Angetreten war US-Präsident Joe Biden als Klimaschützer. Nachdem sein ehrgeiziges Investitionsprogramm für erneuerbare Energien am innerparteilichen Widerstand eines demokratischen Senators scheiterte, explodieren die Energiepreise. Nun gibt die Administration nicht nur Teile der Ölreserven frei, sondern fordert die einheimischen Ölförderer auch noch auf, die Produktion zu steigern und gibt auf richterlichen Befehl Land im Staatsbesitz frei, um neue Quellen zu erschliessen. Das zeigt die grundsätzlichen Schwierigkeiten, angesichts kurzfristiger Entscheidungen, die auch mit Blick auf kommende Wahlen getroffen werden, eine auf Jahrzehnte angelegte Politik der Energiewende in Gang zu bringen.
Ein ausgesprochen renitenter demokratischer Senator aus West-Virginia, dem zweitgrössten Kohleförderer der USA, mit 7,9 Prozent eine Inflationsrate, wie sie zuletzt vor vierzig Jahren, auf dem Höhepunkt der schlimmsten Rezession seit den 1930er-Jahren, registriert wurde, explodierende Energiepreise, die russische Invasion in der Ukraine und die damit verbundenen Boykotte gegenüber Russland, die einen der grössen Gas- und Ölforderer der Welt ins wirtschaftliche Abseits befördern sollen, und eine Oppositionspartei, die sich gerade in der Energie- und Klimapolitik nur noch darin gefällt, gegen alles zu sein, was aus dem Weissen Haus an Gesetzesvorschlägen an die beiden Kammern des Parlaments gerichtet ist: Vor US-Präsident Joe Biden, seit eineinviertel Jahren im Amt, und seiner Administration türmen sich politische Hürden, die deren grosses Ziel, die CO2-Emissionen des zweitgrössten Emittenten der Welt bis 2050 auf Null zu reduzieren, schon beinahe als gescheitert erachten lassen.
Biden ist zunehmend gefangen in einem politischen Alltagsgeschäft, das nur noch darin besteht, die kleinen und kleineren Brandherde zu löschen und die Verhinderung des grossen Flächenbrandes, der Klimaerwärmung, auf die lange Bank zu schieben. Jüngstes Beispiel ist der Entscheid eines Bundesrichters aus dem Bundesstaat Louisiana, der das vom Innenministerium im Januar verfügte Moratorium für die Verpachtung von Land zur Förderung von Öl oder Gas, das der Regierung gehört, kurzerhand aufhob, mit der Begründung, damit blieben den betroffenen 12 Bundesstaaten Einnahmenausfälle in Milliardenhöhe erspart. Der Entscheid gilt solange, bis ein höheres Gericht entschieden hat. Das Moratorium war in Erwartung eines von der Regierung in Auftrag gegebenen Berichts verfügt worden. Schon wenige Tage nach dem Urteil aus Louisiana wurden knapp 60'000 Hektar freigegeben, sehr zur Freude der Industrie, die gleich nachlegte und forderte, die Fesseln der Regierung müssten vollständig gelockert werden, sehr zum Ärger der Umweltorganisationen, die von einem «schweren Fehler» der Regierung, die «angesichts von Hitzewellen, Flutkatastrophen und Dürren» so tue, als sei Klimapolitik «business as usual». Tatsächlich, betont das Weisse Haus, sei nur rund ein Fünftel der Flächen freigegeben worden, die evaluiert worden seien. Zudem habe man die Taxen um rund die Hälfte erhöht. Angesichts der konservativen Mehrheit im Supreme Court, dem höchsten Gericht, scheint es allerdings wahrscheinlich, dass der Bundesrichter aus Louisiana recht behalten wird. Dieser erachtet die Wahrscheinlichkeit als sehr hoch, dass die klagenden 12 Bundesstaaten gewinnen. Dann könnten alle Dämme brechen, mit verheerenden Folgen. Denn die Öl- und Gasförderung auf öffentlichem Grund trägt in den Vereinigten Staaten zu knapp einem Viertel der CO2-Emissionen bei, wenn man deren Emissionen über die gesamte Nutzung, von der Förderung über die Verarbeitung bis zur Verbrennung, in Rechnung stellt. Das hat die Denkfabrik «Climatic Chance» ausgerechnet. Der Trend zeigt abwärts, was primär auf den Schiefergasboom seit 2010 zurückzuführen ist. Das Gas ersetzte die weit klimaschädlichere Kohle. Das hat auch wesentlich zum gesamten Rückgang der CO2-Emissionen der USA beigetragen. Inzwischen haben sich die Emissionen stabilisiert, und die von Climatic Change errechneten Szenarien für die Jahre bis 2030 lassen bestenfalls eine Reduktion um magere sechs Prozent erwarten, angesichts der gerichtlichen Auseinandersetzungen ist aber zu befürchten, dass diese nun wieder steigen dürften.
Die Regierung Biden verstrickt sich dabei selbst in Widersprüche. So hat Biden Öl aus den Notlagern freigegeben und die Öl- und Gasförderer dazu aufgerufen, die Produktion zu steigern, und den am russischen Gastropf hängenden Europäern amerikanische Flüssiggas versprochen. Selbst im meistgehassten Venezuela wurden us-amerikanische Emissäre vorstellig, um dort Öl einzukaufen, das die USA allerdings in eigener Verantwortung fördern wollen. Derweil steckt ein Investitionspaket über 300 Milliarden US-Dollar im amerikanischen Senat fest, wo die Demokraten die knappste aller Mehrheiten halten – nur mit Stichentscheid von Vize-Präsidentin Kemala Harris lässt sich das Patt mit je fünfzig Sitzen für die Republikaner und die Demokraten überwinden. Doch letztere müssen sich mit einem Wortbrüchigen herumschlagen. Joe Manchin zog seine Zusage, dem bereits erheblich abgespeckten Massnahmenpaket zur Förderung erneuerbarer Energien im Umfang von 300 Milliarden US-Dollar zuzustimmen, unvermittelt zurück, und derzeit sieht es gar nicht danach aus, dass es zu einer Einigung kommen könnte. Mit den Republikanern ist überhaupt kein Staat mehr zu machen. Sie setzen ihren knallharten Oppositionskurs, mit dem sie, zusätzlich befeuert von mehreren Siegen bei den Kongresswahlen, schon den mit vielen Vorschusslorbeeren gestarteten Barack Obama zur «lame duck», zur lahmen Ente, gemacht hatten, nun auch unter Joe Biden fort. Für dessen Partei sieht es für die anstehenden Kongresswahlen im November gar nicht gut aus. Es ist wahrscheinlich, dass sie in beiden Kammern ihre knappen Mehrheiten verlieren werden. Dann wird der gesetzgeberische Prozess endgültig blockiert sein. Denn Biden gelingt es sowenig wie seinerzeit Obama, die Republikaner zu spalten und wenigsten einige Stimmen für seine Vorschläge zu holen. Dazu schafft er es kaum mehr, seinen eigenen demokratischen Laden zusammenzuhalten, deren politischen Spektrum von weit links bis erstaunlich weit nach rechts reicht. Das würde eigentlich für eine lebendige Volkspartei sprechen. Doch in den extrem polarisierten Vereinigten Staaten, wo das Trennende zunehmend wichtiger wird als das Verbindende und wo es seit Jahrzehnten an einer dritten, ausgleichend wirkenden politischen Kraft fehlt, ist diese Lebendigkeit zum Scheitern verurteilt.
Joe Biden bleibt, wie schon seinen Vorgängern, nichts anderes übrig, als mit präsidialen Verfügungen zu regieren – sofern ihm die Gerichte, wie im Falle der Pachtverträge zur Öl- und Gasförderung, nicht auch noch einen Strich durch die Rechnung machen. Sie gelten sowieso nur solange, wie er im Weissen Haus regiert. Deren weiteres Schicksal ist von der Gnade der Nachfolgerin oder des Nachfolgers abhängig. Dabei ist es längst gängige Praxis geworden, dass, wenn im Präsidentenamt das Parteibuch wechselt, die allermeisten dieser Verfügungen ersatzlos gestrichen werden. Das sind gar keine guten Perspektiven für eine Politik über den Tag hinaus.