Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) Wir brauchen kein Kanonenfutter

In dem Gastbeitrag von Julian Werner wird die Debatte um Wehrpflicht und Aufrüstung der Bundeswehr als realitätsfern kritisiert. Zwar bestehe Einigkeit darüber, dass Deutschland seine Verteidigungsfähigkeit stärken müsse, doch werde dies oft auf Personalzahlen reduziert, nicht auf tatsächliche Einsatzbereitschaft. Der Autor warnt davor, Wehrdienstleistende oder Reservisten unzureichend vorbereitet in moderne Gefechtsszenarien zu schicken. Ein Wehrdienst von sechs Monaten sei dafür nicht ausreichend. Er betont, dass „Wehrpflicht Kriegsdienst“ bedeute – nicht bloß Kameradschaft oder Orientierung. Angesichts der Komplexität moderner Kriegsführung – etwa im Häuserkampf, im Umgang mit Drohnen oder bei logistischen Anforderungen – brauche es intensive, truppenspezifische Ausbildung, wie sie früher über 15 bis 18 Monate geleistet wurde. Fehlende Ausbilder, Kasernen und Ausrüstung verschärften die Situation zusätzlich. Die Konzentration auf bloße Kopfzahlen verkenne, dass eine Armee nur so wirksam sei wie ihr Ausbildungsstand. Die politische Rhetorik bleibe oft vage, während die Bedrohungslage – etwa durch den Krieg in der Ukraine – konkreter werde. Werner plädiert daher für „kriegstaugliche Ausbildungskonzepte“ und eine realistische sicherheitspolitische Debatte, die den Begriff der Wehrhaftigkeit ernst nehme. (Julian Werner, ZEIT)

Werner hat wesentlich mehr Fachkenntnisse als ich auf dem Gebiet, deswegen sage ich das mit aller gebotenen Vorsicht: ich fürchte, er hat Unrecht. Ich verweise dazu auf meinen eigenen Artikel von 2022 (Punkt 3), in dem ich bereits festgestellt habe, dass der Ukrainekrieg zeigt, wie schnell in einem echten Konflikt der "professionelle" Grundbestand der Armee aufgefressen wird - eine Erfahrung, die konsistent mit anderen Kriegen aus der Vergangenheit ist. Bereiten wir die Bundeswehr tatsächlich auf einen konventionellen Krieg gegen einen Feind mit einer vergleichbaren konventionellen Armee vor, dann braucht es massenhaft Personal, das in die unvermeidlich entstehenden Lücken gestopft werden kann. Das ist eine, milde ausgedrückt, unangenehme Vorstellung. Aber ich halte es für unrealistisch anzunehmen, dass die Bundeswehr - auch mit einem Erreichen ihrer Personalziele und dann einer Truppenstärke von etwa 250.000 Soldat*innen und einem etwa gleich großen Pool Reservist*innen - einen Krieg wie in der Ukraine würde führen können. Die Probleme scheinen mir eher politisch zu sein, nämlich eine Wehrpflicht einzuführen, die wesentlich länger als 12 Monate dauert (was, da stimme ich Werner zu, die einzig sinnvolle Variante wäre). Aber vielleicht liege ich da auch falsch.

2) Why Keir Starmer made Nigel Farage Britain’s ‘real opposition’

In dem Gastbeitrag von Julian Werner wird die Debatte um Wehrpflicht und Aufrüstung der Bundeswehr als realitätsfern kritisiert. Zwar bestehe Einigkeit darüber, dass Deutschland seine Verteidigungsfähigkeit stärken müsse, doch werde dies oft auf Personalzahlen reduziert, nicht auf tatsächliche Einsatzbereitschaft. Der Autor warnt davor, Wehrdienstleistende oder Reservisten unzureichend vorbereitet in moderne Gefechtsszenarien zu schicken. Ein Wehrdienst von sechs Monaten sei dafür nicht ausreichend. Er betont, dass „Wehrpflicht Kriegsdienst“ bedeute – nicht bloß Kameradschaft oder Orientierung. Angesichts der Komplexität moderner Kriegsführung – etwa im Häuserkampf, im Umgang mit Drohnen oder bei logistischen Anforderungen – brauche es intensive, truppenspezifische Ausbildung, wie sie früher über 15 bis 18 Monate geleistet wurde. Fehlende Ausbilder, Kasernen und Ausrüstung verschärften die Situation zusätzlich. Die Konzentration auf bloße Kopfzahlen verkenne, dass eine Armee nur so wirksam sei wie ihr Ausbildungsstand. Die politische Rhetorik bleibe oft vage, während die Bedrohungslage – etwa durch den Krieg in der Ukraine – konkreter werde. Werner plädiert daher für „kriegstaugliche Ausbildungskonzepte“ und eine realistische sicherheitspolitische Debatte, die den Begriff der Wehrhaftigkeit ernst nehme. (George Parker/Jim Pickard, FT)

Ich sage schon seit Längerem, dass eine solche Auseinandersetzung mit der AfD auch sinnvoll wäre. Anstatt die Partei zu behandeln wie Voldemort und ihr quasi mystische Qualitäten zuzuschreiben, andererseits aber auf einem argumentativ nicht wirklich unterfütterten Ausschluss zu beharren, sollte man genau diese Unterfütterung bereitstellen und sich mit der Partei inhaltlich auseinandersetzen. Gerade in manchen östlichen Ländern kommt man doch gar nicht umhin, die als die große Oppositionspartei zu betrachten. Aber es herrscht immer noch der Gestus vor, man könne die Massen der AfD-Wählenden einfach wieder gewinnen, wenn man nur den richtigen Knopf drücke. Bei der CDU herrscht da gerne die Vorstellung, nur noch ein Abschiebeflieger mehr, und die "ungezogenen Kinder" kommen zurück; bei den Progressiven braucht es häufig eigentlich nur eine Mindestlohnerhöhung, und die frustrierten Massen kehren zurück in den Schoß der LINKEn oder Sozialdemokratie. Beides ist Quatsch.

3) Wenn sich mächtige Männer als Außenseiter inszenieren

In dem Artikel von Johannes Franzen wird kritisiert, wie sich prominente Männer aus Medien und Politik als Opfer einer vermeintlich unterdrückenden Meinungsfreiheit inszenieren. Diese Männer – etwa Richard David Precht, Markus Lanz, Dieter Nuhr oder Ulf Poschardt – verfügten über enorme mediale Reichweite, Reichtum und institutionellen Rückhalt, klagten jedoch darüber, „man dürfe nichts mehr sagen“. Dies sei Ausdruck einer „allgemeinen Machtvergessenheit“, also der Unfähigkeit, reale Machtverhältnisse zu erkennen. Die angebliche Gefahr für die Meinungsfreiheit werde dabei nicht von staatlicher Repression, sondern von „sozialen Kosten“ wie Kritik beschrieben. Franzen zeigt auf, dass diese Debatte strategisch geführt werde, um einen Außenseiterstatus zu behaupten, obwohl die Betreffenden zu den gesellschaftlichen Eliten zählen. Die rechte Rhetorik von „Cancel Culture“ werde so übernommen und normalisiert. Besonders problematisch sei der Versuch, progressive Kritik an Diskriminierung mit autoritärer Politik gleichzusetzen – etwa wenn die „Wokeness von rechts“ als Reaktion auf linke Diskurse dargestellt werde. Die vermeintlichen Opfer wollten zwar austeilen, jedoch keine Kritik einstecken. So entstehe eine „mediale Schmierenkomödie“, bei der die wahren Machtverhältnisse bewusst verschleiert würden. (Johannes Franzen, Übermedien)

Diese Selbstinszenierung ist wirklich hochgradig albern. In einem sich rapide nach rechts schiebenden Meinungsspektrum ist die Vorstellung, man dürfe die Dinge nicht sagen, die ein Ulf Poschardt oder Dieter Nuhr sagt, hanebüchen. Das ist wie sich 2009 beschweren, dass man nicht sagen darf, dass Deutschland ein Problem mit sozialer Ungleichheit hat. Ich finde allerdings den Begriff der "rechten Wokeness" gar nicht so schlecht wie Franzen. Er wird inzwischen ziemlich häufig verwendet, vor allem im amerikanischen Kontext (wo der ganze Kram ja immer herkommt). "Woke" ist als Begriff so inhaltsleer, dass es eh nur noch ein Schimpfwort ist; da können die gerne die Früchte ernten, die sie gesät haben. Wo ich völlig bei Franzen bin ist die Verurteilung der Ekelhaftigkeit der Schuldzuweisung, dass AfD, Trump und Konsorten die alleinige Schuld derjenigen seien, die für emanzipatorische Ziele gekämpft hätten. Da wäre etwas mehr Selbstkritik durchaus angebracht.

Siehe zum Thema auch Resterampe h)

4) Die Frage nach der Legalität

In seinem Meinungsbeitrag analysiert Clemens Wergin die rechtliche und politische Bewertung des israelischen Angriffs auf iranische Nuklearanlagen. Die zentrale Frage lautet, ob es sich dabei um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg oder um legitime Selbstverteidigung handelt. Israel begründet den Angriff mit der unmittelbar bevorstehenden Vollendung des iranischen Atomprogramms, das eine existenzielle Bedrohung darstelle. Kritiker hingegen verweisen auf Artikel 51 der UN-Charta, der nur eine Reaktion auf einen bereits begonnenen Angriff erlaubt, nicht aber präventive Militärschläge. Wergin argumentiert, dass die Rechtslage komplexer sei, als Kritiker suggerieren. Er verweist auf den Präzedenzfall des Sechstagekriegs 1967, bei dem ein präemptiver Angriff Israels als legitim anerkannt wurde. Die entscheidende Frage sei, ob der Iran durch sein Nuklearprogramm und seine wiederholten Vernichtungsdrohungen eine unmittelbare Gefahr darstelle. Aus Sicht des Autors ist dies gegeben – auch, weil sich beide Länder bereits faktisch im Kriegszustand befänden, etwa durch verdeckte iranische Kriegsführung über Milizen wie Hamas oder Hisbollah sowie direkte Raketenangriffe. Der Autor kommt zu dem Schluss, dass unter diesen Umständen auch militärische Ziele im Iran legitime Angriffsziele seien. Er kritisiert die juristische Debatte als realitätsfern und verweist auf das anhaltende Fehlen eines Waffenstillstands. Israels Handeln sei daher völkerrechtlich vertretbar, so die Kernaussage des Textes. (Clemens Wergin, Welt)

Ich halte das für eine recht irrelevante Frage. Der Angriff ist durch das Völkerrecht nicht gedeckt, das scheint mir ziemlich klar. Nur ist die Einschätzung Wergins ja eine ganz andere, nämlich, dass das Völkerrecht an der Stelle die Problematik kaum abdeckt. Das sagt er ja am Ende selbst: es ist realitätsfern. Im Übrigen ist diese Debatte schon wieder eine sehr deutsche, in der vor allem innenpolitische Streitigkeiten ausgetragen werden, die Realitäten in Israel und Iran selbst aber nur eine bestenfalls untergeordnete Rolle spielen. So kapriziert sich gerade alles auf die Äußerung Merz', dass Israel "unsere Drecksarbeit" mache. Wo die einen wie Severin Weiland im Spiegel das "gefährlich" finden, begeistert sich Anna Schneider in der Welt vor allem dafür, dass die Linken getriggert wurden. Libs erfolgreich geowned, "alles richtig gemacht, Volltreffer". Man würde gerne etwas Substanzielles zu Militärschlagen und internationalen Beziehungen lesen, aber da hofft man wohl vergebens.

5) Ohne Kürzungen im Sozialstaat ist das 3,5-Prozent-Ziel nicht zu erreichen

In seinem Meinungsbeitrag kommentiert Tobias Blanken die Forderung von SPD-Parteichef Lars Klingbeil, die Verteidigungsausgaben auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Dies entspräche etwa 150 Milliarden Euro jährlich. Klingbeils Vorstoß erfolgte mit Verweis auf die sicherheitspolitische Lage, den anstehenden NATO-Gipfel und das Ziel, für mehr Sicherheit zu sorgen. Innerhalb der SPD sei diese Position jedoch umstritten, da viele Mitglieder Ausgaben im Sozialbereich bevorzugen würden. Blanken sieht Klingbeils Haltung in der Tradition Willy Brandts, dessen Regierung ähnliche Ausgaben tätigte. Der Autor argumentiert, dass Friedenssicherung eine Priorität sei, der sich andere Ausgaben unterordnen müssten. Gleichzeitig merkt er an, dass Klingbeil bisher vermieden habe, die notwendigen finanziellen Konsequenzen offenzulegen. Eine Finanzierung über neue Schulden sei kaum möglich, da sie Deutschlands Kreditwürdigkeit gefährden könne. Auch kleinere Einsparungen reichten nicht aus. Blanken stellt fest, dass drastische Kürzungen im Sozialstaat unumgänglich wären, um das Ziel zu erreichen. Dies beträfe nicht nur das Bürgergeld, sondern auch Bereiche wie Rente und Familienförderung. Er fordert Klingbeil dazu auf, dies offen zu benennen: „Der Gürtel – euer Gürtel! – muss jetzt enger geschnallt werden.“ Nur mit dieser Ehrlichkeit könne die Debatte glaubwürdig geführt werden. (Tobias Blanken, Welt)

Einmal als Nebenbemerkung, dieses ständige Berufen auf Willy Brandt seitens der Pro-Rüstungsausgaben-Bubble wird langsam auch nervig. Ja, da war ein gewisser Revisionismus gegenüber den Linken nötig, die Willy Brandts Regierungspolitik und Erbe reichlich verzerrt in ihren Dienst zu stellen versucht hatten, aber Blankens Argumentation hätte er sicher nicht zugestimmt, und das weiß Blanken sicher auch. Das ist einfach unehrlich und auch unnötig. Aber ich schweife ab. Ich halte das, was Blanken hier fordert, für völlig realitätsfremd. Die Vorstellung, mit massiven (!) Rentenkürzungen die Aufrüstung zu finanzieren, ist hanebüchen. Nichts ist in Deutschland so sehr elektorales Gift wie Rentenkürzungen, und das mit einem ohnehin nicht gerade super populären Thema wie Aufrüstung zu verbinden, auch noch explizit - das ist eine Einladung für die Ränder. Sowohl die LINKE als auch die AfD hätten einen field day. Es ist auch wohlfeil, dass Blanken diesen Aufruf an die SPD richtet. Die sind ja schließlich die, die den Preis dafür zahlen müssten. Die Partei muss gerade schon die Kröte einer wesentlich robusteren Außen- und Sicherheitspolitik schlucken (und wir sehen an dem dummen Manifest ja die Verwerfungen). Es ist politisch überhaupt nicht machbar, was Blanken hier fordert.

Resterampe

a) Kritischer Artikel zur NGO-Geschichte. (NTV)

b) Natürlich ist ein Veteranentag Sympolpolitik. (Spiegel) Sieht man halt wieder, welche Folgen es hat, manche Worte negativ zu konnotieren. Manche Symbole will man ja auch.

c) Diese Abschiebepolitik ist und bleibt ein Desaster. (Tagesschau)

d) Grundregel: nichts von dem, was Leute vor dem Wort "aber" sagen, zählt etwas. (Twitter)

e) Vortrag von Bob Blume. (Youtube)

f) Schöner Artikel zur Rüstungsdebatte. (Spiegel)

g) Why Isn’t Russia Defending Iran? (The Atlantic)

h) Adrian Daub hat "Alter weißer Mann" rezensiert. (Dreams of Which House)


Fertiggestellt am 19.06.2025

Dir gefällt, was Stefan Sasse schreibt?

Dann unterstütze Stefan Sasse jetzt direkt: