Homöopathie ist keine Naturheilkunde! Obwohl sie an allen Ecken und Enden mit diesem Begriff verbunden oder gar gleichgesetzt wird. Nicht zuletzt von den Anbietern homöopathischer Präparate, für die dieser Claim (manchmal ausdrücklich, manchmal suggestiv) ein Standbein der Werbung ist. Diese falsche Assoziierung ist einer der größten Irrtümer über die Homöopathie – und einer der einflussreichsten, denn daraus speist sich ihr verbreitetes Image als „sanft“ und „natürlich“. Man braucht einfach nur einmal auf die Abbildungen zu achten, die uns die Werbung im Zusammenhang mit Homöopathie vorsetzt: Blumenwiesen, frisches Grün und blauer Himmel mit Schäfchenwolken überall…

Aber warum ist das denn nun falsch?

Was versteht man unter Naturheilkunde?

Eine allgemeingültige Definition gibt es nicht, nehmen wir mal das, was im allgemeinen Verständnis „Naturheilkunde“ ausmacht. So tut es auch die Wikipedia, wenn sie schreibt: „Der Begriff Naturheilkunde bezeichnetein Spektrum verschiedener Naturheilverfahren, die sich keiner technologischen Hilfsmittel bedienen und die körpereigenen Fähigkeiten zur Selbstheilung (Spontanheilung) aktivieren sollen. Dazu bedienen sich diese Verfahren bevorzugt der in der Natur vorkommenden Mittel oder Reize.“ Dem stimmen wir durchaus zu.

Naturmedizin im allgemeinen Verständnis nutzt also die Wirkung real vorhandener "natürlicher" Dinge wie Luft, Sonne, Wasser, körperliche Bewegung, Pflanzenauszüge und -zubereitungen (Phytotherapie), Ernährungsumstellung (Diätetik) und dergleichen.

Es sind reale Dinge der realen Welt, deren die Naturheilkunde sich bedient. Man kann diese Dinge mit den Sinnen wahrnehmen. Wirkungen - oder auch Nichtwirkungen - der so verstandenen Naturheilkunde sind wahrnehmbar und damit auch in Qualität und Quantität beschreibbar, damit sind sie potenziell Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. In vielen Fällen ist der physiologische Wirkprozess genau bekannt und beschrieben. Wie jede reale Einwirkung auf den Organismus unterliegen auch die naturheilkundlichen  Verfahren und Mittel einer Dosis-Wirkungs-Beziehung (wenige Sekunden Sonne nützen gar nichts, angemessener Aufenthalt im Sonnenlicht stößt die Vitamin-D-Produktion des Körpers an, zu langer Aufenthalt in der Sonne führt zu Sonnenbrand und Hitzschlag). Das ist leicht einsichtig.

Den Sinn solcher naturheilkundlicher Verfahren trotz ihrer begrenzten Einsatzmöglichkeiten wird kein Mediziner leugnen. Ja, die Naturheilkunde war und ist durchaus eine Quelle für wissenschaftliche Untersuchungen auf Wirksamkeit. Was wir  für sehr wichtig und richtig halten, solange unter dem Mäntelchen "Naturheilkunde" nicht längst erledigter Unsinn nach wissenschaftlicher Reputation drängt. Fallen die Untersuchungen positiv für die eine oder andere naturheilkundliche Anwendung aus, dann wird sie eben zu – Medizin, nicht zu etwas „alternativem“, "komplementären" oder "integrativen". Wenns nachweislich wirkt, ist es Medizin, der Rest ist überflüssiges Wortgeklingel. Es ist zu wenig bekannt, dass viele heute synthetisch hergestellte Arzneimittel der evidenzbasierten Medizin aus der wissenschaftlichen Untersuchung und Erklärung der Wirkmechanismen von lange bekannten Pflanzenheilmitteln hervorgegangen sind. Ebensowenig, dass viele Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften naturheilkundliche Interventionen vorsehen, oft sogar noch vor jeder medikamentösen oder invasiven Therapie im Zusammenhang mit Lebensstiländerungen.  

Und die Homöopathie zählt nicht dazu?

Nein.

Die Homöopathie will überhaupt nicht mit „Dingen der realen Welt“ auf den menschlichen Körper einwirken. Dort, wo sie eine Wirkung zu erzeugen sucht, tut sie das unter Rückgriff auf lange überholte vitalistisch-animistische Vorstellungen, indem sie von einer nicht vorhandenen „verstimmten geistigen Lebenskraft“ ausgeht, die von einer ebenso nicht vorhandenen „geistigen Arzneikraft“ ihrer homöopathischen Mittel beeinflusst werden soll. Das wird besonders deutlich im Prinzip der Potenzierung, bei dem die Verstärkung dieser „geistigen Arzneikraft“ durch einen schrittweisen Verdünnungsvorgang (!) bei gleichzeitigen rituellen Handlungen (Schüttelschläge bestimmter Zahl gegen einen federnden Untergrund) erreicht werden soll. Also, ehrlich gesagt, Susannchen findet, dass wir hier bei der Esoterik angekommen sind...

Dazu nehmen wir Herrn Hahnemann, den Urvater und Säulenheiligen der Homöopathie, selbst als Zeugen. In seinem Organon, der Bibel der Homöopathie, bis heute DIE Grundlage für jeden Homöopathen, schreibt er im Paragrafen 16:

"Von schädlichen Einwirkungen auf den gesunden Organism, durch die feindlichen Potenzen, welche von der Außenwelt her das harmonische Lebensspiel stören, kann unsere Lebenskraft als geistartige Dynamis nicht anders denn auf geistartige (dynamische) Weise ergriffen und afficirt werden und alle solche krankhafte Verstimmungen (die Krankheiten) können auch durch den Heilkünstler nicht anders von ihr entfernt werden, als durch geistartige (dynamische, virtuelle) Umstimmungskräfte der dienlichen Arzneien auf unsere geistartige Lebenskraft.

Wo ist denn hier etwas von „Naturheilkunde“ zu finden? Nirgends! Was hat dies mit der Nutzung von "in der Natur vorkommenden Mitteln oder Reizen" und deren Einwirkung auf den menschlichen Körper zu tun? Nichts! Und von einer Dosis-Wirkungs-Beziehung bei der Homöopathie wollen wir gar nicht erst anfangen...

Wo nichts drin ist, ist auch nichts Natürliches drin

Nun mag immer noch mancher einwenden, die Ursubstanzen der Homöopathie, Verdünnung oder Potenzierung hin oder her, seien doch natürlichen, vorzugsweise pflanzlichen Ursprungs. Aber auf diesem Weg kommen wir erst recht nicht dazu, der Homöopathie einen Platz innerhalb der Naturheilkunde zuzuweisen.

Sieht man sich nämlich die langen "Arzneimittellisten" der homöopathischen Materia Medica (Mittelverzeichnisse) oder auch der Hersteller von homöopathischen Mitteln an, wird sofort deutlich, dass nur ein Teil der verwendeten Grundsubstanzen pflanzlicher Natur ist - und selbst unter diesen finden sich einige, die schon in geringer Dosierung gesundheitsgefährdend sein können. Wobei dann selbst die Hersteller beruhigend ihre Unwirksamkeit in diesem Sinne betonen und offen einräumen, dass sie auf die "geistige Lebenskraft" setzen … 1 Hahnemann sah auch Pflanzen keineswegs als irgendwie bevorzugt oder privilegiert als Ursubstanzen für seine Präparate an.

Dass pflanzliche Grundstoffe in den Listen enthalten sind, ist also keine Hervorhebung – die Homöopathie nimmt von jedem möglichen und unmöglichen Stoff an, dass er als homöopathischer Grundstoff verwendbar sei, wenn er nur in der (unsinnigen) „Arzneimittelprüfung am Gesunden“ irgendwelche Symptome zu erzeugen scheint. Nebenbei bemerkt, kam Samuel Hahnemann noch mit rund 70 Ursubstanzen aus - heute gibt es mehr als 6.000 homöopathische Mittel in den Verzeichnissen des Handels...

Dort finden sich unter den Ursubstanzen Dinge wie Polio-Viren ("sterilisiert"),  Tyrannosaurus Rex, Aluminium, Quecksilber und alle anderen Metalle, Chlor, der magnetische Nordpol (Hahnemann machte gar einen Unterschied zwischen der Wirkung des Nord- und des Südpols eines Magneten), Meteorstaub aus Arizona, Mikrowellen, Plutonium (!), Erreger von Tripper und Syphilis, sogar Pocken- und Pesterreger (Yersinia pestis), verfaultes Rindfleisch, wahlweise die Berliner oder die Chinesische Mauer (Achtung! Berliner Mauer aktuell wieder lieferbar, vom englischen Hersteller Ainsworth!) rund 30 unterschiedliche Arten von "Licht" - und last not least auch Zucker (Saccharum officinale), der millionenfach verdünnt auf Rohglobuli (die selbst aus Zucker bestehen) aufgesprüht wird und zur homöopathischen Gruppe der "Stimulantien" gehört...

Kann nur niemand durch die Aufschrift auf den Packungen oder gar der Packungsbeilage erkennen: die Angaben sind kommen auf Latein daher, zum Teil mit veralteten Bezeichnungen, die nur noch in der Homöopathie üblich sind (googlet man danach, landet man immer bei Homöopathie ...). Die wenigsten wissen, was sich hinter den lateinischen (vereinzelt englischen), so wissenschaftlich klingenden Handelsbezeichnungen der Mittel verbirgt. Wer erkennt schon, dass Cimex lectularius die gemeine Bettwanze ist, Porcellanum misniense Meißner Porzellan, Gunpowder comp. reines Schießpulver oder Excrementum caninum nichts anderes als Hundekot? Es gibt gar homöopathische Mittel wie „Terra“ (normale Erde, eins zu 10 hoch 30 verdünnt), die bei Heimatvertriebenen, aber auch anderen „Entwurzelten“ wie Geschiedenen verwendet wird...  Selbst real gar nicht existierende Stoffe werden gelegentlich in den Rang einer homöopathischen Ursubstanz erhoben, das ist z.B. bei dem in den USA meistverkauften homöopathischen Präparat der Fall.

Und jetzt noch einmal Luft geholt – Homöopathie ist keine Naturheilkunde! Und Globuli wachsen deshalb auch nicht auf kleinen Bäumchen, von denen sie von feengleichen Wesen sanft heruntergeschüttelt und in kleine braune Fläschchen eingefüllt werden. Gegen sinnvolle Naturheilkunde haben die Kritiker der Homöopathie nicht das Allergeringste einzuwenden, im Gegenteil, es ist zu begrüßen, wenn solche Mittel in geeigneten Fällen die erste Wahl wären. Wogegen die Kritiker aber eine Menge haben: gegen die ständige Schwarzfahrerei der Homöopathie auf dem Zug der Naturheilkunde.


1 „In der Liste der homöopathischen Mittel genannte Gifte, Medikamente oder Krankheitserreger sind nur im Sinne eines nach homöopathischen Regeln potenzierten Mittels zu verstehen, d.h. die von den genannten Herstellern angebotenen und in Arzneimittelprüfungen oder Artikeln besprochenen homöopathischen Arzneimittel enthalten die genannten Stoffe (Gifte, Medikamente, Krankheitserreger) nicht im chemischen oder biologischen Sinne, sofern die Potenzstufe C12, D24 oder höher ist.“ Quelle


Zum Weiterlesen:
Warum Homöopathie sogar der Naturheilkunde bitter Unrecht tut, wenn sie versucht, sich mit ihren Federn zu schmücken, dazu haben wir auf Susannchens Webseite hier einen interessanten Beitrag.

Bild "Medizinius & Co" von @skt_johann für Susannchen braucht keine Globuli.


"Susannchen braucht keine Globuli" ist ein Projekt des Informationsnetzwerks Homöopathie.(www.netzwerk-homoeopathie.info).
Susannchen steht als kluges Mädchen für den Anspruch von Eltern, ihre Kinder ohne Esoterik, Aberglaube und Pseudomedizin - wie Homöopathie - und kindgerecht informiert auch zu Gesundheitsthemen aufwachsen zu lassen.
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