Wendelstein 7-X bricht Rekorde, das Startup Proxima Fusion sammelt Millionen ein. Die technische Basis für eine sichere, unerschöpfliche Energiequelle ist da. Doch das alte Muster droht: Die Erfindung ist deutsch, die Industrialisierung wird woanders stattfinden. Die Frage ist nicht mehr, ob Fusionsenergie kommt, sondern wer sie baut.

Das Fundament: Weltklasse-Forschung made in Germany


Deutschlands Stärke in der Fusionsforschung ist seit Jahrzehnten unbestritten.¹ Getragen von der Max-Planck-Gesellschaft haben die Institute in Garching und Greifswald zwei Schlüsselprojekte vorangetrieben: den Tokamak in Garching und den einzigartigen Stellarator Wendelstein 7-X (W7-X) in Greifswald.¹
Letzterer hat im Mai 2025 bewiesen, dass der deutsche Ansatz weltweit führend ist. Der Reaktor erzielte einen Weltrekord, indem er einen Plasmazustand für 43 Sekunden bei Temperaturen von über 20 Millionen Grad Celsius stabil hielt.¹⁰Für Forscher ist dies ein Durchbruch, der zeigt, dass die physikalischen Grundlagen für einen Dauerbetrieb geklärt sind. Die verbleibenden Hürden sind vor allem ingenieurtechnischer Natur.¹⁰

Der Sprung: Vom Labor zum Startup
Dass diese Erkenntnis nicht im Elfenbeinturm verblieb, zeigt die Gründung von Proxima Fusion im Jahr 2022.Als erste Ausgründung aus dem Max-Planck-Institut für Plasmaphysik signalisiert das Unternehmen einen fundamentalen Wandel: Die Wissenschaftler sind überzeugt, genug zu wissen, um den Schritt in die industrielle Umsetzung zu wagen.Das Vertrauen der Märkte spiegelt sich in einer Rekordfinanzierung wider. Das Startup sammelte kürzlich 130 Millionen Euro in einer privaten Finanzierungsrunde ein, was das gesamte Kapital auf über 185 Millionen Euro erhöht.³Das Ziel ist ambitioniert: Bis etwa 2030 soll ein Demonstrator („Alpha“) gebaut werden, der erstmals mehr Energie erzeugt, als er verbraucht (Nettoenergiegewinn).³
Anschließend soll ein erstes Kraftwerk in den 2030er Jahren ans Netz gehen.

Die Chance: Ein historisches Zeitfenster
Die Gelegenheit für Deutschland ist einzigartig. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten rückt die Vision der Kernfusion in greifbare Nähe, und Deutschland sitzt am Steuer.¹ ¹⁰
Der technologische Vorsprung aus jahrzehntelanger Grundlagenforschung ist immens. Der Stellarator-Ansatz von W7-X verspricht von Natur aus einen stabileren Dauerbetrieb als konkurrierende Tokamak-Designs.¹ Zudem verfügt Deutschland über die notwendige industrielle Basis in Präzisionsmechanik, Kryotechnik und Magnettechnik. Angesichts der Klimakrise und des Drucks auf die Energieversorgungssicherheit hat die Technologie zudem höchste politische Relevanz.

Das Risiko: Das „Sono Sion“-Syndrom
Doch genau hier lauert die größte Gefahr: das Scheitern nicht an der Physik, sondern an der Übersetzung in die industrielle Praxis. Das Muster ist in der deutschen Wirtschaftsgeschichte wohlbekannt: Innovation in Deutschland, Industrialisierung elsewhere. Die Finanzierung von Proxima Fusion, so rekordverdächtig sie ist, bleibt ein Bruchteil dessen, was für den Bau eines ersten kommerziellen Kraftwerks benötigt wird (geschätzt 500 Mio. bis 1 Mrd. Euro).³ Ohne eine entschlossene, langfristige und risikobereite Kapitalbereitstellung aus Industrie und Staat droht das Startup zum nächsten „technisch brillant, aber wirtschaftlich verpasst“-Beispiel zu werden.

Der globale Wettlauf: Agilität gegen Masse
Deutschland und Europa haben keine Zeit zu verlieren. Die globale Konkurrenz schläft nicht. In den USA pumpen Venture-Capital-Geber und der Staat Milliarden in private Fusionsunternehmen wie Commonwealth Fusion Systems.²⁰ China verfolgt einen aggressiven Mehrgleis-Ansatz mit parallelen Demonstratoren.²¹ Das europäische Großprojekt ITER in Frankreich hingegen, ein Tokamak, ist ein behäbiger Koloss, der unter politischer Schwerfälligkeit und langen Zeitplänen leidet.² ⁵ ⁸Während Europa diskutiert, bauen andere.

Fazit: Die Entscheidung steht an
Deutschland steht an einem Wendepunkt. Die Frage ist nicht, ob die Kernfusion möglich ist – die Forschungsrekorde beweisen, dass sie es ist.¹⁰ Die Frage ist auch nicht, ob sie gebraucht wird – als grundlastfähige, saubere Energiequelle wäre sie ein Game-Changer. Die entscheidende Frage lautet: Will Deutschland nur wissen, oder will es auch liefern?
Die Geschichte des Verbrennungsmotors, des Computers und der Photovoltaik lehrt uns, dass der, der die Industrialisierung meistert, den größten Nutzen zieht. Die physikalischen Pionierleistungen in Greifswald und Garching haben das Fenster aufgestoßen.¹
Ob Proxima Fusion und damit Deutschland durch dieses Fenster in die Zukunft treten, oder ob andere es tun werden, hängt jetzt nicht von den Ingenieuren, sondern von Mut, Investitionsbereitschaft und politischer Entschlossenheit ab.³ Die Chance ist da. Verpassen wir sie nicht schon wieder.

Hinweis:

  • ¹ Max-Planck-Institut für Plasmaphysik / IPP-Profile Greifswald
  • ²,⁵,⁸ Berichte zu ITER-Verzögerungen und politischer Trägheit
  • ³,⁶,⁹ Proxima-Fusion-Pressemitteilungen und Berichte (Finanzierung, Alpha, Zeithorizont 2030er)
  • ¹⁰ IDW-/Research-in-Germany-Meldung „Ten years of Wendelstein 7-X“
  • ²⁰,²¹ Überblicksquellen zu US-/China-Fusionsaktivitäten


  1. https://www.uni-greifswald.de/en/research/research-profile/science-net-greifswald/max-planck-institute-for-plasma-physics-ipp/
  2. https://www.research-in-germany.org/idw-news/en_US/2025/12/2025-12-01_Ten_years_of_Wendelstein_7-X___ten_years_of_world-leading_fusion_research.html
  3. https://sciencebusiness.net/news/nuclear-fusion/iter-project-should-get-political-says-christian-ehler-mep
  4. https://www.proximafusion.com/press-news/proxima-fusion-raises-eu130m-series-a-to-build-worlds-first-stellarator-based-fusion-power-plant-in-the-2030s
  5. https://idw-online.de/en/news?print=1&id=815160
  6. https://sciencebusiness.net/news/iter-faces-further-delays-if-key-parts-stuck-russia
  7. https://www.innovationnewsnetwork.com/proxima-fusion-unveils-breakthrough-concept-for-commercial-fusion-power-plant/55878/
  8. https://www.thalesgroup.com/en/news-centre/press-releases/thales-and-max-planck-institute-plasma-physics-set-world-record-field
  9. https://www.nucnet.org/news/eur20-billion-iter-project-could-face-years-of-delays-says-new-boss-1-3-2023
  10. https://www.world-nuclear-news.org/articles/german-stellarator-fusion-design-concept-unveiled

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