die eine Hälfte des eigenen Landes selbst illiberal ist, wie soll man das dann machen? Wenig überraschend verfechten die Republicans auch das Ziel der Demokratieförderung nicht mehr; warum schließlich sich international für etwas einsetzen, das man zuhause zerstören will? Auch Packers Fazit - die Förderung liberaler Strukturen mit Augenmaß - kann ich nur unterschreiben. Es ist, einmal mehr, eine gleichzeitig realistische und wertbasierte Außenpolitik.
6) The Cult of the Hardcore Worker
"Among Mr. Stankey’s dictates: 30 minutes was the “default” length for meetings, Saturdays were reserved for “quality time” with his family, and he expected to be home for dinner by 6:30 or 7. “My routine is important to me,” Mr. Stankey wrote….When everyone finished reading, Mr. Stankey asked if he had made himself clear. No one said anything. But afterward, there was a flurry of profanity-laced texts." Stewart’s framing is intended to portray Stankey’s demands as ludicrous. And yet what I kept thinking was “this guy is my new hero.” Obviously, a corporate CEO should be available to handle emergencies at all hours. But is it insane that the guy wants meetings to have a point and himself to have a personal life? How blinkered is U.S. corporate culture that the New York Times presents such requests as so beyond the pale as to invite ridicule? There are an awful lot of folks who seem to confuse long hours with productive hours. A week ago Elon Musk told his remaining Twitter employees that they had to work harder and longer to thrive in “Twitter 2.0.” [...] The valorization of hard work is at least as old as Max Weber. It’s a staple of Americana. In some quarters, however, the measurement of labor is reduced to the amount of hours put in rather than the value-added produced. And that seems nuts to me. Such an ethos rewards the performativity of work rather than work itself. (Daniel Drezner)
In den USA ist dieser Kult besonders ausgeprägt, aber auch in Deutschland gibt es viel zu viele Führungskräfte, die der Überzeugung sind, körperliche Anwesenheit im Unternehmen entspreche Produktivität oder korreliere wenigstens. Ich erinnere mich gut an eine Führungskraft, die praktisch ihr gesamtes Leben im Büro verbrachte und das als Ausweis ihrer besonderen Produktivität und Führungsstärke nahm. Nicht nur schuf das ein toxisches Arbeitsklima, sondern es war auch noch grob ineffizient, denn die Führungskraft arbeitete bei weitem nicht so viel sinnvolle Dinge, wie sie dachte, und machte oft genug anderen Kram nebenher. Aber man war halt anwesend. Das ist leider in extrem vielen Unternehmen so, wo die tägliche Arbeitszeit locker um eine Stunde gekürzt werden könnte, wenn man stattdessen konzentriert und fokussiert arbeitete. Aber die irrationale Konzentration auf den objektivierbaren und kontrollierbaren Faktor "Anwesenheit" hält davon ab.
Doch braucht es wirklich ein eigenes Fach? Lehrer Klemen-Geiger findet ja: „Die bisherigen Versuche, Digitalisierung als Querschnittsthema zu verankern, haben nicht funktioniert.“ Viele Lehrkräfte täten sich selbst schwer mit der Digitalisierung – wie solle es da fächerübergreifend vermittelt werden? Das sieht der Vorsitzende der hessischen Bildungsgewerkschaft GEW, Thilo Hartmann, anders. „Digitalisierung muss überall im Unterricht gelebt werden – und nicht in ein einzelnes Fach ausgelagert werden.“ Vor allem seien die Lehrkräfte zu eingespannt, um die Digitalisierung nebenher zu schaffen: Ein Fünftel der Lehrkräfte arbeite nach einer GEW-Studie mehr als 48 Stunden die Woche. „Wie und vor allem wann sollen sie da noch Konzepte zur Didaktik der Digitalisierung im Unterricht entwickeln?“ [...] Apropos Qualifikation: Für den aktuellen Modellversuch gab es nur wenige Wochen Vorlauf. Dass das Fach dennoch so schnell umgesetzt werden konnte, liegt vor allem an zwei Faktoren. Der eine: Die teilnehmenden Schulen waren ohnehin schon umtriebig in Sachen Digitales und wurden extra danach ausgewählt. An der Carl-von-Weinberg-Schule – eine offizielle Eliteschule des Sports, die regelmäßig Olympioniken hervorbringt – gab es beispielsweise schon eine Art Vorläuferfach für Digitales. Als ein zusätzliches Angebot für die Nicht-Sportler*innen quasi. Der zweite Grund: das Engagement der Lehrerkräfte. An der Carl-von-Weinberg-Schule brennen Eva Maria Orth und John Klemen-Geiger für die Digitalisierung. Orth hat eine Zeit lang im Silicon Valley gelebt und den Digitale-Welt-Vorläufer „Pixelfit“ für die Schule entwickelt. Klemen-Geiger findet Informatik hochspannend und bot ohnehin eine Robotik-AG an. (Alina Leimbach, taz)
Nichts ist im Bildungspolitikbereich so ermüdend wie die ständigen Forderungen nach irgendwelchen neuen Fächern, weswegen es natürlich immer wieder interessant zu sehen ist, wenn tatsächlich mal eines eingeführt beziehungsweise getestet wird. Ich halte wenig von dieser Idee als neuem Fach, weil Digitalisierung ein Querschnittthema ist und bleiben muss. Dass die Lehrkräfte das bisher nicht hinbekommen haben und ungefähr so digitalisiert sind wie Oma Erna ist kein Argument dafür, dass das der falsche Ansatz war, schon allein, weil das hier genannte Beispiel die ganzen Modernisierungsverweiger*innen aus der Verantwortung nimmt und ihnen das bequeme Abschieben auf das neue Fach erlaubt.
Nein, das ist ein Querschnittthema, das wesentlich mehr Beschäftigung und Ressourcen erfordert, als es bisher erhält. Die GEW hat völlig Recht, wenn sie auf die Arbeitsbelastung verweist. Bisher wird die Digitialisierung von besonders engagierten Lehrkräften quasi als Hobby vorangetrieben (man denke an das Twitterlehrerzimmer im Allgemeinen oder Leute wie Bob Blume im Besonderen), aber das ist kein tragfähiger oder substanzieller Zustand. Wenn das jemals in die Breite gehen soll, braucht es die entsprechende Didaktik, die entsprechende Ausstattung und die entsprechende Fortbildung der Lehrkräfte - mit einem robusten Mandatssystem, das dann auch zu erzwingen, denn wie in allen anderen Berufen auch werden die wenigsten Lehrkräfte das freiwillig machen.
8) If DeSantis Wins the Nomination, Trump Will Endorse Him
It is true that a world in which Trump has lost a primary to DeSantis is a world in which Trump feels very angry with DeSantis. But DeSantis is not the only person Trump feels angry with. Trump has spent the past several years simmering with anger at Joe Biden. And while a contested primary would make Trump resent DeSantis more than he does now, it’s hardly certain that it would make him hate DeSantis more than he hates Biden. [...] What interests would Trump have in common with DeSantis? For one thing, DeSantis could offer Trump legal protection — either pardons or immunity from additional prosecution. Second, DeSantis already commands a massive fundraising network, and as the Republican nominee, he would hold enormous power over various revenue streams around the party, ranging from its scam PACs to its media outlets. DeSantis would be in a position to make sure Trump is very well compensated in return for an endorsement. [...] The breach between Trump and his former loyalists is not nearly as deep as it may appear at the moment. They have every incentive to play up their differences now, and they may even believe what they’re saying. But their common interests will eventually win out over whatever antagonism may develop. (Jonathan Chait, New York Magazine)
Ich halte diese Einschätzung für sehr relevant. Nicht nur, weil deSantis praktisch genauso radikal ist wie Trump und keinerlei Besserung vespricht, sondern auch, weil es eine viel realistischere Einschätzung parteiinterner Dynamiken ist. Viele Beobachtende des Politikbetriebs machen gerade den gleichen Fehler wie 2016 und 2020 und imaginieren sich ein Wunderland, in dem Trump - dieses Mal aber wirklich! - signifikante Anteile der Konservativen von der GOP abbringt. Das ist blankes Wunschdenken. Man sehe sich nur die Haltung des National Review zu Trump an: 2016 veröffentlichte das Magazin den Titel "Never Trump" (der seither in den Sprachgebrauch eingegangen ist), nur um ihn dann vier Jahre lang zu unterstützen. Der damalige Chefredakteur rechtfertigte diese Haltung damit, dass er sagte, dass man immer einen anderen Republikaner vor Trump bevorzugt habe, aber Trump allen (!) möglichen Democrats vorziehe. Wer diese Dynamik nicht sieht, ist als Analyst*in der US-Politik in meinen Augen nicht ernstzunehmen.
9) You’re Paying Much More Tax Than You Thought
You think the highest marginal tax rate in the UK is 45%. John says it is 62%. That’s nasty. But I reckon he’s missed something – and that the top marginal rate of tax in the UK is actually 71%. “Why? Student loans. [...] “The key point here is that it doesn’t matter how much you have borrowed or what the interest rate on your loan is (it’s high by the way: 3% plus the RPI inflation rate — the expensive one — for most people). Everyone pays 9% of their income over the threshold every year and almost everyone pays until they are 50. [...] “You could argue that it would be significantly easier for students to pay the amounts off if the interest rates weren’t so high (6.3% at the moment, despite the fact that default is impossible). But given all this, does the 9% a year sound like loan repayments to you? Or does it sound like a (hypothecated) graduate tax (or perhaps, at the very least, what UK personal finance guru Martin Lewis calls a “graduate contribution scheme”)? It sounds like a tax to us – thought admittedly one you can avoid by having rich parents who pay for your tuition up front and therefore remove you from the system (lobby for this, kids!)” “Look at it like a tax and John’s numbers change. The basic rate for a large number of people is not 20% and not 32% (the rate with national insurance added), but 41%. The next rate (from £50,270) is not 42% but 51%. And the marginal rate that kicks in as your personal allowance is removed from £100,000 up is not 62%, but 71%. (John Stepek, Bloomberg)
Mein Instinkt war zu sagen "Blödsinn!", aber ich hab mich zum Glück selbst zurückgehalten. Das war ideologischer Instinkt. Denn die Rechnung, die dieser Artikel aufmacht, ist gar nicht von der Hand zu weisen. Dass unter Bloomberg-Lesenden überdurchschnittlich viele Studierte sind, dürfte unbestritten sein, weswegen das verallgemeinernde "you" in der Überschrift hier durchaus passt. Und de facto sind die Studiengebühren in der hier vorgestellten Struktur von einer Steuer nicht zu unterscheiden. Das unterstreicht einmal mehr, wie irreführend und bedeutungslos die Vergleiche von Steuersätzen sind. Klar sind die im UK und den USA niedriger als hier. Aber da kommen halt massenhaft weitere Kosten drauf, die hierzulande alle durch staatliche Leistungen abgedeckt sind, die wir mit höheren Steuersätzen finanzieren.
Wir können gerne darüber sprechen, welches System gerechter ist. Das angelsächsische hat den Vorteil, dass Arbeiter*innen nicht mit ihren Steuern das Studium von Akademier*innenkindern finanzieren, während unser System den Vorteil hat, Arbeiter*innenkindern das Studium häufig überhaupt erst zu ermöglichen. Ohne Vor- und Nachteile ist keines der beiden Systeme. Ich weiß, welches ich bevorzuge, aber das heißt ja nicht, dass es die einzige Alternative ist. Man muss diese Zusammenhänge aber schon anerkennen und offen benennen, sonst ist es einfach populistisches Geschwätz.
10) Ohne Strafen geht es nicht
Man könnte sagen, in den vergangenen Monaten wurde erprobt, was passiert wäre, wenn sich die SPD und die Grünen mit ihrer Idealvorstellung des Bürgergelds durchgesetzt hätten. Man wolle kein System, „dass Menschen unter den Generalverdacht stellt, nicht arbeiten gehen zu wollen“, sagte Arbeitsminister Hubertus Heil im September, als er seine Pläne vorstellte. Das Bürgergeld solle einen neuen Geist haben: „der Befähigung, des Vertrauens und des Respekts.“ [...] Da ist etwa der junge Vater mit zwei Kindern. Zwölf Briefe hat er von seiner Betreuerin im Jobcenter bekommen, zwölfmal hat er sie ignoriert. Welche Probleme er vielleicht hat, wissen sie nicht. Gezahlt wird trotzdem. „Die Totalverweigerer kriegen wir nicht. Das gibt das Gesetz momentan nicht her“, sagt Fallmanager Stephan Rauscher. Kamen vor dem Experiment neun von zehn seiner „Klienten“, sind es jetzt nur noch fünf von zehn. [...] Und nun sollen sie sich auch noch für ihre Arbeit rechtfertigen. Sie sollen ihre Beratung attraktiver machen, den Arbeitslosen mehr „auf Augenhöhe“ begegnen, hieß es im Gesetzentwurf zum Bürgergeld. Arbeitsminister Heil forderte, in den Jobcentern sollten sie sich mit Hartz-IV-Empfängern zusammensetzen und fragen: „Was tust du selbst, was müssen wir tun, um dich möglichst schnell wieder rauszubringen?“ Anstatt mit Rechtsbelehrungen und Sanktionen zu drohen, solle man versuchen, „das miteinander hinzubekommen“. Aber mit Belohnungen und „auf Augenhöhe“ arbeiten sie in Hanau schon lange. Das sind keine neuen Ideen, auf die sie erst das Bürgergeld gebracht hat. (Anna Schiller, FAZ)
Mich erinnert das hier vorgestellte Dilemma sehr an meine eigene Arbeit. Auch da wird immer wieder festgestellt (wir hatten die Debatte auch mal hier im Blog), dass ohne Sanktionsregime die Schüler*innen nicht lernen. Nur, die Debatte hat einerseits immer einen Henne-Ei-Charakter (wird ohne Sanktionen keine Eigenverantwortung wahrgenommen, weil die Leute einfach unselbstständig sind, oder sind sie unselbstständig, weil sie dazu gezogen werden?) und andererseits stellt sich die Effizienzfrage, die der obige Artikel völlig ausspart. Angenommen, die anekdotische Evidenz, die hier zitiert wird, trifft zu. Dann kommen jetzt vier von zehn Leuten nicht mehr ins Jobcenter. Die Frage, die man an der Stelle stellen müsste, die Schiller aber keine Sekunde auch nur andenkt, ist: wurde diesen vier Leuten vorher geholfen? Oder waren diese Besuche eine lästige Pflichtübung? Das ist eine ernsthafte Frage; ich weiß es nicht. Aber wenn diese Leute Recht damit haben wegzubleiben, weil es keinen Wert hat - wäre dann die Zeit der Jobcenter-Angestellten nicht besser auf diejenigen konzentriert, denen geholfen werden kann? - Ich selbst im Übrigen bin bezüglich der Thematik sehr zwiegespalten, denn ich glaube völlig, was hier im Artikel zur Wirkung der Warnbriefe geschrieben wird. Ich denke, wir müssen das noch eine Weile beobachten und gegebenenfalls gegensteuern.
Resterampe
a) Das muss einer der dümmsten Artikel sein, die ich je in der FAZ gelesen habe. Dazu passt das. Und natürlich mein Artikel zu den Klimaprotesten.
b) Nicht, dass so was CSU-spezifisch wäre, aber es ist trotzdem kritikwürdig.
c) Guter Hinweis von Jonathan Chait, dass das Abdrehen der amerikanischen Rechten schon in den 1990er Jahren mit Whitewater begann.
d) Interview mit Christian Drosten in der ZEIT. Ich bin immer wieder beeindruckt von der Bescheidenheit und Zurückhaltung Drostens. Wie er gleichzeitig Schlammschleuderei, Pauschlasierung etc. komplizierte Sachverhalte erklärt und, vor allem, Ungewissheit thematisiert. Ernsthaft, für seine Rolle in der Pandemie: Bundesverdienstkreuz.
e) Da ist schon ein Muster erkennbar.
f) Immerhin etwas, das Fraeser richtig macht.
h) Die Denkverbote gehen weiter: in Jena soll jetzt die einzige Lehrstelle für Geschlechtergeschichte abgeschafft werden. Moritz Hoffmann weist daraufhin, dass das Tradition hat.
i) Georg Diez schreibt über das Thema Twitter und Öffentlichkeit. Ich habe das ja auch schon mehrmals angesprochen.
j) Die Aussagen des Vaters des letzten amerikanischen Massenmörders, der in einer Homosexuellen-Bar fünf Menschen erschossen hat, sind auch eine Kategorie für sich.
k) Nicht nur Hausaufgaben sind weitgehend nutzlos, sondern auch unangesagte Tests.
l) Dieser Einschätzung zu Gamergate kann ich nur zustimmen. Und hier findet sich noch eine schöne Geschichte des "Skandals".
m) Weiter Beleg für die Parteilichkeit des SCOTUS.
n) Nette Analyse der Bürokratiekritik in "Andor".
o) Gute Einordnung der Debatte um Sektorziele.
p) Gute Frage. Und dazu diese absolut lächerliche Prämisse der zweiten Schlagzeile; als würden wir nicht seit fucking Monaten nichts anderes machen.
q) Ich werde diese Obsession mancher Kolleg*innen auch nie verstehen können.
r) Selbst Rudi Bachmann stimmt mir bei der Frage Böhmermann zu.
s) Ein Blick zurück auf Tic Tac Toe.
t) Die chinesische Diktatur hat immerhin den Vorteil, einzigartige Gesundheitsdaten für die Forschung zu bieten...
u) Nancy Faester stellt das neue Einwanderungsrecht vor. Ich halte den identitätspolitischen Streit seitens der CDU darum für völlig überzogen. Dass künftig Kinder automatisch auch die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen, ist wohl nicht gerade eine atemberaubende und im internationalen Vergleich einmalige Regelung.
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