Ich denke nach! 
		oder
Ein hoffnungsloses Unterfangen.

Kein Tag vergeht, ohne das ich aufwache. Dieses ungeschriebene Gesetz des menschlichen Daseins, bereitet mir enorme Probleme. Denn meist bin ich noch furchtbar Müde! Ein Zustand, der den ganzen Tag anhält. Doch inzwischen habe ich mich an diesen Dauerzustand gewöhnt, nur meine Umwelt noch nicht. Denn mit meiner pathologischen Müdigkeit geht eine gewisse Griesgrämigkeit einher. Selbst mir gegenüber, obwohl ich mich mit mir freundschaftlich verbunden fühle, kommt es zuweilen zu Unstimmigkeiten. Manchmal durch breche ich dann einfach meine Routine und weigere mich erfolgreich nicht zu duschen. Mich stört es nicht sonderlich, denn ich leide an chronischem Schnupfen. Selbst wenn ich eine Woche lang nicht duschen würde, hätte das für mich keine Auswirkungen, denn ich rieche es ja nicht. Verstopfte Nasen sind ein Segen! Besonders in vollbesetzten öffentlichen Bussen bin ich da meinen Mitreisenden klar im Vorteil. Wenn der Gesichtserker in der Achselhöhle des Vordermanns hängt, verliert so mancher Fahrgast seine gesunde Gesichtsfarbe. Und an mich drängt sich auch niemand heran, da ich einen natürlichen Abstandshalter habe. Einmal, über die Weihnachtstage, fuhr ich mit der Bahn zu meinen Eltern. Da hatte ich das komplette Bordbistro für mich. Nur die Tresenchefin war noch da, weil ein Knebelvertrag sie am Flüchten hinderte. Sie gestattete mir, sogar zu rauchen, wohl in der Hoffnung, es könnte die Ausdünstungen übertünchen. Doch erst als die kleine zierlich uniformierte Frau sich eine dicke Zigarre anzündete, atmete sie befreit auf.
Heute Morgen als ich aufwachte und müde und schlechtgelaunt aus dem Fenster sah, wo ein trister Novembertag sich anschickte, mir die Stimmung restlos zu vermiesen, dachte ich nach, ob heute der Tag wohl sein würde, wo eine Duscheinheit vonnöten wäre! Ich wägte sorgsam das für und wider gegeneinander ab, konnte jedoch zu keiner finalen Entscheidung mich durchringen. Nicht das ich nicht diskussionsfähig bin oder zu der Sorte von Menschen gehöre die ihr Fähnchen in den Wind hängen! Ich gebe mich nur nicht mit leichfertigen Entscheidungen ab, die ich vielleicht hinterher bereue. Wenn ich mich zu einer Meinung entschlossen habe, dann stehe ich auch dazu. Doch so ein Prozess muss eben reifen, so wie ein guter Käse auch. Je schimmeliger der Käse, desto pikanter im Geschmack. Jedenfalls liest man das immer in einschlägigen Gourmetzeitschriften, wie der Apothekenumschau. Die lese ich nicht aus Gründen der raffinierten journalistischen Analysen, sondern weil es sie als Gratisbeilage gibt. Ansonsten lese ich nur die Bäckerblume, um mir eine zweite Meinung einzuholen. Als mündiger Bürger möchte ich ja auf dem Laufenden bleiben.
Doch zurück zu dem Käse! Diese, in der einschlägigen Fachpresse angepriesenen Käsesorten haben nur einen entscheidenden Nachteil. Ich kann sie mir nicht leisten. Das hat vornehmlich finanzielle Gründe, über die ich nicht reden mag. Monetär gesehen bin ich ein Desaster! Ich habe mir noch nie etwas aus Geld gemacht, weshalb ich wohl auch keines habe. Jeder hat eben sein Päckchen zu tragen! Wo wir wieder beim Käse währen. Mein finanzieller Lieblingskäse ist ein vakuumierter holländischer Gouda, wenn man dem Aufdruck auf der Plastikverpackung glauben darf. Er hat zwar keine Hülle aus Schimmel und ist er neutral als pikant, doch ist er unschlagbar günstig. Dafür hat er den großen Vorteil, dass er bereits vorgeschnitten ist. Das spart mir Geld und Mühe, denn ich muss nichts in ein Käsemesser investieren, was ja nach dem Gebrauch wiederum abgewaschen werden will, was den Wasserverbrauch nur unnötig in die Höhe treibt. Ich bin eben ein Fuchs! Unnötige Ausgaben sind mir eben ein Gräuel. Bei Wurstwaren verfahre ich ebenso. So wie mein Brot wird auch die Wurst nur in Scheiben eingekauft. Nur die Butter hat mir jahrelang Kopfschmerzen bereitet. Ohne Messer, schwierig ein Brot damit zu bestreichen. Nur dank meiner Hausärztin, wo ich alle zehn Jahre zu einem Ceck up hingehe, weil er kostenlos ist, wurde ich von der Last jahrelangem Nachdenkens erlöst. Sie drückte mir mit einem Holzspachtel die Zunge herunter, um sich mein Innenleben besser ansehen zu können. Da kam mir eine Idee und ich überredete sie, mir den Spachtel zu überlassen, damit ich zuhause regelmäßig meine Mandeln überprüfen könnte. Das war natürlich nur vorgeschoben. In Wirklichkeit war mein Ansinnen ein völlig anderes. Doch das behielt ich für mich, denn diese, mir völlig fremde Frau, geht mein Essverhalten nun wirklich nichts an. Clever wie ich bin, ließ ich mir ein Rezept über kostenlose Holzspachtel ausstellen, falls ich einmal Besuch bekomme.
Wenngleich meine Vorliebe für Käse auch sicherlich sehr interessant sein mag und auch das gut gehütete Geheimnis meiner Duschgewohnheiten, weil es der Leserschaft ein Gefühl vermittelt, ihren Lieblingsschriftsteller sehr nahe gekommen zu sein, so darf ich nicht das Augenmerk darauf verlieren, was ich eigentlich erzählen wollte. Denn ich denke, es wird sie sicherlich brennend interessieren, wie, wo und ob ich überhaupt denke! Und ich denke nicht nur einfach, nein, ich denke auch nach! Nur nicht zuhause, weil es dort nicht geht. Ich habe es versucht, aber es funktioniert nicht. Keine meiner reizenden Geschichten, deren Freude sie zu lesen haben, ist bei mir Zuhause entstanden. Und beileibe, ich habe es versucht. Monatelang habe ich morgens am Schreibtisch gesessen, vor einem leeren weißen Blatt und abends bin ich wieder aufgestanden, vor demselben leeren Blatt. Auf Dauer frustriert das! Wegen dieser einschneidenden Erfahrung habe ich mir auch nie eine Frau ins Haus geholt. Literarisch gesehen ist meine Wohnung Niemandsland. Wahrscheinlich würde ich heute noch vor dem leeren Blatt sitzen und wir hätten uns nie kennengelernt, was sicher für beide Seiten sehr traurig wäre. Aber dann, als ich schon nicht mehr daran geglaubt habe, wendete sich das Blatt. Also nicht das Blatt, was vor mir lag, in seinem jungfräulichen Weiß, sondern das Blatt des Schicksals, der Wendepunkt meiner schriftstellerischen Karriere, die fortan steil nach oben gehen sollte. Und auch heute, nach zig Büchern, kann es nur nach oben gehen, denn nur der, der ganz unten ist, kann aufsteigen in ungeahnte Höhen literarischen Schaffens, in den Olymp wo sich die Bestseller tummeln. Man muss nur den ersten Schritt gehen und bald werden wortreiche Geschichten entstehen, sehr zur Freude einer wachsenden Leserschaft. Steine, die auf dem beschwerlichen Weg hinauf liegen, müssen abgeräumt werden, damit man anschließend Literaturpreis nach Literaturpreis abräumen kann. Erfolg beginnt eben mit dem ersten Schritt!
Mein erster Schritt, ich weiß es noch wie heute, war heute Morgen. Ich ging nichtsahnend zu dem Bäcker meines Vertrauens, um frische Brötchen vom Vortag einzukaufen, wegen des günstigen Preis-Leistungsverhältnis.
Und was soll ich sagen, der hatte zu!
Mit dieser Entwicklung konnte nun wirklich niemand rechnen. Angeblich wegen Geschäftsaufgabe! So etwas Egoistisches ist mir noch nie untergekommen. Da gewöhnt man sich jahrelang an seinen Bäcker und dann schließt der, ohne Rücksprache. Auf solch eine Extremsituation war ich überhaupt nicht eingestellt. Meine heile Welt geriet aus den Fugen.
Ziellos lief ich herum, wie ein Huhn, was nicht weiß, wo es sein Ei hinlegen soll.
Da hat es ein Käfighuhn ungleich leichter. Dem stellt sich die Frage nicht, mangelns Auslaufbeschränkung. Da drängt sich jetzt natürlich die Frage auf, wer hat das Märchen vom Osterhasen in die Welt gesetzt, der angeblich die bunten Ostereier bringt? Sitzt da abends die Familie von Meister Lampe und kocht Eier, die anschließend mit ihren kleinen Vorderläufen gefärbt werden? Das erscheint doch wenig glaubhaft! Woher sollen sie denn den Strom bekommen, um in einem Topf Wasser zu kochen? Da müssten sie ja auch eine Partnerschaft mit einem Legebetrieb eingehen, die ihnen die Eier überhaupt erst einmal liefern. Das verlangt ja Managerfähigkeiten von so einem kleinen Hasen. Und von einem Hasen habe ich auch noch nie gehört, der in einem Hörsaal sitzt und einer Vorlesung über Wirtschaftsökonomie lauscht. Die Mär vom Osterhasen kann man also, mit ein wenig Nachdenken und Analysieren, als eine Verschwörungstheorie überforderter Eltern feststellen, deren Erziehungsstil einem mehr als fragwürdig erscheint. Zu diesem Thema, unter dem ich selbst jahrelang litt, habe ich einmal meinen Vater verhört. Unter dem enormen Druck, den ich auf ihn ausübte, mit der Drohung einer drohenden Einweisung in ein Pflegeheim, gestand er unter Tränen, er selbst habe in der Nacht zu Ostersonntag sämtliche Eier versteckt, auf Geheiß seiner Frau, meiner Mutter. Zwar gestand er seine Tat ein, riss jedoch meine Mutter gleich mit in den Abgrund. Und wenn es etwas gibt, was ich nun wirklich aus tiefstem Herzen verabscheue, dann ist es Denunziantentum. Natürlich konnte ich dies nicht ungestraft lassen, wenngleich es auch nur ein mittelschwerer Fall von Betrug war. Zwar wies ich sie in ein Pflegeheim ein, jedoch in getrennten Städten! Doch genug von meinen privaten familiären Tragödien, die mich noch bis heute schwer belasten, weil seit jenem Tag der Urteilsverkündigung, jegliche Weihnachtseinladungen ausbleiben. Diese Härte elterlicher Machtdemonstration, ohne einen Funken Unrechtsbewusstseins, hat mich zu tief getroffen. Deshalb habe ich die Kontaktaufrechterhaltung per Weihnachtskarten auch rigoros eingestellt. Hin und wieder ruft meine Mutter zwar noch an, um mich daran zu erinnern, regelmäßig spazieren zu gehen, weil das gesund ist und auch weniger zu rauchen. Trotz ihres inzwischen methusalemschen Alters hört sie über das Telefon, wenn ich, aus Langeweile über das nervige Gespräch, voller mütterlicher Ratschläge, an meiner Zigarette ziehe. Ihre Ohren konnten leider mit ihrem Alter nicht Schritt halten. Mein Vater ruft nie an, weil er sich stets aus Erziehungsfragen herausgehalten hat. Jetzt, wo ich in die hohen Fünfziger komme, braucht er auch nicht mehr damit anzufangen. Nun feiere ich Weihnachten eben alleine. Friedlichere Weihnachten habe ich früher nicht erlebt.
Ich sitze den ganzen Weihnachtsabend am Fenster und erfreue mich an dem Christbaum, den die Nachbarn auf der anderen Straßenseite so liebevoll aufgestellt haben. Und ich kann essen, was ich will! Früher, da rief meine Mutter an und fragte immer, was ich den an heilig Abend essen möchte. Und wenn ich dann meinen Wunsch kundgetan habe, hörte ich stets: „Das isst der Papa nicht!“
Ich meine, warum haben sie ein Kind auf die Welt gesetzt und dann geben sie ihm nicht zu essen, was es möchte. Diese Eigensinnigkeit väterlichen Magens zerrüttet ganze Familien, wofür ich hier exemplarisch stehe.
Diese kleinen, gut gehüteten Familiengeheimnisse hätte ich ja niemals öffentlich gemacht, wenn ich nicht in einer aufklärerischen Mission unterwegs wäre. Deshalb ein gutgemeinter Rat, der ihnen zur Nachahmung empfohlen ist, wenn sie nicht wollen, dass das Schicksal meiner Eltern, auch die Zukunft der ihren sein soll: Wenn sie gefragt werden, was willst du essen, sagen sie einfach: „Essen wir doch, was Papa will! Aber schön Mutter das du gefragt hast.“
So, so viel Bildungsauftrag war nötig, um dieses Buch auch als Sachbuch in die Buchhandlungen bringen zu können.
Aber nun zurück zum eigentlichen Thema meiner Abhandlung, die inzwischen längst die Qualität einer Dissertation oder einer Doktorarbeit erreicht hat. Manchmal ist es eben so, da will man eine heitere Geschichte schreiben, die dem Zwecke der anspruchslosen Lektüre untertan sein möchte und dann entsteht, wie durch Zufall, ein Werk von enormer epochaler Größe, was philosophische Thesen an den Tag legt, die weder Kant noch Hegel jemals eingefallen wären. Wahrscheinlich waren deren Eltern aus andrem Holz geschnitzt oder aber, was wahrscheinlicher ist, sie waren glückliche Vollwaisen. Und ich stehe, fassungslos von meinem Wissen, was mir bislang nicht bewusst war, da und bin fasziniert und überrascht von dem, was meine Gedanken für eine Brillanz besitzen.
Wäre ich jemand anderes, ich wäre dann gerne ich! Ich denke, und ich spreche nun auch in ihrem Namen, sie sehen das sicher auch so. Ich bin stolz, solche weitsichtige und mir geistig verwandte Leser und innen mein Eigen nennen zu dürfen. Ich werde nicht müde, in diesem Sinne für sie weiterzuschreiben. Mein Anspruch ist es, ihre Wissenslücken aufzufüllen. Ihre Lebensunsicherheiten zu erkennen und sie mit Weisheiten zu unterfüttern. Ich denke für sie, damit sie ihren Alltag leichter bestreiten können.
Oft träume ich davon, eines Tages betritt jemand, nichtsahnend seines Entschlusses, eine kleine unscheinbare Buchhandlung, wo ein schlurfender alter Buchhändler, der schon lange nicht mehr die Sonne des Tages erblickt hat, auf ihn zu und fragt: „Kann ich helfen?“
Und diese Person, ich kenne weder Namen noch Geschlecht, antwortet höflich, aber doch bestimmt: „Ich sehe mich nur um!“
Diese Szene bewegt mich immer wieder. Es rührt mich einfach ihre Schlichtheit, in der sie daherkommt. Und doch steckt so viel Lebenserfahrung darin. Zwei Menschen, die sich zuvor nicht kannten, treffen zufällig aufeinander.
Wenn man sich vorstellt, die Person wäre achtlos an dem kleinen Buchladen vorbeigegangen! Was wäre das für ein Verlust menschlichen Miteinanders gewesen. Niemand der fragt und niemand der antwortet! Spüren sie nicht auch die Wärme, die von dieser kleinen Episode ausgeht?! Ihre Zartheit und die Verwundbarkeit dieser beiden einfachen Menschen!?
Lassen sie nun, zur Auffrischung für sie, diese Szene noch einmal auf sich wirken. Ich lasse ihnen den Augenblick. Lassen sie sich nicht hetzen. Ich habe ja Zeit. Ungeduld ist keine Tugend, die ich mir zu Eigen mache.

................dumdidumdidumdidum...............................................

Na, habe ich recht? Beim nochmaligen Lesen gewinnt doch die Szene sogar noch an Tiefe hinzu! Man kann direkt den modrigen Geruch der alten Bücher, die seit Jahren verstaubt herumstehen, riechen. Haben sie nicht auch das Schlurfen deutlich vernommen!? Ich denke ja! Verzeihen sie, wenn ich die Frage für sie selbst beantworte, doch ich ahne, wie sie ausfallen wird. Sie sind mir inzwischen so gut vertraut, dass ich weiß, was sie sagen und wie sie reagieren würden. Ja ich möchte sogar die steile These aufstellen, am liebsten wären sie die Person, die den Buchladen betreten hat. Sie identifizieren sich ja bereits mit ihr. Es drängt sie ja förmlich zu wissen, wie die Geschichte ausgeht. So viel sei bereits vorab verraten, sie geht gut aus!
Da ich nun deutlich spüre, wie ihre Ungeduld an die Grenzen des Ertragbaren kommt, lasse ich sie nun nicht länger zappeln, wie ein Fisch am Haken, oder warten, wie ein Henker auf seinen Delinquenten, wie ein Fahrgast auf die Deutsche Bahn. Hier nun also kommt sie, die langersehnte Fortsetzung, die ich unkommentiert wiedergebe, um ihnen die Möglichkeit zu lassen, selbst daraus ihre Schlüsse zu ziehen!
Der alte Buchhändler zog sich schlurfend zurück in seine ecke, wo er sich in einen noch älteren abgewetzten Ohrensessel fallen ließ. Mit einem Quietschgeräusch empfingen die ausgeleierten Sprungfedern ihn.
Er griff zu seiner Brille, die nur noch einen Bügel hatte und steckte seine Nase in ein Buch und begann zu lesen. Wobei er mit einem Auge den Kunden nicht aus demselben ließ. Nur altgedienten Buchhändlern ist es gegeben, sowohl lesen, als auch gucken zu können, denn sonst stünden sie bald leeren Regalen gegenüber.
„Wenn ich ihnen etwas empfehlen kann?“, rief der alte Mann zwischen die Regale.
„Danke, ich schau nur!“, schallte es zurück.
Dann war es wieder leise. Geradezu eine gespenstige Stille.
Ein Mensch, der nur von Buch zu Buch geht, macht eben kein Geräusch. Dies ist auch der Grund, weshalb gewiefte Buchhändler lieber erkältete Kunden vorziehen. Ein ausdrucksvoller Husten verrät immer noch am zuverlässigsten den genauen Standort des Hustenden. Wirkungsvoller als jeder Hausdetektiv oder Überwachungskamera! Doch der Mensch da, der sich zwischen den Regalen herumschleicht, konnte oder wollte sich nicht zu einem, für den Buchhändler, entspannten Husten durchringen.
Auch wenn der Alte so tat, als würde er tief abgetaucht in sein Buch sein, so war er doch hellwach und lauschte, was der unheimliche Mensch vorhatte, der sich zwischen den Büchern verschanzt hatte. Warum war er hier hereingekommen, obwohl es draußen nicht regnete? Fremde Menschen, die vorgaben, nur sich etwas umzusehen, waren ihm zutiefst suspekt. Viel zu oft schon musste er in seinen Büchern von messerschlitzenden Analphabetikern lesen, die aus Hass auf die lesende Welt, die ihnen verwehrt ist, übergriffig auf besonders alte Buchhändler waren. Bei dem Gedanken daran beschlich ihn eine gewisse Unruhe, ja man darf sagen Angst.
Er wagte es nicht, aufzustehen, um an das rettende Ufer des Festnetzanschlusses zu gelangen, von wo aus er einen Hilferuf absetzen könnte. Wie gelähmt saß er da, zitternd das Buch in der Hand und nahm bereits gedanklich Abschied von seinem tristen Buchhändlerleben. Einziger Trost für ihn war es, keine Familie zurückzulassen, weil er zeit seines Daseins, nur für die Bücher und seinen kleinen Laden da war. Sollte nun all das angelesene Wissen für immer verloren sein, nur weil ein fremder Mensch nicht lesen kann? Der alte Mann nahm seinen ganzen Mut zusammen und richtete einen letzten Appell an seinen Mörder, bebend und den Tod vor Augen.
„Ich kann ihnen auch gerne etwas empfehlen!“
„Nicht nötig!“, war die knappe Antwort.
„Natürlich war das nicht nötig!“, dachte der alte Mann, denn er kannte ja sein Sortiment nur allzu gut, um zu wissen, dass er kein Buch für Analphabetiker hatte. Das würde sich nun bitterlich rechnen. Aber es gab auch etwas Tröstliches. Zu wissen, er würde zwischen seinen geliebten Büchern sein Ende finden. Für einen Buchhändler ist das das Größte! Während zwar sein Körper in ein ausgehobenes Morastloch versenkt wird, so kann seine Seele befreit hier verbleiben und weiterlesen.
„Danke und auf Wiedersehen!“, sagte plötzlich der Mensch und verließ den Schauplatz eines nicht geschehenen Mordes.

Hie endet nun unsere Fabel, werte Leserschaft. Ziehen sie nun eigenständig ihre Schlüsse aus dem soeben gelesenen.
Einen kleinen Tipp sei mir jedoch gestattet!
Ob nun der Mensch in mordlustiger Absicht den Laden betreten hat oder aus niedrigen Gründen, vermag ich nicht zu sagen. Doch als der alte Mann es wieder wagte, sich frei in seiner Buchhandlung zu bewegen, da bemerkte er, just an dem Regal, wo der Mensch herumstand, zwischen zwei Büchern eine Lücke klaffte.
Und, ob sie es nun glauben wollen oder nicht, es fehlte nicht irgendein Buch! Nein, es fehlte jenes, was sie gerade so begierig lesen, meines!
Ein Mensch, der soviel Geschmack beweist und nur aus finanzieller Not heraus, zum Diebstahl gezwungen ist, kann doch kein schlechter Mensch sein! Sie hingegen habe es käuflich erworben und das nur, weil sie es sich leisten können. Ich verdamme sie Beide nicht. Auch jene nicht, die mein Buch ignorieren. Lese doch jeder, was er lesen mag! Aber lest!

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