Was die derzeitigen Festklebe- und Gemäldebesudel-Aktionen der Aktionsgruppe 'Letzte Generation' angeht, wohnen zwei Seelen, ach, in meiner Brust: Einerseits habe ich volles Verständnis für die Proteste der jungen Leute und ich finde, sie sind noch viel zu wenig radikal. Man sollte bedenken, dass für sie die Sache mit dem Klimawandel vielleicht mit etwas größerer Dringlichkeit sich darstellt als für unsereins Alte Säcke mit nur noch wenigen Jahrzehnten statistischer Restlaufzeit auf der Uhr. Der ekelhaft belehrende Tonfall, dieses Predigen von oben herab, wie er jetzt aus diversen Medien den Jugendlichen entgegenschallt ("Liebe Jugend von heute! Demos sind ja ganz okay, aber bei festkleben und Tomatensuppe und Kartoffelpü, da hört der Spaß auf, ja?"), auf dass nichts ihre Bräsigkeit störe, würde mich vermutlich noch zu ganz anderen Aktionen anstacheln.
Es ist immer wieder herzig. Da pröppern Boomer sich seit Ewigkeiten auf über die angeblich so unpolitische, indifferente Jugend ("Wir damals, wir haben noch..."). Und wenn sie dann doch mal politisch wird, die Jugend, dann ist auch das wieder nicht recht. Moment mal! Widerstand, gut und schön, aber bitte so, wie wir uns das vorstellen, ja? "Anmaßend", heißt es da. "Hört auf mit der Opferrolle!", "Runter von der Straße!" wird da anlässlich des Todes einer Aktivistin in Berlin nicht nur plump rumgeduzt, sondern auch rumkommandiert. Höre ich da neben autoritärem Bedürfnis nach Bestrafen vielleicht auch ein wenig Neid heraus auf diese Jugendlichen, die Dinge tun, die man selbst sich früher nie getraut hat oder für die man zu faul war? Nicht? Dann habe ich natürlich nichts gesagt.
Was glauben diese Blitzbirnen? Widerstand, der niemandem wehtut und brav um Erlaubnis fragt, ist keiner. Hätte irgendeine Widerstandsbewegung der letzten Jahrzehnte irgendwas erreicht, wenn sie immer so: "Ey, liebe Männer/Weiße/Heteros/Kapitalisten etc., ist das okay so für euch oder ist das zu heavy jetzt? Okay, sorryyyyy!"? Und passt mal auf, liebe Alterskohortengenosssen, wenn diese Jugendlichen richtig die Faxen dicke haben. Es gibt da nämlich eine schlechte Nachricht: Junge Menschen tendieren dazu, mehr Energie zu haben und weit kreativer zu sein als unsereins. Oder in zehn, zwanzig Jahren, wenn wir beginnen, die Pflegeeinrichtungen zu bevölkern und hilf- und wehrlos davon abhängen, von diesen Leuten gepflegt zu werden -- uiuiui, das wird lustig!
Einerseits. Andererseits: Ja, die Kritik ist nicht völlig unberechtigt. Radikalität, die allein Aufmerksamkeit generiert, und sei es aus den ehrenwertesten Motiven heraus, bringt erstmal gar nichts. Weil auch der ärgste Klimaignorant kaum seine Meinung ändern wird, weil ein paar berühmte Gemälde verunstaltet werden oder er im Stau steht, weil ein paar Demonstranten sich am Asphalt festgepappt haben. Und weil die Reaktionen auf so was inzwischen so ausgefeilt und eingefahren sind, dass das sofort in einem großen Geräusch untergeht. Lassen wir Frau Bosetti das erklären:
Ergänzen könnte man noch: Wir haben Kapitalismus. Der ist nicht nur deutlich widerstands- und anpassungsfähiger als Revolutionsträumer das gemeinhin wahrhaben wollen, sondern auch die größte Einebnungsmaschinerie aller Zeiten. Kapitalismus ist, wenn welche ein Geschäft damit machen, antikapitalistische Motive auf T-Shirts und Tassen zu drucken und zu überteuerten Preisen zu verkaufen. Kapitalismus wäre auch, dass wer ein Mittel erfindet, Sekundenkleber in Sekundenschnelle wieder aufzulösen und damit an die Börse geht. Kann nicht mehr lange dauern bei der momentanen Nachfrage.
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