Gerade las ich einen Artikel von Utopia mit der Überschrift: Cem Özdemir: „Weniger Fleisch zu essen, wäre ein Beitrag gegen Putin“. Aha, das fand ich nun interessant, wie das zusammenhängen könnte. Doch statt über Ernährung lernte ich dann unfreiwillig etwas über Kriegs-PR, die ja gerade überall im Übermaß betrieben wird.
In dem Artikel wurde vor allem wiedergeben, was der Bundeslandwirtschaftsminister von den Grünen in einem Interview mit dem Spiegel, was übrigens den gleichen Titel hat, sagte. Da man das Interview allerdings nur mit einem Spiegel-Abo lesen kann, beziehe ich mich hier auf die Aussagen im Utopia-Artikel.
Und die sind auch gar nicht mal so schlecht, wie ich finde, denn da geht es beispielsweise darum, dass sehr viel Getreide für die Tiermast verwendet wird, was deutlich effektiver genutzt werden könnte, wenn es direkt der menschlichen Ernährung zugeführt würde. So müsse der Preis für Fleisch endlich auch dessen Kosten widerspiegeln und daher höher liegen als jetzt, da die ökologischen Kosten sonst eben die Allgemeinheit zahlen müsste. Zitat von Özdemir dazu:
Wir alle bezahlen dann indirekt diese Kosten, wenn das Wasser belastet ist, Insekten sterben und der Regenwald abgeholzt wird.
Dann führt er auch noch an, dass mehr Tierschutz sowie mehr kleinteilige und nachhaltige Landwirtschaft gefördert werden müsste, was ich so auch alles sehr sinnvoll finde. Auch die Aussage, dass weniger Lebensmittel weggeschmissen werden sollten, entspricht meiner Ansicht, wobei da nicht nur der Endverbraucher, sondern auch der Gesetzgeber gefragt ist – Stichwort Wegwerfen von abgelaufenen Lebensmitteln im Einzelhandel, beispielsweise.
Dann wird eine Brücke geschlagen zur Ukraine, die ja viel Weizen exportiert. Und zwar in etwa so viel, wie in Deutschland an Tiere verfüttert wird (wobei dieses Getreide dann nicht unbedingt aus der Ukraine kommt). Was schon reichlich schräg ist und von Özdemir auch entsprechend kritisiert wird:
Grundsätzlich ist ein System nicht nachhaltig, in dem 60 Prozent des Getreides in den Futtertrögen landen, wie in Deutschland.
Würde also weniger Fleisch gegessen, könnte mehr Getreide in die Regionen der Welt geschickt werden, in denen Hunger herrscht. Auch nachvollziehbar, wie ich finde. Özdemir dazu:
Als westliche Nationen haben wir zuallererst die Pflicht, die Agrarmärkte offenzuhalten und die weltweite Versorgung mit Getreide zu gewährleisten. Sonst spielen wir Putin in die Hände.
Warum das nun Putin in die Hände spielen soll, wird leider nicht weiter erklärt, aber immerhin wurde nun schon mal Putin erwähnt. Das passt zurzeit ja irgendwie immer, hab ich zumindest den Eindruck.
Nun ja, in einer Zwischenüberschrift kurz davor hieß es ja auch schon: Fleischkonsum einschränken – gegen weltweiten Hunger und „gegen Putin“. Allerdings folgt dann keine Erklärung, warum eine bessere Ernährungssituation von Menschen in Ländern vor allem des globalen Südens denn nun etwas ist, was Putin schaden könnte.
Dann folgen in dem Utopia-Artikel noch drei Maßnahmen, die Wissenschaftler vorschlagen, und da findet sich dann unter Punkt 2 tatsächlich mal was, was einen direkten Bezug zu Russland herstellt:
- Umstellung auf eine gesündere Ernährung mit weniger tierischen Erzeugnissen. Das gilt vor allem für Europa und andere Länder mit durchschnittlich hohem Einkommen.
- Mehr Hülsenfrüchte produzieren und die EU-Agrarpolitik weiter ökologisieren. Nebeneffekt: Dadurch wären wir auch weniger abhängig von Stickstoffdünger und Erdgas aus Russland.
- Weniger Lebensmittelverschwendung, um zum Beispiel Weizen mehr Menschen als Lebensmittel verfügbar zu machen. (Aktuell entspricht die Menge an vergeudetem Weizen allein in der EU etwa der Hälfte der Weizenexporte der Ukraine.)
Das mit dem Dünger ist nachvollziehbar, beim Erdgas gibt es dann doch andere Bereiche als die Landwirtschaft, die da wesentlich mehr verbrauchen. Zumindest ist die Landwirtschaft in einem Artikel zum Energieverbrauch des Umweltbundesamtes noch nicht mal als eigener Sektor aufgeführt.
Bleibt noch das Fazit von Utopia:
Dass die Menge an Getreide, die in Deutschland an Tiere verfüttert wird, der Exportmenge eines Landes wie der Ukraine entspricht, ist bizarr – und die Tatsache zeigt ein dringendes Problem auf. Die Fleischwirtschaft hat viele ernsthafte Nachteile: Massentierhaltung, wie sie in Deutschland betrieben wird, quält Tiere und trägt zum Klimawandel bei. Doch sie verschlingt auch Unmengen an Ressourcen, denn Rinder, Schweine und Co. müssen teils über Jahre unter anderem mit Nahrung versorgt werden, ehe sie geschlachtet werden. Diese Ressourcen fehlen an anderer Stelle – leider in diesem Fall auf den Tellern von Menschen.
Auch das finde ich insgesamt richtig und nachvollziehbar – aber was hat da nun mit der Überschrift zu tun, so von wegen „gegen Putin“?
Irgendwie recht wenig, oder?
Und dann frage ich mich doch, wie man nun vonseiten des Spiegels, aber auch von Utopia darauf kommt, gerade so eine Überschrift zu verwenden. Dabei sollte man immer berücksichtigen, dass viele Menschen nur Überschriften lesen, dass also etwas, was in einer Überschrift betont wird, viel stärker hängen bleibt als das, was dann im darauf folgenden Text erläutert wird. Das ist nicht erst seit Social Media so, sondern schon seit Langem journalistisches Grundwissen.
So komme ich dann zu dem Schluss, dass hier vor allem die Intention zu bestehen scheint, etwas mit Putin und dem Ukraine-Krieg zu verknüpfen, was nun nicht in erster Linie damit zusammenhängt, sondern in einem anderen Kontext deutlich größere Relevanz hat.
Das nennt man dann Stimmungsmache. Zumal wenn man weiß, dass Fleisch quasi einer der vier Säulenheiligen der Deutschen ist (gerade Özdemir sollte als Grünen-Politiker noch den Aufruhr wegen des Vorschlags eines Veggie-Days vor einigen Jahren in Erinnerung haben) – neben Auto, Fußball und Bier. Na ja, und dass angeblich Putin schuld ist an den hohen Benzinpreisen und somit den Autofahrern den Spaß verdirbt, wurde ja auch immer wieder so kommuniziert – auch wenn es in erster Linie die Mineralölkonzerne sind, die mit dem teuren Sprit einen enormen Reibach machen, wie ein Artikel von Der Volksverpetzer belegt.
Autofahren wird teuer, wir sollen weniger Fleisch essen – fehlt nur noch, dass wegen Putin das Bier rationiert werden muss und die Bundesliga pausiert! Spätestens dann dürften sich deutsche Mobs mit Fackeln und Mistforken bewaffnet auf den Weg Richtung Osten machen …
O. k., Spaß beiseite, denn neben dieser propagandistischen Auswirkung auf die ohnehin schon reichlich aufgeheizte Stimmung hat die Wahl einer solchen Überschrift auch noch einen anderen unschönen Nebeneffekt. Auf diese Weise wird nämlich für eine wichtige Sache, nämlich die Reduzierung des Fleischkonsums, nicht eben nachhaltige Überzeugungsarbeit geleistet.
Man stelle sich nur mal vor, dass nun tatsächlich einige Menschen sagen: „Das überzeugt mich jetzt aber, ich esse nun weniger Fleisch!“ Das wäre eine gute Sache. Wenn diese Notwendigkeit allerdings mit dem Krieg in der Ukraine verknüpft wird, was passiert dann wohl, wenn dieser Krieg (hoffentlich bald) vorbei ist? Eben, dann kann sich ja guten Gewissens wieder bergeweise Schnitzel, Wurst, Mettigel und Co. reingepfiffen werden. Putin hat man’s dann ja schließlich so richtig gezeigt mit dem eigenen Verzicht – darauf erst mal eine Bratwurst!
So werden m. E. richtige Aussagen entwertet, weil sie eben in einen nicht wirklich sachlich stimmigen Kontext gestellt werden. Und dann frage ich mich, wie ernst es denn solchen Politikern und Journalisten mit der Verbreitung der Message, dass weniger Fleischkonsum eine gute und wichtige Sache ist, tatsächlich sein mag …
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