Sehr geehrter Herr Staatssekretär,
danke für die erneute Darlegung der offenbar weiterhin unveränderten Position des BMBF zu den Kernpunkten der Diskussion um #IchBinHanna. Ich habe einige Rückfragen, die ich nachfolgend an Sie richten möchte.
1) In Ihrer Stellungnahme sagen Sie über das #IchBinHanna-Video: „Das Video spiegelt nicht mehr den aktuellen Sachstand zu den Arbeitsbedingungen und Arbeitsverträgen in der Wissenschaft wider.“ (0:34) Was genau ist damit gemeint? In welcher Hinsicht weicht die Darstellung des Videos vom aktuellen Sachstand ab?
2) Weiter heißt es, Sie hätten Bemühungen für verlässlichere Karrierewege angestrengt, die "bereits jetzt Früchte [tragen]“ (2:07). Woran genau machen Sie das fest - was sind diese 'Früchte'? Und: Was ist die empirische Grundlage dieser Aussage?
3) Im Folgenden sagen Sie: „Denn ohne die Sonderbefristungsregeln in der Wissenschaft würden die Möglichkeiten für eine wissenschaftliche Qualifizierung gerade für junge Forschende massiv eingeschränkt.“ (2:26) Dazu gleich drei Fragen:
a) Wie lässt sich die Aussage halten angesichts des unbestreitbaren Umstands, dass gerade kurz befristete Kettenverträge Teilhabechancen an Wissenschaft massiv einschränken, da sich nur Personen mit Privilegien diese Unsicherheit (auf eigenes Risiko) leisten können?
b) Wäre es nicht wünschenswert, Möglichkeiten wissenschaftlicher Qualifizierung zu schaffen, die nicht auf prekäre Arbeitsbedingungen setzen - sind faire Bedingungen, Nachhaltigkeit und Sicherung von Expertise in Forschung & Lehre nicht im Interesse des BMBF?
c) Wer ist hier mit "jungen Forschenden" gemeint und um welche Qualifizierung geht es? Laut Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2021 (BuWiN) beträgt das Durchschnittsalter bei Abschluss der Promotion 31 Jahre (s. S. 82). Habilitand_innen lassen sich somit kaum als jung bezeichnen, die meinen Sie also wohl nicht?
4) „Derzeit erwerben jedes Jahr mehrere zehntausend Personen wissenschaftliche Qualifikationen, die ihnen bessere Positionen, bessere Bezahlung und bessere Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt ermöglichen.“ (2:44) Auch hier die Frage: Welche Qualifikationen sind gemeint? Sofern Sie auch die Habilitation bzw. Äquivalentes meinen: Haben Sie einen Beleg, dass diese allein für den Hochschulkontext relevanten Qualifikationen zu besseren Positionen und Perspektiven sowie zu besserer Bezahlung führen? Lässt sich das für Bereiche des Arbeitsmarktes außerhalb der Hochschulen zeigen?
5) „Das Gesetz lässt den Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen viele Gestaltungsspielräume. Viele gehen damit im Sinne der Wissenschaft und der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehr verantwortungsvoll um.“ (4:28) Auch hier die Rückfrage: Woran machen Sie dies fest? Zeigen nicht bspw. die Daten im BuWiN (Diskrepanz zwischen durchschnittlicher Promotionsdauer von 5,7 Jahren und 22 Monaten durchschnittlicher Vertragslaufzeit, s. S. 30; S. 108) sowie tausende Berichte unter #IchBinHanna das genaue Gegenteil?
6) „Ich ermutige Sie, sich einzubringen, und mit Ihrer Hochschule, mit ihrer Forschungseinrichtung zu besprechen, wie bei Ihnen vor Ort die Bedingungen für die Wissenschaft und die Beschäftigten besser ausgestaltet werden können.“ (4:35) Lieber Herr Staatssekretär: Halten Sie es wirklich für angemessen, Verantwortung für die Sicherstellung angemessener Arbeitsbedingungen den prekär beschäftigten Arbeitnehmer_innen aufzubürden?
Über Antworten auf diese Fragen würde ich mich freuen. Ich bin sicher, dass sie auch Ihrem Anliegen zuträglich wären, um unser Verständnis für die Positionierung des BMBF zur aktuellen Diskussion um #IchBinHanna zu werben.
(Grundlage des vorliegenden Beitrags ist dieser Twitter-Thread. Die Initiative #IchBinHanna hat die Verfasserin gemeinsam mit PD Dr. Kristin Eichhorn und Dr. Sebastian Kubon angestoßen – Informationen und Berichterstattung dazu finden sich hier.)