Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) Jetzt mal ernsthaft, Frau Prien!

Die CDU-Familienministerin Karin Prien plant, die Pflege von älteren Menschen stärker in die Verantwortung der Familien zu legen. Sie schlägt ein „Pflegegeld“ als Lohnersatz für pflegende Angehörige vor. Kritiker sehen darin einen Rückschritt in die Zeit, als Care-Arbeit überwiegend in Familien geleistet wurde. Udo Knapp betont, dass diese Vorstellung „wirklichkeitsfremd“ sei, da es in der heutigen Gesellschaft keine generationenübergreifenden Lebensgemeinschaften mehr gebe und viele ältere Menschen allein lebten. Knapp warnt zudem vor einem wachsenden Generationenkonflikt: Immer weniger junge Menschen müssten eine wachsende Zahl alter Menschen versorgen, während die Sozialabgaben stark steigen könnten. Er fordert stattdessen Investitionen in öffentliche Pflegeinfrastrukturen und eine bessere Bezahlung von Pflegekräften. Nur so könne eine flächendeckende und effiziente Pflege sichergestellt werden. Priens Vorschlag würde lediglich den Personalmangel verschärfen und die Pflegekrise weiter verschlimmern. (Udo Knapp, taz)

Das ist das übliche Problem der CDU: ihre bevorzugten Politiken beißen sich gegenseitig und sind unvereinbar. Auf der einen Seite fahren sie eine wirtschaftsliberale Agenda: die Menschen sollen mehr arbeiten, die Erwerbsquote steigen. Dafür werden dann Maßnahmen gefordert, diskutiert und umgesetzt wie eine Aufhebung der maximalen Arbeitszeit, Steuerbefreiung von Überstunden, Anreize für Rentner*innen länger zu arbeiten, und und und. Auf der anderen Seite hat man aber das konservative Familienbild, das davon ausgeht, dass die Frau für Care-Arbeit kostenlos zur Verfügung steht - und damit eben nicht für den Arbeitsmarkt. Könnte die CDU alles umsetzen, was sie fordert, würde sie einerseits die Zahl der geleisteten Stunden erhöhen (Hurra, der Haupternährer sieht die Kinder noch weniger!) und auf der anderen Seite senken (Hurra, Mama pflegt die Großeltern zwischen Kochen und Hausaufgaben!). Dazu möchte man mehr abschieben und ausweisen und keinesfalls Anreize, aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland zu kommen (weniger Erwerbstätige), aber Migration von Fachkräften fördern (mehr Erwerbstätige). Das passt alles nicht zusammen. Aber da bei der CDU nie jemand nach konkreten Policies oder Realisierbarkeit fragt, spielt das auch keine große Rolle.

2) Die „Ent-Diabolisierung“ der politischen Rechten

In Frankreich hat sich der rechtspopulistische Rassemblement National (RN) unter Marine Le Pen und Jordan Bardella in den letzten Jahren strategisch gewandelt. Die Partei verfolgt eine Politik der „Ent-Diabolisierung“, um sich von ihrem rechtsextremen Image zu lösen und als mehrheitsfähige Kraft in der politischen Mitte zu etablieren. Le Pen hat den RN seit 2011 gezielt von antisemitischen und nationalsozialistischen Tendenzen befreit und sogar ihren Vater, Jean-Marie Le Pen, aus der Partei ausgeschlossen. Diese Strategie führte dazu, dass der RN bei den letzten Wahlen zur stärksten Oppositionskraft in der französischen Nationalversammlung wurde. Bardella wurde als erster RN-Chef zu einer internationalen Antisemitismuskonferenz eingeladen, was den Imagewandel unterstreicht. Doch trotz des Erfolgs zeigen interne Strukturen weiterhin autoritäre Züge, und es gibt berechtigte Zweifel, ob der demokratische Kurs tatsächlich von allen Parteimitgliedern getragen wird. Kritiker warnen vor den möglichen Kollateralschäden für die politische Mitte in Frankreich. (Martina Meister, Welt)

Mir fällt es sehr schwer zu beurteilen, wie gefährlich oder ungefährlich der RN nun tatsächlich ist. Offensichtlich geht das Martina Meister genauso, denn ihr Artikel ist voll von vorsichtigen Formulierungen, die alle Optionen offenlassen. Ihrer Analyse allerdings kann ich problemlos zustimmen. Die Strategie des RN unter Marine Le Pen (und wohl ihren Chargen ebenfalls) ist sonnenklar die Entdiabolisierung, und sie ist erfolgreich. Aus dem Bauch heraus würde ich sagen, dass eine Präsidentschaft Le Pens ähnlich aussehen würde wie die Regierung Meloni in Italien. Die Wahrscheinlichkeit ist gut, dass auch ein gehöriger Schuss der Verachtung von Rechtsstaat und Liberalismus dabei sein wird, der Trump, Orban oder Kazcinsky auszeichnet. Wie viel von den anderen, richtig ekligen Sachen noch zum Wesenskern der Partei gehören und nur versteckt werden, ist anyone's guess, aber die Chance ist gut, dass wir es bald herausfinden. Als letzter Gedanke: es bewahrheitet sich wie üblich, dass der Sprung nach rechts den Konservativen nicht eben geholfen hat. Um es milde auszudrücken.

3) A Disillusioned Musk, Distanced From Trump, Says He’s Exiting Washington

Elon Musk hat angekündigt, sich aus der Washingtoner Politik zurückzuziehen und stattdessen wieder stärker auf seine Unternehmen zu konzentrieren. Obwohl er weiterhin gute Beziehungen zu Präsident Trump pflegt, sei er frustriert über die bürokratischen Hürden, die er bei dem Versuch, die Verwaltung umzugestalten, erlebt habe. Musk kritisierte insbesondere Trumps neues Haushaltsgesetz, das seiner Meinung nach das Haushaltsdefizit erhöhen werde. Zudem blieb eine versprochene Spende von 100 Millionen Dollar an Trumps politische Organisation bisher aus. Seine Arbeit mit dem „Department of Government Efficiency“ (DOGE), das angeblich Milliarden einsparen sollte, wurde öffentlich teils als überzogen kritisiert. Musks Rückzug folgt auch persönlichen Enttäuschungen, etwa durch den Verlust eines teuren Wahlkampfs in Wisconsin. Trotz seiner Kritik bleibt sein Einfluss durch enge Vertraute in Regierungspositionen spürbar. Musk betonte zuletzt, sich wieder „24/7“ auf seine Firmen wie Tesla und SpaceX konzentrieren zu wollen. (Tyler Pager/Maggie Haberman/Theodore Schleifer/Jonathan Swan/Ryan Mac, New York Times)

Die wohl voraussehbarste Entwicklung der ganzen zweiten Trump-Amtszeit ist ehrlich gesagt noch früher eingetreten, als ich erwartet hatte. Immerhin kann ich mit einem gewissen Stolz vermerken, dass meine politischen Instinkte an der Stelle problemlos funktioniert haben. Dass die Kooperation zwischen Trump und Musk nur ein Ende haben konnte, nämlich dass Musk erkennen würde, dass er keine Macht hat und deswegen gehen würde, war von Anfang an klar, und ich habe das hier auch oft genug kommentiert. Dieses ganze Gerede vom "heimlichen Präsidenten" und so weiter dürfte, wenn man Trumps Mentalität in Betracht zieht, alles noch beschleunigt haben. Genauso war von Anfang an klar, dass DOGE ein gigantischer Fehlschlag werden würde, weil solche Sachen IMMER fehlschlagen. Ideologisch gesteuerte, bar jeder Sachkenntnis mit größter Radikalität agierende Operationen wie diese können nur fehlschlagen. Good riddance.

4) Wir haben es nicht geschafft

Ahmad Mansour wirft Angela Merkel vor, mit „Wir schaffen das“ einen strategischen Fehler begangen zu haben, indem sie moralische Appelle ohne konkrete Strategien zur Integration formulierte. Die Grenzen seien geöffnet worden, ohne dass es ausreichend klare Vorstellungen darüber gab, wie Integration konkret erreicht werden solle. Es habe an messbaren Zielen, Ressourcen und Strukturen gefehlt. Mansour betont, dass Integration mehr verlange als Sprachkurse oder Arbeitsmarktintegration – nämlich ein inneres Bekenntnis zu grundlegenden Werten wie Gleichberechtigung und Demokratie. Zudem sei die Überforderung von Schulen, Verwaltungen und Kommunen vorhersehbar gewesen. Kritik an der Migrationspolitik sei jedoch oft moralisch entwertet worden, wodurch der Aufstieg der AfD begünstigt worden sei. Er kritisiert, dass nicht genug investiert und gefordert worden sei, und warnt vor Parallelgesellschaften und der Gefahr der Radikalisierung. Mansour fordert nun einen Kurswechsel mit klarer Begrenzung der Zuwanderung und einer stärkeren Fokussierung auf Integration der bereits im Land befindlichen Menschen. Nur so könne Mitgefühl mit Ordnung verbunden werden. (Ahmed Mansour, Welt)

Was mich an dieser Kritik stört ist nicht das inhaltliche; dass das alles nicht hervorragend funktioniert hat, ist glaube ich Konsens. Auch die ständige Fehldarstellung des Kontexts von Merkels "Wir schaffen das" ist wohl nicht aus der Welt zu bekommen, dafür ist es einfach zu verlockend für das rechte Spektrum. Nein, was mich nervt ist vielmehr einerseits die Nicht-Anerkennung dessen, was da eigentlich trotz allem geleistet wurde und wie viel gemacht wurde; Deutschland leistet bei der Integration einiges mehr als viele andere Länder. Dass wir den Geflüchteten bekloppte Regeln auferlegen, die das alles konterkarieren (besonders das Arbeitsverbot), wird hier ja nie erwähnt. Und andererseits, dass daraus nichts folgt außer einem "hab's ja immer schon gesagt". Großartig, meckern kann jeder. Aber ich höre von Seiten derer, die kritisieren, dass die "messbaren Ressourcen und Strukturen fehlen", nie, dass man die schaffen müsste. Stattdessen wollen die das üblicherweise kürzen, denn Gott bewahre wenn da Geld ausgegeben oder gar Personal investiert wird. Das ist einer der üblichen inneren Widersprüche bei dem Ding: man beklagt lautstark ein Fehlen von Ressourcen, wehrt sich aber mit Händen und Füßen dagegen, die bereitzustellen, weil man die Leute ja gar nicht integrieren will, die sollen ja schließlich wieder gehen. Solche Widersprüche gibt es übrigens auf der anderen Seite auch zuhauf, ich hatte darüber geschrieben. Deswegen sind wir ja in so einer Sackgasse.

5) Heide Lutosch: »Der Kapitalismus fordert viel Liebe«

Heide Lutosch kritisiert die Familienpolitik und die Rolle der Familie im Kapitalismus. Sie argumentiert, dass Familienarbeit unbezahlt bleibt und durch emotionale Stabilität und Pflege die Reproduktion der Arbeitskraft sicherstellt. Die Familie dient somit als Stabilisator der Gesellschaft, was sich auch in politischen Programmen widerspiegele, die sie als „Leistungsträger“ preisen. Lutosch erklärt, dass staatliche Versprechungen wie eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie nur die doppelte Belastung verstärken, da die Logiken von Lohnarbeit und Familienleben schwer vereinbar seien. Die Liebe, die die Politik betone, sei eher eine moralische Pflicht als ein echtes Gefühl, das vor allem an Frauen gerichtet sei. Diese Erwartungen führten oft zu Schuldgefühlen und Überlastung. Lutosch fordert eine Vergesellschaftung der Sorgearbeit und eine Abkehr vom traditionellen Familienbild. In einer befreiten Gesellschaft könnte Arbeit zwischen Produktiv- und Care-Arbeit aufgeteilt werden, um Druck und Isolation zu mindern. Auch neue Familienmodelle wie Mehr-Elternschaft könnten entstehen, die Verantwortung und Geborgenheit kollektiv organisieren. (Stephan Kaufmann, Neues Deutschland)

Ich zitiere normalerweise nicht das "Neue Deutschland", aber in dem Fall mache ich eine Ausnahme, weil ich diese Argumentation so faszinierend finde. Lutosch spricht einen zentralen Punkt an, der von progressiver Seite mittlerweile absolut Konsens ist: die Anerkennung von Care-Arbeit als (üblicherweise unbezahlte) Zusatzarbeit, die Frauen aufgebürdet wird. Was das Lutosch-Interview hier zeigt ist aber, dass diese Anerkennung alleine wenig nützt, weil weder die Ursachen dafür noch die entsprechenden Rezepte klar sind. Wenig überraschend für das "Neue Deutschland" ist die Antwort, woher das Problem kommt, der böse Kapitalismus. Das ist aber Quatsch. Denn die von Lutosch geforderte Abschaffung des Kapitalismus (die das Ende des Interviews in ein unfreiwillig komisches Ansammeln von linken Phrasen abgleiten lässt) würde am grundlegenden Problem nicht die Bohne etwas ändern, weil die Ursachenbeschreibung völlig daneben ist. Hätte sich Lutosch (oder Kaufmann) einmal dahingehend kritisch mit der DDR beschäftigt, dass sie ein beliebiges halbwegs aktuelles Geschichtsbuch aufschlagen, dann hätten sie dort nachlesen können, dass die Frauen in der Spätphase des geteilten Deutschlands weniger, nicht mehr, gleichberechtigt waren als in der BRD und dass ihre Doppelbelastung durch den Haushalt höher, nicht geringer war, als in der Bundesrepublik. Und das, wo die DDR doch so "erfolgreich" den Kapitalismus überwunden hatte. Auch blinde Hühner finden manchmal Körner, aber das Aufpicken eines solchen lässt das Huhn trotzdem blind zurück, und es wird beim nächsten Mal immer noch willkürlich am Boden herumsuchen, statt irgendeine relevante Information aus dem gefundenen Korn ziehen zu können.

Resterampe

a) Natürlich darf Jette Nietzard linksradikales Zeug reden (Welt). Vergiftete Großzügigkeit natürlich, aber trotzdem schön, dass Anna Schneider hier konsequent ist.

b) Guter Artikel dazu, warum Bildungsvoraussetzungen für das Wahlrecht eine dumme Idee sind. (Campaign Trails)

c) Surprise, die Chinesen nutzen uighurische Sklavenarbeit. (The Bureau Investigates)


Fertiggestellt am 31.05.2025

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