Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) Macht die Schulen endlich hitzefest – oder verlängert die Ferien!

Der Kommentar von Miriam Olbrisch thematisiert die zunehmenden Hitzebelastungen in deutschen Schulen und kritisiert, dass die Diskussion um Sommerferientermine am eigentlichen Problem vorbeigehe. Sie führt aus, dass Klassenzimmer immer häufiger überhitzen, da die Gebäude weder mit Klimaanlagen noch mit effektiven Lüftungs- oder Verdunkelungssystemen ausgestattet seien. Auch moderne Schulbauten mit großen Glasfronten würden sich stark aufheizen. „Hitzefrei“ sei dabei keine Lösung, da viele Eltern berufstätig seien und Schulen aufgrund des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung künftig nicht einfach schließen könnten. Olbrisch betont, dass fehlende Anpassungen an den Klimawandel langfristig zu Leistungseinbußen bei Schülerinnen und Schülern führen könnten. Sie fordert deshalb Investitionen aus dem 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen in die Modernisierung der Schulen, insbesondere in Klimaanlagen, Lüftung und Beschattung. Alternativ verweist sie auf längere Sommerferien wie in Italien oder Schweden, sieht aber hier erhebliche Probleme bei der Kinderbetreuung. „Deutschland muss seine Schulen endlich hitzefest machen“, fasst sie zusammen. (Miriam Olbrisch, Spiegel)

Die Langlebigkeit dieser Feriendiskussion erstaunt mich ehrlich gesagt etwas, aber dann gebe ich gerne auch noch mal meinen Senf dazu. Die Hitzefestigkeit der Schulen ist ein Dauerproblem; Unterricht bei über 30 Grad Innentemperatur ist einfach unzumutbar und führt auch zu nichts; da ist niemand leistungsfähig. Das hat aber mit den Ferienterminen nur insofern zu tun, als dass der einzige Weg darum herum Sommerferien von 2-3 Monaten Länge wären. Das kann man natürlich machen, aber ich halte es für Quatsch; meine bevorzugte Lösung (wenn mich jemand fragte) wäre tatsächlich eine Kürzung der Sommerferien um 2 Wochen und Verlängerung von Herbst- und Faschingsferien um je eine Woche für mehr Konsistenz und Kohärenz. Grundsätzlich aber ignorieren alle diese Lösungen und Diskussionen um Erntehelfer*innen die von Olbrisch hier angesprochene Betreuungslösung. Denn noch viel mehr als vom Erntekalender hingen bisherige Ferientermine von der Annahme ab, dass Mama zuhause ist und die Kinder betreut. Die Realität in immer mehr Familien ist aber eine doppelte Vollerwerbstätigkeit, in der 14 Wochen Ferien nicht abgebildet werden können. DAS allerdings ist eine Frage, die die Politik verschämt umgeht.

2) Unsere Demokratie kann eine solche Kraft aushalten. Warum wird das nicht gesagt?

Der Meinungsbeitrag von Jürgen W. Falter und Eckhard Jesse warnt vor einer zunehmenden Einschränkung des demokratischen Diskurses in Deutschland. Sie erklären, dass eine „illiberale Verdachts-, Bevormundungs-, Einschüchterungs- und Denunziationskultur“ den freien Austausch von Argumenten untergrabe. Staatlich geförderte zivilgesellschaftliche Organisationen und Meldeportale würden den Meinungskorridor verengen und parteipolitische Neutralität missachten. Besonders kritisch sehen die Autoren staatliche Maßnahmen wie Ausreiseverbote gegen Mitglieder der Identitären Bewegung und die Verschärfung von Gesetzen gegen „Hass und Hetze“. Solche Schritte erinnerten an autoritäre Praktiken und könnten die Legitimität der Demokratie schwächen. Auch der Umgang mit der AfD sei problematisch: Das Errichten einer „Brandmauer“ und die Ächtung der Partei könnten ihre Radikalisierung fördern. Die Autoren betonen, dass ein demokratischer Staat mit stabilen Institutionen eine solche Partei aushalten könne. „Man muss sie nicht achten, aber muss man sie ächten?“, fragen sie und plädieren für mehr Liberalität im Umgang mit politischen Rändern. Eine lebendige Demokratie zeige sich nicht durch Ausgrenzung, sondern durch fairen Wettbewerb der Argumente. (Jürgen W. Falter/Eckhard Jesse, Welt)

Ich bin beeindruckt von der Sicherheit, mit der Falter und Jesse ihre Prämisse hier vertreten. Es ist sehr gut möglich, dass unsere Demokratie eine solche Kraft aushalten kann, keine Frage. Aber es ist schlicht nicht sicher. Die Frage ist, wie mir mit dieser Unsicherheit umgehen wollen. Wir können sagen, dass wir es riskieren, weil die Kosten einer aggressiven Bekämpfung (Brandmauer, Parteiverbot ("fixe Idee einer Minderheit" (auch Welt)), etc.) zu hoch sind. Wir können sagen, dass uns das Risiko zu hoch ist, und dass wir deswegen entsprechend bekämpfen wollen. Aber Falter und Jesse haben hier die Prämisse, dass die AfD eine grundsätzlich demokratische Partei ist und nehmen die als gegeben. Genau das wissen wir aber nicht. Denn der "faire Wettbewerb der Argumente" macht nur dann Sinn, wenn alle nach demokratischen Regeln spielen. Mein Punkt ist: wir bewegen uns hier in einer Unschärfe, und diejenigen, die behaupten sicher zu sein dass die Gefahr nicht besteht (wie Jesse und Falter) oder dass sie garantiert ist (wie diverse Befürworter*innen eines Verbots) schreiben in meinen Augen Schecks, die sie nicht einlösen können.

3) Zwischen Christdemokratie und Rechtspopulismus

Der Artikel von Andreas Püttmann analysiert die ideelle Krise der CDU unter Friedrich Merz. Er stellt dar, dass die Partei sich zunehmend vom Gründungsprinzip der Christdemokratie entfernt und in konservativ-rechtspopulistische Muster abrutscht. Püttmann erinnert daran, dass das „C“ der CDU ursprünglich für eine Haltung stand, die liberale, soziale und konservative Elemente im Lichte des christlichen Menschenbildes vereinte. Unter Merz werde dieses Fundament verwässert: Das Christliche diene nur noch als identitätspolitisches Label, während konservative und wirtschaftsliberale Positionen dominieren. Die Union habe sich programmatisch stärker nach rechts bewegt, dabei aber Wähler an die AfD verloren und bei jungen Menschen massiv eingebüßt. Püttmann kritisiert insbesondere die Übernahme rechter Rhetorik, Kooperationen mit der AfD sowie ein populistisches Auftreten, das die Partei innerlich entkerne. „Merz’ Projekt, die AfD zu halbieren, ist krachend gescheitert“, heißt es. Der Autor warnt, dass die CDU Gefahr laufe, ihre christdemokratische Seele zu verlieren und so die demokratische Mitte weiter zu schwächen. (Andreas Püttmann, Blätter)

Ich liebe dieses Artikel-Genre von "Partei XY verliert den wahren Weg, den ich noch kenne". Ich habe ja erst im letzten Vermischten diesen Welt-Artikel zur "freiheitlichen Kampfeinheit" FDP verlinkt, aber ich kenne das Genre gut aus linker Kritik an der SPD, pazifistischer Kritik an den Grünen oder eben christkonservativer Kritik an der CDU wie hier. Aber Parteien ändern sich nun mal. Die CDU hat sich von ihren christlichen Wurzeln schon alleine deswegen so weit entfernt, weil die Grundlagen dafür nicht mehr existieren. Die starke Verwurzelung der Amtskirchen und ihre große Rolle in der Bevölkerung existiert nicht mehr. Christkonservativ zu sein in einer Welt, in der 70%-80% der Bevölkerung wöchentlich zur Messe geht, ist etwas anderes, als wenn das keine 10% mehr tun und die Kirchenaustritte konsistent auf Rekordniveau sind. Dasselbe gilt ja für die SPD: wenn 30% aller Arbeitnehmenden "Arbeiter" sind, kann ich das wesentlich eher zur ideellen und programmatischen Grundlage machen als wenn das für keine 10% mehr gilt. Und so weiter.

4) The Dangers of Weaponizing Antisemitism

Der Artikel von Howard W. French in Foreign Policy warnt vor den Gefahren, den Antisemitismusvorwurf politisch zu instrumentalisieren. Er beschreibt, dass in den USA parallel zur israelischen Offensive in Gaza ein Kulturkampf um die Grenzen der Meinungsfreiheit tobe. Kritiker Israels würden zunehmend durch eine erweiterte Definition von Antisemitismus unter Druck gesetzt. Die Trump-Regierung nutze diesen Vorwurf, um Universitäten stärker zu kontrollieren, Visa zu entziehen und die öffentliche Debatte einzuschränken. French betont, dass Sicherheit jüdischer Studenten selbstverständlich gewährleistet sein müsse, dass aber das Streben nach „Komfort“ nicht zu Zensur führen dürfe. Er nennt Beispiele wie die Absage einer Harvard-Publikation über Palästina und verweist auf verschärfte Sprachregelungen in Medien und im Wahlkampf. Vor dem Hintergrund wachsender humanitärer Katastrophen in Gaza, darunter Hunger und massives ziviles Leid, sei offene Kritik an Israels Politik „wichtiger denn je“. Wer diese Debatte unterbinde, gefährde nicht nur die Menschenrechte der Palästinenser, sondern auch zentrale demokratische Prinzipien der Vereinigten Staaten. (Howard French, Foreign Policy)

Ich habe bereits letzthin im Podcast mein unwohles Gefühl thematisiert, dass diese ganze Israel-Debatte gerade kippt. Ich habe das Gefühl, die Riege der Israel-Verteidiger*innen - pars pro toto die Springerpresse und verbundene Kräfte - durch ihren Absolutismus denselben Fehler macht, den sie (nicht zu Unrecht) den Progressiven in der ganzen Rassismus- und Sexismusdebatte vorwerfen: nur Schwarz und Weiß zu sehen und eine Debatte auszuschließen. Denn tatsächlich ist es in Deutschland praktisch unmöglich, Kritik an der israelischen Regierung zu üben. Der Antisemitismusvorwurf ist immer sofort und hoch aggressiv an der Hand. Und ich nehme sowohl bei mir als auch in meinem Umfeld einen wachsenden Unmut darüber wahr. Und ich bin Team Israel! Ich habe seit dem 7.10. ein ums andere Mal bekräftigt, wie gerechtfertigt Krieg gegen die Hamas ist. Aber die Stimmung kippt. Man nehme nur das aktuelle Spiegelcover oder diesen Spiegel-Leitartikel - vor einem halben Jahr wäre das noch unvorstellbar gewesen. Und wir wissen aus der Übernahme rechtsradikaler Narrative in der ganzen Cancel-Culture/Meinungsfreiheit-Debatte, welche Gefahren das mit sich bringen kann. Wenn alle Zwischentöne ausgeblockt werden, reduziert sich die Debatte irgendwann auf zwei Positionen und forcieren eine Einteilung in Lager. Das kann nicht der Sinn der Übung sein. Wir sehen die Instrumentalisierung des Antisemitismusvorwurfs etwa an Trumps Angriffen auf die Columbia-Universität (siehe auch Adam Tooze). Das ist alles gar nicht gut.

5) Zuerst das Land – dann seine Zuwanderungsgeschichten!

Der Kommentar von Till-Reimer Stoldt in der WELT kritisiert Migrantenquoten in Politik und Verwaltung als verfassungsrechtlich problematisch und betont, dass Zuwanderungsgeschichte allein keine Qualifikation für politisches Amt sei. Am Beispiel von Alexander Omar Kalouti, CDU-Oberbürgermeisterkandidat in Dortmund, wird dargestellt, wie Politiker mit Migrationshintergrund einen Beitrag leisten könnten: Sie könnten glaubwürdig vor einer Überbetonung der Herkunft warnen und stattdessen die gemeinsame Verantwortung für das Land betonen. Kalouti argumentierte, dass politische Arbeit „nicht um einzelne Bevölkerungsgruppen“ kreisen dürfe, sondern das Gemeinwesen im Blick haben müsse. Migrantenquoten würden nur identitäre Gräben vertiefen und seien mit dem Gleichheitsgrundsatz schwer vereinbar. Der Autor hebt hervor, dass Integration ein „Sich-Einlassen auf die Mehrheitskultur“ erfordere und die Bedeutung der aufnehmenden Kultur Vorrang haben müsse, um gesellschaftliche Zerklüftung zu vermeiden. Kalouti nutze seine eigene Herkunft zudem, um offen kulturell bedingte Probleme in manchen Milieus anzusprechen. Der Kommentar schließt mit der Forderung, den Migrationshintergrund nicht zum zentralen politischen Maßstab zu erheben. (Till-Reimer Stoldt, Welt)

Ich zitiere mal den Teaser: "Können Politiker mit Zuwanderungsgeschichte das Land bereichern? Und wie! Glaubwürdig wie wenige können sie gegen Migranten-Quoten argumentieren, auf problematische kulturelle Eigenarten migrantischer Milieus hinweisen [...]" Der Artikel geht genauso weiter. Ich möchte gar nicht dagegen argumentieren, dass das total wertvoll ist, aber Stoldt reduziert den Wert von Zuwanderungsgeschichten ausschließlich darauf, ob sie Mitte-Rechts-Positionen stützen. Wenn sie das tun, sind sie wertvoll, wenn nicht, nicht. Und das ist höchst problematisch. Ich muss ja, wenn ich Zuwanderungsgeschichten will, sowohl eine Biografie wie Serdar Somuncu oder Ahmad Mansour wertschätzen können als auch einen Aladdin el-Mafaalani oder Stephan Anpalagan. In dem Moment, in dem ich "wertvolle" oder "korrekte" Zuwanderungsgeschichten danach sortiere, ob sie meine politische Haltung stützen, habe ich ein riesiges Problem. Das geht übrigens auch in beide Richtungen des politischen Spektrums. Problematisch sind nur solche Haltungen, die sich nicht mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinen lassen: Salafisten, Hamas-Sympathisanten, etc. Diese mangelnde Differenzierung ist glaube ich für viele Probleme und Vergiftungen des Diskurses verantwortlich, und erneut: von links wie rechts.

Resterampe

a) Wir finden mal wieder "Einsparpotenzial" bei den Schwächsten. (T-Online) Und mein Gott, das sind exakt dieselben Debatten wie vor 15 Jahren. Wir drehen uns echt komplett im Kreis.

b) Guter Artikel zu Cannae (War on the Rocks).

c) SPD-Politiker Daniel Born: »Ich werde mir nie verzeihen, dass ich so versagt habe« (Spiegel). Das übliche Muster. Niemals wäre jemand von der AfD zurückgetreten.

d) Zusammensetzung der Schuldenbremsenreformkommission (Spiegel). Das sieht nicht so gut aus...

e) “Einser-Abi-Flut”: Hat Deutschland eine Bestnoten-Inflation? Bildungminister hält die Diskussion für beleidigend (News4Teachers) Wenn nicht die exakt gleiche Diskussion mit den exakt gleichen Dokumenten ständig neu geführt werden würde...

f) Wie die Koalitionäre wieder von den Bäumen kommen können (Welt). Stimme völlig zu, mit Ausnahme des unnötigen Diss wegen FBGs Nachnahmen.

g) Die Drohung der Arbeitgeber. (Twitter)


Fertiggestellt am 28.07.2025

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