Israel und Palästina werden von den schwersten militärischen Zusammenstößen seit Jahren erschüttert. Palästinensische Gruppierungen verschießen über Tausend Raketen auf israelische Städte. Israel fliegt massive Luftangriffe auf palästinensische Objekte. Eine Bodenoffensive wird befürchtet…mit unberechenbaren Folgen.
Seit Jahrzehnten driften Palästina und Israel auf einer schmalen Kante zwischen Krieg und Frieden. Immer wieder eskaliert die Gewalt, dann beruhigt sich die Lage für wenige Jahre. Eine Lösung des Konfliktes ist nicht in Sicht. Die arabische Bevölkerung wirft den Israelis vor, ihr Land gestohlen und annektiert und sie zu Bürgern zweiter Klasse gemacht zu haben. Die Israelis werfen den Palästinensern vor, das Existenzrecht Israels abzusprechen und sie vernichten zu wollen. Beide Seiten sehen sich im Recht. Dementsprechend unnachgiebig sind die beiden Konfliktparteien und dementsprechend unerreichbar scheint der Frieden. Erschwert wird der Friedensprozess durch jahrhundertealte religiöse, ethnische und historische Konflikte, die nicht verjährt zu sein scheinen. Nun brach diese Wunde wieder auf.
Wodurch es ausgelöst wurde
Die tieferen Gründe für die aktuelle Eskalation liegen sicherlich in der jahrhundertealten Geschichte der Region, den interethnischen, -religiösen und -nationalen Spannungen und sind auf die Schnelle nicht zu beschreiben. Doch der konkrete Auslöser für die aktuelle Eskalation – der „Trigger“ sozusagen – ist durchaus genau zu benennen: Es ist die Zwangsräumung palästinensischer Familien aus ihren Häusern in Ost-Jerusalem.
Anfang Mai hat das Jerusalemer Bezirksgericht entschieden, dass die Häuser einiger palästinensischer Familien in Ost-Jerusalem, das von Israel völkerrechtswidrig annektiert wird, eigentlich Israelis gehören würden. Israelische Behörden gaben grünes Licht für die Zwangsräumung. Dies führte zu einer massiven Empörung unter der arabischen Bevölkerung und provozierte Zusammenstöße zwischen Demonstranten und israelischen Sicherheitskräften. Schon bald drehte sich die Eskalationsspirale nahezu ungebremst. Der israelische Sicherheitsapparat setzte Wasserwerfer, Gummigeschosse, Tränengas, Rauchgranaten und Knüppel gegen Palästinenser ein. Palästinenser antworteten mit Steinen und Feuerwerkskörpern. Dann stürmten israelische Sicherheitskräfte die für Muslime heilige al-Aqsa-Moschee auf dem sakralen Tempelberg und zerstörten Teile ihrer Verglasung.
Zu diesem Moment hätte die Gewalt vermutlich noch eingedämmt und eine Deeskalation eingeleitet werden können, doch aus unbekannten Gründen brach in der Umgebung der Moschee Feuer aus. Zunächst wurde sogar gemeldet, dass die Moschee selbst in Brand ist, später wurde jedoch erklärt, dass „nur“ die Umgebung davor brennt.
Als sich dann radikale Israelis vor dem Tempelberg versammelten und tanzend und singend den Brand an der al-Aqsa-Moschee bejubelten, kippte die Stimmung endgültig.
Die Bilder wirken irritierend. Im Hintergrund brennt der für Muslime heilige Tempelberg und davor tanzen die Israelis. Für die arabische Bevölkerung vor Ort dürften diese Bilder wie ein Hohn und maßlose Beleidigung vorgekommen sein.
Ab diesem Moment gab es kein Halten mehr. Die anfänglichen Ausschreitungen eskalierten in den schwersten bewaffneten Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis seit Jahren.
Wie es momentan verläuft
Die Bilder aus der Region sprechen eigentlich für sich und bedürfen keines größeren Kommentars.
Verschiedene palästinensische Gruppierungen schossen innerhalb weniger Tage über 1000 Raketen auf israelische Städte ab. Die israelische Raketenabwehr Iron Dome kam dabei an ihre absolute Kapazitätengrenze und konnte einen Teil der Raketen nicht abfangen. Israel seinerseits flog massive Luftangriffe auf palästinensische Gebiete, insbesondere auf den Gazastreifen.
Keine der Seiten unterscheidet dabei zwischen zivilen/non-zivilen Zielen. Palästinensische Raketen treffen israelische Wohnhäuser, israelische Luftschläge legen ganze Wohnkomplexe in Schutt und Asche.
Besonders brisant war die Zerstörung des Shuruq Tower in Gaza. Darin waren unter anderem zahlreiche palästinensische Medien untergebracht. Die Bilder, wie das Medienhaus der Palästinenser nach mehreren israelischen Luftschlägen in sich zusammenklappt, gingen um die Welt.
Der Vorwurf, der sich daraus ergibt, ist banal wie offensichtlich: Tel-Aviv zerstöre gezielt palästinensische Medien, damit sie aus dem Gazastreifen nicht berichten können.
Worin es münden könnte
Die Eskalationsspirale dreht sich derweil so schnell weiter, dass die Folgen davon nur schwer abzuschätzen sind. Es häufen sich Meldungen, dass Israel eine Bodenoperation im Gazastreifen vorbereitet. Tel-Aviv verlegt bereits zahlreiche Panzer und Artillerie an die Grenze.
Sie sollen bereits Stellungen palästinensischer Gruppierungen unter Beschuss genommen, ohne allerdings die Grenze überquert zu haben.
Zugleich könnte eine Invasion im Gazastreifen unkontrollierbare Folgen für die gesamte Region haben. Die libanesische Hisbollah hat bereits mit einem Eintritt in den Konflikt gedroht, falls die israelische Armee in den Gazastreifen einfällt. In der Türkei sind massive anti-Israel-Proteste ausgebrochen. Die radikalsten Demonstranten fordern die Entsendung türkischer Truppen nach Palästina und erinnern daran, dass die Region lange Zeit unter osmanischer Herrschaft war. Verdächtig still bleibt bislang der Iran, der sich eigentlich auch als eine Schutzmacht der Palästinenser versteht. Womöglich wartet Teheran noch ab. Ein offener iranischer Eintritt in den Konflikt scheint unwahrscheinlich, eine massive Ausweitung der Waffenlieferungen an palästinensische Grupperingen aber durchaus möglich.
So oder so, die Eskalation, die mit Zwangsräumungen palästinensischer Familien aus dem israelisch annektierten Ost-Jerusalem begann, hat das Potential zu einem Flächenbrand zu werden, dessen geopolitische Folgen im Moment schwer vorauszusagen sind.
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