Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
1) Jordan's Foreign Minister Told Israelis an Inconvenient Truth
In seiner Rede bei den Vereinten Nationen kritisierte der jordanische Außenminister Ayman Safadi scharf die Haltung Israels und des Premierministers Benjamin Netanyahu. Safadi betonte, dass Netanyahu und seine Regierung keine diplomatische Lösung anstreben und die Zwei-Staaten-Lösung ablehnen. Er warf Israel vor, keinen Plan für den Frieden zu haben und stattdessen eine Politik der endlosen Kriege und Zerstörung zu verfolgen. Im Gegensatz dazu erklärte Safadi, dass die 57 arabischen und muslimischen Staaten bereit seien, die Sicherheit Israels zu garantieren, wenn Israel die Besatzung beende und die Entstehung eines palästinensischen Staates zulasse. Safadis Rede hob die Frustration über die israelische Politik hervor, die jede Friedenslösung blockiere, während die israelische Gesellschaft zunehmend von rechten Ideologien geprägt sei, die Gewalt und Konflikte fördern. Trotz der scharfen Kritik bot Safadis Rede auch Hoffnung, indem er daran erinnerte, dass es seit Jahren alternative Lösungen gebe, die nur auf den Verhandlungstisch gebracht werden müssten. (Yoana Gonen, Haaretz)
Ich habe viel zu wenig Sachkenntnis, um die Substanz des Artikels kommentieren zu können. Ich will vielmehr darauf aufmerksam machen, dass auch die israelische Gesellschaft kein monolithischer Block ist. Einige der schärfsten Kritiken der israelischen Siedlungs-, Palästinenser*innen- und sonstigen Außenpolitik kommen aus Israel selbst. Haaretz ist als eher linksliberale Zeitung da mit Sicherheit keine Stimme der Mehrheit (die steht, wie wir im letzten Vermischten gelernt haben, mit überwältigender Mehrheit hinter dem Gaza- und Libanonkrieg), aber es gibt diese Stimmen eben auch. Das ist auch deswegen so wertvoll, weil es ein Antidot gegen das ständige Vermischen von "Juden" und "Israel" auf der einen Seite und eben die monolithische Betrachtung des Staates und seiner Gesellschaft auf der anderen Seite darstellt, aus dem so schnell antisemitische Reflexe erwachen.
2) Die grüne Spenden-Affäre: Wie Aktivisten und Parteien sich gegenseitig die Gelder zuschieben
Der Artikel beleuchtet eine Spendenaffäre, in der die Grünen im August 2024 eine Spende von 160.000 Euro vom Verein Campact e.V. erhielten. Campact, eine linke Lobbyorganisation, ist Hauptgesellschafter von HateAid, einer Organisation, die staatliche Fördergelder in Millionenhöhe erhält. Kritiker werfen vor, dass durch diese Verflechtungen staatliche Gelder indirekt den Grünen zugutekommen könnten. Dies wird als Umgehung der Deckelung von staatlichen Parteispenden gesehen, obwohl dies rechtlich nicht verboten ist. HateAid weist den Vorwurf zurück, staatliche Gelder an Parteien weiterzuleiten, und betont, dass die Fördergelder projektgebunden sind. Die Grünen äußerten sich nicht zu der Affäre, obwohl sie im Wahlprogramm 2021 eine Beschränkung von Parteispenden gefordert hatten. Der Artikel wirft die Frage auf, inwiefern solche Verflechtungen das Vertrauen der Bevölkerung in die Demokratie und die Trennung von Staat und Parteien gefährden könnten. (Pauline Voss, NIUS)
Ich muss sagen, ich musste einen gewissen Widerwillen überwinden, den Artikel überhaupt erst zu lesen und noch mehr, ihn hier zu verlinken. NIUS ist eine Drecksschleuder, aber ich erkenne hier zumindest keine Unstimmigkeiten. Und man muss eben auch und gerade die ideologischen Nachbarn kritisieren, wie ich das schon häufig angemerkt habe. Aber zur Sache. Für mich sieht das Spendenkonstrukt grundsätzlich auch sehr fischig aus. Und die Erklärungen von Campact und Co sind zwar sicher von der legalen Seite her wasserdicht und alles, aber come on. Das kannst du deinem Friseur erzählen. Solche Erklärungen akzeptieren wir bei irgendwelchen Firmenspenden an die CDU auch nicht, also warum hier? Was allerdings ein reichlich wohlfeiler Punkt in Voss' Argumentation ist: das geforderte Verbot von NGO-Zuwendungen an Parteien ist zwar etwas, das theoretisch alle betrifft, aber ungefähr genau dasselbe wie wenn die LINKE ein Verbot von politischen Spenden für Arbeitgebendenverbände fordern würde: klar gilt es für alle, aber realistisch betrifft es eben nur einige. Und dass ein solches Verbot das ohnehin bestehende Ungleichgewicht bei der politischen Finanzierung noch weiter ins rechte Lager verschöbe, ist halt unzweifelhaft. Macht es das alles legitimer? Kein Stück. Aber es gehört eben auch zur Wahrheit.
3) You could kill the EU, says France. No, you could, Germany replies.
Der Artikel beleuchtet die zunehmenden Spannungen zwischen Emmanuel Macron und Olaf Scholz, den Staatschefs der beiden größten Volkswirtschaften der EU, in Fragen des Handelsschutzes und der Zukunft Europas. Während Macron beim Berlin Global Dialogue eine protektionistische Wirtschaftspolitik für Europa forderte, um sich gegen globale Bedrohungen zu wappnen, plädierte Scholz für eine vorsichtigere Vorgehensweise, um Europas Handel nicht zu gefährden. Ein zentraler Konfliktpunkt ist der Umgang mit chinesischen Elektrofahrzeugen. Frankreich befürwortet Zölle auf subventionierte chinesische Autos, während Deutschland gegen die Maßnahmen ist, da sie negative Auswirkungen auf die eigene Automobilindustrie befürchtet. Die unterschiedlichen Ansichten der beiden Länder spiegeln nationale Interessen wider: Frankreich exportiert kaum Autos nach China, während die deutsche Industrie stark auf den chinesischen Markt angewiesen ist. Ein weiterer Streitpunkt betrifft die Finanzierung gemeinsamer EU-Investitionen. Macron unterstützt die Idee von EU-Schulden zur Förderung strategischer Sektoren, während Scholz dies ablehnt. Trotz vergangener Erfolge bei Kompromissen, etwa bei der Reform des EU-Energiemarkts, zeigen sich tiefe Differenzen, die durch nationale Herausforderungen verstärkt werden. (Clea Caulcutt/Giorgio Leali, Politico)
Hier zeigt sich wieder ziemlich klar die Natur der EU: wir sind eben kein Staatenbund, der irgendwie gemeinsame Politik macht. Das alles ist durch die jeweiligen nationalen Interessen gefiltert, und das führt oftmals zu Paralyse. Es erinnert mich an das historische Vorbild der ersten US-Verfassung, der Articles of Confederation (siehe mein Geschichtsblogartikel hier). Die liefen in das gleiche Problem, dass die Einzelstaaten zu mächtig und der Zentralstaat zu schwach war, so dass das ganze Gebilde keine effektive Politik betreiben konnte. Die Briten spielten die Bundesstaaten spielerisch gegeneinander aus und nutzten deren jeweilige Partikularinteressen zum Schaden aller (was denn ja auch neben der Whiskey-Rebellion zu einer neuen Verfassung führte). Ein ähnliches Problem haben wir hier: es gibt keine europäische Wirtschaftspolitik, und dementsprechend macht halt jedes Land, was es für die Interessen der in seinen Grenzen dominierenden Branchen und Unternehmen (wir können ja nicht mal von der Volkswirtschaft als Ganzem reden) für richtig hält. Diese Ausgleichszölle aber nicht zu machen - ich sehe nicht, wo das im deutschen Interesse sein soll.
4) Vom Mythos der „Machtergreifung“
Der Artikel beschreibt die turbulente erste Sitzung des Thüringer Landtags nach den Wahlen, bei der die AfD als stärkste Partei das Vorschlagsrecht für den Landtagspräsidenten innehatte. Die Nominierung der AfD-Abgeordneten Wiebke Muhsal wurde jedoch von allen anderen Parteien abgelehnt. Dies führte zu einem Konflikt, als der Alterspräsident Jürgen Treutler (AfD) sich weigerte, die Beschlussfähigkeit des Landtags festzustellen. Ein Ordnungsruf des AfD-Politikers gegen einen CDU-Abgeordneten sorgte für eine hitzige Debatte, bei der der CDU-Abgeordnete Andreas Bühl von "Machtergreifung" sprach. Der Begriff der "Machtergreifung" wird im Artikel kritisch hinterfragt und als historisch ungenau bezeichnet, da er fälschlicherweise die nationalsozialistische Herrschaft als Diktatur darstellt. Stattdessen wird argumentiert, dass der Nationalsozialismus als eine Form repressiver Volksherrschaft agierte, die durch demokratische Prozesse legitimiert wurde. Die Denunziation der AfD als "Diktatorenpartei" durch die CDU wird als historisch ahnungslos und gefährlich kritisiert. Der Artikel betont, dass diese Diskursverschiebung auf eine tiefere Krise der deutschen Demokratie hinweist als die bloße Existenz der AfD selbst. (Magnus Klaue, Welt)
In einem Twitter-Thread kritisiert Bert Hoppe den Artikel scharf. Ich stimme diesem Thread nicht zu. Tatsächlich finde ich Klaues Argumentation überzeugend. Er verweist darauf, warum der Begriff "Machtergreifung" gleich dreifach ungeeignet ist: Einmal, weil die Nazis die Macht nicht ergriffen, sondern von ihren reaktionären und konservativen Steigbügelhaltern übertragen bekamen, einmal, weil sie eine parlamentarische Mehrheit besaßen und einmal, wie er treffend sagt, dass wenn die AfD eine "Machtergreifung" durchführte, dafür die SA-Schlägertruppen fehlten. Das nimmt die normative Ebene ja nicht aus: durch die Koalition mit der DNVP eine parlamentarische Mehrheit zu haben macht einen nicht besser. "Demokratisch" ist kein normatives Element, es beschreibt allein, wie etwas zustandekommt. Das erinnert mich an Hedwig Richter, die ebenfalls auf den "modernen" Charakter des Nationalsozialismus und seine spezifische Charakteristik einer Massenbewegung, die gerade in Kontrast zu reaktionären und konservativen Idealen steht, abhebt.
Der wohl missverständlichste Teil von Klaues Argumentation dürfte sein Insistieren darauf sein, dass am 30. Januar 1933 keine Diktatur, sondern eine repressiv-autoritäre Regierung an die Macht kam. Auch das ist korrekt. Die Diktatur brauchte ungefähr anderthalb Jahre, um sich zu konstituieren. Die so genannte "Gleichschaltung", vor allem aber Hindenburgs Tod und die Vereinigung der beiden Ämter von Reichskanzler und Reichspräsident zum "Führer" waren elementare Vorbedingungen. Nicht umsonst erwarteten damals viele Zeitgenossen einen Bruch der Regierung. Erst nach 1934 festigte sich die Herrschaft vollständig zur Diktatur.
Allerdings heißt das gerade nicht, dass Warnungen vor diesem Szenario angesichts der AfD fehl am Platz wären. Hier wiederum irren die rechtsbürgerlichen Kommentierenden, wenn sie annehmen, dass nur weil (noch) keine SA-Leute im Parlament stehen und frei gewählte Abgeordnete bedrohen, noch keine Gefährdung existierte. Denn wenn es erst einmal soweit ist, dass der Begriff der "Machtergreifung" gerechtfertigt wäre, dann wäre es zu spät. Dieses Dilemma durchzieht messerscharf die gesamte Thematik.
5) Endlagersuche ohne Ende? Das sind die Folgen
Der Artikel thematisiert die Verzögerungen bei der Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle in Deutschland. Ursprünglich sollte diese bis 2031 abgeschlossen sein, doch ein neues Gutachten des Öko-Instituts zeigt, dass sich das Verfahren bis 2074 oder später hinziehen könnte. Diese Verzögerung stellt große Herausforderungen für die Zwischenlagerung dar, da die Genehmigungen vieler Lager, wie in Gorleben und Ahaus, in den nächsten zehn Jahren auslaufen. Experten wie Klaus-Jürgen Röhlig von der TU Clausthal warnen, dass eine Verlängerung der Zwischenlagerzeiten notwendig ist, was wiederum gesellschaftliche Akzeptanzprobleme und sicherheitsrelevante Risiken mit sich bringt. Auch die technische Sicherheit der Lager könnte mit der Zeit abnehmen, und es bestehen Bedenken, dass in Zukunft nicht genügend Fachkräfte zur Überwachung vorhanden sein werden. Historisch bedingt wurde in Deutschland jahrelang auf den Standort Gorleben gesetzt, der jedoch aufgrund von politischem Widerstand aufgegeben wurde. Jetzt versucht die Politik, äußerst gründlich und vorsichtig vorzugehen, was die Verfahren jedoch erheblich verzögert. (Kevin Schubert, ZDF)
Das ist das, was mich an der Atomenergie immer abgestoßen hat und auch weiterhin sehr skeptisch zurücklässt: kein einziges Land, das die Technologie nutzt, hat eine Lösung für die Endlagerung. Wir reden von jahrhundertelangen Zeiträumen. Das ist völlig fantastisch. Und hier in Deutschland haben wir ja immerhin noch eine verlässliche, rechtsstaatliche Bürokratie (die zwar für die langen Zeiten mitverantwortlich ist, aber zwei Seiten der Medaille und so weiter). Wie sieht das in Ländern wie Russland? Ich habe eine Vorstellung, wie sauber die mit ihrem Abfall umgehen. Das Zeug strahlt auf riesige Zeiträume, und wir hinterlassen das...wo genau? Und mir ist völlig klar, dass wir eine CO2-arme Alternative zur Stromerzeugung brauchen, weil das Problem der Klimakrise wesentlich drängender ist als das der strahlenden Abfälle, die man mit dem Castor noch ein paar Jahrzehnte von Zwischenlager zu Zwischenlager schieben kann. Aber wir treten da eine (strahlende) Dose die Straße runter, für die uns nachfolgende Generationen noch verfluchen werden, denen wir riesige Kosten und Pfadabhängigkeiten aufbürden. Das ist von einer Partei, die sonst so moralisierend Sorgen um die nachfolgenden Generationen anbringt, auch eher heuchlerisch.
Resterampe
a) Mal wieder was zu linkem Antisemitismus und Bullshit zu Hamas und Hisbollah.
b) Strompreis.
c) Selbsterkenntnis.
e) Absolut wichtige Gedanken zum Artensterben und Klimaschutz.
f) Katrin Göring-Eckardt ist offen für eine schwarz-grüne Koalition. Dieses Verzweifelte hat schon was Unwürdiges.
h) Das steht echt in keinem Verhältnis.
Fertiggestellt am 06.10.2024
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