Kürzlich las ich, dass im Kindersport zunehmend der Wettkampfcharakter rausgenommen wird, indem beispielsweise in der G- und F-Jungend beim Fußball keine Tore mehr gezählt werden und es keine Tabellen mehr gibt (s. hier) oder bei Bundesjugendspielen die Leistungen von Grundschülern nicht mehr so genau gemessen werden sollen (s. hier). Ich weiß ja nicht, ob das wirklich so sinnvoll ist …
Das mag jetzt zunächst mal ein bisschen absurd klingen, wenn Ihr meine Artikel hier verfolgt, die ich seit einigen Jahren veröffentliche. Normalerweise sehe ich ja das Wettbewerbsdenken eher kritisch und beklage auch oft die Entsolidarisierung der Gesellschaft. Ist es da nicht positiv, wenn man den Konkurrenzgedanken bei Sport zumindest bei kleineren Kindern außen vor lässt?
Hier stehen nun m. E. zwei Schutzräume gegenüber, die es abzuwägen gilt: der Schutzraum Kindheit und der Schutzraum Sport.
Der Schutzraum Kindheit wird dabei immer brüchiger, denn Kinder werden zunehmend als kleine Konsumenten gesehen, was nicht eben besonders kindspezifisch ist. Dabei bleiben dann einige kognitive und auch soziale Kompetenzen auf der Strecke, die sich eigentlich in diesem Schutzraum Kindheit entwicklen sollten, damit sie dann bei jungen Erwachsenen herangereift sind – was eben immer häufiger nicht mehr hinhaut, wie ich ja vorvorletzte Woche schon mal in einem Artikel thematisiert habe.
Und dann haben wir da den Schutzraum Sport, der eben vom realen Leben ein Stück weit entkoppelt ist. Die Spieler in der gegnerischen Fußballmannschaft auf dem Bolzplatz können sehr gut meine besten Freunde sein, mit denen ich nach dem Kick dann noch andere Sachen zusammen mache. Die Wettbewerbssituation ist also genau zeitlich und räumlich definiert, zudem dient sie vor allem der Freude am Spiel. Das ist eben das Besondere am Sport (wobei das für den Profisport natürlich nicht gilt): Das, was man da macht, hat nach dem Ende der sportlichen Betätigung keine weiteren Auswirkungen mehr – es sei denn, dass man am nächsten Tag vielleicht ein bisschen Muskelkater hat.
Und so ergeben sich in diesem Schutzraum Sport wichtige Erkenntnisse, die auch damit zusammenhängen, dass es dabei dann Sieger und Verlierer gibt:
- Messe dich im Sport mit anderen, aber nicht im normalen Leben.
- Du kannst dich verbessern, wenn du etwas übst.
- Es ist wichtig, sowohl bei Gewinnen als auch beim Verlieren Größe zu zeigen.
- Bei Mannschaftssportarten: Man gewinnt als Team und man verliert als Team.
- Fairness ist wichtiger als ein auf betrügerische oder unsportliche Weise errungener Sieg.
- Manchmal gehört einfach auch nur Glück dazu, um erfolgreich zu sein.
- Eine knappe Niederlage kann mehr Spaß machen als ein allzu deutlicher Sieg.
Bolzplatz und Co. können also eine sehr wichtige Rolle einnehmen bei der Sozialisation von Kindern und recht universelle Werte vermitteln, die auch über den Sport hinaus Gültigkeit haben können. Und das auch schon ohne eine fachliche pädagogische Begleitung. Um wie viel besser funktioniert dass dann erst in Sportvereinen, wenn ein Trainer diese Werte noch mal extra betonen und hervorheben kann?
Was noch hinzukommt: Auch Kinder schauen Sport im Fernsehen oder live, und da wird dann auf Ergebnis gespielt, es gibt Gewinner und Verlierer. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die dann auf dem Bolzplatz das großartig anders machen werden – zumindest wären wir als Kinder da nicht drauf gekommen. Ist es da nicht etwas seltsam, wenn man in seiner Freizeit mit seinen Kumpels anders kickt (oder natürlich irgendeine andere Sportart macht) als im Verein oder in der Schule? Ich kann mir zumindest vorstellen, dass dann viele Kids den ergebnislosen Sport nicht als wirklich ernsthaft ansehen – es geht ja um nichts. Und auch Kinder messen sich eben ständig mit anderen, was auch o. k. ist, wenn dies spielerisch geschieht. Das fängt schon bei Brettspielen an, die ja bereits in sehr frühem Alter gespielt werden. Soll dann beim Mensch-ärgere-dich-nicht etwa auch nicht mehr gewürfelt werden, und alle eiern da mit ihren Spielfiguren irgendwie auf dem Feld rum? Klingt ja nach richtig viel Spaß …
Wir leben leider in einer Zeit, in der die Menschen immer mehr auf Wettbewerb und Konkurrenzdenken getrimmt werden. Das macht auch vor Kindern nicht halt, denn schließlich gibt es immer noch Noten in Schulen (was einige Pädagogen oder Neurowissenschaftler, wie beispielsweise Gerald Hüther, ja als überkommen ansehen), der Karriereweg der lieben Kleinen wird oft schon in jungen Jahren vorbereitet mit zusätzlichen Sprach-, Musik- und sonst was für Kursen, die bei vielen Kindern zu einer straff durchorganisierten Freizeit führen, viele Kinder haben im Laufe der Schulzeit bereits ein Burn-out erlitten – und dann soll gerade in dem Bereich, in dem es eigentlich in Ordnung ist, sich mit anderen zu messen, der Wettbewerbsgedanke raugenommen werden. Irgendwie reichlich absurd, oder?
Natürlich gibt es übereifrige Eltern, die schon bei Achtjährigen am Spielfeldrand stehen und wie die Irren rumbölken, den Schiedsrichter beschimpfen oder den eigenen Trainer rundmachen, wenn denn der kleine Prinz oder die kleine Prinzessin nicht so spielt, wie es sich für den kommenden Nationalspieler gehören würde. Nur finde ich es eben verkehrt, diesem Missstand damit zu begegnen, indem man die Ergebnisse einfach weglässt. Vielmehr wäre es sinnvoll, die oben aufgeführten Werte noch stärker zu vermitteln und den Fairplay-Gedanken immer wieder zu betonen. Das könnte dann nämlich dazu führen, dass sich die Kids in späteren außersportlichen Konkurrenzsituationen auch anständig verhalten – und nicht den Erfolg um jeden Preis zu erzielen suchen.
Denn so was lernt man vor allem im fair geführten Wettkampf, der auch noch Spaß macht.
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