In letzter Zeit ist es zunehmend in Mode gekommen, Aussagen von Intellektuellen, wenn sie einem nicht in den Kram passen, nicht sachlich zu kontern, sondern dann lieber die ganze Person zu diffamieren und lächerlich zu machen. Irgendwie kein Verhalten, was ich mit Demokratie in Einklang bringen kann.
Eine Antihaltung gegen kritische Intellektuelle kennen wir schließlich sonst eher aus Autokratien, Diktaturen und despotischen Monarchien, in denen höchsten der Hofnarr noch mal etwas sagen kann, was sich gegen den oder die Herrschenden richtet. In letzter Zeit findet bei uns allerdings eine Verunglimpfung von Intellektuellen statt, und zwar nicht nur in der BILD, sondern in sehr vielen Medien, die ich sehr bedenklich finde, die aber zugleich auch die Diskursverengung, die wir in den letzten krisenhaften Jahren leider in der Öffentlichkeit erlebt haben, widerspiegelt.
So haben Harald Welzer und Richard David Precht vor einiger Zeit mit einem Buch für Aufsehen gesorgt, das die Rolle der Medien als unausgewogen kritisiert. Natürlich macht man sich damit bei den so kritisierten nicht unbedingt Freunde, aber wie nun auf die beiden verbal eingedroschen wird, ist dann m. E. reichlich unangebracht.
So hat Harald Welzer nun die Behauptungen in dem Buch mittlerweile mit Empirie unterfüttert, da er eingeräumt hat, dass es ein gerechtfertigter Kritikpunkt war, dass ebendas nicht stattgefunden hat. Da nun aber die erhobenen Daten die Aussagen von Precht und Welzer stützen, muss nun weiter gegen die beiden gefeuert werden, so zum Beispiel von Andrej Reisin in einem Artikel auf Über Medien.
Das beginnt schon damit, dass Reisin Welzer zunächst mal unterstellt, dass es ihm ausschließlich um Publicity ginge mit seinen Aussagen. Und dann wirft er ihm vor, nicht sauber wissenschaftlich gearbeitet zu haben – allerdings mit m. E. nicht gerade sauberer Argumentation. Reisin behauptet beispielsweise, dass Welzer Daten ausgewertet hätte aus einem Zeitraum, der über den Veröffentlichungszeitpunkt der Studie hinausging, und leitet daraus nun eine unseriöse Datenerfassung ab. Das finde ich nicht stimmig, auch wenn versucht wird, es mit launigen, aber unzutreffenden Vergleichen zu garnieren. Schließlich ist die Aussage in Welzers Buch von der Unausgewogenheit der medialen Berichterstattung ja nicht mit dem Erscheinen des Buches obsolet geworden, sondern setzt sich nach wie vor weiter fort.
Eine weitere, wie ich finde, unsachliche Einlassung Reisins ist, dass er Welzer vorwirft, Vergleich von sogenannten Leitmedien mit Twitter vorzunehmen, obwohl er ja den Nachrichtendienst ausgesprochen kritisch sieht. Wieso es nun ein Widerspruch sein soll, etwas zu kritisieren, aber dessen Relevanz dennoch anzuerkennen, die Erklärung bleibt Reisin leider schuldig. Insofern wirkt das für mich eher so, als sollten hier irgendwelche Widersprüche konstruiert werden, die auf den ersten Blick vielleicht noch logisch wirken, sodass ein zweiter Blick, der dann die Unstimmigkeit des Vorwurfs entlarvt, hoffentlich gar nicht mehr stattfindet.
Und dann wird auch noch das Tool angegriffen, das Welzer zur Datenerhebung genutzt hat, da das sonst wohl eher fürs Marketing genutzt wird. Na ja, aber wenn es eben die entsprechenden Daten liefert und deren große Menge auch noch auswerten kann – warum also nicht? Zumal ein renommierter Wissenschaftler wie Welzer schon so ein bisschen Ahnung davon haben könnte, welche Hilfsmittel er für welche empirischen Untersuchungen benutzt.
Doch dieser Artikel ist noch verhältnismäßig sachlich im Vergleich zu dem, wie die Süddeutsche Zeitung auf ihrer Facebook-Wall Richard David Precht kürzlich schmähte:
Starker Tobak, oder? Und eben überhaupt nicht mehr inhaltlich, sondern nur noch persönlich diffamierend, indem man sagt: „Der Typ ist ja schlimmer als Ken (ich nehme an Jebsen), Christian Lindner und Chat-GPT.“
Ich hab von Richard David Precht schon zwei, drei Bücher gelesen (von Harald Welzer übrigens auch), und auch wenn ich ihm nicht in allem zustimme, so war das doch in der Regel sehr durchdacht, was er da formulierte. Ihm also nun zu unterstellen, er sei ja nur ein Wichtigtuer ohne jede inhaltliche Relevanz, ist schon sehr unsachlich – und gar nicht witzig, auch wenn eine gewisse Humorigkeit wohl eine der Intentionen dieser Grafik war.
Vor allem dass dabei dann noch ganz nebenbei ausgesagt wird, dass man von Christian Lindner fundierte Analysen erwarten könne, ist dann wohl bei diesem Schaumschläger an Absurdität nicht mehr zu überbieten.
Auch der Soziologe und ehemalige Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung Wolfgang Streeck sieht sich einigen Schmähungen ausgesetzt, nachdem er es gewagt hat, den Lieblingsfaschisten des deutschen Mainstream-Journalismus Andrij Melnyk zu kritisieren, indem er eine Forderung des Ex-Diplomaten und jetzigen ukrainischen Vizeaußenministers nach mehr Waffenlieferungen in einen etwas größeren Kontext setzte. Das rief dann Patrick Bahner von der FAZ(also quasi der BILD für Pseudointellektuelle und Vermögende) auf den Plan, um in einem Kommentar Streeck mal ordentlich runterzuputzen.
Da wird dann Streeck überheblich ein „Eifer des Schlusskettenschmiedens“ unterstellt und dann eine vermeintlich ironische Umkehr der Logik vollzogen, indem er die Analyse von Streeck lächerlich macht, da er unterstellt, dass man im ukrainischen Außenministerium wohl diese gelesen haben müsste, um so zu handeln, wie man das nun gerade gemacht hat:
Es wirkt zunächst kaum vorstellbar, dass jemand im Außenministerium in Kiew die Verflechtung der Weltlage in dieser Art durchschauen kann, ohne ein Preprint von Streecks Aufsatz gelesen zu haben.
Damit diskreditiert Bahner nicht nur Streeck, sondern auch jede Art, politische Prozesse zu hinterfragen und in größere Zusammenhänge einzuordnen. Na ja, nicht verwunderlich, wenn man sich anschaut, wie die FAZ seit dem Tode Frank Schirrmachers von einer ernst zu nehmenden konservativen Zeitung zusehends zu einer neoliberalen PR-Tröte auf Boulevardniveau im Gewand von vermeintlich seriösem Journalismus verkommen ist. Und was soll man von einer Postille auch erwarten, die einen Holocaust-Relativierer wie Melnyk beim F.A.Z.-Kongress im März extra per Video zugeschaltet hat? Eben. Da nützt es auch nichts, wenn Bahner über seinem Kommentar die Leser mit strafendem Blick anschaut, da er auf diese Weise auf mich zumindest nicht wirkt, als sei er ein bondscher Bösewicht, sondern eher, als hätte er nicht nur einen Stock, sondern gleich einen ganzen Kiefernhain im Allerwertesten.
Vor allem auch schon gleich der Vorwurf, Streeck würde den Kampf der Ukraine mit den Eroberungskrieg von Nazideutschland gleichsetzen, und das auch schon schön angedeutet in der Überschrift („kursive Provokation“) als dann auch in Einleitungsabsatz erwähnt (und erst ganz am Ende des Kommentars dann mit einem Satz ausgeführt). Klar, damit kann man immer gut Stimmung machen, und vielleicht war die Wortwahl Streecks in seinem englischsprachigen Artikel vom „Ukrainian Endsieg“ auch nicht so ganz glücklich gewählt. Aber wo war denn bitte die Aufregung von Bahner und Co., als in der Zeit eine Solidaritätserklärung mit der Ukraine mit „Ich wünsche mir einen totalen Sieg“ betitelt war (s. hier), und das auch noch pikanterweise auf den Tag genau 80 Jahre nach Goebbels Sportpalast-Gegeifer vom „totalen Krieg“? Wenn ich so was im Hinterkopf habe, dann finde ich Streecks Aussage und Formulierung vielleicht doch nicht ganz unpassend …
Aber dennoch lesen ja immer noch genug Menschen FAZ und nehmen den Kram ernst, der dort steht. Und so ist dieser Kommentar ein weiterer Baustein dafür, Intellektuelle in unserem Land zunehmend zu verspotten und zu schmähen.
Das Praktische dabei für die neoliberalen Schreiberlinge: Sowohl Welzer und Precht als auch Streeck haben sich immer wieder kapitalismuskritisch geäußert und dabei auch konkrete Vorschläge vorgebracht, wie man denn anders wirtschaften könnte als gerade auf die neoliberale Weise, die uns direkt in den Untergang führt. Wenn man also solche Stimme diskreditieren kann, indem man die bellizistische Grundstimmung im Land aufgreift und so nun meint, einen Angriffspunkt gefunden zu haben, dann werden viele Menschen diesen Intellektuellen auch bei anderen Themen nicht mehr zuhören. „Precht? Och nö, den mag ich nicht!“ Das hab ich kürzlich erst von einem Freund gehört, ohne dass der nun genau begründen konnte, warum das so wäre oder welche von Prechts Standpunkten ihm genau missfielen.
Bitter wird es dann, wenn man sieht, dass andere Pseudofachleute und Voodoo-Ökonomen wie Hans-Werner Sinn oder Bernd Raffelhüschen von der gleichen Journaille ständig mit Samthandschuhen angefasst und als Experten hofiert werden, auch wenn sie nachweislich seit Jahren mit ihren Aussagen komplett daneben liegen, ihre Prognosen nicht zutreffen und sie den größten Unfug verbreiten. Aber klar: Die sind ja auch ideologisch „auf Linie“ und feiern den Neoliberalismus trotz seines offensichtlichen Versagens immer noch in den höchsten Tönen ab.
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