Die algerische Boxerin Imane Khelif ist in den Fokus der wutberauschten Öffentlichkeit geraten, nachdem sie die Italienerin Angela Carini nach nur 46 Sekunden und zwei harten Treffern zum Aufgeben gezwungen hat. Der Vorwurf: Khelif sei gar keine Frau. Das ist zwar komplett erstunken und erlogen, aber das hindert vor allem rechte Hetzer nicht, das dennoch zu behaupten, sodass sich deren bräsiger Anhang nun schön echauffieren kann.

Da nützt es auch nichts, wenn, wie beispielsweise hier bei ntv, die kursierenden Falschinformationen richtiggestellt werden – der Mob hat sich auf die Algerierin eingeschossen, und dann bleiben diese Freaks auch bei ihrem Standpunkt. Wäre ja noch schöner, wenn die eigene Ansicht überdenken zu müssen, selbst wenn diese nicht mit der Realität in Übereinstimmung zu bringen ist!

Und so findet man gerade derartige Unappetitlichkeiten mit vielen Beifallsgebern (vorzugsweise natürlich aus der rechten Schmuddelecke) in den sozialen Medien:

Da hat man doch gleich mal schön die Tonalität vom ehemaligen BILD-Hetzer Julian Reichelt übernommen, der es doch glatt geschafft hat, sich mit seinem neuen Portal NIUS noch widerwärtiger zu präsentieren, als die bei Springers Hetzschmierern der Fall war: Männer verprügeln Frauen.

Ganz schön eklig, oder? Vor allem wenn man bedenkt, von wem das kommt, nämlich von einem Typen, der wegen Machtmissbrauch gegenüber jungen weiblichen Angestellten bei der BILD gefeuert wurde. Wenn so einer sich dann vermeintlich für Frauen und deren Rechte engagiert, dann ist das nicht nur ein bisschen bigott, sondern der Gipfel der Heuchelei. Aber auch so was stört die dumpfbackigen „Jawohl!“-Gröler vom rechten Rand nicht.

Womit wir dann bei der schon wieder mal deutlich hervortretenden kognitiven Dissonanz wären: Leute, die sonst immer sagen, es gäbe nur zwei Geschlechter, behaupten auf einmal, eine Frau, die als Mädchen geboren wurde, weibliche Geschlechtsmerkmale hat und auch als Mädchen aufgewachsen ist, sei irgendwie doch keine Frau. Hallo? Merken solche Typen eigentlich noch, wie inkonsistent der Mist ist, den sie je nach Gusto, wie es ihnen gerade in den ideologischen Kram passt, von sich geben?

Aber all das hält das rechte Pack nicht davon ab, nicht nur Lügen zu verbreiten und zu feiern, sondern natürlich auch Richtigstellungen dieser Lügen zu verhöhnen, wie ich es kürzlich schon mal in einem Artikel geschildert habe. Da werden dann Beiträge in sozialen Medien wieder mit dem debilen Deppen-Grinsesmiley versehen, um zu zeigen, wie lächerlich doch die Realität sei, weil man Tatsachen eben einfach nicht akzeptieren möchte:

Wie soll man mit solchen Leuten diskutieren, wenn es da so offensichtlich an der wichtigsten Grundvoraussetzung für einen zivilisierten Diskurs fehlt, und zwar dem Abgleich der eigenen Meinung mit vorgebrachten Tatsachen, um dann gegebenenfalls den eigenen Standpunkt zu revidieren? Da ist doch echt Hopfen und Malz verloren. Da kann man vielleicht noch mal Widerspruch äußern, um zu zeigen, dass diese fiesen Gestalten nicht die alleinige Deutungshoheit haben, aber das war’s dann auch – Austausch ist nicht möglich.

Aber so sieht man mal wieder, wie heutzutage Stimmungsmache funktioniert: Da boxt eine junge Frau jahrelang, nimmt an Turnieren teil – und niemanden stört es. Es ist auch nicht so, dass sie ständig nur gewinnt und ihre Gegnerinnen dominiert. Dann besiegt sie im Jahr 2023 eine bis dahin ungeschlagene russische Boxerin und wird daraufhin von der International Boxing Association (IBA), deren Präsident zufällig auch noch Russe ist, suspendiert. Die vorgebrachten Gründe dafür variieren, und es wird nicht transparent gemacht, wieso man nun zu der Einschätzung kam, dass Khelif nicht beim Frauenboxen starten dürfe (s. hier).

Im Grunde könnte man also sagen, dass hier ein Verbandspräsident offensichtlich seine Macht missbraucht hat, um Ergebnisse von Kämpfen nach seinem Gusto zu gestalten.

Und nun kommt dieser halbseidene Kram bei den Olympischen Spielen wieder hoch, wird als Begründung angeführt, warum Khelif angeblich nicht am Wettbewerb teilnehmen dürfe (obwohl das Internationale Olympische Komittee [IOC] bestätigte, dass Khelif alle medizinischen Voraussetzungen erfülle) – und der Shitstorm geht los. Wobei ich mir auch vorstellen kann, dass die meisten, die da nun wüten, sich vorher nicht die Bohne für Frauenboxen interessiert haben.

Doch ums Sportliche dürfte es den wenigsten auch gehen. Vielmehr scheint hier wieder mal ein Ventil gefunden worden zu sein, um Dampf abzulassen gegen alle, die irgendwie anders sein könnten, und gegen den „woken“ Zeitgeist. Ich bin ja selbst durchaus kritisch, was das Thema Woke angeht (s. hier), aber diese Aufregung ist hier nun mal komplett verkehrt am Platz. Vor allem wenn dann noch immer wieder behauptet wird, dass es so was früher nicht gegeben hätte (Verklärungsnostalgie gehört ja bei Rechten immer auch gern mit dazu) – früher hätte niemand überhaupt nur die Frage gestellt, ob Imane Khelif nun eine Frau sei oder nicht, da wäre das ganz selbstverständlich so akzeptiert worden. Und gerade osteuropäische Kraftsportlerinnen (ich weiß, ist ein bisschen ein Klischee) sind ja immer schon mal dadurch aufgefallen, nicht besonders weiblich im klassischen Sinne auszusehen – hat damals aber irgendwie auch niemanden so richtig interessiert, als dass ansatzweise so eine Welle deswegen gemacht worden wäre wie jetzt gerade.

Auch hier erleben wir also keinerlei logische Stringenz in dem, was da so vorgetragen wird, sondern nur ein Empörungskuddelmuddel, dass durch irgendwelche Schlagworte von rechten Hetzern à la NIUSgetriggert wird. Und dass somit mit der Realität so gar nichts zu tun hat.

Und so erleben wir gerade eine Riesenaufreger über ein Thema, das eigentlich keiner Diskussion wert sein sollte, zumal diese eben mit reichlich Realitätsverweigerung und zudem viel Wut geführt wird. Da freut sich die Teile-und-herrsche-Fraktion, dass die Leute sich wegen eines Boxwettkampfes echauffieren, der im Grunde null Auswirkungen auf ihr eigenes Leben hat – anstatt dass sie sich mit wirklich für sie relevanten Dingen beschäftigen würden.

Aber so funktioniert die öffentliche Diskussion heutzutage leider zu einem großen Teil, was einer sich selbst als zivilisiert bezeichnenden Gesellschaft im Grunde nicht würdig ist.

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