Gastbeitrag von Sascha Stoltenow

Vorweg: Ich habe keinen Zweifel daran, dass alle eingesetzten Soldat*innen alles in ihren Kräften stehende tun, um Menschen zu retten.

Was ich bewerte, ist das Kommunikationsverhalten der verantwortlichen Politiker*innen sowie der Organisation Bundeswehr.

Das prägende Muster: Quasi alle kommunizieren zu spät, zu wenig und ohne sich auf den Kontext zu beziehen.

Das zeigt sich unter anderem daran, dass Erklärungen für bestimmte Entwicklungen immer nur nachgeschoben werden. Entscheidend wäre in dieser Situation, auch kommunikativ "vor die Lage" zu kommen. Das ist schwer, wenn man operativ hinterherhinkt. Möglich ist es aber dennoch.

Ein Beispiel: Ja, ich kann entscheiden, zunächst nur Soldaten an den Flughafen zu bringen und sofort wieder starten. Wenn das der Plan ist, kann ich es vorher kommunizieren - insbesondere in Richtung der Journalist*innen, die nah dran sind.

Wenn ich versuche, die Geschichte im Nachhinein damit zu drehen, wird sie lahm. Wenn das dann noch im Kontext eines ikonischen Bildes wie des vollgeladenen US-Flugzeugs passiert, wirkt es völlig unglaubwürdig und drückt die Motivation aller Beteiligten.

Zumal es keinen plausiblen Grund dafür gibt - zumindest nennt ihn niemand -, warum die Maschine quasi leer wieder losfliegt. Dort braucht es dann jemand, der entscheidet: "Wir fliegen nicht, so lange die Kiste nicht randvoll ist."

Thema fehlender Kontextbezug: Wie ernst die Situation ist, muss allen Kommunikationsverantwortlichen der Bundeswehr spätestens seit vergangener Woche klar sein. Wenn dann die Social Media-Accounts der Bundeswehr einfach ihr Programm abspulen, wird es schnell befremdlich.

Besonders krass zu sehen ist das, wenn der Account @Deutsches_Heer Videos von Freifallspringern posted, während verzweifelte Menschen in Kabul vom Himmel fallen, denn die Bilder zeigen a) ein Flugzeug, dass in Afghanistan dringend gebraucht würde und dessen Nutzung zu einem zwar dienstlichen Zweck, aber mit sehr hohem Spaßfaktor. Angesichts der Lage dürfte es aber für die Bundeswehr auch kommunikativ für ein paar Tage genau ein Thema geben: "Wir holen die Menschen aus Afghanistan raus!"

Denn für die Glaubwürdigkeit Deutschlands und die Motivation der Soldat*innen ist die aktuelle Situation der wichtigste deutsche Einsatz seit Jahren. Es ist kommunikativ ein Straßenfeger wie ein WM-Endspiel.

Und wenn offensichtlich die Kanalverantwortlichen das nicht erkennen, müssen die zentralen Stellen, das Verteidigungsministerium und die Bundeswehr, eine klare Ansage machen, dass der Fokus aller Kanäle jetzt darauf liegt, alles für diesen Einsatz zu tun.

Daraus, dass das nicht passiert, lassen sich plausible Schlüsse auf die Führungs- und Entscheidungsfähigkeit der Bundeswehr insgesamt ziehen bzw. korrespondiert die Beliebigkeit der Kommunikation mit der Wahrnehmung der operativen Handlungsfähigkeit.

Verantwortlich dafür ist die politische Führung. Weder das Auswärtige Amt noch das Verteidigungsministerium haben es geschafft, kommunikativ die Führung zu übernehmen (geschweige denn, sich abzustimmen). Merkel und das Bundeskanzleramt haben diese Lücke nicht geschlossen.

Parallel dazu senden insbesonder Politiker*innen der Union in dieser Phase missverständlich, widersprüchlich und teilweise zynisch wirkende Botschaften bzw. sind damit beschäftigt diese richtig zu stellen.

Das Gesamtbild, das so entsteht, ist das einer völlig überforderten Regierung und einer kaum leistungsfähigen Bundeswehr. Das hat nach innen fatale Auswirkungen auf die Motivation der Truppe und wird sich auch langfristig bei der Rekrutierung bemerkbar machen.

Von dem, was in Krisenlagen kommunikativ erforderlich ist, um die Zuversicht aller zu stärken, sehen wir nichts: Klarheit, Geschwindigkeit, Transparenz, Dialog, stattdessen Abwiegelung, Geheimniskrämerei, Nicht-Kommunikation mit Medien, Schuldzuweisungen.

Aber vielleicht ist genau das der realistischste Blick auf den aktuellen Zustand der politischen Führung und der Bundeswehr insgesamt. Das Gute im Bösen: Wir können daraus lernen.


Sascha Stoltenow (geb. 1969) ist Kommunikationsberater. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Unternehmenskommunikation und Public Relations für Industrieunternehmen sowie Corporate TV. Er war 12 Jahre bei der Bundeswehr als Fallschirmjäger und baute für die Truppe für Operative Information den ersten Einsatzkameratrupp auf.