Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) Wie rechtspopulistisch will die ARD eigentlich noch werden?

Der Artikel kritisiert scharf die Entwicklung der öffentlich-rechtlichen ARD, die sich zunehmend rechtspopulistischen Positionen öffne. Aus Angst vor dem Vorwurf, „woke“ oder „links-grün“ zu sein, lade der Sender zunehmend Provokateure ein, die mit Hassrede und Diskriminierung Aufmerksamkeit erzeugten. Beispiele wie Dieter Hallervorden, Serdar Somuncu und Dieter Nuhr würden als Beleg für eine bewusste Strategie genannt, AfD-nahe Themen öffentlichkeitswirksam zu bewirtschaften. Auch Formate wie die Reportage „Klar“ und Aussagen der RBB-Intendantin zeigten laut dem Text eine schleichende Verschiebung hin zu populistischer, anschlussfähiger Rhetorik. Der Autor stellt infrage, ob Demokratiefeinde überhaupt öffentlich-rechtliche Plattformen erhalten sollten, und erinnert an den historischen Auftrag der Anstalten, als „Brandmauer“ gegen demokratiefeindliche Tendenzen zu wirken. Die aktuelle Entwicklung deute hingegen auf ein Anbiedern an rechte Narrative hin. Besonders brisant sei, dass dies sogar im Jubiläumsjahr der ARD sichtbar werde – etwa durch die Ausstrahlung eines umstrittenen Sketches von Hallervorden. (Stephan Maus, Stern)

Ich nehme den Artikel vor allem als Beleg dafür, dass die Öffentlich-Rechtlichen eben doch deutlich ausgewogener sind, als es die Kampagne von Rechts gerne behauptet. Tatsächlich würde ich grundsätzlich zustimmen, dass sie sich ein wenig nach Rechts bewegt haben in der letzten Zeit - aber damit vollziehen sie nur einen generellen Trend nach. Ich denke, dass einige Satireformate noch lange keinen Rechtspopulismus als Grundtendenz konstituieren. Letztlich sind die Öffentlich-Rechtlichen weder links noch rechts, sondern positionieren sich so mittig sie können - wo auch immer diese Mitte eben gerade liegen mag. Und für jeden Somuncu gibt es ja auch ein Monitor, für jeden Dieter Nuhr ein Neues aus der Anstalt, für jeden Hallervorden ein Panorama. Und die Klassiker wie die Tagesschau sind ja eh so neutral, dass sie schon fast nutzlos sind.

2) Hitler’s Terrible Tariffs

Der Historiker Timothy W. Ryback beschreibt, wie Adolf Hitler kurz nach seiner Ernennung zum Reichskanzler 1933 eine aggressive protektionistische Wirtschaftspolitik verfolgte. Zentrale Maßnahme war die Einführung drastischer Importzölle, insbesondere auf Agrarprodukte, mit dem Ziel, Deutschland wirtschaftlich von der Weltordnung abzukoppeln und eine „nationale Ökonomie“ zu schaffen. Obwohl Experten und Wirtschaftsvertreter vor Handelskriegen und wirtschaftlicher Selbstschädigung warnten, hielt Hitler an seinem Kurs fest. Die Maßnahmen führten zu erheblichen Spannungen mit Nachbarländern wie Dänemark und den Niederlanden, die mit Gegenzöllen reagierten. Erste wirtschaftliche Folgen waren ein Rückgang der Exporte und wachsende Haushaltsdefizite. Hitlers wirtschaftliche Vorstellungen basierten weniger auf durchdachter Politik als auf nationalistischer Rhetorik und ideologischer Ablehnung der Globalisierung. In einer Rede im Berliner Sportpalast propagierte Hitler wirtschaftliche Autarkie als Ausdruck nationaler Ehre. Die Handelspolitik war letztlich ein Vorläufer der aggressiven außenpolitischen Expansionsstrategie des NS-Regimes. (Timothy W. Reiback, The Atlantic)

Ich war ehrlich gesagt erst in Versuchung, den Artikel gar nicht zu lesen, weil ich eine primitive Gleichsetzung von Hitler und Trump befürchtete. Tatsächlich lohnt die Lektüre aber sehr, weil Reiback hier einen detaillierten Einblick in die Zollpolitik des Dritten Reichs gibt. Die idiosynkratische Ausrichtung derselben lohnt die Beschäftigung auch einfach. Einerseits finde ich faszinierend, wie unglaublich ignorant Hitler gegenüber ökonomischen Zusammenhängen war und wie kontraproduktiv viele der Zölle waren. Aber andererseits ist beinahe noch auffälliger, wie überraschend die Zölle für das Ausland kamen - obwohl Hitler sie explizit angekündigt hatte. Wen das nicht an Trump erinnert, dessen Ankündigungen ebenfalls notorisch nicht für voll genommen werden? Es ist immer der Glaube, dass nicht kann, was nicht sein darf, und dass sich alle rational verhalten. Aber wer den Rahmen der Rationalität nicht als solchen anerkennt, wer glaubt, dass die Regeln, nach denen alle spielen, nur erfunden sind und in Wirklichkeit nicht gelten, sprengt diese Erwartungen. Und manchmal haben diese Leute sogar Recht. Aber weder für Hitler galt das, noch glaube ich, dass Trump Recht behalten wird. Dieser Ideologe wird unermesslichen Schaden anrichten.

3) "Am Ende war da ein Gefühl von absoluter Vergeblichkeit"

Kevin Kühnert, einst als Hoffnungsträger der SPD gefeiert, hat sich 2024 überraschend aus der Spitzenpolitik zurückgezogen. In einem ausführlichen Interview spricht er erstmals offen über seine Beweggründe. Ausschlaggebend sei nicht ein konkretes Ereignis gewesen, sondern ein wachsendes Gefühl der Vergeblichkeit und zunehmender Erschöpfung. Kühnert beschreibt eine politische Realität, in der Gewaltandrohungen und Anfeindungen zum Alltag wurden – sowohl von Rechtsaußen als auch innerhalb der eigenen Partei. Er beklagt den Verlust öffentlicher Diskursfähigkeit und die Verhärtung der politischen Lager. Besonders belastend war für ihn die Gleichgültigkeit seines Umfelds in bedrohlichen Momenten. Politische Kompromissfähigkeit, einst seine Stärke, sei zunehmend wirkungslos geworden. Trotz persönlicher Erfolge habe die Politik ihm mehr genommen als gegeben. Rückblickend erscheint sein Rücktritt als Konsequenz aus politischer und persönlicher Überforderung. Kühnert sucht nun Abstand in den Bergen, will dort über seine Zukunft nachdenken – und möglicherweise einen neuen Weg jenseits der Politik einschlagen. (Caterina Lobenstein, ZEIT)

Ich habe ein gewisses Mitgefühl und Verständnis für Kühnert. Aber gleichzeitig scheint mir das in eine ähnliche Kategorie wie Ricarda Lang, Robert Habeck und viele weitere zu fallen, die eigentlich politisches Talent besitzen, aber nicht damit zurechtkommen, dass in der Politik eine gewisse Flexibilität einerseits und - ich weiß nicht wie ich es ausdrücken soll, Zynismus vielleicht? - notwendig sind, um den Job zu machen. Ich könnte das übrigens auch nicht, aber deswegen sehe ich mich auch nicht in der Politik. Was ich mich frage ist, ob sich da etwas geändert hat oder ob die Leute nur nicht mehr willens sind, sich dem zu unterwerfen. Vielleicht ist es auch beides.

4) DOGE says it has saved $160 billion. Those cuts have cost taxpayers $135 billion, one analysis says.

Das von Elon Musk geleitete Department of Government Efficiency (DOGE) behauptet, durch Bekämpfung von Verschwendung 160 Milliarden Dollar eingespart zu haben. Eine Analyse der unabhängigen Organisation Partnership for Public Service stellt jedoch fest, dass DOGEs Maßnahmen Steuerzahler im laufenden Haushaltsjahr 135 Milliarden Dollar kosten könnten. Dies sei auf bezahlte Freistellungen, irrtümliche Entlassungen und sinkende Produktivität zurückzuführen. Kritisiert wird auch, dass Kürzungen, etwa bei der Steuerbehörde IRS, langfristig Steuerverluste verursachen könnten. Die Regierung verteidigt DOGE gegen die Vorwürfe und spricht von „massiven Erfolgen“. Beobachter warnen jedoch vor negativen Effekten auf Forschung, Gesundheit und Beschäftigung. Während DOGE öffentlich Einsparungen dokumentiert, hätten sich viele Zahlen als überhöht erwiesen. Musks Ziel, die Staatsausgaben um zwei Billionen Dollar jährlich zu reduzieren, gelte als kaum erreichbar, da große Programme wie Sozialversicherung und Medicare verschont bleiben sollen. Musk kündigte an, seine Aktivitäten bei DOGE künftig zu reduzieren, aber weiterhin zu überwachen. (Aimee Picci, CBS)

Die Mission der Republicans ist die Zerstörung der Funktionsfähigkeit des Staates. Als beinharte Ideolog*innen können sie für sich die Überzeugung behalten, dass damit gleichzeitig Effizienzgewinne realisierbar sein könnten. Aber Selbstverständlich spart man damit Geld, wenn man wahllos Leute rauswirft. Zumindest hat man weniger Ausgaben beim Personal. Dieser Vulgär-McKinseyismus funktioniert ohnehin bestenfalls kurzfristig. Eine Horde adoleszenter Informatiker jedenfalls wird sicherlich nicht innerhalb von zwei Monaten einen Tanker wie die US-Bürokratie verstehen und auf Kurs trimmen. Inwiefern das Ziel, aus einem Tanker eine schnittige Yacht zu machen, überhaupt erreichbar ist, sei einmal dahingestellt. Um im Bild zu bleiben: eine Yacht ist schön anzusehen und flott, aber schlecht geeignet, um Öl zu transportieren. Ein zerstörter Staat ist ein ineffektiver Staat. Siehe zum Thema auch Fundstück 5.

5) Democrats Need to Make Republicans Fear the Consequences of Attempting a Dictatorship

Der Artikel warnt davor, dass Trump und seine Unterstützer auf eine autoritäre Umgestaltung der USA hinarbeiten und dass nur die Aussicht auf harte Konsequenzen sie abschrecken könnte. Früher hätten gegenseitige Abschreckung und die Angst vor Vergeltung politische Normen geschützt, heute fehle diese Dynamik. Führende Demokraten wie Chuck Schumer und Hakeem Jeffries würden zu zaghaft agieren, während einzelne Stimmen wie Cory Booker, Chris Van Hollen oder Alexandria Ocasio-Cortez deutlicher Widerstand leisten. Gefordert wird, dass Demokraten klare Signale senden, entschlossen Machtmittel wie Ermittlungen und Anklagen einzusetzen, sobald sie wieder an der Regierung seien. Andernfalls könnten die Republikaner ungestraft eine dauerhafte Minderheitsherrschaft etablieren. Der Artikel betont, dass es nicht um Revanche gehe, sondern darum, Demokratie aktiv zu verteidigen und den politischen Gegnern glaubwürdig das Risiko aufzuzeigen, dass illegale Machtübernahmeversuche ernsthafte Konsequenzen haben werden. (David Atkins, Washington Monthly)

So sehr ich grundsätzlich den Impuls verstehe, so unsicher bin ich, inwieweit das eine tragfähige Strategie ist. Erstens ist es eine unglaublich schlüpfrige Bahn, auf der schon ganz andere Leute in den Autoritarismus abgerutscht sind. "Wir nutzen die Institutionen des Staates gegen unsere Gegner, aber nur gegen die Bösen" war noch der Schlachtruf zahlreicher verhinderter Autokraten. Zweitens hilft es beim grundsätzlichen Problem ja auch nicht, schließlich ist eine IRS, die statt progressiver Gruppen halt reaktionäre verfolgt auch eine schlechte IRS. Die IRS soll Steuererklärungen prüfen, keine politischen Kämpfe austragen. Grundsätzlich wäre mein Bauchgefühl, dass eine Revision der republikanischen Zerstörungsorgie (siehe Fundstück 4) das bessere Ziel wäre, weil es einerseits den ganzen Kriminellen in Trumps Umfeld automatisch an den Kragen ginge, ohne dass man eine gezielte Kampagne starten müsste, und gleichzeitig einen effizienten Staat mit sich bringen würde. Nur, was hülfe es? Die Republicans würden einen funktionierenden Staat genau gleich betrachten wie einen dysfunktionalen, aber ihnen feindlichen. Sie würden keinen Unterschied machen zwischen einer funktionierenden IRS und einer auf Hexenjagd. Sie halten sich an keine demokratischen Regeln, sie wollen zerstören - und sind deswegen, fürchte ich, auch nicht abzuschrecken. Es ist ein Spiel ohne Ausweg für die Guten, und genau das macht es so frustrierend. Wer die Demokratie zerstören will, hat die Karten quasi in der Hand.

Resterampe

a) Eben noch schnell den Kriegsdienst verweigern? (Verfassungsblog) Ganz gute Übersicht über den rechtlichen Stand der Kriegsdienstverweigerung. Nicht dass ich glaube, dass eine prophylaktische Kriegsdienstverweigerung im Zweifel etwas nützen würde. Das ist ein typisch deutscher Glauben an die Absolutheit des Rechts.

b) So true (Twitter).

c) Klöckners Kulturkampf gegen die Kirchen verstehe auch mal, wer wolle. (Spiegel)

d) Einfach nur noch ekelhaft. (Twitter)

e) Warum «Adolescence» kein sinnvoller Impuls zum Nachdenken über Jugendliche und Medien ist – und eine Theorie über Emotionen im Internet (Schule Social Media)

f) Linken-Fraktionschefin: Heidi Reichinnek plant ein Hyänen-Tattoo (Spiegel). Der Spiegel ist an den ganz wichtigen Themen dran.

g) Resistance in France (Space Biff). Für Geschichts-Brettspiel-Nerds. Also falls es außer mir noch einen gibt.

h) Kultusministerium bestätigt “Stellenmoratorium für Schulen”  (News4Teachers). Scheint doch nicht so schlimm mit dem Lehrkräftemangel.

i) Wütender Artikel über den Trump-"Friedens"plan (Welt).

j) The Great AI Lock-In Has Begun (The Atlantic).

k) Kann man nicht anders sagen. (Bluesky)

l) Wie die Gemeinden bei ihren Gedenkfeiern mit Vertretern Russlands umgehen (Spiegel). Ich finde es auffällig, wie weird es ist, in dem Kontext von "Befreiung" zu reden. Die Rote Armee hat Städte erobert, nicht befreit, genauso wie die Westalliierten auch. Diese Merkwürdigkeit im Umgang damit jetzt ist so ein Ei, das uns Weizsäcker gelegt hat.

m) Batshit crazy days of Brexit nostalgia. (Bluesky)


Fertiggestellt am 28.04.2025

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