Ob als Shake, Pulver oder Kapsel – Nahrungsergänzungsmittel boomen. Viele Menschen erhoffen sich durch die Einnahme eine Extra-Portion Gesundheit. Zwar ist umstritten, ob Vitamin-Kapseln, Zink-Tabletten, Melatonin-Sprays und Co. das Immunsystem stärken. Doch laut Statistischem Bundesamt wurden im Jahr 2020 in Deutschland rund 180200 Tonnen Nahrungsergänzungsmittel produziert, knapp elf Prozent mehr als im Vorjahr. Ihr Wert stieg im gleichen Zeitraum sogar um fast ein Viertel auf 1,1 Milliarden Euro an. Und zu Beginn der infektionsreichen Wintersaison im vierten Quartal 2020 erreichte die Produktion der Mittel mit rund 47100 Tonnen einen neuen Spitzenwert.
Nahrungsergänzungsmittel werden in der Produktionsstatistik seit 2019 gesondert erfasst. Das Spektrum der in dieser Position enthaltenen Produkte ist vielfältig und reicht von Calcium- oder Magnesium-Brausetabletten über Johanniskrautdragees, eiweißhaltige Trinknahrung und Kieselerde bis zu Zink-Hefe-Kapseln.
Hormon als Nahrungsergänzungsmittel
Oft werden aber auch Mittel unter dieser Bezeichnung verkauft, bei denen Behörden und Hersteller regelmäßig streiten, ob sie nicht eigentlich Arznei und damit verschreibungspflichtig sind. Dazu zählt auch das Hormon Melatonin, das vor allem in den teuren Werbeminuten vor den Abendnachrichten regelmäßig als Helfer für einen guten Schlaf beworben wird. In Zeiten von Corona dürfte mancher, der vor lauter Zukunftssorgen nicht schlafen kann, darauf anspringen.
Melatonin steuert als Hormon den Tag-Nacht-Rhythmus der Menschen. Es wird im Körper aus dem Nervenbotenstoff Serotonin gebildet, hauptsächlich in der Zirbeldrüse im Gehirn. Geringe Anteile entstehen auch in der Netzhaut des Auges und im Darm. Fällt Tageslicht auf die Netzhaut, so wird die Bildung gehemmt. Bei Dunkelheit dagegen wird die Ausschüttung angeregt. Das freigesetzte Melatonin kann dann an Blutgefäßen im Gehirn und einigen Zellen des Immunsystems andocken und unserem Körper bei Dunkelheit das Signal geben, sich auszuruhen. Das führt dann in der Regel zum Schlaf. Aber je älter man wird, umso weniger körpereigenes Hormon produziert unser Körper. Deshalb sprechen Hersteller von Melatonin-Produkten vor allem die ältere Kundschaft an.
Substanz mit pharmakologischer Wirkung
Zwar ist Melatonin in der Arzneimittelverschreibungsverordnung als rezeptpflichtig gelistet. Trotzdem gibt es viele melatoninhaltige Präparate im freien Verkauf, weil Hersteller ihre Produkte als Nahrungsergänzungsmittel deklarieren. Schon Mitte der neunziger Jahre hatten das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (heute Bundesinstitut für Risikobewertung) betont, dass es sich um eine Substanz mit pharmakologischer Wirkung handele, auch in geringen Dosen. Melatonin sei kein Nahrungsergänzungsmittel. Anlass war schon damals ein Gerichtsurteil gegen eine Verfügung einer Kreisgesundheitsbehörde, die das Inverkehrbringen des Präparates untersagt hatte.
Viel hat sich seitdem aber nicht geändert. Zwar weisen Hersteller pflichtgemäß darauf hin, dass die positive Wirkung von Melatonin sich nur einstelle, wenn kurz vor dem Schlafengehen maximal ein Milligram der Substanz aufgenommen wird. Üblich ist es zum Beispiel, ein melatoninhaltiges Mittel direkt in den Mund zu sprühen. Auch klären sie darüber auf, dass Nahrungsergänzungsmittel nicht als Ersatz für eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung und eine gesunde Lebensweise verwendet werden sollten.
Doch gestritten wird weiter. Im Zentrum steht die Frage, ob die Produkte ein Arzneimittel oder ein Nahrungsergänzungsmittel sind. Grundsätzlich nehmen die Einstufung von Produkten als Arzneimittel die Überwachungsbehörden der Bundesländer vor. Und zuständig ist stets die Behörde des Landes, in dem der jeweilige Hersteller seinen Hauptsitz hat. Ist man dort der Auffassung, dass ein Produkt eigentlich ein Arzneimittel ist, landet der Fall in der Regel vor Gericht. Viele verschiedene Verfahren haben deshalb auch ganz unterschiedliche Einschätzungen der Gerichte zutage gebracht.
Das BfArM kommt nur ins Spiel, wenn eine Landesbehörde bei dem Bundesinstitut beantragt, über die Zulassungspflicht eines konkreten Produkts – nicht eines Wirkstoffs wie Melatonin selber – als Arzneimittel zu entscheiden. „Wir haben aufgrund solcher Anträge bisher drei melatoninhaltige Produkte als Arzneimittel eingestuft, von denen schon zwei rechtkräftig von Gerichten bestätigt sind“, berichtet Anja Kremzow, stellvertretende BfArM-Sprecherin. Im Jahr 2014 ging es dabei um ein Produkt, das in Dosierungen ab 0,5 mg Melatonin pro Kapsel auf den Markt kam. Der Widerspruch des Herstellers gegen die BfArM-Einstufung vor dem Verwaltungsgericht Köln wurde vom Gericht abgewiesen, das Urteil damit rechtskräftig.
Im Jahr 2017 wurden laut Pressesprecherin Kremzow zwei weitere Einstufungsentscheidungen des Bundesinstituts von melatoninhaltigen Produkten als Arzneimittel vor dem Kölner Gericht verhandelt. Die Dosierungen der beiden Produkte lagen demnach bei 1,8 mg Melatonin pro Kapsel und Tag und bei 0,5 mg pro Kapsel zweimal täglich. In beiden Fällen wurde die Einstufung des BfArM als Arzneimittel vom Gericht bestätigt, in einem Fall ist das Urteil auch rechtskräftig. Im zweiten Verfahren steht noch die Berufung beim Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen an, weshalb die Einstufung als Arzneimittel noch nicht rechtskräftig ist.
Vorsicht vor Überdosierung
Doch warum wird eigentlich über den Einsatz des Hormons bei Schlafgestörten diskutiert? Zu viel davon kann Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Nervosität und Magenbeschwerden verursachen. Auch sollten Menschen, die zu Depressionen neigen, vorsichtig sein. Wer das Hormon bei Einschlafproblemen nutzen möchte, sollte besser zuerst mit seinem Hausarzt sprechen. Denn es gibt Alternativen dazu, wie zum Beispiel Lavendel oder Baldrian, pflanzliche Mittel, die auch beim Einschlafen helfen können.
Solange Melatonin als Nahrungsergänzungsmittel weiter verkauft werden kann, muss wohl an die Vernunft der Verbraucher appelliert werden, mit den Produkten vorsichtig umzugehen. Zumal das Hormon auch über die Nahrung aufgenommen werden kann. Tomaten, Senfsamen, Cranberrys oder Pilze zum Beispiel enthalten es. Auch Kühe produzieren es in der Nacht, so dass in der Milch wiederzufinden ist.
Foto: ThuyHaBich auf Pixabay
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