Südostasien hat die Pandemie 2020 relativ gut überstanden. Doch nun breitet sich die Delta-Variante unkontrolliert aus. Besonders stark betroffen ist Indonesien, wo sich eine Tragödie ähnlich wie in Indien anzubahnen scheint. Schon jetzt sind Krankenhäuser überlaufen und der Sauerstoff wird knapp.
Andreas Harsono ist seit fünf Tagen krank. Seine Frau kämpft sich gerade durch Tag acht der Delta-Variante. Beide sind vollständig mit dem chinesischen Impfstoff Sinovac geimpft, trotzdem sind sie am Coronavirus erkrankt. Bei Harsono, dem Indonesienexperten der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, ist der Verlauf bisher mild, doch seine Frau brauchte Sauerstoff.
Diesen derzeit in Indonesien zu bekommen, ist fast unmöglich. Die Krankenhäuser sind überlaufen und können kaum noch Patienten aufnehmen. „Ich habe versucht, in mehreren Geschäften Sauerstoff zu kaufen, bin aber gescheitert“, schreibt Harsono in einer E-Mail. Dann habe er über sein Twitter-Konto nach einem Sauerstoffkanister gesucht und schließlich einen bekommen.
„Die Situation ist ziemlich beängstigend“, berichtet Harsono aus Jakarta. „Jedes Mal, wenn ich meine Fenster öffne, höre ich die Krankenwagen.“ Auf seiner Facebook-Timeline sehe er, wie Freunde und andere Menschen „wie fallendes Laub“ einer nach dem anderen sterben würden.
Über tausend Tote pro Tag
Auch die Nachrichtenagentur Reuters berichtete bereits, dass vier von fünf Friedhöfen, die für Covid-19-Opfer in Jakarta gedacht sind, an ihrem Limit angekommen sind. Die offiziellen Zahlen in Indonesien lauten derzeit: Fast 2,5 Millionen Covid-19-Infektionen und über 65.000 Tote. Allein in den vergangenen Tagen verzeichnete der südostasiatische Inselstaat täglich über 30.000 Neuinfektionen und teils über tausend Tote pro Tag. Doch Experten fürchten, dass die Statistik nur einen Bruchteil des Gesamtbildes erfasst.
So zeigen die Ergebnisse einer aktuellen indonesischen Studie, dass fast die Hälfte der Bevölkerung Jakartas – 4,7 Millionen Menschen von insgesamt 10,6 Millionen – bereits Antikörper gegen Covid-19 hat. Bei der serologischen Untersuchung, die die Bewohner der indonesischen Hauptstadt auf Antikörper im Blut testete, kam heraus, dass sich 44,5 Prozent der Einwohner bis März dieses Jahres infiziert hatten. Offiziell waren jedoch nur 8,1 Prozent dieser Zahl tatsächlich bestätigt worden. Der Rest war unentdeckt geblieben oder hatte keine Symptome.
Sauerstoff wird knapp
Indonesien hat mit über 270 Millionen Einwohnern die viertgrößte Bevölkerung der Erde. Angesichts der explodierenden Infektionszahlen ist auch die Nachfrage nach Sauerstoff gewaltig. Laut Medienberichten braucht das Land derzeit täglich fast 2000 Tonnen Sauerstoff pro Tag und die Vorräte sind knapp, wie auch der Indonesier Harsono bereits am eigenen Leib erfahren musste. Singapur, Australien und auch China haben bereits zusätzliche Sauerstoffflaschen und Beatmungsgeräte geschickt, um Indonesien in der eskalierenden Situation beizustehen. Auch die USA und die Vereinigten Arabischen Emirate haben Hilfe angeboten.
Neben der Gesundheitskrise kämpft das Land auch mit Falschinformationen aus dem Internet. Wie die lokale Tageszeitung „The Jakarta Post“ meldet, wenden sich viele „wohlmeinenden, aber unbewiesenen und potenziell gefährlichen Tipps und Heilmitteln“ zu, die in den sozialen Medien geteilt werden und die „in einer erschöpften und müden Öffentlichkeit“ auf fruchtbaren Boden fallen.
Zweifel an chinesischen Impfstoffen
Die Katastrophe, die sich bereits seit Juni anbahnt, schürt auch Zweifel an der Wirksamkeit der chinesischen Impfstoffe. Viele haben sich wie Harsono und seine Frau trotz zwei Dosen infiziert und sind erkrankt. Vor allem viele Mediziner haben sich angesteckt, was den Druck auf das bereits überlastete Gesundheitssystem noch zusätzlich erhöht.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat dem chinesischen Impfstoff Sinopharm im Mai dieses Jahres die Notfallzulassung erteilt und Sinovac im Juni. Doch die Wirksamkeitsdaten schwanken für das Sinovac-Mittel zwischen 50,65 und 83,5 Prozent, während Sinopharms Impfstoff eine Wirksamkeit zwischen 79 und 86 Prozent haben soll. Bei den neuen Virusvarianten aus Indien – vor allem bei der gefährlichen und inzwischen dominanten Delta-Variante, die derzeit auch in Indonesien grassiert – fehlen jedoch eindeutige Daten.
Stand Mitte Juli 2021
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