Von: Jürgen Kremb, 30. Dezember 2020

Mit dem überraschenden Verbot der radikalen „Islamischen Verteidiger-Front“ (Front Pembela Islam, FPI) hat die indonesische Regierung von Präsident Joko Widodo einen wichtigen Etappensieg gegen muslimische Hardliner im eigenen Land erzielt. Mohammad Mahfud,  Minister für Politik, Recht und Sicherheit im Kabinett von Widodo sagte  bei einer Pressekonferenz, die Regierung habe beschlossen, den Ende Juni  2019 bereits abgelaufenen Antrag der gefährlichen Miliz auf  Zulassung  als zivilrechtliche Organisation, abzulehnen

Als Organisation habe die FPI vielfach gegen die Gesetze der mit 275  Millionen Einwohnern größten muslimischen Nation verstoßen, zur Gewalt  aufgerufen und Überfälle gegen Andersdenkende veranstaltet, sagte der  Minister. “Die Regierung wird alle von der FPI durchgeführten  Aktivitäten unterbinden.“

Screenshot Webseite FPI. Foto: Jürgen Kremb

Die islamistische Miliz war im August 1998, kurz nach dem Sturz von Ex-Diktator Suharto gegründet worden. An der Spitze stand der Hassprediger Muhammad Rizieq  Shihab, der als „geistiger Führer“ die Einführung der Scharia in ganz  Indonesien forderte. Er verstand sich als Kämpfer gegen religiöse  Toleranz und Multikulturalismus, den Grundfesten des indonesischen  Vielvölkerstaates und gab vor, Abkömmling des Propheten Mohammed zu sein.

Unklar blieb stets, ob die FPI nicht von konservativen Militärs aus  dem Umfeld von Suharto gegründet und finanziert worden war, um Unruhe  und Chaos im Land zu schüren und eine Demokratisierung des Archipels im  Keim zu ersticken. Auf entlegenen Inseln des indonesischen Archipels  beteiligten sich Anhänger der FPI auch an ethnischen Säuberungen gegen  Christen.

Bald ließ sich Rizieq „Groß-Iman“ nennen und stachelte seine  Anhänger, die schnell auf mehrere Hunderttausend angewachsen waren, in  Jakarta zum Sturm auf Kneipen, Diskotheken und andere Nachtclubs auf.  Dass er dafür zu Gefängnisstrafen verurteilt wurde, verstärkte seiner  Popularität nur noch. Denn meist kam er nach kurzer Zeit wieder frei.  Hinter den Kulissen hatte er ganz offensichtlich mächtige Geldgeber und  Unterstützer, für die er gerne die willfährige Puppe in derem Machtpoker  spielte. Obwohl die FPI bei weitem nicht die größte muslimische Gruppe im Lande ist, entwickelte sich Rizieqs weißbetuchten und stets gewaltbereiten Kaftan-Milizen dadurch immer mehr zur Macht der Straße.

Flucht ins Exil wegen Nacktbilder

Gerade unter der Landbevölkerung und den verarmten Slumbewohnern der  Millionenstädte galt er als Kämpfer gegen die „korrupten Eliten“ in der  Hauptstadt Jakarta. Sein erklärtes Ziel war es, in dem südostasiatischen  Land ein Kalifat nach Vorbild der syrischen IS und der pakistanischen  Taliban  zu errichten. Er sah sich als oberster Moralwächter des Landes.

Selbst nahm er es aber mit den staatlichen Gesetzen und islamischen  Moral nicht so genau. Häufig liefen die von Rizieq angezettelten  Demonstrationen und Massenkundgebung aus dem Ruder. Es kam zu schweren  Ausschreitungen und mehrmals waren auch Todesopfer zu beklagen.

Offizielles Werbevideo Basuki Tjahaja Purnama.

Doch als er 2017 dabei ertappt wurde, wie er während einer  Gebetsveranstaltung Nacktfotos mit einer Anhängerin austauschte und  damit selbst gegen die von ihm mitinitiierten Anti-Pornographiegesetze  verstoßen hatte, setzte er sich ins selbst gewählte Exil nach  Saudi-Arabien ab.

Staatspräsident Widodo, der die Fahne des liberalen Islams in seinem  Land hochhält, hatte noch einige Rechnungen mit Prediger offen. Denn es  war Rizieq und seine FPI, die mit gewalttätigen Demonstrationen 2017 zum  Sturz und der anschließenden Verurteilung des christlichen Gouverneurs  von Jakarta, Basuki Tjahaja Purnama,  wegen angeblicher Blasphemie beigetragen hatten. Basuki, Angehöriger  der chinesischen Minderheit, war ein enger Vertrauter des Präsidenten.  “Ahok”, wie ihn seine Anhänger nennen, ist das Gesicht eines modernen,  liberalen Indonesiens. Zudem schlug sich der Hassprediger Rizieq während  des letzten Präsidentschaftswahlkampfs offen auf die Seite von Widodos  Gegner.

Rizieq forderte die “moralische Revolution”

Als er am 10. November aus dem saudischen Exil zurückkekhrte,  empfingen ihn trotz Corona-bedingtem Versammlungsverbot mehrere  Zehntausend Anhänger johlend und betend am Flughafen in Jakarta. Jetzt  rief er schon offen zur „moralischen Revolution“ und Sturz der  politischen Eliten in Indonesien auf. Tage später lud er dann 10.000  Gäste zur Hochzeit seiner Tochter ein. Angeblich soll er sich dabei, wie  mehr als 80 seiner Anhänger auch, mit dem Coronavirus infiziert haben.  Dennoch verweigerte aber er aber eine Gesundheitskontrolle der Behörden  vornehmen zu lassen.

Moschee in Jakarta. Foto: Pexels Tom Fish/ rechtefrei

Es begann ein tagelanges Katz- und Mausspiel mit den Ordnungskräften,  die den Prediger in Quarantäne stecken wollten und ein  Gesundheitszeugnis verlangten. Als am siebten Dezember Polizisten bei  einer Verfolgungsjagd in einen Hinterhalt gerieten, eröffneten sie das  Feuer. Sechs FPI-Anhänger starben.

Wieder kam es zu Massendemonstrationen. Die Hauptstadt drohte im  Chaos von Demonstrationen zu versinken, in einer Zeit, zu der ohnehin  schon wegen Corona die Grabstätten knapp werden. Die Regierung  entschloss sich deshalb, der Gruppe endgültig den Gar auszumachen.

Ob sich der selbsternannte „Groß-Imam“ Muhammad Rizieq Shihab daran  hält, ist mehr als fraglich. Dafür hat er schon viel zu viele  Unterstützer in den Eliten des Landes, die ihn und seine Kampftruppen  für ihre politischen Interessen in den Straßenkampf schicken und für  allerhand andere Machtkämpfe gebrauchen können.

Zuerst erschienen auf: Der Rikscha-Reporter

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