In meiner Familie haben wir lange vermieden über das Thema Pflegeheim  zu sprechen. Ich habe auf meinem Blog "Alzheimer und wir" darüber geschrieben, dass ich das bereue und wünschte, ich hätte mit meiner Mama darüber gesprochen. Nicht,  weil ich möchte, dass sie in ein Heim zieht. Sondern weil ich Angst  habe, dass wir eines Tages vor einer Entscheidung für ein Heim stehen und im Sinne meiner Mama handeln möchten und aber dann gar nicht genau wissen, was dieser ist.

Deswegen habe ich zumindest beschlossen, mich vorzubereiten. Mal ein  paar Heime zu besichtigen, wenn die strengen Corona-Vorschriften vorbei  sind. Was mir besonders geholfen hat, war mit anderen Angehörigen über das Thema zu sprechen. So habe ich für eine Recherche mit drei Schwestern gesprochen, deren Vater mit Demenz in einem Heim lebte. Besonders beeindruckt hat mich der Satz der mittleren Schwester: „Ich  hätte mir gewünscht, es wäre anders gegangen. Papa abzugeben war  schmerzhaft. Aber es war die beste Entscheidung.“

Und natürlich haben mich die Gespräche mit Anja Kälin für  unseren gemeinsamen Podcast „Leben, Lieben, Pflegen – Der Podcast zu  Demenz und Familie“ weiter gebracht. In Folge 9 haben wir ausführlich über die Entscheidung für oder gegen ein Heim  gesprochen und darüber, wie man den Einzug gut gestalten kann. In Folge 10 hat Anja viel erzählt, wie sie den Alltag für ihre Mutter im Heim  gestaltet hat und wie sie sich engagiert hat. Mir hängt Anjas Ohr im  Kopf: „Ich wünschte, ich wäre mutiger gewesen und hätte mehr  nachgefragt.“

Wir sprechen über Demenz-WGs mit Gast Barbara Juroswski in Folge 11 von "Leben, Lieben, Pflegen"

Alternative Demenz-WG: Angehörige entscheiden

Für die Folge 11 von „Leben, Lieben, Pflegen“ war ein Gast bei  uns: Barbara Jurowski. Ihre Mutter lebt in einer Demenz-WG und Barbara  ist Gremiumsvorsitzende dieser ambulant betreuten Wohngemeinschaft für  Menschen mit Demenz, so heißen Demenz-WGs nämlich eigentlich. Sie hat  davon erzählt, wie ihr Weg in diese WG geführt hat. „Der Weg war  turbulent“, erzählte Barbara. „Man wartet viel zu lange, weil man  denkt, derjenige ist viel zu anstrengend, nicht kompatibel.“  Nachdem klar war, dass es zu Hause nicht mehr ging, hat sie ihre Mutter  zu sich genommen. Aber auch das ging auf Dauer nicht. „Ich konnte nicht  mehr arbeiten und auch nicht mehr schlafen, weil meine Mutter einen  veränderten Tag-Nacht-Rhythmus hatte“, erzählte Barbara.

In ihrer Not haben sie ein Pflegeheim probiert. „Das war eine ganz  schlimme Erfahrung“, sagt sie knapp und begab sich auf die Suche nach  einer Alternative. Sie fand über mehrere Anlaufstellen die  Wohngemeinschaft für Menschen mit Demenz in Ottobrunn und schaute sie  sich mit ihrer Mutter an. „Die Mami war freudig aufgeregt“, erinnert sie sich. Und auch für sie stimmte das Bauchgefühl. Und das tut es bis heute. Sie und ihre Mutter fühlen sich dort sehr wohl.

Anders als in einem Pflegeheim spielen die Angehörigen bei Wohngemeinschaften die entscheidende Rolle. „Wir organisieren alles, vom Pflegedienst über die Fußpflege und Beschäftigungen bis zum neuen Anstrich“, erzählte Barbara. Alle vier bis sechs Wochen kommen alle Angehörigen zusammen und besprechen sich.

Ein enger Zusammenhalt entsteht

Es ist sehr familiär und ist auch für mich Familie geworden.  Man wächst sehr zusammen. Das ist das Schöne, auch die Demenzkranken  kümmern sich untereinander um sich“, hat Barbara erzählt. Für  mich klingt das ideal. Denn ich möchte, dass meine Mama in einer  Gemeinschaft aufgehoben ist und nette Menschen um sich herum hat.

Und wenn ich so zurückdenke an das Leben meiner Mama, wäre eine Wohngemeinschaft tatsächlich eine Alternative. Meine  Mama hat während ihres Studiums in Berlin in einem Wohnheim gelebt und  von allem, was ich über diese Zeit weiß, dann, dass sie die Gemeinschaft  mit ihren Studienfreundinnen sehr genossen hat. Und gleichzeitig frage  ich mich: Könnte meine Mama überhaupt in einer WG wohnen? Mittlerweile  benötigt sie bei fast allem im Alltag Unterstützung. Wie würde das in  einer Demenz-WG ablaufen?

Wer kann in einer Demenz-WG wohnen?

„Was sind die Voraussetzungen, um in einer Demenz-WG zu leben? Und  wie lange kann man dort wohnen“, wollte ich von Barbara wissen. Und ihre  Antwort war: „Es gibt keinen Pflegegrad, der nicht geht. In unserer Satzung steht, dass die Bewohner bis zum Tod bei uns bleiben  dürfen.“ In der Wohngemeinschaft ihrer Mutter sind zwei Pflegekräfte,  eine Beschäftigungstherapeutin und eine Hauswirtschafterin angestellt.  Sie kümmern sich um die sieben BewohnerInnen.

Im Prinzip sei eine Wohngemeinschaft für jeden geeignet. In einer Demenz-WG ist mehr  Selbstbestimmung möglich, aber natürlich gibt es auch mehr Aufgaben und Pflichten. Denn als Angehöriger ist man für die Organisation in der Demenz-WG  zuständig und trägt die Kosten. Die seien oftmals nicht niedriger als in  einem Pflegeheim. Gut zu wissen: Es gibt den sogenannten Wohngruppenzuschlag, den die Pflegeversicherung bezahlt. Und auch für Neugründungen kann man eine Anschubfinanzierung erhalten. Weitere Informationen bietet auch die Alzheimer Gesellschaft.

Mir hat das Gespräch mit Barbara viel Mut gemacht, auch wenn sie  sagt: „Eine Demenz-WG ist sicher nicht die beste Wohnform für jeden.“  Aber ich habe ein Stück mehr über das Wohnen mit Demenz gelernt. Denn es  gibt viel mehr Möglichkeiten als ich zunächst dachte. Mut gemacht hat  mir auch, was Anja sagte: „Es darf eine Reise sein. Und man darf ausprobieren, was zu einem passt.“ Denn  ich denke oftmals, wir müssten gleich den perfekten Plan haben. Aber  das braucht es nicht nicht und wir können es auch gar nicht. Denn die  Krankheit verändert sich, wie auch die Umstände. Wie gut, dass es immer  mehr Optionen wie Demenz-WGs gibt!

Hört doch mal rein in die Folge! Wir sprechen auch  darüber, warum es so wichtig ist, dass der Mensch mit Demenz gleich bei  der ersten Besichtigung dabei ist und wie man vorgehen sollten, wenn man  eine Demenz-WG gründen möchte.


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